D as Edelrestaurant in der alten Wasserburg nutzte Alexander Laak vor allem für die Treffen mit seinen Parteifreunden. Heute jedoch gab es für den Ministerpräsidenten ein familiäres Problem zu klären. Ungeduldig sah er seinen Sohn Jeremias an, der seit einer geschlagenen Viertelstunde die aus nur zwei Seiten bestehende Speisekarte studierte und dabei mittlerweile den dritten Prosecco Smash inhalierte.
»Also«, fragte Laak durch die zusammengepressten Zähne. »Was nimmst du?«
Jeremias seufzte gelangweilt.
»Dasselbe wie du.« Er trank den Rest seines Glases in einem Zug aus. »Und noch einen hiervon.«
Die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn war gut zu erkennen. Jeremias war etwas größer und schlanker und hatte fülligere Haare, jedoch dasselbe Kinn und den gleichen etwas dümmlichen Gesichtsausdruck. Während sein Vater jedoch wie üblich einen dunklen Anzug mit dezenter Krawatte trug, bevorzugte Jeremias einen auffälligeren Kleidungsstil. Handgefertigte Schuhe aus Pferdeleder, helle Chinos, maßgeschneidertes Hemd und eine hellbraune Lederjacke eines namhaften Designers. An seinem linken Handgelenk glitzerte eine goldene Rolex im Wert eines gehobenen Mittelklassewagens.
Der aufmerksame Oberkellner trat an ihren Tisch.
»Die Herren haben gewählt?«
Laak bestellte für sich und seinen Sohn. Der Kellner nahm die Speisekarten und verneigte sich höflich.
»Sehr gern, Herr Ministerpräsident!«
Als er sich bereits einige Schritte entfernt hatte, schnippte Jeremias mit den Fingern.
»Ey, Moment!«
Die Gäste an den anderen Tischen drehten sich herum, und der Oberkellner kam mit schnellen Schritten zurück.
»Bitte?«
»Noch einen hiervon!«, sagte Jeremias, ohne den Kellner eines Blickes zu würdigen. Stattdessen hielt er ihm das leere Glas vor die Nase.
»Sehr gern«, erwiderte der Kellner höflich, nahm das Glas entgegen und entfernte sich wieder.
»Trink nicht so viel!«, ermahnte Laak seinen Sohn. »Und sprich etwas leiser.«
Jeremias zuckte gleichgültig mit den Schultern, zog sein neues Smartphone aus der Brusttasche und las seine neuesten Nachrichten.
»Pack das weg!«, befahl Laak seinem Sohn. »Ich habe mit dir zu reden!«
Jeremias blickte nicht von seinem Handy hoch.
»So? Worüber?«
»Über die WIP .«
Jeremias war immer noch in das Display des Smartphones vertieft.
»Was gibt es da zu reden?«
»Die sind pleite! Haben Insolvenz angemeldet. Einige Zeitungen sprechen schon von Betrug! Sogar die Staatsanwaltschaft ist an der Sache dran.«
»Und?«
»Was und ? Habe ich dir nicht gesagt, du sollst die Finger davon lassen?«
Jeremias blickte seinen Vater an.
»Das war eine schnell verdiente Provision. Ich habe doch nur den Gutachter für die Grundstücksbewertung vermittelt. Derselbe, der uns damals das Gutachten für die Deponie geschrieben hat.«
Auf der ehemaligen Deponie war eine Kindertagesstätte errichtet worden, nachdem ein Gutachten das Grundstück für unbedenklich erklärt hatte. In der Folgezeit erkrankten einige der Kinder an Leukämie.
»Ach ja?« Laak griff in die Innentasche seines Jacketts, holte ein Foto hervor und legte es auf den Tisch. »Und was ist das?«
»Ein Foto«, antwortete Jeremias gelangweilt.
»Ja. Mit dem Geschäftsführer von WIP , diesem verrückten Russen. Und mit dir im Hintergrund!« Laak tippte mit dem Zeigefinger auf das Foto.
»Und wenn schon!«, erwiderte Jeremias.
»Und wenn schon? In weniger als einem Jahr sind Wahlen! Mann, wenn das herauskommt! Dieser Russe hat vermutlich Anlegergelder von mehr als dreißig Millionen Euro veruntreut. Und du …« Laak unterbrach seine Predigt, als der Oberkellner den vierten Prosecco Smash für seinen Sohn an den Tisch brachte.
»Und du hast ihm dabei geholfen«, fuhr er mit unterdrückter Stimme fort, nachdem sich der Kellner wieder entfernt hatte.
»Na und?«, konterte Jeremias. »Hast du nicht mal gesagt, Gesetze interessieren dich nicht?«
»Gesetze interessieren mich einen Scheiß!«, zischte Laak. »Aber die Presse interessiert mich. Der Shitstorm, der mir die Wahl versaut, interessiert mich!«
Jeremias zog es vor zu schweigen und nahm einen großen Schluck aus dem hohen schmalen Glas. Laak steckte die Fotografie wieder ein und beruhigte sich ein wenig.
»Muss ich etwas unternehmen?«, fragte er seinen Sohn direkt.
Jeremias überlegte. »Es wäre vielleicht gut, wenn dein Freund Paul der Staatsanwaltschaft klarmacht, nicht ganz so eifrig zu ermitteln.«
Laak schnaubte. »Pff! Mein Freund Paul.«
»Warum nicht Paul Seemann? Er hat uns damals doch auch bei meinem Führerschein geholfen.«
Jeremias Laak war kein besonders guter Autofahrer. Sein regelmäßiger Alkoholgenuss machte es nicht besser. Vor einigen Jahren war er mit einer dreizehnjährigen Fahrradfahrerin kollidiert, die dabei eine üble Gehirnerschütterung davontrug. Jeremias hatte es mit der Angst bekommen und Fersengeld gegeben.
»Das war eine einfache Fahrerflucht. Hier geht es um über dreißig Millionen Euro! Da kann der Justizminister nicht so einfach Anweisungen erteilen, ohne dass es auffällt!«
Der Oberkellner servierte routiniert die Vorspeise. Entenrillette mit Meerrettichcreme und frischem Briochebrötchen, dazu Feldsalat mit karamellisierten Pistazien und Gran Padano.
»Vielleicht könnte ich …«, begann Jeremias, als sich der Kellner entfernt hatte.
»Du könntest gar nichts!«, unterbrach Laak seinen Sohn. »Halt die Füße still!« Er stopfte sich grobschlächtig ein Stück Brötchen in den Mund und kaute. »Ich regele das!«