Als am 18. Juni 1954 die Truppen von Castillo Armas’ Befreiungsarmee an drei Stellen die honduranische Grenze überschritten, war John Emil Peurifoy, der von der Regierung Eisenhower ernannte neue Botschafter der Vereinigten Staaten, bereits sieben Monate in Guatemala. Ohne jede Übertreibung konnte man sagen, dass er mit seiner brodelnden Energie keinen einzigen Tag hatte verstreichen lassen, an dem er sich nicht ins Zeug gelegt hätte für das, was sein Chef, Außenminister John Foster Dulles, ihm als seine Mission aufgetragen hatte: das Regime von Jacobo Árbenz zu zerstören.
John Emil Peurifoy war sechsundvierzig Jahre alt, hatte den Körperbau eines Orang-Utans und in seinem Leben keine Mühe und Entbehrung gescheut, um auf dergleichen Posten zu gelangen. Geboren wurde er 1907 in Walterboro, einem Städtchen in South Carolina, und da seine Eltern starben, als er noch sehr jung war, lebte er bei Verwandten und musste sich als Jugendlicher, um über die Runden zu kommen, irgendwelche Hilfsjobs suchen. Er träumte von einer Karriere als Soldat und wurde in West Point an der Militärakademie angenommen, musste sie jedoch aus gesundheitlichen Gründen bald wieder verlassen. In Washington verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als Liftboy. 1936 heiratete er Betty Jane Cox, und kurz danach erhielt er eine kleinere Anstellung im Außenministerium. Dank seiner Beharrlichkeit und seinem Ehrgeiz kletterte er die Leiter hinauf, bis er schließlich Botschafter in Griechenland war, zu einer Zeit, als die Kommunisten Anstalten machten, die Monarchie zu stürzen und die Macht zu übernehmen. Dort blieb er drei Jahre.
Es war seine Glanzzeit. Mit einer Mischung aus Drohungen, einem unglaublichen Händchen für Intrigen und einem zuverlässigen Riecher, mit Pragmatismus ebenso wie mit hemdsärmeliger Unerschrockenheit gelang es ihm, eine Militärregierung an die Macht zu bringen und über sie ein autoritäres und repressives Regime zu installieren, das auf die Unterstützung der Krone und auf Waffen und Geld aus den USA und von Großbritannien zählen konnte. Damals verdiente er sich den Beinamen Schlächter von Griechenland. John Foster Dulles und dessen Bruder Allen, Chef der CIA, hielten einen solchen Diplomaten für den richtigen Mann, um in Guatemala die USA zu vertreten, seit man beschlossen hatte, Jacobo Árbenz’ Regierung – mit welchen Mitteln auch immer – aus der Welt zu schaffen. Und tatsächlich, kaum traf er in Guatemala ein, auf dem Kopf sein beständiger, mit einer Feder geschmückter Borsalino, machte er sich gar nicht erst die Mühe, zu überprüfen, ob die Anschuldigungen, Árbenz’ Regime sei vom Kommunismus gekapert, vielleicht – wie sein Vertreter in der Gesandtschaft anzudeuten wagte – übertrieben oder gar falsch waren, sondern begann mit Schwung, die Demontage der Regierung in die Wege zu leiten.
Gleich am Tag seiner Akkreditierung im gewaltigen Regierungspalast von Guatemala hatte der neue Botschafter keinen Zweifel daran gelassen, dass er, solange er im Land sei, Präsident Árbenz das Leben schwermachen werde. Der Regierungschef hatte den Botschafter, kaum war die Zeremonie beendet, in einen kleinen Privatsalon geführt. Und noch bevor sie mit einem Glas Champagner, das ein Diener ihnen einschenkte, anstoßen konnten, überreichte Peurifoy ihm ein Blatt Papier, darauf eine durchnummerierte Liste mit vierzig Personen.
»Was ist das?« Präsident Árbenz war ein großer, gutaussehender Mann mit eleganten Umgangsformen, wusste sich aber nur mit Mühe auf Englisch zu behelfen, weshalb er immer einen Dolmetscher an seiner Seite hatte. Peurifoy hatte ebenfalls einen mitgebracht.
»Vierzig Kommunisten, die Ihrer Regierung angehören«, sagte ihm der Botschafter mit einer Direktheit, die undiplomatischer nicht hätte sein können. »Im Namen der Vereinigten Staaten fordere ich Sie auf, sie unverzüglich aus ihren Ämtern zu entfernen. Sie sind Maulwürfe, arbeiten für eine ausländische Macht und gegen die Interessen Guatemalas.«
Bevor Árbenz antwortete, warf er einen Blick auf die Liste. Dort standen, neben ein paar erklärten Linken, auch gute Freunde und Mitarbeiter von ihm. Und viele andere, die so wenig kommunistisch waren wie er selbst. So ein Quatsch! Mit dem liebenswürdigsten Lächeln wandte er sich an den Besucher:
»Das ist kein guter Anfang, Herr Botschafter. Sie sind schlecht informiert. Auf dieser Liste betrifft das allenfalls die vier Abgeordneten der Guatemaltekischen Partei der Arbeit. Die erklärt sich tatsächlich für kommunistisch, auch wenn die meisten ihrer Führer und die kleine Handvoll Mitglieder gar nicht so genau wissen, was Kommunismus überhaupt ist. Alle anderen sind so antikommunistisch wie Sie.« Er machte eine Pause, und genauso freundlich fügte er hinzu: »Oder haben Sie vergessen, dass Guatemala ein souveränes Land ist und Sie nur ein Botschafter sind, kein Vizekönig und kein Statthalter?«
Peurifoy lachte schallend, aus seinem weit aufgerissenen Mund sprühte eine Spuckewolke. Wenn der Botschafter etwas sagte, sprach er langsam, um den Dolmetschern die Arbeit zu erleichtern. Er war groß, kräftig, mit sehr heller Haut und dunklen, aggressiven Augen; in seinen buschigen Brauen und seinen Koteletten zeigten sich ein paar vorzeitig ergraute Haare, auf seiner Stirn glänzte der Schweiß. Wann immer Präsident Árbenz den Botschafter traf, hatte er den Eindruck, er ereifere sich und sei kurz vorm Explodieren.
»Ich dachte, ich spiele gleich vom ersten Tag an mit offenen Karten, Herr Präsident. Sagten Sie nicht, das mit den Kommunisten in Ihrer Regierung sei ein Hirngespinst der Yankees? Da haben Sie den Beweis, dem ist nicht so.«
»Darf man wissen, welche fantasiebegabte Person die Liste zusammengestellt hat?«
»Die CIA«, antwortete der Botschafter mit einem weiteren herausfordernden Lachen. »Und das ist eine sehr tüchtige Institution, das mussten im Krieg schon die Nazis feststellen. Dank Senator McCarthy wird nun auch die US-amerikanische Administration gesäubert, in die ebenfalls zahlreiche Rote eingesickert sind, genau wie in Ihre Regierung.«
»Dann werde ich sie wohl eher auf ihren Posten bestätigen«, spöttelte der Präsident. »Dass die CIA sie für ihre Feinde hält, heißt für mich, dass ich ihnen vertrauen kann. Haben Sie Dank für Ihre Respektlosigkeit, Herr Botschafter.«
»Ich sehe, wir verstehen uns hervorragend, Herr Präsident«, antwortete Peurifoy und lächelte.
Als Präsident Árbenz am Abend nach Hause in die Villa Pomona kam, sagte er zu María Vilanova, seiner Frau:
»Die USA haben uns einen Schimpansen als Botschafter geschickt.«
»Warum nicht?«, erwiderte sie. »Oder sind wir für die Gringos nicht eine Art Zoo?«
Die ersten militärischen Aktionen der Befreiungsarmee, gestartet am 18. und 19. Juni 1954, waren für Oberst Carlos Castillo Armas wenig ermutigend. Eine aus dem honduranischen Städtchen Florida in Richtung Zacapa aufgebrochene, hundertzweiundzwanzig Mann starke Truppe bekam es in Gualán, schon auf guatemaltekischer Seite, mit dem dortigen kleinen Revier der Guardia Civil zu tun, die man mit dreißig Soldaten verstärkt hatte. Sie unterstanden Leutnant César Augusto Silva Girón, einem jungen und ungestümen, auf die Aktion bestens vorbereiteten Offizier, und der hatte seine Soldaten in Bereitschaft versetzt und sie auf den Höhen der Hügel ringsum in einem Hinterhalt stationiert. Von dort griffen sie die Invasoren handstreichartig an und zwangen sie nach einem zähen Kampf zum Rückzug. Dutzende von Toten blieben auf dem Gelände zurück, darunter Oberst Juan Chajón Chúa, der die Truppe kommandierte, und viele Verwundete. Kaum mehr als dreißig Rebellen entgingen dem Schicksal, niedergeschossen oder gefangen genommen zu werden.
Die von Oberst Miguel Ángel Mendoza angeführte Einheit, zu der auch Cara de Hacha selbst gehörte und die von Nueva Ocotepeque aus aufgebrochen war, überquerte bei Tagesanbruch die Grenze in Richtung Esquipulas. Dort trafen sie auf eine Garnison, die besser ausgestattet war, als sie erwartet hatten, und vor allem waren die Soldaten, genau wie in Gualán, auch tapfer und bereit, gegen die Invasoren zu kämpfen. Eine demütigende Niederlage ersparten ihnen nur die Flugzeuge, die Colonel Brodfrost in letzter Minute aus Nicaragua zu Hilfe schickte, zumal dank Jerry Fred DeLarm, der zwei Streubomben auf die Kaserne in Esquipulas abwarf, und das mit einer solchen Treffsicherheit oder mit so viel Glück, dass eine der Bomben die beiden Kanonen ihrer Artillerie, die unter den Angreifern schon die schlimmsten Verheerungen anrichtete, vollkommen zerstörte.
Die Kolonne, die aus der honduranischen Ortschaft Macuelizo aufgebrochen war, mit hundertachtundneunzig Mann die größte, näherte sich Puerto Barrios von zwei Seiten: über Land und, unter dem Kommando von Alberto Artiga, von der Seeseite her mit dem Frachter Siesta de Trujillo, den der Generalissimus geschickt hatte. Ihr Plan war, die in der Militärzone des guatemaltekischen Hafens an der Karibikküste zusammengezogene Truppe mit einer Zangenbewegung einzukesseln und aufzureiben. Doch an beiden Fronten wurden sie von dichten Gewehrsalven empfangen, unter reger Beteiligung von Zivilisten, da in die Verteidigung der Militäreinrichtungen von Puerto Barrios, den Soldaten zur Seite, auch Brigaden von Hafenarbeitern eingriffen, die in den Tagen zuvor von der Gewerkschaft und der Regierung bewaffnet worden waren. Es war der einzige Fall in ganz Guatemala, bei dem die sogenannten »Volksmilizen«, die es nur auf dem Papier gab und die die Opposition gleichwohl in Angst und Schrecken versetzten, ihre Existenz unter Beweis stellten. Die Invasoren mussten fliehen und ihre Toten und Verwundeten auf dem Schlachtfeld in der Umgebung des Hafens zurücklassen. Die Garnison von Puerto Barrios war nicht nur bestens ausgerüstet gewesen, die Bevölkerung hatte, ausgestattet mit Jagdgewehren, Knüppeln, Steinen und Messern, ebenfalls kampfesmutig ihren Teil beigetragen, und so hatten die Offiziere mit ihren Soldaten die Angreifer nach mehreren Stunden bezwungen und in die Flucht geschlagen. Auch Gefangene wurden gemacht, von denen die Menge später einige hinrichtete. Bei diesem ersten Angriff gab es für die Befreiungsarmee nur Niederlagen.
Hinzu kam, dass eine kleine Gruppe von Invasoren, die von Santa Ana in El Salvador aufgebrochen waren, nicht einmal die guatemaltekische Grenze erreichte. Die salvadorianische Armee stoppte die Männer und beschlagnahmte ihre Waffen, da sie keine entsprechende Genehmigung vorweisen konnten. Erst zwei Tage später und nach hektischen Aktivitäten der US-amerikanischen Botschaft wurden die Festgenommenen unter der Auflage freigelassen, sich unverzüglich nach Honduras zu begeben, da der salvadorianische Präsident Óscar Osorio nicht wollte, dass Castillo Armas’ Anhänger von seinem Hoheitsgebiet aus gegen die Regierung Guatemalas operierten.
Das Schlimmste jedoch, was den Rebellen in den ersten beiden Tagen der Invasion widerfuhr, war, dass alle Versuche scheiterten, den aufständischen Gruppen und Kommandos, die laut ihren Informanten bereits auf guatemaltekischem Boden aktiv waren, auf dem Luftweg Waffen zu liefern. Es war reine Propaganda gewesen. Denn sooft Colonel Brodfrost zur vereinbarten Zeit seine Douglas C-124C schickte, ließ sich von den Mannschaften, die das mit Fallschirmen abzuwerfende Kriegsmaterial einschließlich Proviant und Medikamenten in Empfang nehmen sollten, an den angezeigten Orten niemand blicken. Die US-Piloten überflogen die entsprechenden Stellen und die unmittelbare Umgebung, bis sie Befehl erhielten, mit der Fracht nach Managua zurückzukehren oder sie im Meer zu versenken. Zu den drei Transportflugzeugen war noch ein viertes hinzugekommen, nachdem Allen Dulles, Chef der CIA, die Anschaffung genehmigt und die Mittel zur Verfügung gestellt hatte. Diese Flotte wurde immer größer, bis sie, am Vorabend der Invasion, auch aus sechs Transportern DC-3 (C-47) bestand, sechs F-47 Thunderbolt, einem Jagdflugzeug P-38, einer Cessna 180 und einer Cessna 140, deren Piloten, sämtlich Gringos, zweitausend Dollar im Monat verdienten, plus Zulagen für jeden erfolgreichen Einsatz.
Bei allen folgenden Begegnungen in den fast acht Monaten, die Botschafter Peurifoy in Guatemala weilte, versuchte Präsident Árbenz ihm die wahre Situation im Land zu erklären. Und ein ums andere Mal bekräftigte er, dass die von seiner Regierung durchgeführten Reformen, einschließlich der Agrarreform, nichts anderes zum Ziel hätten, als Guatemala zu einer modernen und kapitalistischen Demokratie zu machen, genau wie die Vereinigten Staaten und die anderen westlichen Nationen. Hatte man im Land etwa »Kolchosen« gegründet? War irgendein privates Unternehmen verstaatlicht worden? Die ungenutzten Flächen, die die Regierung verstaatlicht hatte und an die armen Bauern verteilte, waren einzelne Parzellen, damit sich eine private und kapitalistische Landwirtschaft entwickeln konnte. »Jawohl, hören Sie gut zu, Herr Botschafter, ka-pi-ta-lis-tisch«, sagte der Präsident, jede Silbe betonend, und der Dolmetscher ahmte ihn Silbe für Silbe nach. Wenn die Regierung erwarte, dass die United Fruit, so wie alle guatemaltekischen Landwirte, Steuern zahle, dann um im Land Schulen, Straßen, Brücken zu bauen, um die Lehrer besser zu bezahlen und kompetente Beamte zu gewinnen, um eine Infrastruktur zu finanzieren, die es den indigenen Gemeinschaften und damit der übergroßen Mehrheit der drei Millionen Guatemalteken erlaube, aus ihrer Isolation und Armut herauszukommen. Präsident Árbenz ließ nicht locker, auch wenn er schon bald gemerkt hatte, dass Botschafter Peurifoy gegen Einwände und Argumente immun war. Er hörte sie nicht einmal an, wiederholte vielmehr wie eine Bauchrednerpuppe, dass der Kommunismus sich überall im Land ausbreite. Hatte es nicht der Hochwürdigste Herr Erzbischof von Guatemala, Mariano Rossell y Arellano, in seinem denkwürdigen Hirtenbrief bestätigt? Bezeugte es nicht die Tatsache, dass man bereits unter Juan José Arévalo die Gründung von Gewerkschaften erlaubt hatte? Griff nicht der rebellische Geist schon unter den Bauern und Arbeitern um sich, aufgewiegelt von Agitatoren? Gab es keine Landnahmen, keine Überfälle auf Fincas? Fühlten sich die Unternehmer und Landwirte etwa nicht bedroht? Waren nicht viele von ihnen ins Ausland gegangen? Konnte man es nicht täglich in der Zeitung lesen und im Radio hören?
»Und in den USA gibt es keine Gewerkschaften?«, erwiderte Árbenz. »Das Land, in dem man keine freien und unabhängigen Gewerkschaften kennt, ist ausgerechnet Russland.«
Doch der Botschafter wollte nicht begreifen, und immer wieder sagte er, mal in gelassenem Ton, mal drohend, dass die Vereinigten Staaten eine sowjetische Kolonie zwischen Kalifornien und dem Panamakanal niemals duldeten. Dafür hätten sie, »das soll keine Drohung sein«, die Marines, und die nähmen Guatemala vom Pazifik und von der Karibik aus schon ins Visier.
»Wissen Sie, wie viele russische Staatsbürger sich zurzeit in Guatemala aufhalten?«, fragte Árbenz. »Kein einziger, Herr Botschafter. Wollen Sie mir sagen, wie die Sowjetunion Guatemala zu einer Kolonie machen will, wenn es keinen einzigen russischen Staatsbürger in diesem Land gibt?«
Seine Proteste gegen die Presseschlacht, die sich, ausgehend von den USA, über die ganze Welt spannte, waren ebenfalls vergebens. Aber wie war es möglich, dass sich so angesehene Publikationen wie die New York Times, die Washington Post, die Chicago Tribune, das Time Magazine oder Newsweek einem solchen Phantom hingaben: der Kommunismus in Guatemala! Von vorn bis hinten Schmu. Eine Lüge, die auf unwürdige Weise ebenjene Gesellschaftsreformen lächerlich machte, die gerade verhindern sollten, dass gesellschaftliche Ungleichheit, Armut, Unrecht die Guatemalteken in die Arme des Kommunismus trieb. Doch der Diplomat erwiderte nur, dass in den Vereinigten Staaten, einem demokratischen Land, die Presse frei sei und die Regierung sich nicht einmische. Noch einmal erklärte Árbenz ihm in allen Einzelheiten, dass mit der Agrarreform kein einziges Stückchen Boden, das die Frutera, die United Fruit also, oder die guatemaltekischen Großgrundbesitzer bestellt hätten, verstaatlicht worden sei. Betroffen sei nur brachliegendes Land, von niemandem bestellt. Und für die verstaatlichten Flächen habe man den Eigentümern einen Preis gezahlt, dessen Höhe sie selbst in ihren Steuererklärungen angegeben hätten.
Der Präsident regte an, der Botschafter möge, statt sich alle naselang mit Militärs zu treffen und sie zu einem Putsch gegen die Regierung aufzustacheln – der Diplomat machte ungerührte Miene ob dieser Detailkenntnisse –, lieber durchs Land fahren und mit eigenen Augen sehen, wie eine halbe Million Indios endlich ein Stück Boden erhalten habe, Boden, der sie zu Eigentümern mache – jawohl, Herr Botschafter, Ei-gen-tü-mern –, auf dass sie Erfolg hätten und Guatemala zu einer Gesellschaft ohne Hunger werde, ohne Ausbeuter, ohne Arme, nach dem Modell der Vereinigten Staaten. Doch fest verbarrikadiert in seinem Gefühlspanzer und besessen von seiner Mission, tat Botschafter Peurifoy keinen Schritt aus Guatemala-Stadt hinaus. Und bei allen Gesprächen mit dem Staatsoberhaupt stellte er immer wieder dieselbe Frage:
»Warum verbeißt sich Ihre Regierung derart an einem US-amerikanischen Unternehmen wie der United Fruit, Herr Präsident?«
»Halten Sie es für gerecht, Herr Botschafter«, antwortete ihm Árbenz, »dass die Frutera in ihrer ganzen Geschichte von mehr als einem halben Jahrhundert in Guatemala nicht einen einzigen Centavo Steuern gezahlt hat? Jawohl, hören Sie gut zu: nicht ein einziges Mal in ihrer Geschichte. Keinen Centavo. Sie hat, wohl war, Potentaten wie Estrada Cabrera und Ubico bestochen und sich Verträge unterzeichnen lassen, die sie von der Steuerpflicht befreien. Und da sie mich nicht bestechen kann, muss sie eben Steuern zahlen, so wie alle Unternehmen in den USA und in den anderen westlichen Demokratien. Oder zahlen Firmen in Ihrem Land keine Steuern? Dabei zahlen sie hier nicht mal die Hälfte von dem, was sie bei Ihnen zahlen.«
Der Präsident wusste, dass es keinen Zweck hatte. Und genauso wusste er, dass Peurifoy nichts unversucht ließ, um auf die Armee einzuwirken, damit sie sich gegen die Regierung erhob und einen Staatsstreich durchführte. Er hatte seine Minister gefragt, ob sie eine Protestnote und die Ausweisung des Botschafters für angebracht hielten, aber Außenminister Guillermo Toriello war dagegen, er meinte, das würde die Krise zwischen ihren Ländern nur verschärfen, am Ende diente es womöglich als Vorwand für eine Landung der Marines in Guatemala. Was eine Landung bedeutete, war allenthalben immer wieder Thema. Árbenz wusste, dass die Offiziere der guatemaltekischen Armee nichts mehr fürchteten als eine solche Invasion, da sie für die Streitkräfte das Aus bedeuten könnte. Inoffiziellen Umfragen der Regierung zufolge würde im Falle einer Yankee-Invasion mindestens die Hälfte bis drei Viertel der guatemaltekischen Armee zum Feind überlaufen. Das war die größte Sorge des Präsidenten. Bisher hatte er seine Kollegen vom Militär in Schach halten können, aber ihm war auch klar, dass es in den Streitkräften, sollten die Marines einen Fuß auf guatemaltekischen Boden setzen, zu einer massiven Fluchtbewegung käme. In diesen angespannten Zeiten verspürte er manchmal, wie ein Jucken am ganzen Körper, das Bedürfnis, einen Schluck Whisky oder Rum zu trinken. Aber der Versuchung gab er niemals nach.
Wenn Árbenz zu Peurifoy sagte, er sei der oberste Antikommunist Guatemalas, erntete er nur ein spöttisches Lächeln. Und wenn er fragte, wie ein Land ein russischer Satellitenstaat sein könne, das nicht nur keinen einzigen russischen Staatsbürger beherberge, sondern auch noch nie diplomatische oder Handelsbeziehungen zur Sowjetunion unterhalten habe und qua Verfassung internationale politische Parteien verbiete, hörte der Botschafter zu und antwortete nichts. Genauso, allerdings mit skeptischerer Miene, wenn der Präsident versicherte, dass die Guatemaltekische Partei der Arbeit, die sich als kommunistisch bezeichne, nur eine lächerlich kleine Vereinigung sei. Gelegentlich erwiderte Peurifoy, sie habe zwar nur vier Abgeordnete, kontrolliere aber alle Gewerkschaften, was ausnahmsweise stimmte, es hatte die Familien von Landwirten und Unternehmern des Landes in Panik versetzt, zumal viele überfallen und gezwungen worden waren, ins Ausland zu gehen. ›Nichts zu machen‹, dachte Árbenz. ›Man hat uns einen Dummkopf geschickt.‹
John Emil Peurifoy aber war kein Dummkopf. Ein Fanatiker und ein Rassist war er zweifellos, auch ein begriffsstutziger und zähgeistiger McCarthy-Verschnitt, wie Árbenz’ Ehefrau María Cristina Vilanova seit dem Tag, an dem sie ihn kennengelernt hatte, bei jeder sich bietenden Gelegenheit sagte. Aber er war auch ein Mann der Tat, der blind voranstürmte und zur Erreichung seiner Ziele jedes Hindernis brachial aus dem Weg räumte. Eine Frechheit, wie er versucht hatte, den Armeechef zu kaufen, Oberst Carlos Enrique Díaz (Klein Árbenz der Zweite), dem ein Kurier der CIA auf einer Reise nach Caracas zweihunderttausend Dollar anbot für eine »Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten«. Oberst Díaz lehnte das Angebot ab, und nach seiner Rückkehr aus Venezuela erzählte er die Geschichte gleich Präsident Árbenz. Er habe in Caracas, gestand er, einen »fürchterlichen Schreck« bekommen, weil er vermutete, seine Frau hätte ihm den Mann hinterhergeschickt; tatsächlich hatte er die Gelegenheit genutzt, sich von seiner Geliebten begleiten zu lassen.
Peurifoy folgte einer Strategie, die er bereits in Griechenland angewandt hatte, und so versuchte er die führenden Militärs davon zu überzeugen, dass Árbenz’ Politik nicht nur dem Land schade, sondern vor allem den Streitkräften, der ersten Institution, die die Kommunisten auflösen und, als bewaffnete Kraft der Partei, durch Volksmilizen ersetzen würden, nicht anders hätten sie es in Russland gemacht und nach dem Zweiten Weltkrieg in den Volksdemokratien unter ihrer Knute. Der Botschafter ließ bei seinen Betreibungen nicht die geringste Vorsicht walten, sodass der Präsident und seine Regierung über sämtliche Details im Bilde waren. Für Árbenz waren das alles »Provokationen«, um ihn zu zwingen, den Botschafter auszuweisen, womit die Vereinigten Staaten einen Vorwand hätten, ins Land einzufallen. Peurifoy lud die Offiziere mit Befehlsgewalt in die Botschaft ein, angefangen bei Oberst Díaz, dem Armeechef, und anderen wie Oberst Elfego H. Monzón, Oberst Rogelio Cruz Wer, Chef der Guardia Civil, oder Major Jaime Rosemberg, Chef der Kriminalpolizei; er hatte aber auch keine Scheu, sich mit ihnen im Offizierskasino zu versammeln oder in Privathäusern von Grundbesitzern und Unternehmern, denen die Reformen ein Graus waren, vor allem die Agrarreform mit dem Dekret 900, zumal einige von ihnen auch zum ersten Mal im Leben Steuern zahlen mussten. Den Militärs machte der Botschafter klar, dass die Vereinigten Staaten, sollte die Situation sich weiter zuspitzen, bald keine andere Möglichkeit mehr hätten, als zu intervenieren. Wollten sie sich wirklich mit der mächtigsten Armee der Welt anlegen? Außerdem erinnerte er sie daran, dass die USA schon 1951, mit Beginn der kommunistischen, von Árbenz »sozial« genannten Maßnahmen, gezwungen gewesen seien, ein Embargo zu verhängen, um zu verhindern, dass Guatemala sich in einem westlichen Land Rüstungsgüter beschaffte, ein Boykott, dem sich mehrere europäische Länder angeschlossen hätten, für die Streitkräfte ein enormer Schaden. Aber das wussten sie selber ja nur zu gut, oder? War das kein hinreichender Grund, in Aktion zu treten und die Regierung abzusetzen?
Allerdings musste der Botschafter am 18. Juni, als Castillo Armas’ Truppen die honduranische Grenze überquerten, auch feststellen, dass viele Militärs, mit denen er sich regelmäßig traf, äußerst ablehnend reagierten. Für sie war es »unerträglich« und »ein Akt des Verrats«, dass dieser Soldat ohne jedes Ansehen, dieser Möchtegern sich gegen sein eigenes Land erhob, noch dazu an der Spitze von Söldnern, die großenteils Ausländer waren. Der institutionelle Stolz, der sich bei den Offizieren regte, veranlasste Peurifoy, seine Strategie zu ändern; und das State Department sowie die CIA zu bitten, die Vereinigten Staaten möchten die Unterstützung für den »Verräter« Castillo Armas nicht allzu sehr in den Vordergrund stellen, Washington möge vielmehr, wie er es von Anfang an vorgeschlagen habe, einem »institutionellen Putsch« den Vorzug geben.
Andererseits gelang es dem Botschafter aber auch, unter den guatemaltekischen Offizieren Informanten zu gewinnen. Und »sehr viel preiswerter als die griechischen Offiziere«, wie er seinen Vorgesetzten im State Department berichtete. Nicht alle waren so anständig wie Oberst Díaz. Peurifoy schickte täglich Informationen nach Washington und bemühte sich, die Aktionen von Castillo Armas im honduranischen Exil herunterzuspielen, und mit Nachdruck vertrat er seine Überzeugung, dass ein Aufstand der Streitkräfte gegen Árbenz vorzuziehen sei und sich schneller bewerkstelligen lasse. Ein solcher sei, argumentierte er, effektiver als eine Invasion, die so lange brauche, dass die Skepsis der Militärs und der Zivilbevölkerung mehr als berechtigt sei.
Seine Einschätzung wurde bestätigt, als am 18. und 19. Juni 1954 Castillo Armas’ Truppen (oder »Banden«, wie Peurifoy sagte) die Grenze überquerten. Ohne die Luftwaffe der Befreiungsarmee wäre die Invasion krachend gescheitert; nur sie verhinderte, dass die Rebellen aufgerieben wurden, als sie in Gualán und in Puerto Barrios auf die Armee trafen, und nur sie rettete, fast ein Wunder, die Kräfte, die Zacapa einzunehmen versuchten. Dagegen war die Luftwaffe, über die Árbenz’ Regierung verfügte, ein Witz, sie bestand gerade mal aus fünf Beechcraft AT-11, und mit einer dieser kleinen Maschinen war der Pilot am ersten Tag der Invasion desertiert und nach Honduras geflohen, wo er sich den Aufständischen anschloss. Árbenz traute sich nicht mehr, die übrigen Flugzeuge in den Kampf zu schicken, aus Angst, seine Piloten würden zum Feind überlaufen. Die Luftwaffe von Colonel Brodfrost hatte also freie Bahn.
Die Gringo-Piloten nutzten ihre Lufthoheit weidlich aus. Vor allem in Chichimula richteten sie großen Schaden an, vorneweg Jerry Fred DeLarm. Der stieß wie ein Kamikazeflieger auf die Garnison herab und schaffte es, eine Streubombe in den Hof der kleinen Kaserne abzuwerfen und ihre Artillerie zu zerstören, mit Toten und Verwundeten, worauf die übrigen dort stationierten Soldaten sich am 23. Juni, trotz ihres anfänglichen Siegs, ergaben und zusehen mussten, wie die Garnison von den aufständischen Truppen besetzt wurde. Für die Invasoren, die nach den Misserfolgen der ersten beiden Tage kurz davor standen, auf honduranisches Territorium zurückzuweichen, war dies ein großer Ansporn. Radio Liberación bezeichnete die Einnahme der Garnisonen von Esquipulas und Chichimula durch Castillo Armas als »Anfang vom Ende« der Regierung Árbenz.
Botschafter Peurifoy begann nun, das State Department zu bearbeiten, ebenso die strategische Leitung der Invasion (angeführt von zwei Mitarbeitern der CIA, Robertson und Wisner), damit sie einer Bombardierung der Stadt Guatemala zustimmten. In der Hauptstadt müsse Panik herrschen, erst dann würde sich die Armee zum Handeln entschließen. Dabei berief er sich auf das, was die hohen Offiziere, darunter Oberst Monzón und der Armeechef Oberst Díaz, sehr deutlich gesagt hätten: »Es muss zivile Opfer geben. Unter der Zivilbevölkerung muss Panik ausbrechen. Erst dann sind wir gezwungen, gegen Árbenz vorzugehen.« Bekräftigt wurde diese Aussage von Oberst Elfego H. Monzón, als der, begleitet von Oberst José Luis Cruz Salazar und Oberst Mauricio Dubois, in der Botschaft erschien und insbesondere darauf hinwies, dass die Bombardierung durch die Befreier die Festung Matamoros zum Ziel haben müsse, gelegen mitten im Zentrum der Hauptstadt.
Der Angriff fand am frühen Nachmittag des 25. Juni statt. Die Luftwaffe der Rebellen war zu dem Zeitpunkt bereits weiter angewachsen. Die beiden Thunderbolts mit Williams und DeLarm am Steuer überflogen, bevor sie Kurs auf die Hauptstadt nahmen, Chichimula und Zacapa, zerstörten zunächst einen Eisenbahnzug mit Regierungstruppen, die die dortigen Garnisonen verstärken sollten, und dann eine Brücke, um den Marsch der zu Fuß weiter vorrückenden Überlebenden zu erschweren.
Beide Jagdbomber erreichten die Hauptstadt nachmittags um zwanzig nach zwei. Als Erster flog Williams auf die Festung Matamoros zu, doch die 275 Pfund schwere Streubombe, die er mitführte, verhakte sich in der Auslösevorrichtung. DeLarm dagegen, der hinter ihm kam, konnte eine 555-Pfund-Bombe über der Festung abwerfen und das Munitionslager in Schutt und Asche legen, mit einer Reihe von Explosionen und unzähligen Toten und Verletzten sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kaserne. Auf ihren anschließenden Tiefflügen, bei denen sie die Überlebenden niedermähten, wurden Gewehrsalven auf sie abgegeben, erst dann zogen sie sich zurück. Doch Williams konnte noch zwei weitere Bomben über der Stadt abwerfen, kleinere als die im Flugzeug eingeklemmte, von denen eine im Ehrenhof der Militärakademie einschlug. Diesmal waren die Offiziere mit Armeechef Oberst Díaz (Klein Árbenz der Zweite) und Oberst Elfego H. Monzón an der Spitze, wie es schien, zufrieden: Es gab viele Tote und Verletzte unter der Zivilbevölkerung, und die Panik war so groß, dass Tausende von Familien auf die Straßen stürzten und, aus Angst vor einer erneuten Luftinvasion, mit ihren Bündeln und Wiegen und Hunden aus der brennenden Stadt zu fliehen versuchten.
Vierundzwanzig Stunden nach der Bombardierung der Festung Matamoros, als die ganze Stadt noch in Aufruhr war, versunken im Chaos; als auf den Straßen noch Tote und Verletzte lagen und ein Strom von Menschen aufs Land hinauszog, erhielt Präsident Árbenz vom Armeechef, Oberst Carlos Enrique Díaz, »im Namen der Streitkräfte, denen vorzustehen ich die Ehre habe«, die dringende Bitte, sich »aufgrund der sehr ernsten Vorfälle von gestern, das heißt der Bombardierung der Festung Matamoros und ihrer Umgebung durch die feindliche Luftwaffe«, mit ihm und dem Generalstab zu versammeln. Sowohl Díaz als auch Monzón und andere Mitglieder des Generalstabs waren an der Escuela Politécnica Kameraden gewesen und mit Árbenz persönlich befreundet. Der hatte außerdem mit aller Kraft darauf hingewirkt, dass Díaz die Führung der Armee übernahm. Doch kaum erreichte ihn die derart formulierte Bitte, ahnte er, dass Oberst Díaz nicht mehr der Mensch war, den er gekannt hatte, sein Freund und Kamerad seit Jugendzeiten. Bis vor zwei Tagen hatte er ihn täglich darüber informiert, welchen Druck Peurifoy auf die höheren Offiziere ausübte, damit sie putschten. War der Putsch schon im Gange? Hatte man ihn am Ende auch gekauft? Umgehend antwortete er Díaz und bestellte ihn und den Generalstab noch für denselben Nachmittag in sein Amtszimmer im Regierungspalast.
Danach rief er drei Zivilisten zu sich, Víctor Manuel Gutiérrez, Generalsekretär des Gewerkschaftsverbands CGTG, José Manuel Fortuny, Führer der (kommunistischen) Guatemaltekischen Partei der Arbeit, sowie Carlos Manuel Pellecer, alle drei Freunde und Berater, die bei der Ausarbeitung des Agrarreformgesetzes und, nach Verabschiedung durch den Kongress, bei der Umsetzung der Reform mit ihm zusammengearbeitet hatten. Fortuny war außerdem Mitte 1954 für den heimlichen Kauf von Waffen in der Tschechoslowakei zuständig gewesen, ein Geschäft, das Árbenz veranlasst hatte, um das Embargo zu umgehen, mit dem die Vereinigten Staaten Guatemala belegt hatten und das die Armee im höchsten Maße beunruhigte. Fortuny besorgte die Waffen, und Árbenz schaffte es, dass sie auch ins Land kamen, mit der Alfhem, einem schwedischen Frachter, der schließlich, von den USA unbemerkt, in Puerto Barrios anlegte. Der beste Beweis für das geringe Interesse der Sowjetunion an den Geschehnissen in Guatemala, dachte Árbenz oft, war die Tatsache, dass seine Regierung die Waffen in bar bezahlen musste, zu einem stolzen Preis und ohne jeden Rabatt. Die Yankee-Presse hatte ein Riesenspektakel gemacht wegen dieses Kaufs von Maschinengewehren und Panzerfäusten, dabei hätte die Armee ohnehin niemals zugelassen, dass sie in die Hände irgendwelcher Volksmilizen gelangten.
Ohne sich weiter zu Diaz’ Nachricht zu äußern, fragte Árbenz die drei, wie es mit der Ausbildung der Milizen vorangehe. Ihre Einschätzung, vor allem die von Fortuny, war überaus pessimistisch. Es gehe nur langsam voran; nicht alle Bauerngewerkschaften wollten, dass ihre Mitglieder sich meldeten; andere seien zwar durchaus bereit, träfen in ihren Reihen aber auf großen Widerstand, sie hätten nun ihre kleinen Fincas und wollten so bald wie möglich an die Arbeit gehen, nicht Milizionäre werden und Krieg führen. Fortuny, schon vor den Wahlen ein guter Freund von Jacobo und María Árbenz, versicherte, das größte Problem sei allerdings, dass die mit der Ausbildung beauftragten Militärs sich sträubten; sie fürchteten eine solche »Zivilarmee« und betrachteten sie als Bedrohung für den Fortbestand der Streitkräfte. Vielleicht hätten sie aber auch Befehl von oben, die Ausbildung der Milizen zu sabotieren. In der Hauptstadt hätten sich nur ein paar Dutzend Freiwillige im Stadion der Olympischen Stadt eingefunden, nicht die erhofften Tausende, und die mit der Einweisung beauftragten Offiziere hielten sie hin, erschienen nicht an den für die Ausbildung angezeigten Orten, fänden immer irgendeinen Grund, weshalb sie die versprochenen Gewehre nicht aushändigten. Die Sache war klar: Die guatemaltekische Armee wollte partout keine Volksmilizen zur Verteidigung der Revolution. Botschafter Peurifoy hatte die noch Zögernden davon überzeugt, dass diese »Milizen«, wenn es sie erst gäbe, der rechtmäßigen Armee am Ende den Boden entzögen. Kämpfen, Krieg führen sei eine Aufgabe für die Streitkräfte, nicht für die Gewerkschaften oder die Bauern. Weil er eine solche Ansicht vertreten hatte, sollte José Manuel Fortuny später vom Zentralkomitee der Guatemaltekischen Partei der Arbeit (deren Generalsekretär er war) beschuldigt werden, er habe eine »seines Amtes unwürdige persönliche Haltung« eingenommen und einer »irrigen und pessimistischen Politik« Vorschub geleistet. Man strengte ein »Disziplinarverfahren« an und entfernte ihn aus der Leitung der Partei.
Árbenz informierte die drei Zivilisten nicht über das für den Nachmittag anberaumte Treffen mit dem Generalstab. Doch was die drei ihm berichteten, stimmte auch ihn pessimistisch. Er hatte es schon vermutet: Die Armee weigerte sich, die Milizen auszubilden. Vielleicht hatten die mit ihrer Einweisung beauftragten Offiziere tatsächlich Befehl von oben, sie hinzuhalten und sich in Ausreden zu flüchten; oder es war, ebenso gut möglich, ihre eigene Entscheidung, die Sache zu sabotieren. Zwar gab es Offiziere, die für die Sozialreformen waren, aber am Ende überwog der Korpsgeist. Der Präsident hatte immer gewusst, dass die Armee einer Konfrontation mit den Vereinigten Staaten niemals zustimmen würde. Mochten sie noch so wenig von Castillo Armas halten, ihre Institution schloss einen Krieg gegen die Marines rundweg aus. Und wer hätte ihnen da widersprochen?
Zwei Dutzend führende Militärs, einige aus ferneren Garnisonen, versammelten sich um acht Uhr abends im Amtszimmer. Alle trugen Paradeuniform und Orden an der Brust. Der Präsident gab sogleich dem Armeechef das Wort.
Kaum hatte Oberst Carlos Enrique Díaz, zögerlich, vorsichtig, seine Darlegung begonnen, in die er immer wieder das sehr respektvolle »Herr Präsident« einflocht, wusste Jacobo Árbenz, was kommen würde. Es gehe darum, die Oktoberrevolution zu verteidigen, die Reformen, das Agrarreformgesetz, die Übergabe von Land an die Bauern. Selbstverständlich gehe es darum, betonte Díaz, selbstverständlich, Herr Präsident. Das seien Reformen, die die Armee verstehe und unterstütze. Und natürlich könne die Armee Guatemalas einen bewaffneten Aufstand wie den dieses Verräters Castillo Armas nicht dulden, ins Werk gesetzt von ausländischen Söldnern und befeuert von den Vereinigten Staaten mit ihrem rüden Unverständnis und ihrer erklärten Feindschaft. Diese Rebellion, diese Invasion von Honduras aus, mannhaft zurückgeschlagen in Gualán und Puerto Barrios, müsse bezwungen werden, da gebe es nicht den geringsten Zweifel. Was das betreffe, zögerten die achttausend Soldaten und Offiziere der guatemaltekischen Armee keine Sekunde. Aber einen Krieg gegen die USA, das mächtigste Land der Welt, den würde die guatemaltekische Armee nicht überstehen, wie auch. Zudem habe die feindselige Einstellung der Vereinigten Staaten gegenüber dem »Herrn Präsidenten« (»gegenüber Guatemala«, unterbrach ihn Árbenz), jawohl, gegenüber Guatemala, korrigierte sich Díaz, den Streitkräften bereits großen Schaden zugefügt, man denke nur an das Embargo in Bezug auf die Beschaffung von Waffen, Munition und Ersatzteilen, eine Maßnahme, der sich auf Druck der USA schon seit Jahren fast sämtliche westliche Länder angeschlossen hätten, mit überaus nachteiligen Auswirkungen auf die Streitkräfte, wie sich gerade in diesen Tagen angesichts der Invasion von Castillo Armas und seinen aus Antipatrioten, Söldnern und Verrätern bestehenden Truppen zeige. Die Staaten des Ostblocks könnten die USA als Waffenlieferanten nicht ersetzen, das habe man vor einigen Monaten mit den in der Tschechoslowakei gekauften Waffen ja deutlich gesehen, ein internationaler Aufschrei sei die Folge gewesen, und den Marines habe es beinahe einen Vorwand geliefert, in Guatemala einzufallen. Und das wegen Waffen, die zum großen Teil unbrauchbar seien, da alt und ohne Ersatzteile!
Es folgte eine lange Pause, im Amtszimmer herrschte Grabesstille, alle Anwesenden waren wie erstarrt. ›Jetzt kommt’s‹, dachte Árbenz. Und tatsächlich, so war es.
»Und deshalb, Herr Präsident, fordern wir, die führenden Ränge des Militärs, beseelt von dem tiefen Wunsch, die Errungenschaften der Revolution zu schützen und Castillo Armas so bald wie möglich zu besiegen, Sie auf, in einem großmütigen und patriotischen Akt Ihre Abdankung zu erklären. Die Armee wird die Macht übernehmen und sich verpflichten, die Sozialreformen zu retten, insbesondere die Agrarreform. Und Castillo Armas und seine Söldner niederzuwerfen.«
Oberst Carlos Enrique Díaz schwieg, und erneut war es lange Zeit still. Schließlich fragte Präsident Árbenz:
»Unterstützen alle hier anwesenden Offiziere die Worte des Armeechefs?«
»Wir haben uns einhellig darauf verständigt, Herr Präsident«, antwortete Oberst Díaz. »Zuerst war es ein einstimmiger Beschluss des Generalstabs, die Kommandanten aller Garnisonen und Regionen Guatemalas haben sich ihm angeschlossen.«
Wieder herrschte eine elektrisierte Stille. Diesmal stand Jacobo Árbenz von seinem Stuhl auf und sprach im Stehen, mit fester Stimme:
»Ich klammere mich nicht an dieses Amt, in das mich, bei sauberen Wahlen, eine große Mehrheit der Guatemalteken gewählt hat. Es hat mir erlaubt, soziale und wirtschaftliche Reformen durchzuführen, die unerlässlich waren, um die seit Jahrhunderten überkommenen ungerechten Zustände, unter denen die Bauern ein Leben im Elend fristeten, zu korrigieren. Wenn meine Abdankung dazu beiträgt, die Reformen zu retten, sehe ich keinen Grund, im Amt zu verbleiben. Vor allem, wenn es darum geht, den Verräter Castillo Armas zu besiegen und zu bestrafen.«
»Das schwören wir, bei unserer Ehre, Herr Präsident«, schloss Oberst Carlos Enrique Díaz gleich an und schlug die Hacken zusammen.
»Der Armeechef bleibt noch hier«, sagte der Präsident. »Die anderen Offiziere können zurückkehren auf ihre Posten. Oberst Díaz wird Sie über meine Entscheidung informieren.«
Die Offiziere gingen einer nach dem anderen hinaus. Bevor sie durch die Tür traten, salutierten sie mit der Hand an der Mütze.
Als sie allein waren, fragte er Díaz, der nun ganz bleich war:
»Glaubst du, meine Abdankung wird die USA besänftigen?«
»Die USA, das weiß ich nicht«, antwortete Oberst Díaz. »Aber die Armee ganz sicher, Jacobo, die Offiziere waren kurz vor einem Aufstand, das kannst du mir glauben. Ich musste wahre Wunder vollbringen, um es zu verhindern. Botschafter Peurifoy hat mir versichert, wenn du abdankst, werden die Vereinigten Staaten die Reformen respektieren, insbesondere die Agrarreform. Washington will nur keine Kommunisten an der Macht.«
»Hat er von dir verlangt, sie zu erschießen?«
»Erst mal sollen wir sie ins Gefängnis stecken. Und auf der Stelle aus der öffentlichen Verwaltung entfernen. Er hat recht vollständige Listen.«
»Und was wird mit Castillo Armas?«
»Das war die härteste Nuss«, sagte Oberst Díaz. »Aber in dem Punkt bin ich unnachgiebig geblieben und keinen Millimeter gewichen. Nichts mit diesem Verräter und Umstürzler. Wenn die Armee die Macht übernimmt, die Kommunisten einsperrt und die Guatemaltekische Partei der Arbeit für ungesetzlich erklärt, hat mir Botschafter Peurifoy zugesagt, werden die USA Castillo Armas fallenlassen. Ich habe ihn mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass dieser Verräter besiegt und verurteilt werden muss. Er hat seine Uniform und das Vaterland verraten.«
»Schon gut, Carlos«, sagte der Präsident. »Ich bin sicher, dass du mir die Wahrheit sagst. Ich hoffe, du führst wenigstens unsere Sozial- und Wirtschaftsreformen weiter. Und verhinderst, dass diese Kanaille an die Macht kommt.«
»Darauf kannst du dich verlassen, Jacobo«, sagte der Armeechef und salutierte.
Árbenz sah ihn den Raum verlassen und die Tür hinter sich schließen. Er zitterte am ganzen Körper, musste die Augen schließen, tief einatmen. Hatte er die richtige Entscheidung getroffen? Ja, hatte er, vorausgesetzt, Oberst Carlos Enrique Díaz und die Armee standen zu ihrer Vereinbarung und paktierten nicht mit dem Verräter und seinen Söldnerbanden. Aber würden die Militärs Díaz auch folgen? Wären alle Offiziere loyal gewesen, hätten sie die Invasoren längst zurückgeschlagen und aufgerieben, trotz ihrer Luftwaffe, die den Regierungstruppen nach wie vor große Verluste zufügte. In den letzten Nachrichten war die Rede gewesen von einem schrecklichen Blutbad in Bananera, das die Rebellen unter der Zivilbevölkerung angerichtet hatten. Er fürchtete, nach seiner Abdankung könnten sich die Offiziere erst recht dazu aufgerufen fühlen, die Sache zu verraten, und Carlos Enrique hätte dem am Ende nichts mehr entgegenzusetzen, auch wenn er auf sein Wort vertraute.
Er telefonierte mit Fortuny und berichtete ihm von seiner Entscheidung. Fortuny, so verwirrt wie beunruhigt, versuchte ihn umzustimmen, schwieg aber, als der Präsident ihm, nun mit lauterer Stimme, sagte, seine Entscheidung sei endgültig und seine Abdankung die einzige Möglichkeit, zumindest etwas von der Revolution zu retten und Castillo Armas von der Macht fernzuhalten. Außerdem sei es die einzige Möglichkeit, eine Yankee-Invasion zu verhindern, die nur unendliches Leid über die Zivilbevölkerung bringe. Zum Schluss sagte er ihm noch, anders als sonst schreibe er die Rede zu seiner Abdankung selbst. Auch werde er in Anbetracht der zu erwartenden Hexenjagd auf tatsächliche oder vermeintliche Kommunisten unverzüglich Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Und legte auf.
Er gab Anweisungen für den staatlichen Rundfunk, alles für eine Ansprache an die Nation vorzubereiten, die er in ein paar Stunden halten werde. Danach rief er den mexikanischen Botschafter Primo Villa Michel an, mit dem er in den letzten Tagen in engem Kontakt gestanden hatte, und sagte ihm, am Abend, nach Verlesung seiner Rede, in der er seinen Amtsverzicht verkünde, würden er und seine Familie sich in die Botschaft flüchten, sofern die Regierung Mexikos sie aufnehme. Der Botschafter versicherte ihm dies, binnen einer Stunde erhalte er die Bestätigung. Darauf rief der Präsident seine Frau an und sagte ihr lediglich vier Wörter: »Pack die Koffer, María.« Nach einer kurzen Stille antwortete María Cristina Vilanova: »Sie sind bereits gepackt, mein Schatz. Wann ist es so weit?« »Heute Abend«, sagte er.
Der Präsident bat seine Sekretäre, dafür zu sorgen, dass er von niemandem gestört werde. Dann schloss er sich in seinem Amtszimmer ein, packte seinen Handkoffer und vernichtete die Unterlagen, die er nicht mitnehmen würde. Dabei schenkte er sich, nach drei Jahren, in denen er keinen Tropfen Alkohol getrunken hatte, ein Glas Whisky ein. Er schloss die Augen und kippte es hinunter.