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D ie Staatsanwaltschaft ist in einem hässlichen Zweckbau der späten Siebzigerjahre in der Nähe des Hauptbahnhofs untergebracht. Und wie bei fast allen Justizgebäuden ist der dazugehörige Parkplatz völlig unterdimensioniert, sodass die meisten Mitarbeiter ihre Fahrzeuge in den angrenzenden Wohngebieten abstellen müssen.

Es war bereits nach Mittag, als Uli Nussbaum von der Beerdigung zurückkehrte. Er versuchte daher gar nicht erst, einen Parkplatz vor dem Justizgebäude zu finden, sondern parkte bei einem nahe gelegenen Supermarkt. Wenige Minuten später betrat der Staatsanwalt das Bürogebäude durch den Haupteingang und grüßte die Wachtmeister, die den Zugangsbereich sicherten. Mit dem Fahrstuhl fuhr er hinauf in den dritten Stock, in dem auch sein kleines Büro untergebracht war. Gerade wollte er seine Zimmertür aufschließen, als er die Stimme seiner Kollegin Isar Bach, der Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft, hörte. Isar arbeitete wie so häufig bei geöffneter Bürotür und telefonierte offensichtlich momentan mit einem Reporter.

»… Nein, das kann ich Ihnen leider auch nicht sagen, die Ermittlungen haben gerade erst begonnen.«

Uli stellte sich in die geöffnete Bürotür und winkte Isar zu. Isar erblickte Uli, deutete mit dem Zeigefinger auf den Hörer in ihrer anderen Hand und verdrehte die Augen. Ihr Gesprächspartner ließ anscheinend nicht locker.

»Ja natürlich, sobald der Abteilungsleiter aus dem Urlaub zurückkehrt, gebe ich Bescheid … sehr gern … Ihnen auch … Wiederhören.« Sie legte den Hörer auf die Gabel und schnaufte. Isar war Ende zwanzig, hatte lange blonde Haare und ein entwaffnendes Lächeln. Eine Art Charlize Theron der Justiz.

»Hallo, Uli!«, sagte sie freundlich und fügte mit ernsterem Gesicht hinzu: »Beerdigung gut überstanden?«

»War ja nicht meine eigene«, erwiderte Uli. »Du hast Jochen nicht mehr kennengelernt, oder?«

Isar schüttelte den Kopf. »Als ich eingestellt wurde, war er schon pensioniert.«

Uli deutete auf das Bürotelefon. »Hast du Stress?«

»Ein bisschen«, lächelte Isar. »Die WIP -Geschichte.«

Uli überlegte. »Ach ja. Da stand vor einigen Tagen was in der Zeitung. Die Grundstücksgesellschaft, die Insolvenz angemeldet hat.«

Isar nickte. »Genau. Die Abteilung für Wirtschaftsstrafsachen ist an der Sache dran. Es scheint ein Betrug in zweistelliger Millionenhöhe zu sein. Möglicherweise steckt die russische Mafia dahinter. Seit gestern Abend läutet alle fünf Minuten das Telefon.« Kaum hatte sie den Satz beendet, ertönte das Klingelzeichen des Büroapparates. »Siehst du«, grinste die Pressesprecherin.

»Dann lass dich nicht stören! Bis später!« Uli wollte schon wieder gehen.

»Ach was! Du störst nicht! Ich freue mich über etwas Abwechslung«, erwiderte die junge Staatsanwältin. »Kann ich etwas für dich tun?«

Uli nutzte die Gelegenheit. »Ja, ich bin neugierig. Du hast heute Morgen erzählt, es habe eine Presseanfrage zu dem Fall Ayaz gegeben.«

Isar nickte. »Stimmt. Hat mich auch gewundert. Ich dachte, mit seinem Tod wäre das Verfahren für die Presse erledigt. Aber der Reporter hat sich ausdrücklich nach dem Verfahren gegen Ayaz erkundigt. Nicht nach dem Mordverfahren gegen Yildiz.«

»Das ist in der Tat seltsam«, stimmte Uli zu. »Kanntest du den Journalisten?«

»Nein. Irgendein freier Reporter. Per E-Mail. Ich habe noch nicht geantwortet. Ich hatte keine Zeit wegen …« Wieder klingelte das Bürotelefon. Isar fletschte übertrieben ihre weißen Zähne und zeigte auf den Apparat. »… wegen dem da!« Mit einem gehauchten »Sorry!« in Ulis Richtung nahm sie den Hörer ab. »Staatsanwaltschaft, Sie sprechen mit Isar Bach, was kann ich für Sie tun?«

Uli winkte Isar zu und verließ das Büro der Pressesprecherin. In seinem eigenen Zimmer angekommen, schloss er die Bürotür und griff zum Telefonhörer.