25

D er Glaskasten. So lautete der Spitzname eines kleinen italienischen Restaurants in der Mitte eines von Geschäften eingefassten Platzes, nur wenige Minuten vom Amtsgericht entfernt. Aufgrund seiner günstigen Lage und seines guten Mittagstisches waren meine Kollegen und ich Stammgäste des Lokals. Wir hatten einen Tisch in einer Ecke gewählt, um möglichst ungestört reden zu können. Robin hatte das Büro des Sachverständigen nur wenige Minuten vor mir betreten. Auf sie hatte es so gewirkt, als sei Bariato in großer Eile gewesen, sodass er sogar vergessen hatte, die Tür zu schließen.

»Woher wusstest du von Bariato?«, fragte ich, nachdem sie ihren kurzen Bericht beendet hatte.

»Ich habe da so meine Quellen«, antwortete sie. »Und du?«

»Ich habe gute Freunde.« So viel zu gegenseitigem Vertrauen.

Robin überlegte.

»Irgendjemand muss Bariato gewarnt haben.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Dein Freund?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Ausgeschlossen. Deine Quelle?«

Die Journalistin zuckte mit den Schultern.

»Schon möglich. Aber eher unwahrscheinlich.« Robin schmunzelte. »Meine Quelle musste sich erst einmal von dem Sch… von dem Schrecken meines Besuchs erholen. Und ich war keine zehn Minuten, nachdem ich meine … sprudelnde Quelle verlassen hatte, in Bariatos Büro. Sehr wenig Zeit, um zu verschwinden.«

Da hatte Robin recht.

»Was wolltest du eigentlich da, Siggi?«

»Der Fall interessiert mich persönlich«, antwortete ich vage.

»Warum?«

Ich überlegte. Bisher war Robin sehr offen gewesen. Mit Ausnahme der Fotos, die ich auf ihrem Laptop entdeckt hatte und die wir beide offensichtlich geschickt totschwiegen, hatte ich keinen Grund, ihr zu misstrauen.

»Ein Kollege gehört zu den Anlegern der WIP

Robin zog die Augenbrauen hoch.

»Warum hast du das nicht gesagt?«

Ich zuckte mit den Schultern. Genau wusste ich es auch nicht.

»Der Arme«, sagte Robin. »Der ärgert sich jetzt bestimmt tot.«

»Wenn du wüsstest …« Ich erzählte Robin von meinem alten Mentor, seiner Depression, den Mahnschreiben und seinem Selbstmord. Robins Augen wurden immer größer. Schweigend hörte sie zu, bis ich meinen Bericht beendet hatte. Spontan legte sie die Fingerspitzen ihrer linken Hand auf meinen Unterarm, sah mir in die Augen und sagte: »Das tut mir sehr leid, Siggi.«

Ich wollte etwas erwidern, doch in diesem Moment summte Robins Smartphone. Die Journalistin blickte auf das Display. »Meine Nachbarin«, stellte sie stirnrunzelnd fest und drückte das Handy an ihr Ohr. »Hallo, Inga, hier ist Robin, was …« Offensichtlich unterbrach ihre Gesprächspartnerin sie.

»Was? Wann? Ich komme sofort.« Robin beendete das Telefonat und sah mich erschrocken an. »Bei mir wurde eingebrochen! Ich muss sofort los!« Robin sprang auf.

»Warte, ich komme mit!«

Dank Robins beeindruckender Fahrkünste waren wir keine Viertelstunde und höchstens sieben kirschgelbe Ampeln später bei ihr zu Hause. Die Polizei hatte bereits mit der Spurensicherung begonnen. Als wir im dritten Stock ankamen, erkannte mich der leitende Beamte, der sich soeben das Schloss der Wohnung ansah.

»Hallo, Herr Buckmann! Was machen Sie denn hier?«

Ich deutete auf Robin. »Die Wohnung gehört meiner Praktikantin, Frau Bukowsky. Habt ihr schon was?«

»Das waren Profis. Das Schloss ist Qualitätsware. So was muss man knacken können. Die scheinen irgendetwas Bestimmtes gesucht zu haben. Soweit wir das beurteilen können, fehlen kaum Wertgegenstände. Vielleicht könnten Sie sich einmal umschauen, Frau Bukowsky, und uns sagen, was entwendet worden ist.«

Wir betraten die Wohnung, und ich musste feststellen, dass eine spartanische Einrichtung auch dann Vorteile hat, wenn eingebrochen wird. Außer der durchwühlten Wäsche in Robins Schlafzimmer und den auf dem Boden liegenden Büchern vor dem Regal im Wohnzimmer sah die Wohnung nicht unordentlich aus.

»Mein Notebook ist weg«, erklärte Robin, als sie sich kurz umgesehen hatte. »Ansonsten scheint noch alles da zu sein.«

Nachdem die Polizeibeamten die Anzeige aufgenommen hatten und ein Mitarbeiter eines Schlüsseldienstes das Schloss notdürftig repariert hatte, waren Robin und ich wieder allein in der Wohnung.

»Was mögen die gesucht haben?«, fragte ich Robin und blickte mich um.

Robin sah mich an. »Komm mal bitte her.«

Ich ging zu Robin, die in der Mitte des Wohnzimmers neben ihrem Sandsack stand.

»Ja?«

»Würdest du für mich bitte einmal auf die Knie gehen?«, sagte sie und zwinkerte mir zu.

Ich hatte zwar keine Ahnung, was das sollte, aber tat Robin den Gefallen. Die Journalistin streifte die Turnschuhe ab, trat hinter mich und setzte sich auf meine Schultern.

»Wenn du jetzt bitte aufstehen würdest«, kommandierte sie, und ich erhob mich mit Robin auf den Schultern. Robin griff nach dem oberen Ende des Sandsacks und suchte etwas im Inneren des Ledersackes.

»Du bist schwerer, als du aussiehst«, brummelte ich.

»Klappe!«, antwortete Robin, während sie weitersuchte. »Das sind alles Muskeln …«

Da ich in diesem Moment zu einem nicht gerade unwesentlichen Teil des Journalistenkörpers engen Kontakt hatte, musste ich ihr recht geben.

»Stimmt. Fühlt sich athletisch an.«

»Na, dann ist es ja gut«, grinste Robin. »So, hab es. Kannst mich wieder runterlassen.«

»Schon?«, sagte ich in enttäuschtem Tonfall und ging wieder in die Knie. Robin rutschte von meinen Schultern. Als ich wieder aufstand, hielt sie mir einen kleinen Speicherstick unter die Nase.