Kapitel Ein­und­zwanzig
« A h, da sind Sie ja», dröhnte die Stimme ihres unerwünschten Hausgastes in Clarices Ohren.
Sie warf einen Blick in Richtung Sonne und seufzte. Sie hatte sich längst über ihren Zenit hinausbewegt und stieg bereits in den Nachmittagshimmel hinunter. Die Stunde war später, als sie gedacht hatte.
Allein an diesem abgelegenen, sicheren Ort hatte sie Thaxters Abwesenheit vom Anwesen genossen, doch nun hatte er sie gefunden.
«Ein ziemlich kluges Versteck, das Sie hier haben. Ich habe seit einer Stunde auf dem ganzen Anwesen nach Ihnen gesucht. Ich war kurz davor, aufzugeben und zum Haus zurückzukehren, als einer der Diener erwähnte, dass Sie vielleicht unten am See sind.»
Sie warf ihm einen desinteressierten Blick zu und wandte sich wieder ihrer Staffelei zu. Sie fuhr mit dem Pinsel über die Leinwand und gab einer Szene, die sie schon oft gemalt hatte, den letzten Schliff.
«Wie war Ihre Reise nach Holt?», fragte sie aus purer Höflichkeit.
Er stellte sich an ihre Seite und betrachtete ihr Bild nur sehr flüchtig.
«Enttäuschend. Ich habe wirklich wenig Zeit für oder Appetit auf diese Provinzstädte. Jedes Geschäft, in dem ich versuchte, Waren auf Kredit zu kaufen, lehnte mich zunächst ab. Als ich meine Verbindung zu Ihrem Vater erwähnte, haben sie natürlich bald ihre Meinung geändert.»
Er öffnete das Revers seiner Jacke und enthüllte eine Weste aus tiefroter, senf- und orangefarbener Seide.
«Ich sagte ihnen, wenn sie sicherstellen wollen, dass ich zukünftig mit ihnen Geschäfte mache, sollten sie mich besser von der Qualität ihrer Waren überzeugen. Was halten Sie vom Schnitt meiner neuen Weste, Lady Clarice? Ich habe sie gratis bekommen.»
«Sehr schön», log sie. Die Farbpalette war so abscheulich, dass sie ihre Augen verletzte.
Es gab nur wenige Orte in Holt, die solche Dinge anboten, so dass es für den Verwalter ihres Vaters keine unmögliche Aufgabe wäre, herauszufinden, welcher unglückliche Schneider von Mr. Fox dazu gedrängt worden war, ihm kostenlose Waren zu geben. Ihr Vater schätzte den Namen und den Ruf seiner Familie im Bezirk. Er wäre wütend zu wissen, dass sein Erbe den Namen Langham zu seinem persönlichen Vorteil ausnutzte. Die gut geschnittene Weste würde bezahlt werden, ob Mr. Fox das nun wünschte oder nicht.
Er zuckte bei ihrer knappen Antwort mit den Schultern. Sie tauchte ihren Pinsel zuerst in die blaue und dann in die gelbe Farbe und runzelte die Stirn, als sie nicht den Grünton erhielt, den sie für das Schilf am Wasser wünschte. Sie fügte etwas mehr Gelb hinzu, bevor sie den Pinsel auf die Leinwand legte.
Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, als er näherkam. Sie bemühte sich, ihn nicht anzusehen, und konzentrierte sich weiterhin darauf, die Linie und Struktur der Pflanzen genau richtig abzubilden.
«Ist das alles, was Sie unten am See tun, Lady Clarice?», fragte er. Er war jetzt so nah, dass sie seinen heißen Atem auf ihrer Wange spüren konnte. Sie trat einen Schritt zurück und dann näher an den See heran. Sie betete, dass er sich bald langweilen und zum Haus zurückkehren würde, wenn sie den Blick einfach weiter auf die Landschaft konzentrierte, die sie malte.
Geh weg. Entferne dich bitte!
«Ich war nie ein Freund von Landschaftsbildern. Ich habe es immer für sinnlose Zeitverschwendung gehalten. Warum sollten Sie sich die Mühe machen, eine rustikale Szene von Enten zu malen, die auf dem Wasser schwimmen, wenn Sie doch die gesegneten Vögel viel erfolgreicher schießen und sie zum Abendessen auf den Tisch bringen könnten?», sagte er und fügte sein übliches selbstzufriedenes Lachen hinzu.
«Ja, es ist eher eine Nachmittagsbeschäftigung für eine Dame. Ich habe eine Reihe meiner Stücke in verschiedenen Räumen hier und in London hängen. Papa sagt, ich habe ein gutes Auge für eine Landschaftskomposition», antwortete sie.
Er schnaubte. «Mein Bruder Avery hatte in jungen Jahren das Talent zum Zeichnen. Nicht, dass es ihm gutgetan hätte.»
Sie nickte, erfreut über den Themenwechsel. «Papa hat erwähnt, dass Sie einen jüngeren Bruder haben. Werden wir ihm irgendwann begegnen?»
Thaxter brummte. «Sehr unwahrscheinlich. Ich habe ihn oder den Rest meiner Familie seit Jahren nicht mehr gesehen. Er trat der Armee bei, sobald ihm klar wurde, dass es nie genug Geld geben würde, um ihn auf eine angesehene Schule zu schicken. Ich habe gehört, dass er in Waterloo verletzt wurde. Aber genug von meinem eigensinnigen Bruder. Was ist mit Ihnen, Lady Clarice?»
Er folgte ihr bis zum Rand des Wassers.
Als er eine Hand ausstreckte, um ihr mit dem Handrücken über die Wange zu streichen, schauderte Clarice. Sie eilte von ihm zurück zu ihrer Staffelei und versuchte verzweifelt, sich davon zu überzeugen, dass er sie nicht wirklich berührt hatte.
«Sei nicht schüchtern, Clarice. Ich weiß, dass du meine Aufmerksamkeit auf der Gartenparty genossen hast. Warum sollten wir so tun, als ob das anders wäre? Und jetzt, da wir hier zusammen in Norfolk sind, sollten wir die Gelegenheit nutzen, um unsere Bindung zu stärken», murmelte er.
Die Gartenparty schien ein Leben lang her zu sein. Der Nachmittag mit Thaxter war zum Wohle ihres Vaters gewesen. Indem den anderen Mitgliedern des Ton gezeigt wurde, dass die Familie Langham ihn als einen ihrer eigenen akzeptierte, erleichterten sie Thaxters Eintritt in die Londoner Gesellschaft. Er war während des ganzen Picknicks überraschend angenehm und außerordentlich zuvorkommend gewesen, und jetzt wusste sie warum. Die versammelten Mitglieder der Elite der Gesellschaft hatten sie zusammen gesehen, festgestellt, wie gut sie zusammenpassten, und die offensichtliche Schlussfolgerung gezogen. Thaxter hatte die ganze Szene sorgfältig arrangiert, und Clarice war schlicht und einfach vorgeführt worden.
Das ergab durchaus Sinn. Der schneidige, gutaussehende Erbe des Langham-Titels nimmt die Tochter des Hauses zur Frau. Er hatte jemanden, der ihm zeigt, wie man sich auf dem gesellschaftlichen Parkett bewegte, und sie setzte den Familienstammbaum fort. Wenn sie nicht wüsste, dass Thaxter Fox ein manipulativer Schurke war, wäre es das perfekte aristokratische Märchen.
Sie drückte den Rücken durch. Ihre Entscheidung war gefallen. Sie würde David Radley heiraten, und Mr. Fox würde es akzeptieren müssen.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er seinen Mantel auszog und seine Weste aufknöpfte. Die zerbrechliche Hoffnung, dass er einfach vorhatte, am späten Nachmittag ein Bad im See zu nehmen, zerschlug sich ebenso schnell, wie sie ihr gekommen war. Er kehrte zu ihr zurück.
Ihr Atem stockte in der Kehle, und die Zeit verlangsamte sich.
Sie hörte die Enten auf dem See und das Säuseln des Windes im langen Gras. Langsam glitt ihr Blick zum Horizont, als eine eisige Angst ihr Herz ergriff. Ihr sorgfältig ausgewähltes Versteck war weit vom Haus entfernt. Weit genug, dass wahrscheinlich niemand ihre Hilferufe hören würde.
Sie war allein mit ihm.
Sie wusste genug über das Leben, um zu wissen, dass sich kein unverheiratetes Mädchen jemals erlauben konnte, mit einem Mann wie ihm allein zu sein. Während Davids Brief viel von der Leidenschaft enthüllt hatte, die ein Mann für die Frau empfinden könnte, die er liebte, sagte der Ausdruck heftiger Lust in Thaxters Augen, dass er keine Pläne für ein zärtliches Werben hatte. Ihre Situation wurde von Sekunde zu Sekunde gefährlicher.
Er streckte die Hand aus und legte sie auf ihre Schulter. Sie erstarrte. Er neigte seinen Kopf und legte einen Kuss auf ihren Nacken.
«Wagen Sie es nicht, mich zu berühren!», rief sie und schob ihn weg.
Er taumelte lachend zurück. Verspottete sie. «Meine liebe, liebe Clarice, sehr bald werde ich jeden Zentimeter deiner Haut berühren. Ich werde mit meiner Zunge über deine nackten Brüste fahren, während ich deine Beine weit spreize und dich wie eine junge Stute reite.»
Sie schüttelte den Kopf.
«Nein.»
«Ich sehe, du musst dir die Tatsachen des Lebens erklären lassen, mein Mädchen. Sobald wir beide verheiratet sind, habe ich vor, dich so oft auf dem Rücken zu haben, wie ich möchte. Mein Erbe sollte lange vor Weihnachten in deinem Bauch wachsen. Deshalb denke ich, ich sollte dich hier und jetzt nehmen. Den Handel besiegeln, wie man so schön sagt.»
«Das denke ich nicht. Ich werde Sie niemals heiraten, Mr. Fox, denn wir passen nicht zueinander. Außerdem liebe ich einen anderen», antwortete sie, während ihre Stimme vor Angst schwankte.
Er trat einen Schritt näher. «Es ist mir scheißegal, was du willst, LADY Clarice. Sobald ich dich genommen habe, wird dein knausriger Papa keine andere Wahl mehr haben, als dich und deine schöne Mitgift mir zu geben. Ich kann es kaum erwarten, seinen Gesichtsausdruck zu sehen. Wenn du dann meine Frau bist, wirst du dich meinem Befehl unterwerfen. Als dein Ehemann liegt es in meinem Recht, dich zu disziplinieren. Widersetze dich mir, und deine blasse, jungfräuliche Haut wird den Kuss meiner Reitpeitsche spüren. Glaub nur nicht, du seiest das erste Stutenfohlen, das ich einreite.»
Seine Hand griff nach dem Oberteil ihres Kleides und packte es fest. Sie versuchte, ihm zu entkommen, aber er zog sie ruckartig zurück und schlug ihr hart ins Gesicht. Die Farbpalette flog ihr aus der Hand.
Schockiert und benommen über diesen unprovozierten Gewaltausbruch, überlegte Clarice fieberhaft nach einem Ausweg. Noch ein paar Schläge ins Gesicht, und ihre Kraft würde sicherlich nachlassen. Ob sie bei Bewusstsein war oder nicht, wenn er sie nahm, würde wenig ausmachen. Das Ergebnis würde gleichbleiben.
Sie fühlte den Pinsel in ihrer rechten Hand und wusste, dass sie das Risiko eingehen musste. Als Thaxter sie zu sich zog und seine dünnen, harten Lippen sich öffneten, um sie zu küssen, griff Clarice an.
«Du verdammte Schlampe!», schrie er, als das scharfe Ende des hölzernen Pinsels in das weiche Fleisch seines Oberarms eindrang. Er schlug mit seinem unverletzten Arm zu und nahm eine Handvoll von Clarices Kleid, riss ein großes Loch in die Vorderseite und enthüllte ihre nackten Brüste.
Der Anblick des schwarzen Onyx an der feinen Goldkette, mit den Strathmore-Sternen auf der Fassung, verärgerte ihn nur noch mehr. Er griff wild nach der Kette, aber seine Finger fanden nur nackte Brust. Er sprang vor und drückte das empfindliche Gewebe hart und grausam.
Clarice schrie vor Schmerz auf und schlug seinen Arm weg, dann schlug sie ihre Faust fest gegen seinen blutenden Arm.
«Glaubst du, dieser Bankert eines Herzogs wird dich noch haben wollen, wenn ich mit dir fertig bin? Glaubst du, er wird dich wollen, wenn du eine ruinierte Hure bist?», brüllte er.
Sein heiler Arm schwang noch einmal, aber Clarice sah ihn kommen und wich aus. Als sie sich aufrichtete, sah sie die klare Unvermeidlichkeit der Situation. Jetzt oder nie, jetzt galt es. Selbst mit einem verletzten Arm war Thaxter zu stark für sie. Entweder wehrte sie sich, solange sie noch auf den Beinen war, oder akzeptierte, dass er sie zu Boden zwingen und ihr Leben ruinieren würde. Wenn sie unterging, würde sie es jedoch nicht ohne Gegenwehr tun. Seine Narben würden Zeugnis sein für seine Brutalität, sie würde dafür sorgen.
Sie drehte sich auf ihrem rechten Fuß herum und ergriff das Bein der Staffelei, sodass Leinwand und Pinsel zu Boden klapperten. Mit Schwung warf sie die Staffelei auf ihn. Er duckte sich, war aber nicht schnell genug. Mit einem widerlichen Geräusch krachte die obere Kante der Staffelei gegen seine Schläfe, direkt neben dem Auge.
Er schrie vor Schmerz auf und fiel auf die Knie, während er sich das Gesicht hielt.
Clarice warf die Staffelei zu Boden und rannte um ihr Leben. Sie kletterte den kleinen Anstieg zu den Gärten hinauf und rannte so schnell sie konnte, ohne es zu wagen, sich umzudrehen und zu sehen, ob er gefolgt war.
Sie drückte ihr zerrissenes Kleid an die Brust, erreichte das Haupthaus und schlüpfte durch einen Seiteneingang hinein. Sie schloss die Tür hinter sich ab und wusste, dass es vergebens wäre, wenn er ihr folgte und ihre Hand verlangte.
Als sie sich zur Treppe drehte und Tränen über ihr Gesicht liefen, begegnete sie Lady Alice. Ihre Großmutter schaute auf das zerrissene Kleid, und ein seltsames Flackern ging sofort über ihr Gesicht. Da sie wusste, dass niemand auf dem Landgut oder im Dorf es wagen würde, Hand an Lord Langhams Tochter zu legen, war die Antwort darauf, wer Clarice angegriffen hatte, offensichtlich.
«Wo ist er jetzt?», verlangte sie zu wissen.
Clarice schüttelte den Kopf. «Ich weiß es nicht. Ich wehrte mich am See und rannte dann hierher. Er hat vor, mich zu kompromittieren, damit Papa unserer Ehe zustimmen muss.»
Mit Clarices Mitgift könnte Thaxter wieder Geld ausgeben wie ein Verrückter. Lady Alice ging zu einem nahe gelegenen Fenster und schaute die Einfahrt hinunter. Sie war leer.
«Bist du kompromittiert?», fragte sie ruhig.
«Nein. Oh Großmutter, ich hatte solche Angst!», weinte Clarice. Sie trat einen Schritt auf die Witwe zu, bevor ihre Großmutter sie aufhielt.
«Geh sofort nach oben, zieh dich um und warte auf mich. Stell sicher, dass niemand dich sieht, nicht einmal deine Zofe», befahl sie.
Keine Umarmung, keine tröstenden Worte, nur ein direkter Befehl. Clarice starrte sie ungläubig an.
Lady Alice ergriff ihren Arm und lenkte sie zur Treppe. Sie gab ihrer Enkelin einen sanften Stoß in den Rücken, und Clarice stieg die Treppe hinauf.
«Jetzt geh schon! Ich kann nichts tun, wenn du hier bist, wenn er wieder ins Haus kommt. Schließ deine Schlafzimmertür ab und öffne nur mir. Ich weiß nicht, ob er einen der Diener bestochen hat», sagte Lady Alice.
Clarice hörte Angst in der Stimme der alten Frau.
Sie schaffte es, die Treppe hinaufzusteigen und das zu tun, was ihre Großmutter verlangt hatte. Ein leises Klopfen an der Tür eine halbe Stunde später signalisierte die Ankunft von Lady Alice. Hinter ihr trug eine Magd eine Schüssel mit warmem Wasser und sauberen Handtüchern. Sie entließ das Mädchen, sobald sie die Schüssel auf einen Tisch gestellt hatte. Sie folgte dem Dienstmädchen zur Tür, schloss ab und drehte den Schlüssel.
«Gut, so können wir nicht gestört werden. So sehr ich unseren Hausangestellten vertraue, müssen wir bedenken, dass, wenn deinem Vater etwas passiert, und da sei der liebe Gott vor, dass dann Mr. Fox der neue Hausherr sein wird. In Anbetracht der Art und Weise, wie er sie seit seiner Ankunft behandelt hat, gehe ich davon aus, dass sie wissen, wie die Jahre unter seiner Regierungszeit aussehen werden.»
Sie kam zu Clarice und umarmte sie von Herzen.
«Es tut mir leid, dass ich das unten nicht tun konnte, aber wir müssen die Ereignisse dieses Nachmittags geheim halten. Wir dürfen niemand in unsere Karten schauen lassen. Wenn jemand weiß, dass du mit ihm allein warst, wird eine Verlobung erwartet. Wenn er den Verdacht hat, dass ich etwas weiß, wird er die ganze Sache zu beschleunigen suchen.»
Clarice wischte sich eine Träne weg und nickte. Die Gefahr, mit Thaxter Fox verheiratet zu werden, war immer noch groß.
«Hast du ihn gesehen?»
Lady Alice nickte. «Ja. Anscheinend hatte Mr. Fox heute Nachmittag einen Unfall, als er draußen unterwegs war, er stürzte und verletzte sich am Kopf. Die Köchin ist gerade dabei, seine Wange zu flicken, und du hättest die Worte hören sollen, die er verwendet hat, als sie die Nadel ansetzte. Böser Mann.»
Sie ging zu der Wasserschale und tauchte ein trockenes Tuch hinein.
«Nun, lass mich dich ansehen. Diese Kratzer sind ziemlich hässlich.»
Clarice legte das warme Wolltuch ab, das sie über ihr zerrissenes Kleid gezogen hatte, und setzte sich an den Tisch.
«Du solltest auch deine Halskette entfernen», sagte Lady Alice und zeigte auf Davids Geschenk. Clarice schüttelte den Kopf.
«Nein. Ich habe meine Wahl getroffen. Die Kette bleibt», antwortete sie.
Ihre Großmutter lächelte und gab Clarice einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. «Gut, das sollte es dir leichter machen, an meinem Plan festzuhalten. Denk daran, eine falsche Bewegung oder ein dummer Kommentar kann deine Träume, David zu heiraten, in Asche verwandeln.»
Clarice nickte noch einmal. Sie lernte schnell, dem Überlebensinstinkt ihrer Großmutter zu vertrauen.
Die Gräfin-Witwe Langham war eine Frau mit einfachem Geschmack, aber es gab eine Sache, bei der sie noch nie geknausert hatte: Die Qualität des Essens, das auf ihren Tisch kam. Später am Abend, als Thaxter sich den beiden Frauen zum Abendessen anschloss, machte er einige Bemerkungen zur Exzellenz des Lammbratens.
«Natürlich trotzdem nicht so gut wie das Essen, das ich normalerweise genieße, wenn ich in London bin, aber man muss Zugeständnisse machen, wenn man sich auf dem Land aufhält», bemerkte er, hackte ein weiteres großes Stück Fleisch vom Braten und stopfte es in seinem Mund.
Clarice ignorierte die Tatsache, dass Thaxter direkt von der Servierplatte aß, hob ihr Weinglas und nahm einen Schluck. Sie dachte darüber nach, dass Thaxter sich zwar als Gentleman aufspielte, sich aber nicht zu weit von seinen eigenen ländlichen Wurzeln entfernt hatte.
«Ich hoffe, Sie haben den Gutsverwalter für den Zustand des Anwesens bereits gerügt, Lady Alice», sagte Thaxter.
«Ich werde sicherstellen, dass die Arbeiter die Steinmauer in der Nähe des Sees gründlich inspizieren, Mr. Fox», sagte Lady Alice. Ihr Blick fiel für den kürzesten Moment auf die große Schwellung, die sich auf seiner Wange gebildet hatte. Eine zwei Zoll lange Reihe von krummen Stichen begann an seinem Augenwinkel und lief von dort nach unten. Das schwache Kerzenlicht konnte die schwarzen Blutergüsse unter seinen Augen nicht verbergen.
Er nickte zögerlich.
«Ja, bitte tun Sie das. Der liebe Gott allein weiß, was mir widerfahren wäre, wenn ich nicht so gut zu Fuß wäre», antwortete er. Das halb gekaute Stück Fleisch war immer noch in seinem Mund, aber er schien das Interesse an seinen eigenen Tischmanieren verloren zu haben, solange er sich nur in Gesellschaft von Clarice und Lady Alice befand.
Clarice studierte das Stück Brathähnchen auf ihrem Teller und ging im Stillen noch einmal durch, was sie sagen wollte.
«So ein schrecklicher Unfall, der Sie da ereilt hat, Mr. Fox. Ein sehr unglückliches Ereignis», sagte sie unschuldig.
Er drehte sich um und fixierte sie mit einem Blick, der die Sonne einfrieren konnte. Dann änderte sich augenblicklich sein Verhalten.
«Vielen Dank für Ihre Sorge, Lady Clarice. Es ist wirklich berührend zu sehe, wie besorgt Sie um mein Wohlergehen sind», antwortete er.
Sie schnitt ein kleines Stück Fleisch aus der Hühnerbrust, entschied dann aber, es nicht zu essen.
Eine plötzliche Erinnerung an den Abend, als David sie vor dem Ersticken bewahrt hatte, kam ihr in den Sinn, und sie legte ihre Gabel hin. Unter dem Tisch wischte sie sich die verschwitzten Handflächen an ihrer Serviette ab. Sie wandte sich ihm zu und lächelte.
«Natürlich, Sie sind der Erbe meines Vaters, und es wäre furchtbar nachlässig von mir, nicht besorgt zu sein, als ich von Ihrem Unglück hörte.»
«Ja, und die Köchin hat Ihre Wunde wunderbar genäht», fügte Lady Alice hinzu.
Clarice warf einen Blick auf die Naht, die aussah, als hätte ein Feldscher auf dem Schlachtfeld sie produziert. Sie wollte gar nicht daran denken, welchen Schimpftiraden die arme Frau ausgesetzt gewesen sein mochte, während Thaxter sich unter ihrer Hand wand und fluchte. Seltsam, mit welche unregelmäßigen, ja chaotischen Stichen die Köchin das Gesicht ausgestattet hatte. Sie war eine Frau, die normalerweise sehr stolz darauf war, mit wie viel Geschick sie die Wunden versorgte, die hin und wieder bei der Arbeit auf dem Anwesen passierten. Sogar Clarices Vater hatte es vorgezogen, dass ihre geschickten Hände seine Reitverletzungen nähten, anstatt den Arzt aus dem Dorf zu holen.
Sie nahm sich vor, der Köchin zu Weihnachten ein oder zwei zusätzliche Münzen zuzustecken. Falls einer der Mitarbeiter vermutete, dass mehr hinter der Geschichte steckte, die Thaxter Fox verbreitete, so schwiegen sie.
Thaxter stopfte sich ein weiteres großes Stück Fleisch in den Mund und kaute darauf herum. Die ganze Zeit starrte er Clarice weiter an. Sie begegnete seinem Blick und blinzelte langsam, wobei sie alle Spuren von Emotionen verbarg. Wenn er geglaubt hatte, sie mit seinem verletzten Stolz zu beschämen, könnte er nicht falscher liegen. Anstatt sie zu schwächen, hatte die hässliche Auseinandersetzung am See ihre Entschlossenheit weiter gestärkt.
Lady Alice räusperte sich, und Clarice riss ihren Blick weg. Im Stillen wies sie sich selbst zurecht. Ihr Blick hatte zu lange gedauert.
Der Anschein eines angenehmen Abendessens muss um jeden Preis gewahrt bleiben. Wecke den Drachen nicht, Clarice, es steht zu viel auf dem Spiel.
Sie beugte sich vor und streckte sich, um eine Platte mit gerösteten Karotten aufzunehmen, die sie nicht ganz erreichen konnte. Die Kette unter ihrem Kleid bewegte sich zwischen ihren Brüsten. Sie hielt inne und lehnte sich in ihrem Sitz zurück, dankbar für die Erinnerung an David und alles, was sie derzeit riskierte.
Thaxter erhob sich von seinem Sitz und kam zu Clarice. Als er sich über den Tisch beugte, hielt sie den Atem an.
Er nahm die Platte auf, um mit dem Servierlöffel einen großen Haufen Karotten auf ihren Teller zu schaufeln.
«Lady Clarice.»
Sie schenkte ihm ein höfliches Lächeln. Er kippte zwei weitere Servierlöffel voll auf ihrem Teller ab.
«Man muss seine Kraft bewahren», sagte er.
«Ja, danke», antwortete sie.
Seine stille Drohung deutlich gemacht, kehrte Thaxter zu seinem Platz zurück.
Clarice sah auf die lächerliche Anzahl von Karotten auf ihrem Teller hinunter. Wenn der Einsatz nicht so hoch gewesen wäre, der Preis für das Scheitern so absolut, hätte sie gelacht.
«Hast du mit deinen Handarbeiten Fortschritte gemacht, Großmutter?», fragte sie und sah zu Lady Alice auf. Zuvor hatten sich die beiden Frauen in ihrem Schlafzimmer auf eine kurze Liste sicherer Themen geeinigt, die am kommenden gefährlichen Abend diskutiert werden sollten.
Lady Alice nickte und hielt dann eine lange und wunderbar langweilige Dissertation über die Notwendigkeit, dass eine Dame von Clarices Rang besser mit einer Nadel umgehen können sollte.
Clarice wiederum bat um Anleitung bei ihrer eigenen Arbeit. Sie akzeptierte, dass der Laden, in dem sie normalerweise ihre Garne kaufte, völlig ungeeignet war, und Lady Alice gab eine detaillierte Beschreibung der Qualität des Garns, das sie selbst beim Nähen verwendete.
Thaxter saß schweigend da und aß und trank und schnaubte nur gelegentlich, während Lady Alice fortfuhr. Das Essen dauerte und dauerte und alle drei Schauspieler im häuslichen Theater hielten sich an ihre eigenen Drehbücher.
Schließlich rief Lady Alice einen Diener herbei, und die Essensplatten wurden vom Tisch geräumt. Die Protagonisten des Abends zogen sich in ein nahe gelegenes Wohnzimmer zurück, und während Thaxter sich mehrere Gläser Portwein gönnte, hielten Clarice und ihre Großmutter sich weiterhin an den Wein, der zum Dinner serviert worden war.
Wie vorher abgesprochen, ging Clarice in ihr Zimmer, um ein altes Stück ihrer Stickerei zur Inspektion durch ihre Großmutter zu holen. Die Witwe untersuchte langsam und methodisch die Nähte. Clarice saß neben ihr und gratulierte sich schweigend, dass sie das lange vernachlässigte Stück Handarbeit nicht weggeworfen hatte.
«An dieser Stelle musst du über den anderen Stich zurückkreuzen», sagte sie zu Clarice.
«Ja, Lady Alice», antwortete sie.
Im nahen olivgrünen Sessel gähnte Thaxter. Einige Minuten später gähnte er erneut.
Lady Alice legte die Handarbeiten nieder und nahm stattdessen ihre Sonntagsbibel von einem niedrigen Tisch. Sie öffnete das Buch, ergriff Clarices Hand und begann eine lange Passage aus dem Alten Testament zu rezitieren.
Clarice hatte die Geschichten der alten Bibel immer ziemlich interessant gefunden, aber jetzt ließen die langsam und bedächtig vorgetragenen Worte ihrer Großmutter sie bald blinzeln, um wach zu bleiben.
«Amen», sagte Lady Alice, als sie die Passage beendete und das Buch weglegte.
Sie ließ Clarices Hand los und erhob sich vom Stuhl. Sie durchquerte den Raum dorthin, wo Thaxter in seinem Sessel jetzt eingeschlafen war, und betrachtete ihn unverhohlen.
«Gut geschnittene Kleidung, ausgezeichnete Stiefel. Kein schlecht aussehender Kerl, aber dein Großvater hat immer gesagt, das sei nicht das Maß eines guten Mannes. Es geht darum, ein Buch niemals nach seinem Einband zu beurteilen», bemerkte sie kopfschüttelnd. Sie nahm eine kleine Glocke vom Kaminsims und klingelte. Thaxter Fox rührte sich keinen Zentimeter.
«Gut.»
Die Tür öffnete sich, und drei Lakaien kamen in den Raum. Um ihn nicht zu wecken, zogen sie Thaxter sanft vom Stuhl und trugen ihn weg. Als sich die Tür hinter ihnen schloss, stand Clarice auf und trat an die Seite ihrer Großmutter.
«Bist du sicher, dass das Schlafmittel ihn bis zum Morgen bewusstlos hält?», fragte sie.
Lady Alice kicherte. ‚Wenn man bedenkt, was in dem Mittelchen drin ist und wie viel davon ich in diese Flasche Portwein geschüttet habe, wird er Glück haben, wenn er vor dem nächsten Mittwoch aufwacht. Hab keine Angst, mein Mädchen. Wenn Mr. Fox zur Besinnung kommt, werden wir beide längst über alle Berge sein.»
«Was nun?», antwortete Clarice.
Ihre Großmutter ergriff ihre Hand. «Jetzt packen wir für eine Reise ins Unbekannte.»
Clarice blickte finster, und Lady Alice lächelte.
«Nun, Bedfordshire eigentlich, aber es wird keine einfache Reise, und wir müssen jeden Tag so viele Meilen wie möglich hinter uns bringen. Ich weiß, dass deine Reisekrankheit eine Belastung sein wird, aber du wirst dich eben zusammennehmen müssen.
Dein Vater wird zweifellos früh genug feststellen, dass wir nicht mehr in Norfolk sind, und er wird von London aus aufbrechen. Ich habe gestern eine dringende Nachricht an die Herzogin von Strathmore geschickt, die rechtzeitig in London eintreffen sollte. Sobald Mr. Radley den Brief erhält, wird er ohne Zweifel hierherkommen. Leider wird er feststellen, dass wir bereits nach Sharnbrook aufgebrochen sind. Wo wir ihn natürlich erwarten werden.»
Clarice berührte instinktiv das Oberteil ihres Kleides und spürte die harte Form des Anhängers unter dem Stoff.
«Ich hoffe, es wird nicht zu lange dauern, bis ihm klar wird, dass es ein dummer Plan ist, Papas Zustimmung einholen zu wollen, bevor wir heiraten», antwortete sie.
Lady Alice drückte Clarices Hand. «Ehre ist niemals dumm, meine Liebe, aber manchmal muss uns gezeigt werden, dass es mehr als einen Weg gibt, ehrenwert zu sein. Jetzt ab mit dir, und stelle sicher, dass deine Sachen bereit sind, damit wir diesen Ort beim ersten Licht des Tages hinter uns lassen können.»
Clarice nickte und drehte sich um, um zu gehen.
Sie blieb stehen und wandte sich wieder ihrer Großmutter zu. «Vielen Dank. Und wenn dies alles mit einer Flucht bei Mondschein nach Gretna Green endet und ich nicht mehr in der höflichen Gesellschaft erwünscht bin, werde ich dir jeden Tag ein Dankgebet senden.»
Die Witwe kicherte leise.
«Meine Liebe, wenn es dazu kommt, könnte sich dein Mr. Radley gezwungen sehen, die eine oder andere Besenkammer für mich ausbauen zu müssen.»
«Ich habe den Schlüssel», sagte Lady Alice, als Clarice noch einmal die Tür von Thaxters Zimmer überprüfte. Obwohl sie selbst dabeigewesen war, als er sicher in seinem Schlafzimmer eingesperrt wurde, hatte sie zweimal den Weg bis ans Ende des Korridors gemacht und die Klinke versucht herunterzudrücken.
«Komm weg, Mädchen. Wir beide haben Dinge zu besprechen.»
Sie folgte ihrer Großmutter in den Salon im Obergeschoss mit Blick auf das Gelände vor dem Haus. In der letzten Stunde war ein starker Wind aufgekommen, und die obersten Äste der riesigen Eichen auf beiden Seiten der Straße, die zum Haus führte, wurden herumgepeitscht.
«Der Sommer vergeht schnell», sagte sie, stand auf und sah aus den Fenstern.
«Ja, ich hoffe, du hast deine Zofe angewiesen, dir warme Sachen einzupacken. Etwas sagt mir, dass du dort, wohin wir fahren, keine Ballkleider benötigen wirst», antwortete Lady Alice.
Ein Blitz erhellte den Raum, gefolgt von einem lauten Donnerschlag. Ein Spätsommersturm würde bald auf sie niedergehen.
Und dann fing es an zu regnen.
Ein bösartiger Wind ließ einen wahren Höllenguss auf die Erde niederschlagen. Die dunklen, bedrohlichen Wolken, die am späten Nachmittag von der Nordsee her herangerollt waren, hingen jetzt über dem Tal und ließen ihre Sintflut los.
«Zumindest müssen wir nicht heute Nacht zur Flucht aufbrechen», murmelte Clarice. Sie zitterte bei dem Gedanken, in einer so üblen Nacht auf der dunklen Straße unterwegs zu sein. Als der Wind drehte, prasselte der Regen gegen das Fenster und ließ die Scheiben in ihren Rahmen erbeben.
«Komm und trink heiße Schokolade, Clarice. Die Köchin hat heute Nachmittag ein paar von den Haferkeksen gebacken, die du so gern magst», sagte Lady Alice von der kleinen Couch in der Nähe des warmen Feuers.
Clarice schloss die Augen und ließ ihren Kopf nach vorne sinken. Als ihre Stirn das kühle Glas küsste, fragte sie sich, wie lange es dauern würde, bis sie das nächste Mal in diesem Raum stand. Wenn ihr Vater entdeckte, dass sie in die Arme von David Radley geflohen war, würde er ihr jemals erlauben, nach Langham Hall zurückzukehren?
Sie seufzte. All diese Gedanken waren für die Zukunft. Mit ihren Reisekoffern gepackt und bereit für eine Abreise vor Tagesanbruch, hatte sie alle ihre Ängste beiseite geworfen und war entschlossen, selbst über ihre eigene Zukunft zu entscheiden. Sie biss sich auf die Lippe, als der Nervenkitzel des Unbekannten winkte.
Sie nahm eine Kante des Vorhangs in die Hand und zog ihn zu. Dann trat sie auf die andere Seite des Fensters und nahm den gegenüberliegenden Vorhang in die Hand. Ehe das Fenster vollständig verdunkelt war, hielt sie noch einmal inne und starrte ein letztes Mal hinaus.
Am anderen Ende der Auffahrt erschien ein kleines Licht.
Zuerst war es nur ein Flackern, so klein, dass sie sich nicht sicher war, ob es wirklich da war. Sie drückte ihr Gesicht gegen das Glas und kniff die Augen zusammen, um sich auf das Licht zu konzentrieren. War es nur ein Spiegelbild des Mondes, der hinter den Wolken hervorschaute?
Als sie aufblickte, sah sie, dass der Mond vollständig von dicken Regenwolken verdeckt war.
Sie schaute zurück auf die Straße und hoffte, noch einmal einen Blick auf das Licht zu erhaschen.
Dann sah sie es. Das Licht bewegte sich.
«Großmutter, da ist jemand auf dem Zufahrtsweg!», rief sie.
Wer auf Gottes guter Erde wäre bei diesem Wetter auf den Straßen unterwegs? Wer gefährdete sich selbst, um zu einer solchen Stunde Langham Hall einen Besuch abzustatten?
Lady Alice eilte zu Clarice und spähte in die Dunkelheit hinaus. Clarice sah, wie sich ihre Lippen bewegten, und fing ein geflüstertes «Himmel rette uns» auf. Nur der Träger bedeutsamer, lebensverändernder Nachrichten wäre gezwungen, eine solche Reise zu riskieren.
Heiße Tränen traten Clarice in die Augen, als ein Schauer der Vorahnung sie ergriff.
Nicht Papa. Bitte, lass es keine Nachricht von ihm sein.
Ihre Großmutter nickte und straffte ihren Rücken. Sie wandte sich an Clarice.
«Wir sind Langham-Frauen, Clarice, und wir werden alle Nachrichten, die der Reiter mit sich bringt, mit Würde und Anmut behandeln. Komm, lass uns nicht hier warten, um unser Schicksal zu entdecken. Wir sollten nach unten gehen und unsere Zukunft begrüßen.»
Sie streckte die Hand aus, um Clarices Finger in ihre zu nehmen, aber Clarice entzog sich ihr und kniff die Augen zusammen. Die Aussicht, ihren Vater nur wenige Jahre nach ihrer Mutter zu verlieren, war unerträglich. Trotz aller Fehler ihres Vaters war er ihre Familie, und sie liebte ihn immer noch.
Lady Alice legte einen Arm beruhigend um sie und zog sie an sich. «Es kann einfach ein Reisender sein, den der Sturm auf der Straße überrascht hat und der hier Zuflucht sucht.»
Clarice wischte sich die Tränen aus den Augen und nickte. Langham Hall war Meilen von der nächsten Straße entfernt.
Als sie ihre Tränen getrocknet hatte, erreichte der Reiter das Haus. Der Gedanke, gegen Lady Alices Anweisungen lautstark zu protestieren, wurde nur dadurch im Zaum gehalten, dass sie beide sich in Zukunft daran messen lassen mussten, wie sie sich im Angesicht erschütternder Nachrichten verhalten hatten. Der Bote würde seinen Herren zweifellos einen vollständigen Bericht erstatten.
Arm in Arm stiegen die beiden Langham-Frauen die große Treppe hinunter.
Mit Würde und Anmut.
Sie schuldete es ihrer Mutter, die hysterische Szene ihres Todes nicht zu wiederholen. Der Druck von Lady Alices Griff um ihren Arm festigte sich mit jedem Schritt.
Kontrolle. Ich muss die Kontrolle behalten.
Am Ende der Treppe schaute sie nach links und sah, dass der Verwalter ihres Vaters einen Arm voll nasser Handtücher hielt. Ihm gegenüber stand eine Gestalt in einem weiten Mantel und rieb sich ein weiteres Handtuch durch die Haare. Sein dichtes schwarzes Haar.
Ihr Herz setzte einen Schlag aus.
Der Reiter öffnete die Verschlüsse seines regennassen Umhangs und reichte ihn einem in der Nähe stehenden Diener. Der Gutsverwalter deutete auf die Treppe, und als er sich umdrehte, murmelte der Reiter: «Danke.»
Im Handumdrehen löste sich Clarice aus dem Griff ihrer Großmutter, raffte ihre Röcke und rannte die Treppe hinunter.
«David!», schrie sie und warf sich in seine Arme.
Zum Teufel mit Würde und Anmut.