Fast das ganze Land hörte die Radioansprache, in der Präsident Jacobo Árbenz seine Abdankung verkündete. Dabei waren die beiden extremsten Reaktionen wahrscheinlich die des Botschafters Peurifoy, der vor Freude Luftsprünge machte – war das nicht der Beweis dafür, dass sich seine Strategie des »institutionellen Putsches« als erfolgreich erwiesen hatte und man jetzt mit den Kommunisten aufräumen konnte? –, und die von Oberst Castillo Armas, der drüben in Esquipulas, in seinem Hauptquartier, einen weiteren seiner Wutanfälle bekam und Gift und Galle spuckte, während seine Untergebenen ihm schweigend zuhörten.
Botschafter John Emil Peurifoy schrieb eilends einen Bericht ans State Department: Árbenz’ Abdankung zeige, dass die gesamte Armee ihm den Rücken gekehrt habe. Die Machtübernahme der Streitkräfte erleichtere die Eliminierung aller in der Verwaltung verschanzten subversiven Elemente, die Auflösung der militanten Gewerkschaften und die sofortige Beendigung der diskriminierenden Politik gegen die United Fruit. Er werde sich unverzüglich mit Oberst Carlos Enrique Díaz besprechen, dem neuen Präsidenten, und die Durchführung ebendieser Maßnahmen verlangen.
Die Nachricht, die Oberst Castillo Armas an die CIA schickte (das heißt an Mister Frank Wisner, mit Kopie an Colonel Brodfrost), las sich anders. Denn er freute sich ganz und gar nicht und betrachtete die Abdankung des Stummfischs Árbenz als eine Posse, um so die schlimmsten Auswüchse der Oktoberrevolution zu retten, eine Farce, für die sich dieser Diener und Komplize des Expräsidenten, Armeechef Oberst Klein Árbenz der Zweite, hergebe. Der Beweis sei, dass er Árbenz gestattet habe, seine Abdankung über den Rundfunk zu verbreiten, die Befreiungsarmee zu beschimpfen und ihn selbst und die USA zu bezichtigen, sie hätten die Invasion geplant, unterstützt und gesteuert, dieses ganze Lügengespinst der Kommunisten. Er selbst stehe für solche politischen Mauscheleien nicht zur Verfügung. Sollten die Vereinigten Staaten so dumm sein und Oberst Carlos Enrique Díaz unterstützen, werde er es öffentlich anprangern und sich auf der Stelle nach Honduras zurückziehen. Von dort aus werde er der Welt mitteilen, dass die guatemaltekischen Kommunisten mit dieser Komödie ein weiteres Mal gesiegt hätten – und jetzt auch noch mit Rückenwind aus Washington! –, auf dass alles so weitergehe und die Roten Guatemala weiter zerstörten. Auch beschwor Cara de Hacha die CIA (die Stiefmutter), das State Department und Präsident Eisenhower, sich nicht täuschen zu lassen von Botschafter Peurifoy (dem Cowboy), vielmehr den sofortigen Rücktritt von Klein Árbenz dem Zweiten zu verlangen. Er selbst werde niemals mit diesem Kommunisten verhandeln und so lange an der Spitze der Befreiungsarmee stehen, wie es nötig sei. Zum Schluss teilte er ihnen mit, dass sich nach Árbenz’ Abdankungsrede bereits viele guatemaltekische Militärs mit ihm in Kontakt gesetzt und einen Waffenstillstand angeboten hätten, manche auch ihre offene Unterstützung der Invasion.
Was Castillo Armas da großspurig vermeldete, war nicht ganz aus der Luft gegriffen. Denn seit sie im Radio von Árbenz’ Abdankung gehört hatten, bröckelte bei der Mehrheit der Offiziere der Streitkräfte das Vertrauen in die Revolution, der sie sich mehr aus Gehorsam denn aus Überzeugung gefügt hatten. Die Offiziere fühlten sich nun frei, eine Wahl zu treffen. Und in diesen Zeiten der Ungewissheit und des Durcheinanders war es kein Wunder, dass die meisten Offiziere es vorzogen, sich der Invasion des von den USA unterstützten Castillo Armas anzuschließen, als weiter zu einer Revolution zu stehen, der über kurz oder lang die guatemaltekische Armee zum Opfer fallen würde, wie der nimmermüde Botschafter Peurifoy ihnen ein ums andere Mal versicherte. Tatsächlich schickte Oberst Víctor M. León, Kommandant der Regierungskräfte, die Zacapa verteidigten und sich bisher entschlossen den Invasoren entgegengestellt hatten, noch am Abend von Árbenz’ Abdankung einen Emissär zu Castillo Armas und schlug einen Waffenstillstand vor, um Friedensverhandlungen aufzunehmen. Zu diesem Entschluss, ließ er mitteilen, stünden alle Offiziere unter seinem Befehl.
Botschafter Peurifoy blieb kaum Gelegenheit, den Sieg – seinen Sieg, was sonst – zu feiern. Schon wenige Stunden nach Übermittlung seines Berichts erhielt er eine chiffrierte Nachricht seines Chefs John Foster Dulles, der ihn mit strengen Worten ermahnte, keinesfalls zu akzeptieren, dass Oberst Carlos Enrique Díaz als Präsident an die Stelle von Árbenz trete, da die beiden unter einer Decke steckten; schließlich habe Díaz zugelassen, dass der ehemalige Präsident eine solche Abschiedsrede halte, eine Ansprache, in der er die Vereinigten Staaten beleidigt und verleumdet und Castillo Armas und die Befreier attackiert habe. Der Botschafter solle Oberst Díaz auffordern, sich aus dem Amt zurückzuziehen, und alles unternehmen, damit sich eine wirklich unabhängige Militärjunta bilde, ohne Verbindungen zu Árbenz, eine Junta, die man, und sei es mit der Drohung einer Militärinvasion, unter Druck setzen und zu Verhandlungen mit Oberst Castillo Armas bewegen könne, zumal der sich ohne Wenn und Aber verpflichtet habe, sämtliche kommunistischen Reformen rückgängig zu machen.
Botschafter Peurifoy änderte seine Meinung und machte sich John Foster Dulles’ Vorstellungen zu eigen. Und umgehend bat er Oberst Díaz, ihn zu empfangen, er habe eine persönlich zu überbringende Nachricht aus Washington. Der neue Präsident bestellte ihn für den nächsten Morgen um zehn Uhr zu sich (es sollte der Morgen eines nicht enden wollenden Tages sein). Bevor Peurifoy zu dem Treffen ging, hängte er sich das große Achselholster mit dem pompösen Revolver um, der ihn bei seinen Verhandlungen mit den griechischen Militärs stets begleitet hatte, dabei waren die ihm sehr viel zivilisierter vorgekommen als diese uniformierten Indios.
Die Begegnung fand im Hauptbüro des Generalstabs der Armee statt. Oberst Díaz hatte zwei weitere Offiziere hinzugebeten, Oberst Elfego H. Monzón und Oberst Rogelio Cruz Wer, Chef der Guardia Civil, den der Botschafter bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal sah. Die drei empfingen ihn mit freudigen Gesichtern: »Endlich haben wir erreicht, was Sie wollten, Herr Botschafter, Árbenz hat abgedankt, und die Jagd auf die Kommunisten hat bereits begonnen.« Tatsächlich teilte Oberst Díaz nach den Begrüßungen Peurifoy mit, dass er die entsprechenden Befehle gegeben habe, um Gewerkschaftsführer, Mitglieder der Guatemaltekischen Partei der Arbeit und sonstige subversive Elemente auf dem gesamten Staatsgebiet zu verhaften.
»Nur dass es leider«, fügte er hinzu, »mehreren Führern der Guatemaltekischen Partei der Arbeit noch gestern Abend gelungen ist, sich in die Botschaft Mexikos zu flüchten. Botschafter Primo Villa Michel, ein Komplize, hat ihnen Asyl gewährt.«
»Das ist Ihre Schuld, wenn Sie Ihre Arbeit nicht tun, Oberst Díaz«, wies Peurifoy ihn lautstark zurecht, denn wenn er ihnen, davon war er fest überzeugt, nicht von Anfang alles Selbstvertrauen nahm, konnte er einpacken. Bei seinen Worten verschwand alle Freude aus ihren Gesichtern.
»Ich verstehe nicht, was das heißen soll, Herr Botschafter«, sagte nach einem kurzen Schweigen Oberst Díaz.
»Dann werden Sie es gleich verstehen, Oberst«, antwortete Peurifoy im selben energischen Ton und schwang den Zeigefinger vor dem Gesicht des guatemaltekischen Offiziers. »Es war nicht Teil unserer Abmachung, dass Árbenz vor seiner Abdankung eine Rede hält, die ganz Guatemala hört und in der er die Vereinigten Staaten beleidigt und uns beschuldigt, wir hätte uns gegen die Sozialreformen verschworen, weil wir die Interessen der United Fruit durchsetzen wollten, eine Rede, in der er Castillo Armas und seine Leute attackiert und sie ›eine Söldnerbande‹ nennt, die geschlagen werden müsse, wozu Sie sich, wie es aussieht, verpflichtet haben.«
Oberst Díaz war nun totenbleich. Peurifoy ließ ihn erst gar nicht zu Wort kommen. Die beiden anderen Offiziere blieben stumm, auch sie ganz blass im Gesicht. Der Dolmetscher übersetzte die Worte des Botschafters sehr schnell, dabei imitierte er seinen energischen Tonfall und die drohenden Gebärden.
»Genauso wenig war abgemacht«, fuhr der Diplomat fort, »dass Sie Árbenz noch Zeit geben, alle Kommunisten im Land zu warnen, damit sie sich nicht nur in die mexikanische Botschaft flüchten, sondern auch in die Botschaften von Kolumbien, Chile, Argentinien, Brasilien, Venezuela und so weiter. Seit gestern Abend geht das so, und weder die Armee noch die Polizei haben es verhindert. Das war nicht vereinbart. Für meine Regierung sind diese Vorfälle eine Beleidigung, und sie wird die entsprechenden Vorkehrungen treffen. Oberst Díaz, ich sage es Ihnen in aller Deutlichkeit. Für die Vereinigten Staaten sind Sie als Präsident Guatemalas nicht akzeptabel. Sie können unmöglich das Amt von Árbenz übernehmen. Das sage ich Ihnen ganz offiziell. Wenn Sie nicht zurücktreten, haben Sie die Folgen zu tragen. Sie wissen selbst, wie sich die Situation für Ihr Land darstellt. Die Flotte der Vereinigten Staaten kreuzt sowohl im Pazifik als auch in der Karibik vor der Küste Guatemalas. Die Marineinfanterie ist bereit, zu landen und in wenigen Stunden die Arbeit zu verrichten, die Sie nicht getan haben. Opfern Sie nicht Ihr Land für die falsche Sache. Treten Sie sofort von der Spitze der Regierungsjunta zurück und ermöglichen Sie in dieser schwierigen Situation eine friedliche Lösung. Vermeiden Sie eine Invasion und eine militärische Besetzung. Verhindern Sie ein Blutvergießen und den gewaltigen Schaden, den Guatemala, sollte es so weit kommen, mit Sicherheit nehmen würde.«
Er schwieg und musterte die Gesichter der drei Militärs, die nach wie vor stumm blieben, in Habachtstellung.
»Ist das ein Ultimatum?«, fragte Oberst Carlos Enrique Díaz schließlich. Seine Stimme zitterte, die Augen glänzten tränenfeucht.
»Jawohl, das ist es«, sagte der Botschafter. Doch sogleich wurden seine Gesten und sein Tonfall sanfter. »Ich ermuntere Sie hiermit zu einer patriotischen Tat, Oberst. Treten Sie zurück und retten Sie Guatemala vor einer Invasion mit Tausenden von Toten und einem Land in Trümmern. Gehen Sie nicht in die Geschichte ein als der Soldat, der aus Stolz seine Heimat der Vernichtung preisgegeben hat. Treten Sie zurück, und wir stellen eine Militärjunta aus drei oder vier Mitgliedern zusammen, die bereit sind, mit Oberst Castillo Armas ein Abkommen auszuhandeln. Ein für meine Regierung akzeptables Abkommen, das es den Vereinigten Staaten erlaubt, an der Demokratisierung und am Wiederaufbau Guatemalas mitzuwirken.«
Schweigend, blass standen die drei Militärs da, doch Botschafter Peurifoy wusste, dass er auch diesmal, wie schon in Griechenland, die Partie gewonnen hatte. Er atmete ruhig aus. Die drei schauten einander an, und schließlich stimmten sie zu, bemüht um ein Lächeln, auch wenn es etwas Makabres hatte. Sie boten ihm an, Platz zu nehmen. Ließen Kaffee und Mineralwasser kommen, holten Zigaretten hervor. Und begannen eine Unterhaltung, rauchten, bliesen einander den Rauch ins Gesicht, und nach nicht mal einer Stunde waren sie sich einig über die Mitglieder der neuen Junta, über das Land, in dem Oberst Carlos Enrique Díaz einen Botschafterposten erhalten sollte, und über den Text, mit dem man den Guatemalteken die Ernennung der neuen Militärjunta bekanntgeben würde, einer Junta, die es sich um des Friedens und der Brüderlichkeit willen angelegen sein lasse, mit Oberst Castillo Armas ein Abkommen auszuhandeln – ohne Sieger noch Besiegte –, auf dass eine neue Ära der Freiheit und der Demokratie in Guatemala anbreche.
Kaum traf der Diplomat, nachdem er das Büro des Generalstabs verlassen hatte, in der Botschaft ein, rief er Washington an und informierte eingehend über den Stand der Dinge. Fraglos war das größte Problem nun Oberst Carlos Castillo Armas. Denn der verlangte die unverzügliche Kapitulation der Regierungsstreitkräfte und wollte, an der Spitze der Befreiungsarmee, mit einer großen Militärparade in der Stadt Guatemala einziehen. ›Diesen Lackaffen müssen wir auch noch in die Knie zwingen‹, sagte sich Peurifoy. ›Dem ist die Sache zu Kopf gestiegen.‹ Er war erschöpft, aber wie immer in solchen Grenzsituationen verspürte er ein euphorisches Hochgefühl, es war ihm ein fast körperliches Bedürfnis, zu handeln und Risiken einzugehen.
In den Tagen nach der Abdankung von Präsident Árbenz folgten fünf Militärjuntas aufeinander, eine jede von ihnen näher an der Position der Vereinigten Staaten, wofür Botschafter Peurifoy mit seinen Forderungen und Winkelzügen sorgte; und wenn sie einander ähnelten, dann in ihrem Drang, die jeweils vorherige in der Anzahl der festgenommenen, gefolterten und hingerichteten Kommunisten zu übertreffen. Die Führer der Guatemaltekischen Partei der Arbeit, die nicht in Botschaften Zuflucht fanden, versteckten sich oder flohen in die Berge oder in die Wälder, da Árbenz Fortuny noch hatte warnen können. Doch vielen anderen gelang es nicht, Gewerkschaftsführern vor allem, Schullehrern, jungen Studenten und mestizischen Akademikern, von denen sich nicht wenige mit der Oktoberrevolution zum ersten Mal für Politik interessiert hatten und auf die Straße gegangen waren. Die Zahl der Opfer wurde nie bekannt, aber es waren Hunderte, vielleicht Tausende, ganz normale Menschen, Bauern ohne Namen und ohne Geschichte, für die die Verteilung von Parzellen auf verstaatlichtem Boden wie ein Geschenk des Himmels war und die die Welt nicht mehr verstanden, als das Agrarreformgesetz außer Kraft gesetzt wurde und man sie zur Rückgabe der vermeintlich bereits eigenen Grundstücke zwang. Manche fügten sich, andere aber verteidigten sie mit Zähnen und Klauen, ließen sich foltern und umbringen oder verschwanden für lange Jahre in einer Kerkerlandschaft, in der man sie von hier nach da brachte, seltsame Umzüge, die ihnen erst zugutezukommen schienen und die ihnen nach zwei oder drei Jahren doch den Tod brachten.
Die Junta, die sich die geringste Zeit hielt – ein paar Stunden nur – war die von Carlos Enrique Díaz, José Ángel Sánchez und Elfego H. Monzón. Denn als Castillo Armas erklärte, dass er sie nicht anerkenne und es kein Abkommen mit ihr geben werde, war ihre Autorität dahin. Tatsächlich waren seit Árbenz’ Abdankung viele aus den Reihen der Regierungstruppen, die man zu Castillo Armas’ Bekämpfung an die honduranische Grenze geschickt hatte, zu ihm übergelaufen, und er konnte nicht nur große Töne spucken, sondern war auch so selbstbewusst, dass er sich zunehmend den US-Amerikanern widersetzte. Díaz’ Rücktritt besänftigte Castillo Armas nicht. Und er bestand darauf, an der Spitze der Befreiungstruppen mit einer großen Militärparade in Guatemala-Stadt einzuziehen. Gäbe es eine solche Parade nicht, gäbe es auch keine Verhandlungen mit den Regierungstruppen. Für Botschafter Peurifoy waren es Tage ohne Essen und Nächte ohne Schlaf, angefüllt mit endlosen Diskussionen und Abmachungen, die nur wenige Stunden oder Minuten hielten, da sie auf einer der Seiten sofort ins Kreuzfeuer der Kritik gerieten; hinzu kamen die anstrengenden Gespräche mit Washington, um das Vereinbarte abzustimmen oder von vorn bis hinten neu aufzusetzen.
Inzwischen hatten Soldaten und Polizisten, angeführt von ihren Offizieren, eine Hexenjagd entfesselt, wie sie in der gewalttätigen Geschichte Guatemalas ohnegleichen war. Die Schließung von Gewerkschaften und der Büros der Agrarreform, die man in den Dörfern eröffnet hatte, erfolgte unter Gebrauch von Schusswaffen und mit dem Einkassieren all jener, die sich in den dortigen Räumlichkeiten befanden, dazu fertigte man, aufgrund anonymer Denunziationen, schwarze Listen an, und viele der Festgenommenen, einfache Leute ohne eine schützende Hand, wurden gefoltert, nicht selten zu Tode, worauf man die Leichname verscharrte oder verbrannte, ihre Familien erfuhren nicht einmal davon. Panische Angst erfasste auf allen Wegen und Umwegen die guatemaltekische Gesellschaft, besonders in den einfacheren Schichten, die Gewaltexzesse übertrafen alles bisher Dagewesene. In den Monaten nach Castillo Armas’ Machtübernahme gelang es nahezu zweihunderttausend guatemaltekischen Mayas, vor den Massakern nach Chiapas in Mexiko zu fliehen, und diese Zahl – die einzige mehr oder weniger seriöse unter den Angaben, die über die Repression in diesen schrecklichen Tagen in Umlauf waren – verdankte sich allein den Informationen der mexikanischen Behörden.
Ein weiterer Aspekt der Gewalt, den die Geschichte der politischen Verfolgung in Guatemala seit den Zeiten der Inquisition nicht mehr gekannt hatte, war die Verbrennung von »schädlichen und subversiven Schriften«, wie man sie in Kasernen und auf öffentlichen Plätzen ins Werk setzte. Pamphlete, Flugblätter, Zeitungen, Zeitschriften und Bücher – von Autoren wie Victor Hugo und Dostojewski, auf welch mysteriöse Weise auch immer ausgewählt – gingen in Flammen auf, in großen Feuern, um die herum die Kinder spielten wie in der Johannisnacht.
Die Schlussverhandlungen zwischen den Befreiern und den gelichteten Reihen der Regierungskräfte fanden in El Salvador statt, Präsident Óscar Osorio hatte sich (auf Initiative Washingtons) erboten, die beiden Seiten zu empfangen. Mit seiner munitionierten Riesenknarre unter der linken Achsel war Botschafter Peurifoy bei allen dabei, nicht als Beobachter, sondern als »teilnehmender Zeuge« (eine Unterscheidung, deren er sich brüstete und die nur er selber verstand). Der Außenminister hatte ihn beauftragt, die Vereinigten Staaten bei den Verhandlungen zu vertreten, und er gab ihm deutlich zu verstehen, dass er alles Notwendige zu unternehmen habe, damit Castillo Armas’ Forderungen akzeptiert würden. Guatemala habe großen Schaden genommen durch die Ereignisse der letzten zehn Jahre, und für die Regierung Eisenhower sei es wichtig, dass das Land von jemandem geführt werde, der sowohl mit seinen politischen Überzeugungen als auch von seinem Temperament her ein Freund Washingtons sei und sich versöhnlich zeige gegenüber den nordamerikanischen Firmen in Mittelamerika.
Die US-Botschafter in Nicaragua, El Salvador und Honduras waren zwar ebenfalls dabei und brachten ihre guten Beziehungen ins Spiel, doch am engagiertesten beteiligte sich Peurifoy. Im Grunde dirigierte er die Verhandlungen und verteidigte den Standpunkt von Castillo Armas gegen die Ansichten von Elfego H. Monzón und Mauricio Dubois, die Guatemalas Armee vertraten. Schließlich war das Abkommen unter Dach und Fach, und man setzte eine »Übergangsjunta« ein, bestehend aus Castillo Armas, Monzón, José Luis Cruz Salazar und Mauricio Dubois, alle im Rang eines Obersts, sowie dem Major Enrique Trinidad Oliva. Es würde eine »gemeinsame Parade« geben, bei der die Befreier und die Streitkräfte den Tag des Sieges feierten.
In El Salvador hatte Castillo Armas den Cowboy recht kühl begrüßt, doch auf dem Rückflug nach Guatemala zeigte er sich freundlicher und dankte für die Unterstützung, die er ihm bei den Verhandlungen habe angedeihen lassen. »In Ihrem Land werden Sie wie ein Held empfangen«, sagte Peurifoy ihm voraus. So kam es auch. Nur stieg am Flughafen von Guatemala-Stadt nicht der Rebellenführer als Erster aus der Maschine, sondern der US-Botschafter. Während der gewaltigen Kundgebung – etwa hundertdreißigtausend Menschen – bot Castillo Armas Peurifoy die Gelegenheit, das »guatemaltekische Volk« zu grüßen, doch als der Diplomat dann sprechen sollte, legte dieser Bulldozer auf zwei Beinen eine unerwartete Schüchternheit an den Tag und stieß lediglich auf die Zukunft Guatemalas an. Die Menschen, die genug hatten von der Unsicherheit und der Gewalt, drängten sich in Scharen am Flughafen und in den Straßen der Stadt, um Oberst Castillo Armas zu empfangen, und ob Freund oder Feind, erkannten ihn in der Armee nun alle als unbestrittenen Chef an. Auf Weisung Washingtons kam es Botschafter Peurifoy zu, mit den Mitgliedern der in San Salvador gewählten Junta zu verhandeln, damit sie zurücktraten und Castillo Armas das Feld überließen. Es war alles andere als einfach. Oberst Cruz Salazar verlangte im Gegenzug den Posten des Botschafters in den USA und eine höhere Summe Geld. Ebenso Oberst Mauricio Dubois. Beide erhielten für ihren Amtsverzicht hunderttausend Dollar. Unbekannt ist, auf welche Weise die anderen Mitglieder entschädigt wurden, am Ende jedenfalls zogen sich alle zugunsten von Castillo Armas aus der Junta zurück.
Auf diese Weise wurde der Anführer der Befreiungsarmee – nach einer raschen Volksabstimmung, die ihn mit gewaltiger Mehrheit bestätigte – zum neuen Präsidenten der Republik Guatemala, verbunden mit dem Auftrag, alle unter den beiden Regierungen Arévalo und Árbenz eingeleiteten irrigen und antidemokratischen Maßnahmen, die Guatemala in einen sowjetischen Satellitenstaat verwandeln sollten, rückgängig zu machen. (Erst nach dem Massenaufmarsch am Flughafen sollte Cara de Hacha von den Vorfällen erfahren, zu denen es noch während des Aktes gekommen war, als die Kadetten der Militärakademie mit Fausthieben und Fußtritten auf die Läusebälge eindroschen.)
Am 4. Juli, dem Unabhängigkeitstag der USA, gaben Botschafter Peurifoy und seine Gattin Betty Jane in ihrer Residenz in der Zone 14, dem elegantesten Viertel von Guatemala, einen denkwürdigen Empfang für fünfhundert Personen, begangen mit Hymnen, Trinksprüchen, Glückwünschen, Umarmungen und jedem nur erdenklichen Lob für den Helden des Abends, der nicht Oberst Castillo Armas war, sondern Botschafter Peurifoy.
Für den erschöpften Diplomaten aber war die Zeit zum Ausruhen noch nicht gekommen. Kaum war das Fest vorbei, wies ihn das State Department an, eng mit der CIA zusammenzuarbeiten, um nach dem erfolgreichen Ausschalten von Árbenz alle Spuren einer Beteiligung der USA an diesem Manöver – der Operation Success – zu verwischen. Nicht den Hauch eines Beweises dürfe es geben, nur so lasse sich der internationalen Kampagne entgegenwirken, mit der die Kommunisten und ihre Weggenossen – darunter keine geringere Nation als Frankreich – die Vereinigten Staaten beschuldigten, ein kleines souveränes Land überfallen und seine demokratisch gewählte Regierung gestürzt zu haben, und das mit dem alleinigen Ziel, die Privilegien eines transnationalen Konzerns zu verteidigen, der United Fruit. Peurifoy blieb nichts anderes übrig, als aus seinem ermatteten Zustand Kraft zu schöpfen und, unrasiert, ungeduscht und ohne auch nur das Hemd zu wechseln, den etwa sechshundert Agenten zu helfen, in die USA zurückzukehren, Mitarbeitern der CIA, die der Geheimdienst zur Vorbereitung der Invasion nach Nicaragua, Guatemala, El Salvador, Panama und Honduras geschickt hatte. Auch galt es sicherzustellen, dass die zwei Dutzend Flugzeuge verschwanden, aus denen die Luftwaffe der Befreier bestand. Mehrere wurden Anastasio Somoza übergeben, als Dank für seine Unterstützung, da er Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt und erlaubt hatte, dass Castillo Armas’ Söldner in seinem Land eine militärische Ausbildung erhielten; andere durfte Castillo Armas selbst übernehmen, als Aufbauhilfe für die Luftwaffe Guatemalas.
Die letzten Tage seines Aufenthalts im Land (das State Department ließ keinen Zweifel daran, dass jemand wie er, der so aktiv am Sturz von Árbenz mitgewirkt hatte, Guatemala baldmöglichst verlassen sollte, und er begrüßte einen Wechsel an die Botschaft in Thailand) verbrachten Peurifoy und seine Familie mit dem Packen von Kisten und Koffern und der Teilnahme an verschiedenen Abschiedsfeiern der guatemaltekischen Grundbesitzer und Unternehmer, die ihnen ihre Dankbarkeit entgegenbrachten und versicherten, sie würden sie sehr vermissen. Peurifoy dachte, im fernen Asien würde er endlich ein wenig Ruhe finden.
Bevor er zu seinem neuen Ziel aufbrach, erfüllte er sich noch einen heimlichen Wunsch, denn der diplomatische Vertreter Mexikos gestattete ihm, seine Botschaft zu betreten; unzählige Asylsuchende hielten sich dort auf, denen Castillo Armas unter allen möglichen Vorwänden immer wieder die Genehmigung zur Ausreise ins Exil versagte. Den ehemaligen Präsidenten Árbenz konnte er nicht sprechen, da der sich weigerte, ihn zu empfangen. Dafür war es ihm eine Genugtuung, für einen Moment mit José Manuel Fortuny zusammenzukommen, ehemals Mitglied von Árbenz’ Partei und später Generalsekretär der Guatemaltekischen Partei der Arbeit. Sie unterhielten sich ein paar Minuten, aber dann erkannte der guatemaltekische Parteiführer den Botschafter und verstummte. Er sei, hatte er ihm gesagt, weiterhin ein Freund von Árbenz, mit dem er eng zusammengearbeitet habe, vor allem bei der Ausarbeitung und der Umsetzung des Agrarreformgesetzes. Peurifoy stand einem gebrochenen Menschen gegenüber, am Boden zerstört. Er hatte viele Kilos abgenommen und sprach, ohne ihn anzuschauen, die Augen gerötet von den schlaflosen Nächten, vielleicht schon irregeworden. Aber dann antwortete er auf keine weitere der Fragen, als hätte er sie weder verstanden noch gehört. In seinem Bericht an das State Department schrieb Botschafter Peurifoy, dieser ehemals gefährliche Gegner – ohne Zweifel ein sowjetischer Agent – sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein psychisches Wrack, der Neurose verfallen, und nicht auszuschließen sei, dass er seine Taten insgeheim sogar bereue.
Böse Zungen behaupteten, Botschafter Peurifoy habe, als das Außenministerium ihm seinen Wechsel nach Thailand mitteilte, halb ihm Ernst, halb im Scherz gefragt: »Besteht dort Aussicht auf einen Staatsstreich?« Seiner Frau Betty Jane und seinen Kindern hatte er versprochen, dass ihnen in Thailand endlich die Ruhe vergönnt sei, um ein echtes Familienleben zu führen. Tatsächlich konnten der Botschafter, seine Frau und seine Kinder einige Monate ohne politische Wirren genießen und zumindest er die traditionelle Massage kennenlernen, diese vorzügliche, an religiöse Glaubensvorstellungen wie an sportliche und sexuelle Praktiken gebundene Technik und nationale Leidenschaft der Thailänder. Peurifoy war noch kein Jahr in seinem neuen Amt, als er am 12. August 1955, in Begleitung seiner beiden Söhne und wie üblich mit hoher Geschwindigkeit, am Steuer seines nagelneuen blauen Thunderbird in der Umgebung von Bangkok eine Brücke überquerte und frontal mit einem Lkw zusammenstieß, der vielleicht, aus der Gegenrichtung kommend, auf ihn zuhielt. Der Botschafter und einer der beiden Jungen waren auf der Stelle tot. Die Regierung der USA schickte ein Flugzeug, um die sterblichen Überreste in die Heimat zu überführen, und das State Department drang nicht auf weitere Ermittlungen zu der Frage, ob dieser tragische Tod womöglich ein kommunistischer Anschlag war, mit dem der Mann bestraft werden sollte, der so erfolgreich gegen die Expansion der Sowjetunion gekämpft hatte. Die Regierung sah es lieber, dass man die Sache bald vergaß, sie war ohnehin schon unter Druck durch die internationale Kampagne gegen Washington wegen ihrer Beteiligung an Árbenz’ Sturz, zumal in der Öffentlichkeit die Forderung immer lauter wurde, anzuerkennen, dass der ehemalige Präsident Guatemalas kein Kommunist gewesen sei, sondern ein aufrichtiger, wenn auch etwas naiver Politiker, der seinem Land nur den Fortschritt, Demokratie und soziale Gerechtigkeit habe bringen wollen, so schlecht man ihn auch beraten habe und so verfehlt seine Methoden gewesen seien.
Betty Jane, Peurifoys Witwe, veröffentlichte ein Tagebuch mit zahlreichen Episoden zum diplomatischen Wirken ihres Mannes, den sie als Helden präsentierte. Es war kein allzu großer Erfolg und der Presse nur ein paar wenige Besprechungen wert. Die Regierung der USA ignorierte es nach Kräften.
In Guatemala bemühte sich Präsident Castillo Armas, nachdem er bei der Volksabstimmung – ohne Gegenkandidat – ins Amt gewählt wurde, alle von der Oktoberrevolution angerichteten Schäden zu beheben. Er löste Gewerkschaften, Verbände, Stiftungen, Arbeiter- und Bauernvereinigungen auf, schloss das Indigenistische Institut, gab den Gutsbesitzern und der Frutera das verstaatlichte »brachliegende Land« zurück, hob das Gesetz auf, das Firmen und Großgrundbesitzer zur Zahlung von Steuern verpflichtete, und füllte die Gefängnisse mit Gewerkschaftern, Lehrern, Journalisten und Studenten, die man beschuldigte, »Kommunisten« und »subversive Elemente« zu sein. Auf dem Land kam es zu Gewaltszenen, an einigen Orten auch zu Massenmorden, ähnlich oder schlimmer als im Oktober 1944 das Massaker von Patzicía (Chimaltenango) bei einem grausamen Zusammenstoß zwischen Mestizen und Kaqchikel-Mayas. Der neue US-amerikanische Botschafter, der umsichtiger auftrat als Peurifoy, bemühte sich auf Anweisung des State Departments, Castillo Armas’ antikommunistischen Eifer ein wenig zu bremsen, was zu Reibungen und Zwistigkeiten zwischen den Vereinigten Staaten und diesem Präsidenten führte, für dessen Inthronisierung die Regierung Eisenhower so große Anstrengungen unternommen hatte. In Guatemala wurde nun allenthalben gemunkelt, die USA hätten sich womöglich geirrt, als sie sich für Cara de Hacha als neuen Vorkämpfer für die Freiheit in Mittelamerika und im Rest der Welt entschieden, denn er sei zu extremistisch und genieße in den Streitkräften nicht so viel Sympathie, wie man geglaubt habe.