Wir können uns wehren

Wir haben in diesem ersten Kapitel die Probleme des Datenkolonialismus gerade erst angerissen, und schon hat es den Anschein, als seien sie unüberwindlich. Was bleibt uns anderes übrig, als entsetzt die Hände über dem Kopf

Dergleichen bekommen wir oft zu hören. Denn wenn wir heute vor denselben Problemen stehen, die die Menschheit in 500 Jahren Kolonialismus nicht lösen konnte, warum sollte es dann uns gelingen, gegen diese neuen Formen des Kolonialismus anzukommen? Wir werden die schlimmen und teilweise katastrophalen Auswirkungen des Datenkolonialismus in den nächsten Kapiteln noch näher analysieren, die schlechten Nachrichten reißen also leider nicht so schnell ab. Aber wir wollen zumindest auch Ansatzpunkte für möglichen Widerstand gegen diese neue Gesellschaftsordnung aufzeigen.

Schon der historische Kolonialismus traf von Anfang an auf Kritik und Widerstand. Die Fähigkeit dazu lag seit jeher in den Händen der kolonisierten Subjekte, und so konnten sie schließlich den Sturz der politischen Strukturen des Kolonialismus erreichen. Wir sind in dieser Hinsicht heute nicht schlechter gestellt. Der Kolonisator kann einfach nicht ohne die Kolonisierten existieren, was diesen immer die Macht gibt, sich zu verweigern (wenn auch unter Umständen zu einem hohen Preis, der mitunter das eigene Leben betragen kann). Beginnen wir die Erforschung dieser Widerstandskraft, indem wir unsere eigene Rolle in diesem System betrachten.

Mit der Entwicklung des Kolonialismus bekam die eurozentrische Weltsicht enormen Einfluss, prägte das Bewusstsein der Kolonisierten und nährte in ihnen die Überzeugung, dass die westliche Macht unanfechtbar sei und die westliche Wissenschaft allein die Welt erklären könne, nur die westliche Religion das Seelenheil retten könne und die westliche Kultur die höchstentwickelte Ausdrucksform der Menschheit sei. Mit anderen

Ähnlich verhält es sich mit dem neuen Datenkolonialismus: Man hat leicht das Gefühl, dass wir gar nicht anders können, als diese neue Weltordnung zu akzeptieren, keine andere Wahl haben, als auf »Zustimmung« zu klicken. Aber auch wenn wir mit noch so viel Täuschung und Druck dazu gebracht werden, auf »Ja« zu klicken, und einigen von uns tatsächlich keine andere Wahl bleibt, wenn sie nicht ihren Lebensunterhalt verlieren wollen, so bleibt es doch eine Tatsache, dass wir nicht hilflos sind. Einfach ausgedrückt: Jedes einmal gegebene Einverständnis lässt sich widerrufen.

Und dafür gibt es einen unabweisbaren Grund. Letztendlich ist der Datenkolonialismus auf uns angewiesen, denn ohne unsere Daten kann er nicht funktionieren. Die meisten Daten werden nicht ohne unsere Zustimmung extrahiert, somit haben wir am Akt der Extraktion teil. Es stimmt zwar, dass die Beendigung unserer Zustimmung uns nur gegen künftige Datenextraktionen schützen kann, nicht gegen das, was mit unseren bereits extrahierten Daten geschieht, aber das bedeutet nicht, dass Big Tech nie mehr unsere Zustimmung braucht. Big Tech verlässt sich darauf, dass wir die Auswirkungen unserer Komplizenschaft in seine extraktivistischen Systeme nur unvollständig verstehen, und so bleiben wir einstweilen, je nach unserer Lebenssituation, in unterschiedlichem Maße Komplizen. Damit sich daran etwas ändert, müssen wir zunächst das volle Ausmaß dieser Komplizenschaft verstehen.

Zur Geschichte des Kolonialismus gehört auch die Rolle des »einheimischen Informanten«. Darunter versteht man Angehörige der kolonisierten Klasse, die schnell erkannten, wer auf der

Im Datenkolonialismus sind wir alle Informanten. Wir übersetzen für den Kolonisator unser Leben, indem wir es auf seinen Plattformen offenlegen. Das ist die beunruhigende Erkenntnis, zu der Tracy nach einiger Überlegung kam. Aber das ist nicht die ganze Geschichte. Immerhin haben wir heute den Vorteil, bereits zu wissen, was das koloniale System will und wie es funktioniert. Wir haben viele Beispiele dafür, wie man sich gegen den Kolonialismus wehren kann, und wir können immer noch Widerstand leisten, wenn wir uns darüber im Klaren sind, was wirklich vor sich geht.

Aber zunächst wollen wir einen genaueren Blick darauf werfen, wie sich diese Enteignung in unserem täglichen Leben abspielt.