B evor die Journalistin aus ihrem Flitzer stieg, öffnete sie das Handschuhfach und nahm einen Ausdruck des Fotos heraus, das sie auf Karstens Speicherstick entdeckt hatte. Etwas unwohl fühlte sie sich schon, weil sie Buckmann nichts von dieser Aufnahme erzählt hatte. Aber sie war sich nicht sicher, wie der Richter reagieren würde. Deshalb hatte sie es aus der Mappe genommen und im Handschuhfach deponiert, bevor sie mit ihm gesprochen hatte.
Robin stieg aus, faltete das Foto in der Mitte und verstaute es in der Innentasche ihrer Lederjacke. Dann ging sie zu der aus verschlungenen Eisenstreben bestehenden Pforte in der Mauer, die das Grundstück umgab, und betätigte den Klingelknopf.
»Ja?«, tönte es nach einem Moment unfreundlich aus der Gegensprechanlage.
»Guten Tag, mein Name ist Robin Bukowsky. Ich möchte bitte mit Herrn Laak sprechen«, sagte die Journalistin freundlich und lächelte in die Kamera, die sich über dem Eingang befand.
»Was wollen Sie von mir?« Die Stimme blieb unfreundlich.
»Ich habe nur ein paar Fragen.«
»Wozu?«
»Zu einem Foto, auf dem Sie und ein paar andere Männer abgebildet sind.«
»Ich werde häufig fotografiert.« Die Unfreundlichkeit wich einer Überheblichkeit.
»Und immer mit Menschen, gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelt?«, fragte Robin mit unschuldigem Tonfall.
Die Gegensprechanlage blieb stumm.
»Hallo? Sind Sie noch da?«
Anstelle einer Antwort summte der Türöffner. Robin drückte das eiserne Tor auf und blickte auf einen langen Kiesweg, der durch einen gepflegten Garten bis zum Haupthaus führte. Bei jedem Schritt knirschten die Kieselsteine unter Robins Turnschuhen, während sie selbstsicher auf das Haus zuging. Als sie die prächtige Eingangstür erreicht hatte, öffnete Jeremias Laak. Er trug einen dunkelroten Morgenmantel, auf dessen Brusttasche seine Initialen eingestickt waren.
»Zeigen Sie mal das Foto!«, forderte er Robin auf. Die Journalistin wusste, dass es nicht ohne Risiko war, Jeremias Laak das Foto zu präsentieren, vor allem, wenn er etwas mit Karstens »Unfall« zu tun hatte. Sie hoffte aber, ihn auf diese Weise aus der Deckung locken zu können. Robin fasste in die Innentasche ihrer Lederjacke, holte das gefaltete Foto hervor, klappte es auf und hielt es Jeremias Laak unter die Nase. Laak griff nach dem Foto, warf einen kurzen Blick darauf und zerriss es mit triumphierendem Gesichtsausdruck.
»Ihnen ist schon klar, dass das nur ein Ausdruck war und nicht etwa das einzige Exemplar, oder?« Robin zweifelte an der Intelligenz des Politikersohnes. Zu Recht, wie dessen enttäuschter Gesichtsausdruck nach Robins Erklärung bewies. »Oh.«
»Genau!«
Laak dachte nach, was ihm ersichtlich nicht gerade leichtfiel.
»Also gut … wie viel wollen Sie?«
»Fürs Erste könnten Sie mir sagen, wer die beiden Herren im Vordergrund des Fotos sind, das Sie soeben zerrissen haben.«
»Woher wollen Sie wissen, dass ich die beiden überhaupt kenne?«
Robin merkte, dass sie die Messlatte für Laaks Intelligenz nur ganz knapp über dem Boden positionieren durfte. Nicht höher als die Kante eines handelsüblichen Flokati.
»Warum hätten Sie sonst a) das Foto zerreißen und mir b) Geld dafür anbieten sollen?« Robin zählte in Gedanken. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. Da! Die Veränderung in Laaks Gesichtsausdruck zeigte, dass er begriff und … vierundzwanzig, fünfundzwanzig … sich jetzt über sich selbst ärgerte.
»Der Ältere der beiden ist Lutz Bariato, ein Sachverständiger für Bodengutachten«, brummte er schließlich.
»Und der andere?«
»Scheiße! Sag endlich, wie viel du für das Foto willst!«
Den Umstand, dass Laak plötzlich aggressiv wurde, deutete Robin so, dass ›der andere‹ wichtig war. Und gefährlich.
»Das wirst du jetzt ganz bestimmt nicht verstehen …« Robin wählte ebenfalls die vertrauliche Ansprache, die Laak anscheinend bevorzugte. »… aber es gibt Menschen, die nicht käuflich sind. Auch wenn du niemanden in deinem Freundeskreis kennst. Oder deiner Familie.«
Die Journalistin wollte sich umdrehen und gehen, aber Laak griff nach ihrem linken Oberarm.
»Nicht so schnell! Wir sind noch nicht fertig.«
Robin sah ihm in die Augen und lächelte selbstbewusst. »Falsch. Ich bin mit dir fertig. Und jetzt lass los!«
Robins sichere Art überraschte Laak. Er hatte erwartet, dass Robin eingeschüchtert reagieren würde.
»Und was, wenn nicht, du blöde … Pfffff …« Der Rest des Satzes erstickte in einem schmerzverzerrten Pusten. Robin hatte Laak mit der Geschwindigkeit und Präzision einer erfahrenen Boxerin einen ansatzlosen geraden Fauststoß in die Magengrube versetzt. Laak ließ Robin los, da er beide Hände benötigte, um sich den Bauch zu halten, während er sich vornüberbeugte und auf die Knie sank.
Obwohl Robin bereits wieder mit sicheren Schritten den Kiesweg zum Tor ging, konnte sie doch ganz deutlich hören, wie Laak sorgfältig sein Frühstück auf den Marmorplatten vor der Haustür verteilte.