Kapitel Neunzehn
L ucy erlebte einen durch und durch langweiligen Abend.
Millie und Alex hatten bei meisten gesellschaftlichen Ereignissen abgesagt, um Zeit allein miteinander zu verbringen. David, der fast eine Woche auf seinem Anwesen verbracht hatte, war nach seiner Rückkehr nach London in der Versenkung verschwunden. Um die Sache noch schlimmer zu machen, erlitt ihre Karriere als gesellschaftliche Verkupplerin einen schrecklichen Fehlstart, nachdem die zukünftige Braut ungünstigerweise aufs Land verbannt worden war. Die letzte und möglicherweise schlimmste Auswirkung all dieser Dinge war, dass sie jetzt allein mit ihren Eltern an Partys und Bällen teilnehmen musste.
Ihre letzte Bastion gegen zu viele Bedrängungen durch kichernde Fräulein, Millies Bruder Charles, lag schwer erkältet in seinem Bett.
Nachdem Lucy mit mehreren heiratsfähigen Herren getanzt hatte, um ihrer Mutter einen Gefallen zu tun, entschied sie, dass das Rückzugszimmer der Damen ein ebenso guter Ort war, um die Stunden hinter sich zu bringen, bis der Herzog und die Herzogin von Strathmore endlich beschlossen, nach Hause zu gehen.
«Warum gibt es in dieser Saison keine interessanten Männer?», murmelte sie, als sie den Griff der Tür zu besagtem Zimmer drehte.
Überrascht stellte sie fest, dass der Raum bis auf zwei Dienstmädchen leer war. Sie winkte die Zofe weg, die anbot sich um ihr perfekt sitzendes Haar zu kümmern, ließ sich auf eine gut gepolsterte Couch fallen und zog ihre Tanzschuhe aus. Mit dem Kopf gegen die Kissen schloss sie die Augen.
Die Tür öffnete und schloss sich.
Die Dienstmädchen flüsterten unhörbar miteinander, und sie hörte, wie sie den Raum verließen. Ein Körper sackte schwer neben ihr auf die Couch. Sie öffnete ein Auge halb.
Lady Susan Kirk. Rotäugig und sehr verzweifelt.
Lucy setzte sich auf und beäugte sie vorsichtig. Susan hatte bei den jüngeren Leuten mehr Ärger verursacht, als woran Lucy sich erinnern wollte. Sie wollte sich von der Couch erheben, blieb aber sitzen, als Susan eine zitternde Hand auf ihren Arm legte.
«Ich weiß, dass Sie nicht viel von mir halten, und ich für meinen Teil habe immer festgestellt, dass Sie mir zu hochmütig und ein wenig seltsam sind, aber ich muss mit Ihnen sprechen», sagte Susan.
Lucy runzelte die Stirn.
«Es geht um Clarice.»
«Ja?», antwortete sie und fühlte ein wachsendes Gefühl des Unbehagens.
«Ich weiß, dass Sie nicht gutheißen, was ich bei den Tates getan habe, als ich Lord Langham Bericht erstattete, dass Ihr Bruder mit Clarice getanzt hat. Aber ich habe es zu ihrem eigenen Besten getan. Dachte ich zumindest.»
Susan zog ein bereits durchnässtes Damentaschentuch aus ihrem Täschchen und tupfte sich die Tränen ab. Lucy seufzte. Sie zog ein sauberes Taschentuch aus ihrem eigenen Beutel und reichte es Susan.
«Danke», antwortete Susan.
«Was meinen Sie, das dachten Sie zumindest?», fragte Lucy.
Susan legte eine Hand über ihre Augen und begann laut zu schluchzen. Ihre Schultern zitterten vor Erregung. Lucy legte widerwillig eine Hand auf Susans Rücken und tätschelte sie beruhigend.
Es dauerte einige Minuten, bis Susan sich endlich wieder im Griff hatte und weitersprechen konnte. Als die Dienstmädchen wieder auftauchten, schlug Lucy vor, dass sie gehen und sich etwas zu essen suchen könnten.
Susan schniefte und holte tief Luft.
«Erstens möchte ich Sie bitten, meine Beteiligung an dieser Sache geheim zu halten. Meine Heiratsaussichten haben in dieser Saison bereits genug gelitten. Wenn bekannt wird, dass ich mich mit Mr. Fox zusammengetan habe, wäre ich wahrscheinlich ruiniert.»
Mr. Fox. Oh nein.
«Haben Sie etwa ...», begann Lucy.
Susan warf ihr einen empörten Blick zu.
«Nein, ich bin nicht so dumm! Ein Kuss war alles, was wir teilten. Das, und dass ich glaubte, wir hätten eine Vereinbarung.»
«Ich verstehe nicht», antwortete Lucy.
Susan schüttelte den Kopf.
«Ich auch nicht, bis Clarices Vater sie wegschickte. Sie und ich hatten vereinbart, dass sie aus dem Weg treten würde, damit ich Mr. Fox für mich gewinnen kann.»
Lucy runzelte die Stirn. «Und dann haben Sie zugestimmt, meinen Bruder, um Clarice werben zu lassen, aber in Wirklichkeit haben Sie gelogen?»
«Nicht wirklich. Clarice hat mich angelogen. Sie erzählte mir, Charles Ashton habe ihr einen Antrag gemacht. Ich wusste natürlich, dass es eine Lüge war, entschied aber, dass es zu meinen eigenen Plänen passte, so zu tun, als würde ich ihr glauben. Es war nicht wirklich wichtig, da ich glaubte, ich wäre dem Erfolg so nahe.»
«Wirklich?»
Ein verächtlicher Ausdruck erschien auf Susans Gesicht.
«Sehen Sie, ich glaubte, Mr. Fox würde anbieten, mich zu heiraten. Wir haben in den letzten Wochen einige Zeit zusammen verbracht und ...»
«Und was?»
«Ich dachte, wir würden die Überzeugung teilen, dass Ihr Bruder nicht für Clarice geeignet ist. Mr. Fox überzeugte mich, ihm zu helfen, die aufkeimende Romanze zu zerstören. Ich dachte, er wollte Lord Langham einen Gefallen tun, aber jetzt weiß ich, dass er mich nur benutzt.»
Lucy beschloss, die gezielte Beleidigung ihres Bruders zu ignorieren. Susan Kirk besaß offenbar Informationen von großer Bedeutung. Sie nickte und betete, dass niemand anderes ausgerechnet jetzt das Ruhezimmer der Damen betreten würde. Sie ergriff eine von Susans Händen und drückte sie sanft und beruhigend.
Susan sah weg und seufzte tief, dann blickte sie zurück zu Lucy.
«Mr. Fox hat London verlassen. Ich glaube, er ist auf dem Weg nach Norfolk. Aus dem Wenigen, was ich vor seiner Abreise von ihm erfahre
n konnte, verstehe ich, dass er beabsichtigt, Clarice in Langham Hall aufzusuchen und ihre Zustimmung zu erhalten, ihn zu heiraten.»
Lucy sprang auf die Füße.
«Warum? Warum sollte er so etwas tun?», rief sie.
Susan umklammerte immer noch Lucys Taschentuch und erhob sich von der Couch. Sie hielt sich ungelenk und unsicher, und Lucy erkannte, dass sie eine junge Frau vor sich hatte, die ziemlich vieles von dem, was sie zuletzt getan hatte, bitter bereute. Ihre boshafte Art, wie es schien, hatte sie endlich eingeholt.
Trotz all der schrecklichen Dinge, die Susan getan hatte, hatte Lucy Mitleid mit ihr.
«Weil Mr. Fox das ganze Geld ausgegeben hat, das Lord Langham ihm gab, und noch mehr. Indem er Clarice dazu bringt, ihn zu heiraten, wird Mr. Fox Zugang zu ihrer Mitgift erhalten.»
Lucy faltete ihre Hände zusammen und hielt sie gebetsartig an ihre Lippen.
«Ich kann mir nicht vorstellen, dass Clarice bereitwillig zustimmen würde, Mr. Fox zu heiraten», sagte sie.
Sie und Susan tauschten einen gequälten Blick aus. Sie beide wussten: wenn Thaxter Fox Clarice kompromittierte, könnte niemand etwas tun, um sie zu retten. Sie würde gezwungen sein, ihn zu heiraten.
«Deshalb musste ich Sie finden. So sehr es gegen alles geht, das ich für richtig halte, ich denke, die einzige Hoffnung, Clarice vor Mr. Fox zu bewahren, ist Ihr Bruder. Jetzt, wo ich weiß, was für ein Mensch Mr. Fox wirklich ist, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass David das kleinere von zwei Übeln sein könnte. Clarice verdient es nicht, gezwungen zu werden, einen Erpresser wie Mr. Fox zu heiraten. Und trotz all seiner Mängel weiß ich, dass sie Ihren Bruder liebt. Ich habe heute Abend in alle öffentlichen und auch in die privaten Räume dieses Hauses geschaut, konnte aber Ihren Bruder nicht finden. Obwohl ich erleichtert bin, Sie gefunden zu haben, Lucy, ist es weitaus zwingender, dass Sie David finden.»
Zum ersten Mal in ihrem Leben befand sich Lucy in der ungewöhnlichen Situation, mit Susan Kirk völlig einer Meinung zu sein. Sie musste David schnell finden.
«Er ist heute Abend nicht hier, aber ich weiß, wo ich ihn finden kann», antwortete Lucy.
Sie bot Susan ihre Hand an.
«Vielen Dank. Ich weiß, dass es für Sie schwierig gewesen sein muss, aber ich bin froh, dass Sie mich aufgesucht haben. Geben wir uns die Hand und vereinbaren wir, dieses Gespräch geheim zu halten.»
Susan sah auf Lucys Hand hinunter und nickte leicht. Sie gaben sich die Hand.
«Ich muss schnell handeln, um unsere gemeinsame Freundin zu retten», sagte Lucy.
Sie hob ihre Schuhe auf und zog sie hastig wieder an. Als sie wieder im Hauptballsaal war, suchte sie verzweifelt nach ihrem Vater. Von allen Menschen, die sie kannte, würde der Herzog von Strathmore am ehesten wissen, was zu tun war. Auf der anderen Seite des überfüllten Raumes entdeckte sie ihre Eltern.
Sie fluchte unterdrückt. Der Herzog und die Herzogin von Strathmore standen mit dem Prinzregenten zusammen. Sie ballte die Fäuste und stieß ein frustriertes «Oh!» aus.
Sie wagte es nicht zu riskieren, ihren Vater in diesem Moment anzusprechen. Wenn sie sich dem Prinzen auf wenige Schritte näherte, wäre sie gefangen in all den gesellschaftlichen Benimmregeln, vom Knicks bis zur Respektsbezeugung. Und da ihre Eltern enge Freunde des Prince of Wales waren, wusste sie, dass sie noch einige Zeit in seiner Gesellschaft bleiben würden.
Die Lage schien hoffnungslos. Wenn nur Alex und Millie nicht entschieden hätten, dass sie sich für ein paar Tage Privatsphäre aus der Gesellschaft zurückziehen hatten müssen.
Es gab nur noch eins zu tun.
Lady Lucy Radley würde die Kardinalregel für alle unverheirateten Fräuleins des Ton brechen. Sie würde ohne eine anerkannte Aufsichtsperson in die Londoner Nacht aufbrechen.
Nachdem sie sich für diese tollkühne und waghalsige Vorgehensweise entschieden hatte, war sie fest entschlossen.
Alles im Dienste von Amor.
Sie ging durch den Ballsaal, hielt ein oder zwei Mal an, um sich kurz mit verschiedenen Freunden zu unterhalten und sich ein Alibi zu verschaffen. Wenn ihre Eltern sie suchten, während sie weg war, gab es mehrere Gäste, die nachweisen konnten, dass sie erst kürzlich mit ihr gesprochen hatten.
Ein junges Paar, mit dem sie gut befreundet war, ging gerade, als sie die Haustür erreichte. Lucy beeilte sich und holte sie ein.
Draußen wies sie den ersten Butler an, den Fahrer der Kutsche ihrer Eltern zu rufen. Wenn ihre Eltern entdeckten, was sie getan hatte, und das würde sich kaum vermeiden lassen, konnte sie zumindest argumentieren, dass sie alle Anstrengungen unternommen hatte, um das Risiko zu mindern. Sie war in der Kutsche ihrer Familie mit mehreren vertrauenswürdigen Bediensteten an Bord gereist.
Sie würde sich zu gegebener Zeit mit dem Zorn ihres Vaters befassen. Davids Herz befand sich in tödlicher Gefahr.
David gähnte und schob den Stapel Papiere von sich weg.
Er rieb sich die müden Augen und sah auf die Uhr. Es war gerade mal elf. An jedem anderen Abend würde er gerade erst richtig in Schwung kommen.
«Es ist all diese frische Landluft», murmelte er vor sich hin.
Zu dem großen Stapel Papierkram, den er aus Sharnbrook mitgebracht hatte, waren mehrere weitere Rechnungen hinzugekommen, die an diesem Morgen eingetroffen waren.
Er nahm die Rechnung für die neuen Vorhänge des Herrenhauses von der Spitze des Stapels und versuchte, nicht zusammenzucken. Wer hätte gedacht, dass Fensterstoff so viel kosten könnte?
Da es derzeit an der Tagesordnung stand, dass er morgens sehr früh aus dem Bett fiel, dachte er darüber nach, sich in selbiges zu begeben. Er gähnte erneut.
«Sie werden ein alter Mann, Mr. Radley», tadelte er sich.
Er streckte seine Arme über den Kopf, senkte sie aber gleich wieder, als er den Stich seiner langsam heilenden Stichwunde spürte.
«Und morgen gleich die nächste Schlacht», stöhnte er.
Da er nun zurück war und ein wenig Zeit gehabt hatte, sich um geschäftliche Angelegenheiten zu kümmern, plante er, Lord Langham am Morgen zu konfrontieren und ihm ein letztes Ultimatum zu stellen, bevor er die Angelegenheit selbst in die Hand nahm.
Er runzelte die Stirn, als er sah, wie sich die Tür zu seinem Arbeitszimmer öffnete. Die Handvoll Bedienstete, die für ihn arbeiteten, wussten, dass sie zu klopfen hatten, bevor sie sein Zimmer betraten.
Lucys Kopf erschien an der Seite der Tür und erschreckte ihn.
«Ich bin so froh zu sehen, dass du noch wach bist», sagte sie.
David erhob sich schnell von seinem Stuhl und eilte zu ihr. Er schaute in den Gang hinter ihr und runzelte ein zweites Mal die Stirn, als er sah, dass dort niemand war. Worte des Vorwurfs lagen ihm auf der Zungenspitze. Sie hob eine Hand.
«Bevor du fragst, ja, ich bin alleine gekommen. Und bevor du anfängst, hier herumzubrüllen, darf ich dir sagen, dass ich mit drei Dienern, die mir bekannt sind, in der Strathmore-Kutsche gekommen bin.»
«Aber warum?», wollte er wissen, selbst überrascht, wie ruhig er blieb. Er war deutlich müder, als er geglaubt hatte. Lucy warf ihm einen Blick zu, der ihre eigene Überraschung über seine Antwort widerspiegelte.
«Clarice», antwortete sie.
Seine Ohren spitzten sich bei dem Namen.
«Ich habe den Ball in der Curzon Street allein verlassen. Mama und Papa waren ins Gespräch mit dem Prinzregenten verwickelt, sodass ich ihre Aufmerksamkeit nicht auf mich ziehen durfte Du weißt, ich würde niemals etwas so Dummes tun, wenn die Situation nicht so schlimm wäre. Ich habe gerade ein sehr beunruhigendes Gespräch mit Lady Susan Kirk geführt.»
«Die schreckliche Susan? Warum hast du mit ihr gesprochen?»
«Sie hatte sich fälschlicherweise vorgestellt, dass Thaxter Fox sie heiraten würde.»
David unterdrückte ein spöttisches Schnauben.
«Was haben wir damit zu tun?»
«Alles, lieber Bruder, denn laut Susan hat Mr. Fox gestern Morgen London verlassen und ist auf dem Weg nach Langham Hall, um die Sache mit Clarice zu besprechen. Und einem solchen Charmeur, als der sich uns präsentiert hat, so einem wie ihm kann sie möglicherweise seinen Heiratsantrag nicht ablehnen.»
Der nächste Atemzug explodiert in seiner Lunge.
«Oh Gott!», sagte er, während er sich bemühte, die Nachricht zu verarbeiten.
Lucy legte eine Hand beruhigend auf seinen Arm. «Ich weiß nicht, warum das so ist, aber ich traue Mr. Fox nicht über den Weg. David, ich habe Angst um Clarice.»
Er fixierte sie mit einem stählernen Blick. «Und das solltest du auch. Thaxter Fox ist nicht der Gentleman, der zu sein er uns glauben machen will. Vielmehr ist er ein betrügerischer Erpresser, der vor nichts Halt macht, um zu bekommen, was er will.»
«Du nimmst doch nicht an, dass er wirklich versuchen würde, Clarice zu zwingen, ihn zu heiraten? Susan Kirk schien dieser Meinung zu sein.»
«Ganz im Gegenteil, ich erwarte nichts anderes von ihm. Wenn sie ihn ablehnt, weiß Gott allein, was er ihr antun wird. Du weißt so gut wie ich, dass bei der kleinsten Andeutung eines beschmutzten Rufs die Ehe die einzig mögliche Lösung ist.»
Er ging zurück zu seinem Schreibtisch und fing an, seine Papiere aufzuheben und sie wieder in die Ledertasche zu stopfen. Er ging zur Tür und rief nach Bailey.
Er reichte dem Kammerdiener seine Tasche. «Finden Sie den Stallmeister und sagen Sie ihm, dass ich möchte, dass die Pferde und die Kutsche innerhalb einer Stunde abreisefertig sind. Fügen Sie meinen schwersten Mantel zum Reisekoffer hinzu und lassen Sie ihn von den Lakaien so schnell wie möglich nach unten bringen. Ich werde in Kürze bei Ihnen sein.»
Als Bailey zögerte, wies David auf die Tür. «Sofort.»
Er kehrte zu Lucy zurück und ergriff ihren Arm. «Wir müssen dich zurück zum Ball bringen, bevor jemand dich vermisst. Ich werde eine Notiz schreiben und sie nach meiner Abreise in Strathmore House abgeben lassen. Das und das Bestechungsgeld, das ich den Dienern geben werde, die dich hierhergebracht haben, sollte dein Geheimnis lange genug bewahren.»
Als sie den Fuß der Treppe erreichten, griff David nach seinem Mantel und seinen Handschuhen.
«Du reist aber nicht sofort ab, oder? Im Dunkeln kommst du nicht weit», sagte Lucy.
«Ich verliere keine Sekunde. Fox hat schon einige Tage Vorsprung vor mir. Ich fürchte, ich werde gerade noch rechtzeitig ankommen, um dem frisch verlobten Paar meine besten Wünsche persönlich zu überbringen, aber wenn es eine Chance gibt, Clarice vor dem Griff dieses Hundesohns zu retten, muss ich es versuchen.»
Zweistämmige Lakaien brachten seinen Reisekoffer herunter und stellten ihn an der Haustür ab. Sie stöhnten beide, als sie den schweren Koffer abstellten. Bailey legte Davids Wollmantel obenauf. Es war der, den er immer trug, wenn er in Schottland war.
Er nickte, erfreut darüber, dass er die Voraussicht gehabt hatte, für eine mögliche Reise nach Norfolk auf gepackten Koffern gesessen zu haben. In der Erwartung, dass er auf eine weitere strikte Ablehnung von Clarices Vater stoßen würde, hatte David geplant, London innerhalb eines Tages zu verlassen. Am frühen Nachmittag war eine der kleineren Strathmore-Kutschen in die hinteren Stallungen gebracht worden.
Lucy warf einen Blick über die Männer und zurück zum Koffer.
«Ich dachte nicht, dass es zu dieser Jahreszeit in Norfolk so kalt ist», sagte sie.
David nickte. «Man muss immer alles einplanen. Es könnte ja passieren, dass ich plötzlich gezwungen bin, noch weiter nach Norden zu reisen. Und wenn ich das tue, dann deshalb, um mich für den kommenden Winter mit Langhams Tochter als meiner Braut in Strathmore Castle einzuigeln.»
Eilig kehrten sie gemeinsam zurück zur Curzon Street, wo David mit seiner Schwester auf dem Arm lässig in den Raum schlenderte, in dem sich die Elite zum Ball versammelt hatte. Kein einziger Gast warf ihnen einen zweiten Blick zu.
«Ich sollte besser verschwinden, bevor Mama oder Papa mich sehen», sagte er. Er ließ ihren Arm los und umarmte sie kurz. Lucy stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange.
«Das ist für Clarice. Viel Glück, David, und Gott sei mit dir. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder in London. Wenn nicht, werde ich dich und deine neue Frau sehen, wenn ich nach Schottland komme. Je nachdem, wie Papa das alles aufnimmt, ist es ja nicht von der Hand zu weisen, dass auch ich nach heute Abend verbannt werde.»
David verzog das Gesicht, bevor er sich auf der Ferse herumdrehte und zurück auf die Straße eilte. Seine eigene Reisekutsche und sein Fahrer warteten weiter unten auf ihm. Als er sich anschickte, hineinzuklettern, blickte er noch einmal auf und rief dem Fahrer zu:
«Tun Sie alles, was im Rahmen der Vernunft möglich ist, um noch in dieser Nacht so viele Meilen wie möglich hinter uns zu bringen.»
Der Mann tippte sich an den Hut, und als David sicher in der Kutsche verstaut war, wandte der Fahrer das Gefährt nach Norden in Richtung der Great North Road.