Sie lebt in einer Wohnanlage an der Grenze zwischen Washington D.C. und Virginia, nicht weit von Langley, wo sich, und das könnte reiner Zufall sein, das Hauptquartier der CIA befindet. Auf das Gelände gelangt nur, wer sich an einer vergitterten Pförtnerloge ausweist, und überall stehen große Bäume, der Ort scheint eine Insel der Ruhe zu sein, vor allem an einem solchen Nachmittag im Frühling mit klarem Himmel und einer milden Sonne, die das Laub vergoldet und den Blumen schmeichelt. Unsichtbare Vögelchen piepsen überall, und große Vögel, vielleicht Möwen von der Küste, ziehen hier und da durchs Himmelsblau. Die Häuser sind geräumig, mit parkähnlichen Gärten und Luxusautos in den Garagen; auf einem der Grundstücke, einer Ranch mit Stallungen, reitet ein junges Mädchen auf einem Pony, ihr offenes Haar schaukelt im Wind. Das Haus von Marta Borrero Parra aber ist klein, und es ist das originellste und exzentrischste, das ich in meinem Leben gesehen habe. Außen wie innen spiegelt es gleichsam die Persönlichkeit und den Geschmack seiner Besitzerin.
Soledad Álvarez, eine alte Freundin aus der Dominikanischen Republik, die im Übrigen eine großartige Dichterin ist, und Tony Raful, ein Landsmann von ihr, Dichter, Journalist und Historiker, haben sich monatelang in der vielfältigsten dialektischen Akrobatik geübt, um mir ein Interview zu verschaffen, und beide haben mich schon vorgewarnt – an diesem Nachmittag würde ich mehr als eine Überraschung erleben. Tony war schon mal hier gewesen, er ist mit Marta, der guatemaltekischen Emigrantin, gut befreundet, wenn sie denn je echte Freunde hatte. Das Haus ist außen ringsum verziert mit den verschiedensten Pflanzen, Kräutern, Rankgewächsen, und sie sind offenbar genauso aus Plastik wie die Blumen, die im Inneren wuchern und das Ganze in einen dichten Dschungel verwandeln. In dieser künstlichen Vegetation gibt es kleine Tiere aus Karton, Holz oder Plüsch, und allenthalben klettern sie über die scharlachroten Wände und die glänzenden Ziegel. Die zahlreichen violetten Bougainvilleen scheinen allerdings echt zu sein.
Kaum trete ich hinein, schlägt mir das unglaubliche Geschrei der Vögel entgegen. Sie hocken in Käfigen, und ihre Stimmen untermalen mein Gespräch mit der ehemaligen Miss Guatemala (die eine solche nie war), eine Unterhaltung, die über mehrere Stunden gehen wird. Ich muss gestehen, dass ich ein wenig nervös bin. Seit zwei Jahren stelle ich mir diese Frau vor, erfinde sie, schreibe ihr alle möglichen abenteuerlichen Erlebnisse zu, dichte ihre Person um, damit niemand – nicht einmal sie selbst – sich in dieser herbeifantasierten Geschichte wiedererkennt. Ich hatte vieles erwartet, nicht aber ein solch riesiges, lärmendes Vogelhaus. Da sind afrikanische Kanarien, Ringeltauben, kleine Papageien, Kakadus, Aras und weitere mannigfache Arten, die ich unmöglich bestimmen könnte. So etwas wie ein Horror vacui scheint hier zu herrschen, denn alles ist ausgefüllt, nirgends bleibt eine Lücke. Durch Martas Haus kann man sich nicht bewegen, ohne irgendetwas umzuwerfen in diesem Dickicht aus zahllosen Blumentöpfen mit ihren größeren oder kleineren Pflanzen. Religiöse Statuen, Büsten und Figuren – Buddhas, Christusse, Jungfrauen, Heilige – wechseln sich ab mit ägyptischen Mumien und Katafalken, mit Fotos, Gemälden und Hommagen an lateinamerikanische Diktatoren wie Generalissimus Trujillo oder Carlos Castillo Armas. Der sei die große Liebe ihres Lebens gewesen, wird sie mir gleich gestehen, und ihm auch ist eine ganze Wand gewidmet, mit einem riesigen Foto und einem Votivlämpchen, das Tag und Nacht flackert und ebenfalls aus Plastik sein muss, genau wie dieses Meer von Blumen – Rosen, Gladiolen, Nelken, Mimosen, Orchideen, Tulpen, Geranien – und all die Spielzeuge und Reiseandenken von Orten, die Marta Borrero Parra einmal besucht hat. Offenbar hat sie, so sieht es zumindest aus, die Welt mehrmals umrundet.
Unsere Unterhaltung wird ein wenig sein wie dieses unglaubliche Haus: anarchisch, originell, verwirrend, überraschend. Nach allen Zeugnissen, die ich habe aufspüren können, ob in Büchern, Zeitungen oder Biografien von Personen, die sie in verschiedenen Phasen ihres abenteuerlichen Lebens kennenlernten, war sie eine sehr schöne Frau, eine Frau auch, die Unruhe weckte, mit einem Blick aus graugrünen Augen, der sich in ihre Gesprächspartner hineinzubohren schien und sie verstört zurückließ. Heute muss sie über achtzig sein – ich werde nicht so unklug sein und sie danach fragen –, und ich nehme an, dass sie mit der Zeit ein wenig kleiner und rundlicher geworden ist; doch selbst jetzt noch, trotz ihrer Betagtheit, strahlt sie etwas aus, was von ihrem alten Glanz spricht, ihrer verführerischen Wirkung auf andere, den Legenden, zu denen sie Anlass gab, den Männern, die sie liebten und die sie liebte. Sie empfängt mich in einem wallenden schwarzen Kimono, sorgsam geschminkt, mit Ohrringen und Halsketten, überlangen Wimpern, die Fingernägel waldgrün lackiert. Ihre sehenswerten Sandaletten sind aus limonengrünem Samt. Sie hat sich wohl ein paarmal operieren lassen, so glatt ist ihr Gesicht, und noch immer leuchten darin, nicht ohne Arroganz und etwas mysteriös, diese Augen, die früher einmal die Menschen in ihrem Umfeld so beeindruckten.
Kaum haben wir auf einer kleinen Lichtung in dem undurchdringlichen Dschungel Platz genommen, sagt sie mir, ihr sei bekannt, dass ich »Obstkerne immer gehasst« hätte (was stimmt), und ebenfalls wisse sie, dass mein Lieblingslied von Kindesbeinen an Seele, Herz und Leben sei, ein peruanischer Vals und in Mode, als ich 1946, mit zehn Jahren, nach Piura gezogen sei und ihn dort zum ersten Mal gehört hätte, gesungen von einem Polizisten der Guardia Civil, der die Präfektur, wo wir wohnten, bewachte (mein Großvater war der Präfekt). Als ich sie frage, woher sie so genau informiert ist über diese sehr privaten Einzelheiten aus meinem Leben, lächelt sie, und so wie auch die Símula aus meinem Roman es gesagt hätte, antwortet sie lakonisch: »Ich habe Kräfte.« Ihre Stimme ist warm und gedehnt, mit einem leichten mittelamerikanischen Akzent, den die Zeit, das Exil und ihre Reisen nicht haben auslöschen können.
Fast übergangslos erzählt sie, sie habe zehn Ehemänner gehabt, und alle habe sie begraben. Sie spricht sanft, ohne Angeberei, mit Pausen, Rhythmus, Musik, sucht nach den passenden Worten. Als sie noch ein junges Mädchen gewesen sei, sagt sie weiter, habe ein guatemaltekischer Kommunist sie vergewaltigt, ein Arzt, der seither jedoch ein leidenschaftlicher und engagierter Antikommunist sei. Das weiß ich bereits. Überrascht bin ich dagegen, als sie mir sagt, die große Liebe ihres Lebens sei der guatemaltekische Oberst und Präsident der Republik Carlos Castillo Armas gewesen, ein »vortrefflicher und zartfühlender Kavalier«, der sich von seiner Frau Odilia Palomo habe scheiden lassen wollen, um sie zu heiraten, aber es sei ihm nicht vergönnt gewesen, »denn vorher, vielleicht um genau das zu verhindern, wurde er umgebracht«.
Sie spricht langsam, spricht jede Silbe deutlich aus, wartet nicht auf eine Antwort oder eine Bemerkung von mir, und irgendwann habe ich den Eindruck, dass sie meine Anwesenheit vergessen hat.
Von ihrer Beziehung zu dem dominikanischen Oberst Johnny Abbes García, Sicherheitschef des Generalissimus Trujillo, Mörder, Folterer und verantwortlich für mehrere Ermordungen und Anschläge im Ausland – darunter das gescheiterte Attentat auf Präsident Rómulo Betancourt in Caracas und, laut Tony Raful, das sehr wohl gelungene auf Castillo Armas in Guatemala –, spricht Martita sehr vorsichtig, ausweichend. Der sei, sagt sie, ebenfalls ein »vollendeter Kavalier« gewesen, mit exquisiten Manieren und so liebenswürdig, dass er es sich beim gemeinsamen Essen nicht habe nehmen lassen, ihr das Panierte oder das Steak in kleine Stücke zu schneiden. Er habe seine Mutter verehrt und stets ein Foto von ihr in der Brieftasche getragen, und eines Abends, als sie Fieber gehabt habe, habe sie, Marta, gesehen, wie er vor ihrem Bett kniete und ihr die Füße massierte. Dass ein Sohn seine Mutter so liebe, sei immer ein Zeichen für einen guten Menschen, nicht wahr? Wie alle habe er die ein oder andere Schrulle gehabt, wobei die ausgeprägteste die gewesen sei, dass er überall auf der Welt nach Rosenkreuzern gesucht habe, was ihm hier gelungen sein dürfte, denn in diesem Land gebe es sie an jeder Ecke. Abbes García sei sehr verliebt in sie gewesen und habe sie mit Aufmerksamkeiten und Geschenken überhäuft, zuerst in Guatemala, als sie sich kennenlernten, und dann in Ciudad Trujillo, so der damalige Name der Stadt, wo sie als junge Frau ein paar Jahre verbracht und den Beruf einer Politikjournalistin ausgeübt habe. Dort sei Abbes mit ihr in Casinos gegangen, und einmal habe er ihr dreihundert Dollar geschenkt, damit sie Roulette spielen könne, und sie gebeten, den Gewinn für sich zu behalten. Aber sie habe, versichert sie, nie etwas auf ihn gegeben und auch nicht mit ihm geschlafen.
Als ich sie daran erinnere, dass allenthalben gemunkelt werde, sie habe ein Kind mit dem Schergen Trujillos gehabt, einen Sohn, von dem manche sagten, sie hätten ihn persönlich kennengelernt, und der offenbar sehr jung in der Dominikanischen Republik gestorben sei, erwidert sie, ohne im Geringsten aus der Fassung zu geraten: »Dummes Gerede der Leute, das entbehrt jeder Grundlage.«
Ebenso im Ungefähren bleibt sie, als sie mir erzählt, was in Zeitungsreportagen und Geschichtsbüchern nur allzu gut dokumentiert ist: wie Abbes García es arrangierte, dass sie am Abend der Ermordung von Castillo Armas aus Guatemala entkam, an jenem 26. Juli 1957, als Freunde und Kameraden des Getöteten, die sogenannten Befreier, und vor allem einer der mutmaßlichen Mörder, Oberstleutnant Enrique Trinidad Oliva, hinter ihr her waren und – um eine falsche Spur zu legen – behaupteten, sie sei mitschuldig am Tod des Präsidenten:
»Vorbei ist vorbei, vom Winde verweht und begraben auf dem Grund der Erinnerung«, ruft sie ungerührt aus, und dann, mit einem Achselzucken und gleichgültiger Miene: »Wozu sie zum Leben erwecken?«
Doch gleich deutet sie ein Lächeln an, ein langes, geheimnisvolles Lächeln, wie es, als sie noch jung war, eine ihrer bezauberndsten Waffen gewesen sein muss.
»Stimmt es, dass Carlos Gacel Castro, der kubanische Killer, Sie noch am Abend des Präsidentenmords in einem Wagen aus Guatemala herausgebracht und nach San Salvador gefahren hat?«, frage ich sie. »Dass Abbes García Sie am nächsten Tag in einem Privatflugzeug von San Salvador in die Dominikanische Republik flog? So liest man es in allen Geschichtsbüchern. Stimmt das, oder ist das auch dummes Gerede der Leute?«
»Bin ich wirklich so berühmt, dass ich in den Geschichtsbüchern stehe?« Sie lächelt spöttisch, und wieder hebt sie die Schultern, das macht sie sehr anmutig und kokett. »Dann wird wohl etwas Wahres dran sein. Vergessen Sie nicht, dass ich eine alte Frau bin und mich nicht an alles, was ich erlebt habe, erinnere. Wir alten Menschen haben Erinnerungslücken und vergessen manche Sachen.«
Dann lacht sie laut auf, wie ein Dementi des Gesagten, und sofort schlägt sie sich die Hand vor den Mund.
Trotz ihrer Jahre macht sie einen gesunden und rüstigen Eindruck, doch bewegen kann sie sich nur mit Mühe und mithilfe eines Stocks. Manchmal habe ich den Eindruck, dass in ihrem Kopf die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion verschwimmen, ohne dass sie es selber merkt, und andere Male, dass sie diese Wirrnis äußerst klug bewirtschaftet. Auch weiß sie bestimmt sehr viel mehr, als sie mir erzählt, und fantasiert auch schon mal, wenn ihr danach ist. Zum Beispiel, als sie mir sagt, sie glaube an Außerirdische, und versichert, sie wisse von ihrer Existenz, werde sich dazu aber nicht weiter äußern, nicht dass ich dächte, sie sei verrückt, was, wie sie mit einem mutwilligen Kichern und dem Entblößen ihres vollkommenen Gebisses hinterherschickt, »viele Leute hier sagen«.
Endlich traue ich mich, das eigentliche Thema anzusprechen, das mich hergeführt hat und das sie, nur sie allein, immer wieder speist, in Erklärungen, Presseartikeln, Interviews und diesem autobiografischen Sturzbach, der sich Tag für Tag durchs Internet ergießt:
»Sie behaupten, es sei falsch, dass Abbes García in Haiti zusammen mit Zita, seiner zweiten Frau, und ihren beiden Töchtern gestorben sei, ermordet von Papa Docs Tontons Macoutes, die auch ihre Dienstmädchen und ihre Hunde und Hühner getötet und dann das Haus angezündet hätten. So schreibt es aber Präsident Balaguer in seiner Autobiografie Erinnerungen eines Höflings in der »Ära Trujillo«, und so hat es der Polizei gegenüber auch Dorothy Sanders angegeben, eine US-amerikanische evangelikale Missionarin. Sie war eine Nachbarin von Abbes García in Pétionville und Tatzeugin.«
Martita hört mir jetzt sehr ernst zu. Sie denkt kurz nach, und schließlich sagt sie, betont langsam, wie es ihre Art ist, und mit dieser Ruhe, der nichts etwas anhaben kann:
»Das hat die CIA in die Welt gesetzt, nur so konnte sie Johnny vor Verfolgung schützen und unerkannt herholen. Ich habe nichts als die Wahrheit gesagt. Hier hat Johnny dann unter falschem Namen gelebt, nachdem er sich einer plastischen Operation unterzogen hat. Die hat sein Gesicht verändert, nicht aber seine Stimme. In den USA lebt er noch heute.«
»Wenn Abbes García noch lebte, wäre er jetzt über achtzig«, unterbreche ich sie. »Vielleicht fast neunzig.«
»Tatsächlich, ja?« Sie ist überrascht. »Ich dachte, ein paar Jahre älter«
»Woher haben Sie diese Geschichte, Doña Marta?«, lasse ich nicht locker. »Haben Sie ihn jemals persönlich gesehen, hier in den USA?«
Auch jetzt wahrt sie die Ruhe. Sie mustert mich von oben bis unten, als fragte sie sich, ob es der Mühe wert sei, Zeit zu verlieren mit dem Versuch, mich von etwas zu überzeugen, was ihr niemand mehr glaubt, von dem sie aber weiß, dass es eine unumstößliche Wahrheit ist.
Sie seufzt, und nach einer langen Pause, in der das Gekrächze und Gekreische der Vögel noch zuzunehmen scheint, hebt sie wieder an:
»Ich habe ihn ein einziges Mal gesehen, das ist schon einige Jahre her. Aber wir haben öfter miteinander telefoniert. Immer ruft er an, aus einer Telefonzelle natürlich. Ich kenne weder seine Telefonnummer noch seinen Aufenthaltsort. New York, Kalifornien, Texas, wer weiß. Er nimmt sich sehr in Acht, das versteht sich. Als er noch politisch aktiv war, hatte er viele Feinde, aber das wissen Sie ja. Jetzt wären seine ärgsten Feinde die Journalisten, die von der Klatschpresse vor allem, die vom Skandal leben.«
An einem Winterabend vor vielen Jahren hatte sie gehört, wie es an der Tür klopfte, hier in diesem Haus, in dem wir jetzt sitzen. Argwöhnisch ging sie öffnen und sah auf der Straße einen Mann, vermummt in einem weiten Mantel und hinter einem Schal, der ihm bis zu den Füßen reichte. Aber sie wusste sofort, wer er war, sie musste nur seine Stimme hören: »Erkennst du mich nicht, Martita?« Verblüfft, überrascht, was sonst, führte sie ihn herein in dieses Zimmer, in dem es damals weniger Vögel gab als heute. Sie unterhielten sich stundenlang, bis der Tag anbrach, tranken das ein oder andere Gläschen Tee und frischten die Erinnerungen auf an jene abenteuerlichen, vergangenen Zeiten. Er sagte, sie sei die einzige Person unter seinen alten Bekannten, der er zeige, dass er noch lebe.
Sie macht eine lange Pause und rezitiert auf Englisch aus einem Gedicht von Stephen Spender, was aus ihrem Mund zu hören wahrlich überrascht: »Und er brach auf im Morgenlicht, allein, so wie die Helden.« (Nie hätte ich gedacht, dass sie eine Leserin von so guter Lyrik ist.) Bevor er wieder ging, bat er sie, sein Geheimnis zu hüten. Und das tat sie, viele Jahre lang. Jetzt, sagt sie, seien all die Vorsichtsmaßnahmen nicht mehr nötig; sämtliche Vergehen, die man ihm zur Last lege, seien verjährt, fast alle seine Feinde tot und begraben. Außerdem, erinnere sich überhaupt noch jemand an Abbes García? »Der Einzige, Don Mario, sind offenbar Sie.«
Sie hat ihn nicht wiedergesehen, aber sie weiß, sagt sie, dass er noch lebt und sie jeden Moment anruft. Vielleicht klopft er eines Abends auch wieder an ihre Tür, so wie beim letzten Mal. Martita will ihm von unserer Unterhaltung erzählen und dass ich einen Roman schreibe, der vor Erfundenem und Gelogenem über ihrer beider Leben nur so strotzt. Werde ich dafür sorgen, dass sie am Ende heiraten, wie in diesen romantischen Schmonzetten? Sie kommt aus dem Lachen nicht mehr heraus, es ist ein fröhliches Lachen, sie freut sich über ihren Scherz und heftet ihre graugrünen Augen auf mich.
Marta Borrero Parra lebt mit einer Haushälterin zusammen, einer Peruanerin aus Huancayo. Die Frau gibt sich so ungezwungen wie diskret, und nachdem sie uns eine Limonade gebracht hat, zieht sie sich gleich wieder zurück. Sie kommt nur herein, um Marta Medikamente zu bringen, dazu einen Schluck Wasser, oder wenn die Hausherrin sie ruft und um etwas bittet. Tatsächlich wirkt sie nicht wie eine Hausangestellte, vielmehr wie ihre Sekretärin, ihre Reisegefährtin, wie eine gute Freundin.
Marta lässt die Politik auf einmal Politik sein und sagt mit nostalgischem Blick, dass sie mittlerweile sehr ruhig lebt, umgeben – ihre Hand flattert und deutet auf die Blumen und Objekte ringsum – von all den Erinnerungen, die Zeugnis ablegen von ihren Fahrten durch die weite Welt. Eine Frage liegt mir auf der Zunge, aber ich verbeiße sie mir: Arbeitet sie noch immer für die CIA? Sie gönnt sich, sagt sie, »hin und wieder einen kleinen Ausflug«, reist aber nur noch wenig, aus offensichtlichen Gründen. Doch dank Fernsehen und Reisereportagen kommt sie auch jetzt noch jeden Abend um die Welt, zumindest für eine Stunde, bevor sie ins Bett geht. Manche dieser Dokus sind großartig. Erst gestern Abend hat sie eine über das Königreich Bhutan gesehen, Berge über Berge und der König dick und ausdruckslos wie ein lebendes Totem. Sie muss oft an Guatemala denken, ihre Heimat, an die Wälder dort, die Vulkane, die bunten Trachten der Indios, die samstäglichen Straßenmärkte auf den Dörfern, auch wenn sie das Land seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht mehr betreten hat. Sie bedauert, dass sie nie einen lebenden Quetzal hat fliegen sehen, diesen kleinen Vogel, der das Wahrzeichen ihres Landes ist, sie kennt ihn nur von Abbildungen und von Fotos. Als sie das letzte Mal dort war, es war gerade Wahlkampf, machte sie traurig, in welchem Zustand sich das arme Guatemala befand. Die Kommunisten zogen mit Feuer und Schwert durchs Land, führten Guerillakriege in den Bergen, und in den Städten legten Terroristen Bomben, entführten ehrbare Bürger, töteten sie. Zum Glück blieb die Armee standhaft und bot ihnen die Stirn. Wie stünde es um das arme Lateinamerika, wenn es dort keine Armeen gäbe? Deshalb huldigt sie ihnen jeden Tag in ihrem Blog. Der ganze Kontinent wäre dem Beispiel Kubas gefolgt, hätte es nicht diese tapferen, so schlecht bezahlten und von den Roten so verleumdeten einfachen Soldaten gegeben. »Bei dem Gedanken an sie kommen mir die Tränen«, sagt sie leise. Und theatralisch wischt sie sich mit dem Taschentuch übers Gesicht.
Sie sitzt neben einem großen Foto, auf dem man sie Arm in Arm mit den Bushs aus drei Generationen sieht, mit den beiden, die einmal Präsident der Vereinigten Staaten waren, und mit Jeb, ehemals Gouverneur von Florida. Sie sagt, sie habe sich bei den Republikanern engagiert, sei immer noch Mitglied, genau wie in der Orthodoxen Partei der Exilkubaner, und noch immer werbe sie unter den Latinos für die Republikaner, bei allen Wahlkämpfen in den USA, ihrer zweiten Heimat, die sie ebenso liebe wie Guatemala. Jetzt ist sie sehr froh, nicht nur, weil Donald Trump im Weißen Haus ist und anpackt, was zu tun ist, sondern auch, weil einige chinesische Bonds, die sie, das ist mir nicht ganz klargeworden, gekauft oder geerbt hat, von der Regierung in Beijing anerkannt wurden. Wenn alles gutgeht, sagt sie, ist sie bald Millionärin. Sie wird nicht mehr viel davon haben, aufgrund ihres Alters und der Zipperlein, mit denen sie sich herumschlägt, aber sie will das Geld einem Fonds hinterlassen, zur Unterstützung der antikommunistischen Organisationen auf der ganzen Welt.
Ohne Zweifel stimmt vieles von dem, was Tony Raful über sie sagt, denn er kennt sie gut und hat über ihre Vergangenheit recherchiert. Auch wird niemand bezweifeln, dass sie schon in jungen Jahren eine resolute Frau war, tapfer, verwegen und imstande, es mit jedem und mit allem aufzunehmen. So wie sie auch eine vom Leben gehärtete und unerschrockene ältere Dame ist, die schreckliche Dinge überstanden hat. Tony selbst erzählt auf den ersten Seiten seines 2017 in Santo Domingo bei Grijalbo erschienenen Buches Rhapsodie des Verbrechens, Trujillo vs. Castillo Armas, wie der damalige Marionettenpräsident der Dominikanischen Republik, Héctor Bienvenido Trujillo (»Negro« genannt und Bruder des Generalissimus), Marta in Ciudad Trujillo, wo sie dank Johnny Abbes Asyl gefunden hatte, zu sich ins Büro holen ließ und zu bestechen versuchte, damit sie mit ihm schlief; er gab ihr einen unterschriebenen Scheck und sagte, »Setz du den Betrag ein«, ohne sich vorstellen zu können, dass die Guatemaltekin ihm empört an den Hals springen und rufen würde, »Ich bin keine Prostituierte!«, und dabei kratzte sie ihn und biss ihm fast ein Ohr ab, erst seine hereinstürmenden Leibwächter konnten ihn von dieser kleinen Bestie befreien.
Ich frage sie, ob die Geschichte stimmt. Sie nickt, vergnügt wie ein Backfisch, kugelt sich vor Lachen und murmelt:
»Noch heute habe ich den Geschmack von diesem Ohr im Mund, wie eine Bulldogge habe ich da reingehauen. Ein Wunder, dass ich es ihm nicht abgebissen habe!«
Doch als ich sie frage, wie die CIA es geschafft hat, sie aus Ciudad Trujillo herauszuholen, bevor der Negro und Don Rafael Leonidas, sein erlauchter Bruder, sie umbringen konnten, duckt sie sich weg:
»Daran erinnere ich mich nicht mehr. Das ist alles so lange her!«
Sie war damals, sagt sie, und schon wechselt sie das Thema, »eine sehr attraktive Frau. Wenn Sie mir nicht glauben, werfen Sie einen Blick auf die Wände hier.«
Sie zeigt mir ein paar große Fotos. Darauf ist sie tatsächlich jung und schön, mit Turbanen in tropischen Farben oder einer sich schlängelnden Frisur, die ihr über die bloßen Schultern streicht.
Und auf einmal schwenkt das Gespräch, warum auch immer, zu Jacobo Árbenz, »ein Mann, den ich als junge Frau aus tiefster Seele gehasst habe«, gesteht sie, für den sie aber »jetzt, wo er tot und unter der Erde ist«, wie sie seufzend hinzufügt, eher Mitleid habe.
»Die Jahre im Exil müssen für ihn und seine Familie schrecklich gewesen sein«, sagt sie. »Egal wo er hinkam, überall haben ihm die Linken und die Kommunisten vorgeworfen, er wäre ein Feigling gewesen und hätte, statt zu kämpfen, abgedankt und sich ins Ausland verzogen. Fidel Castro hat es sich nicht nehmen lassen, ihn persönlich in einer Rede zu beschimpfen, weil er sich Castillo Armas nicht widersetzt hätte, er hätte in die Berge gehen und Guerillatruppen zusammenstellen sollen. Man hat ihm, mit anderen Worten, vorgeworfen, dass er sich nicht hat umbringen lassen.«
»Heißt das, für Sie ist heute klar, dass Árbenz kein Kommunist war?«, frage ich. »Dass er vielmehr ein Demokrat war, ein etwas naiver vielleicht, und dass er aus Guatemala ein modernes Land machen wollte, eine kapitalistische Demokratie? Tatsächlich war er ja, auch wenn er im Exil in die Guatemaltekische Partei der Arbeit eingetreten ist, nie ein echter Kommunist.«
»Er war naiv, das stimmt, aber einer, den die Roten nach Belieben manipuliert haben«, korrigiert sie mich. »Er und seine Familie tun mir nur leid wegen der Jahre im Exil. Immer von einem Ort zum nächsten, ohne je irgendwo Wurzeln schlagen zu können: Mexiko, Tschechoslowakei, Russland, China, Uruguay. Überall hat man ihn schlecht behandelt, offenbar musste er sogar Hunger leiden. Und dann die Familientragödien. Seine Tochter Arabella, von der alle, die sie kannten, sagen, dass sie so hübsch war, hat sich in Jaime Bravo verliebt, einen dahergelaufenen Torero, der sie noch dazu betrogen hat, und am Ende hat sie sich erschossen, in einem Nachtclub, wo er mit seiner Geliebten war. Außerdem heißt es, dass selbst Árbenz’ Ehefrau, die unvergleichliche María Cristina Vilanova, die sich als Intellektuelle und Künstlerin gab, ihn mit einem Kubaner betrogen hat, ihrem Deutschlehrer. Und dass er davon erfahren hat und still seine Hörner tragen musste. Und als wäre es damit nicht genug, hat sich Leonora, seine andere Tochter, die in mehreren psychiatrischen Anstalten war, ebenfalls vor ein paar Jahren das Leben genommen. Das alles hat ihn zerstört. Er hat sich dem Suff hingegeben, und als er mal wieder blau war, ist er in seiner eigenen Badewanne ertrunken, unten in Mexiko. Vielleicht war es auch Selbstmord. Wie auch immer, ich hoffe, vor seinem Tod hat er seine Verbrechen bereut, und Gott konnte ihn aufnehmen in sein Reich.«
Sie macht ein trauriges Gesicht, bekreuzigt sich und seufzt mehrere Male tief.
Ich frage sie, ob sie nach all den Jahren auch Juan José Arévalo das ein oder andere Verdienst hat zugestehen können.
»Kein einziges«, sagt sie kategorisch, wütend jetzt. »Als Präsident hat er den Boden bereitet für das Unglück, das Árbenz mit seiner Regierung über Guatemala gebracht hat. Außerdem wollte er, anders als Árbenz, der in seinem Privatleben ein hoch moralischer Mensch war, die Frauen zerstören. Erinnern Sie sich nicht, dass er zwei russische Tänzerinnen getötet hat? Er und ein Kumpel von ihm hatten mit den beiden einen draufgemacht, und sie müssen ziemlich betrunken gewesen sein, keine Frage, als sie den Autounfall hatten, bei dem die Mädchen starben, die armen Dinger. Und natürlich hat niemand sie für irgendwas zur Rechenschaft gezogen, weder Arévalo noch den anderen Halunken, der mit im Wagen saß.«
Sie macht eine längere Pause, um ein paar Tabletten einzunehmen. Als die Haushälterin das Zimmer wieder verlässt, frage ich sie:
»Können Sie mir etwas über Ihre Verbindung zur CIA sagen, Doña Marta? Viele Freunde von Castillo Armas glaubten, Sie würden für den US-Geheimdienst arbeiten, als die Vereinigten Staaten beschlossen, den Oberst nicht länger zu unterstützen, weil sie ihn für unfähig hielten, die Konterrevolution wirklich anzuführen. Sie wollten ihn durch jemanden ersetzen, der energischer und charismatischer wäre, jemanden wie General Miguel Ydígoras Fuentes.«
»Das ist ein heikles Thema, rühren wir besser nicht daran«, sagt sie, gar nicht mal verärgert, aber in festem Ton, und dabei wird sie ernst. Sie starrt mich an, als wollte sie mich an die Stuhllehne nageln.
Ich befürchte schon das Schlimmste, trotzdem lasse ich nicht locker:
»Dass Sie so schnell in die USA einreisen konnten, als Sie die Dominikanische Republik verlassen mussten, und dass Sie fast umgehend eine Aufenthaltserlaubnis und dann die Staatsbürgerschaft erhielten, das alles gilt denjenigen als Argument, die glauben, Sie hätten der CIA wertvolle Dienste geleistet, Doña Marta.«
»Wenn Sie so weitermachen, werde ich Sie bitten müssen, dass wir uns auf der Stelle verabschieden«, sagt sie.
Sie ist kein bisschen lauter geworden, hat aber jedes Wort mit tödlichem Ernst gesprochen. Sie greift nach ihrem Stock, und unter großen Mühen steht sie auf.
Ich bitte um Entschuldigung, verspreche, das leidige Thema nicht mehr zu erwähnen, und schließlich setzt sie sich wieder. Aber es ist klar, dass ich an einen empfindlichen Punkt gerührt habe, die Sache ist ihr unangenehm, erregt sie. Ihr Verhalten ändert sich nun. Sie verliert alles Spontane, ihr Körper versteift sich, ihr Blick wird giftig, die Atmosphäre kühl. Hält sie mich schon für einen Feind? Einen verkappten Kommunisten vielleicht? Während des ganzen restlichen Gesprächs macht sie mir keinen natürlichen Eindruck mehr, sie erlaubt sich auch keinen weiteren Scherz. Als ich sehe, dass sie ins Stocken gerät und ich unmöglich noch etwas aus ihr herausbekomme, bleibt mir nichts anderes übrig, als ihr zu danken, dass sie mich empfangen hat, und mich zu verabschieden. Sie geht mit mir zur Tür, und dort sagt sie, einem Schlusswort gleich:
»Machen Sie sich nicht die Mühe, mir Ihr Buch nach Erscheinen zu schicken, Don Mario. Ich werde es auf keinen Fall lesen. Aber meine Anwälte werden es lesen, nur dass Sie es wissen.«
Noch am selben Abend treffe ich mich mit Soledad Álvarez und Tony Raful in einem Restaurant in Washington, im Cafe Milano in Georgetown, einem sehr beliebten Lokal, immer voll und laut, bekannt für gute Pasta und exzellente italienische Weine. Wir haben um ein Separee gebeten, dort können wir uns in Ruhe über mein Erlebnis mit Marta unterhalten. Soledad und ich sind der Meinung, dass Tony gut daran getan hat, ihr nicht ein Exemplar seines letzten Buchs zu schicken, die Lektüre hätte sie bestimmt nicht erfreut. Tony zeichnet darin ein liebevolles Bild von ihr, voller Dankbarkeit, aber er erzählt auch viele Dinge, von denen sie es zweifellos lieber gesehen hätte, dass man sie nicht anspricht, oder wenn, dann nicht mit einer solchen Offenheit.
Wir drei sind uns einig, dass mein Besuch bei der echten Miss Guatemala die Mühe wert war, auch wenn er mehr Fragen als Antworten gebracht hat. Aus dem, was Marta mir sagte oder eben nicht sagte, vor allem aber aus der Art, wie sie es sagte, und ihrer Gereiztheit am Ende schließe ich, dass sie wohl tatsächlich für die CIA gearbeitet und der legendären Behörde wichtige Dienste geleistet hat. Die beiden sehen das genauso. Unterschiedlicher Meinung sind wir dagegen, als es um eine mögliche Beteiligung an der Ermordung von Castillo Armas geht. War sie von vornherein eingeweiht, hat an den Vorbereitungen zu dem Attentat sogar bewusst mitgemacht? Oder wurde sie, aufgrund ihrer Beziehung zu Abbes García und dem Mann der CIA in Guatemala, nach und nach hineingezogen und merkte es nicht einmal selbst? Wir schweifen eine Weile dahin, ohne zu einem Schluss zu gelangen. Stimmen aber darin überein, dass Marta, als ihr klarwurde, dass Oberstleutnant Enrique Trinidad Oliva sie in den Anschlag verwickeln wollte, keine andere Wahl hatte, als zu fliehen, so als wäre sie schuldig, genau wie Johnny Abbes García und der Mann, der nicht Mike hieß. Ihre erklärte Liebe zu Castillo Armas war wahrscheinlich echt, kein posthumes reuevolles Bekenntnis, weil sie, wer weiß, vielleicht doch, wenn auch unfreiwillig, einen Anteil an seiner Ermordung hatte. Auf jeden Fall aber war es eine Möglichkeit, die Ermittlungen und alle Spuren und Verdachtsmomente, die auf sie hätten weisen können, in eine andere Richtung zu lenken.
Einig sind wir drei uns auch darin, dass es eine große Dummheit der USA war, für diesen Militärputsch gegen Árbenz als Strohmann Oberst Castillo Armas zu wählen und ihn an die Spitze der Verschwörung zu setzen. Der Sieg, den sie errangen, war bloß ein vorübergehender, so nutzlos wie kontraproduktiv. Er führte nur dazu, dass in ganz Lateinamerika die Stimmung gegen die USA eskalierte und die marxistischen, trotzkistischen und fidelistischen Parteien gestärkt wurden, er radikalisierte Fidel Castros Bewegung des 26. Juli und trieb sie dem Kommunismus in die Arme. Castro selbst hatte aus dem Geschehen in Guatemala sehr klare Schlüsse gezogen. Und nicht zu vergessen: Der zweite Mann der kubanischen Revolution, Che Guevara, war während der Invasion in Guatemala, wo er, um sich über Wasser zu halten, mit Enzyklopädien hausierte. Dort lernte er die Peruanerin Hilda Gadea kennen, seine erste Frau, und zur Zeit von Castillo Armas’ Invasion versuchte er sich jenen Volksmilizen anzuschließen, die Árbenz letztlich nie aufstellte. Er musste in der argentinischen Botschaft Schutz suchen, er wäre sonst bei einer der Razzien, die in diesen Tagen aufgrund der antikommunistischen Hysterie im Land um sich griffen, sofort einkassiert worden. Wahrscheinlich zog er dort aber auch Schlussfolgerungen, die sich für Kuba am Ende als tragisch erwiesen: Eine echte Revolution musste demnach, um sich zu konsolidieren, die Armee ausschalten, was ohne Zweifel die Massenerschießungen von Uniformierten in der Festung La Cabaña erklärt, für die Ernesto Guevara persönlich verantwortlich war. Und daher wohl auch der Gedanke, dass es für das revolutionäre Kuba unumgänglich sei, sich mit der Sowjetunion zu verbünden und das kommunistische Modell zu übernehmen, wollte die Insel sich gegen Pressionen, Boykotts und etwaige Überfälle der Vereinigten Staaten wappnen. Anders wäre die Geschichte für Kuba womöglich ausgegangen, hätten die USA die Modernisierung und Demokratisierung Guatemalas, wie von Arévalo und Árbenz angestrebt, akzeptiert. Eine solche Demokratisierung und Modernisierung war genau, was Fidel Castro erklärtermaßen für die kubanische Gesellschaft wollte, als er am 26. Juli 1953 in Santiago de Cuba die Moncada-Kaserne angriff. Damals war er weit entfernt von den kollektivistischen und diktatorischen Extremen, die Kuba bis heute zu einer anachronistischen und gegen jeden Anflug von Freiheit verbarrikadierten Diktatur haben erstarren lassen. Ein Zeugnis dafür ist seine Rede Die Geschichte wird mich freisprechen, gehalten vor dem Gericht, das ihn für den fehlgeschlagenen Überfall verurteilte. Doch nicht weniger verhängnisvoll waren die Auswirkungen von Castillo Armas’ Triumph für das übrige Lateinamerika – für Guatemala ganz besonders –, wo auf Jahrzehnte Guerillakriege und Terrorismus das Bild bestimmten sowie diktatorische Militärregime, in denen die Regierenden mordeten, folterten und ihre Länder ausplünderten, womit die demokratische Option für ein weiteres halbes Jahrhundert aufs Abstellgleis geriet. Unterm Strich verzögerte die US-amerikanische Intervention in Guatemala die Demokratisierung des Kontinents um Jahrzehnte und kostete Tausenden von Menschen das Leben, denn sie trug erheblich dazu bei, den Mythos von der bewaffneten Revolution und vom Sozialismus in ganz Lateinamerika zu verbreiten. Mindestens drei Generationen von jungen Menschen töteten und wurden getötet für einen weiteren unmöglichen Traum, radikaler noch und tragischer als der Traum des Jacobo Árbenz.