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R obin starrte auf ihre Wohnungstür, nachdem Buckmann sie ins Schloss gezogen hatte. Dann wanderten ihre Augen zu den beiden Bierflaschen und von dort zu der Wohnküche. Sie sah die Theke, das Küchentuch und … das Notebook! So hatte sie es nicht auf der Theke zurückgelassen, es war eindeutig verschoben worden. Schnell ging die Journalistin in die Küche und klappte den Bildschirm hoch.

»Nein, nein, nein!«, fluchte Robin. Buckmann musste das Foto gesehen haben. Das erklärte seinen eiligen Aufbruch. Eilig huschte Robin zur Couch und streifte ihre Schuhe über, während sie bereits an einer guten Ausrede tüftelte. Reine journalistische Neugierde. Vorbereitung auf ihr Praktikum. Übliche Recherche. Etwas in dieser Art. Sie hatte schon beinahe die Wohnungstür erreicht, als ihr Smartphone vibrierte, das auf der niedrigen Kommode in dem kleinen Flur lag. Im Laufen nahm sie es in die Hand. Auf dem Display erschien das Bild ihrer Kollegin.

»Maria! Ist gerade ganz schlecht. Ich …« Robin stoppte und drückte die schon geöffnete Wohnungstür wieder zu. Dann betätigte sie den Lautsprecher des Smartphones. »Wann?«

»Heute Abend, etwa halb sieben«, sagte Maria mit brüchiger Stimme. »Er liegt auf der Intensivstation. Es sieht nicht gut aus. Karsten hat starke innere Blutungen. Sein Bruder hat mich angerufen.«

»Danke, dass du mich angerufen hast. Gib bitte Bescheid, wenn du etwas Neues erfährst.« Maria legte auf. Robin stand einen Moment lang regungslos in ihrem Flur. Dann drehte sie plötzlich den Kopf zum Wohnzimmer und ging mit schnellen Schritten zu dem Regal neben dem Sofa. Aus dem zweiten Fach von oben nahm sie ein in Leder eingebundenes Buch. Herman Melvilles Moby Dick. Sie klappte das Buch auf, hielt es senkrecht und schüttelte es. Aus der Lücke zwischen Ledereinband und Buchrücken fiel ein kleiner schwarzer Speicherstick. Karsten hatte ihn vor ein paar Tagen mitgebracht. »Falls mir etwas zustößt«, hatte er gesagt. Karsten war immer sehr vorsichtig. Wenn er an einer brisanten Story arbeitete, legte er Sicherungskopien an, die er Maria oder Robin anvertraute. Robin hatte sich nichts weiter dabei gedacht. Die Journalistin betrachtete den Stick in ihrer Hand. Dann ging sie entschlossen zu ihrem Notebook, klappte den Bildschirm auf und steckte den Stick in den seitlichen Anschluss. Sekunden später wurde der Inhalt auf dem Bildschirm sichtbar. Mehrere Textdateien und eine Bilddatei.

Robin öffnete zunächst die Dokumente. Es waren verschiedene Artikel über die Insolvenz der WIP , einer Immobiliengesellschaft. Robin hatte in der letzten Woche darüber gelesen. Auch eine Namensliste, die mit »Anleger WIP « überschrieben war, befand sich auf dem Speicherstick. Zuletzt öffnete Robin die Bilddatei. Der Größe nach zu urteilen, musste es sich um ein Foto mit hoher Auflösung handeln. Das Bild, das den gesamten 16-Zoll-Monitor ausfüllte, zeigte zwei Männer, die sich die Hand schüttelten. Robin erkannte beide nicht. Dann fiel ihr Blick auf eine in Designerklamotten gehüllte Person im Hintergrund des Fotos, und schlagartig weiteten sich ihre Pupillen.