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J etzt beruhig dich bitte erst einmal! Wer hat wen umgebracht?«

Als ich gegen vierzehn Uhr aus dem Sitzungssaal zurückkehrte und mein Smartphone einschaltete, zeigte es fünf Anrufe in Abwesenheit. Alle von Robin. Ich betätigte die Rückruffunktion.

»Er hat ihn umgebracht, Siggi!« Robin klang außer sich. »Er hat ihn wirklich umgebracht!«

»Jetzt beruhig dich bitte erst einmal! Wer hat wen umgebracht?«

»Jeremias Laak. Jeremias Laak hat Karsten getötet!«

»Was? Wie kommst du darauf?«

»Er hat es gestanden. Er hat es vorhin selbst gestanden!«

»Robin, bitte einmal in Ruhe und von Anfang an. Was ist passiert?«

»Können wir uns treffen? Ich bin mit Maria im Café Hummelmann. Kannst du vorbeikommen?«

Ich blickte auf die Uhr an meinem Computerbildschirm.

»Ich bin in zehn Minuten bei euch!«

Ich steckte das Handy in die Hosentasche und zog die weiße Krawatte aus, die zusammen mit der Robe unsanft auf der Lehne meines Schreibtischstuhls landete. Dann streifte ich die Lederjacke über und war schon halb aus der Tür, als mir Sabine auf dem Flur entgegenkam. In den Händen hielt sie ein paar zusammengeheftete Blätter in dem typischen graubräunlichen Farbton unseres Umweltpapiers.

»Was ist das?«, fragte ich kurz angebunden.

»Ein Fax vom Landgericht. ›Bitte sofort vorlegen‹ stand auf dem Schreiben.«

Ich überflog die wenigen Seiten und runzelte die Stirn. Das würde Robin überhaupt nicht gefallen. Mir gefiel es auch nicht.

Das Café Hummelmann liegt am Anfang der Fußgängerzone, nur etwa einen halben Kilometer vom Gericht entfernt, und ist über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt für seine herrlichen Kuchen. Auch ich besuchte das hübsche Lokal hin und wieder. »Herr Buckmann!«, grüßte die Bedienung hinter der Ladentheke freundlich, als ich eintrat. »Wie immer? Großer Kaffee und zwei Stück Apfelkuchen mit Sahne?«

Also gut, ich besuchte es öfter als nur hin und wieder.

»Heute nur einen Kaffee, danke!«

Ich ging in den hinteren Teil des Ladenlokals und erblickte Robin, die einen kleinen Tisch in der hintersten Ecke gewählt hatte. Sie saß gegenüber von Maria. Jedenfalls nahm ich an, dass die schlanke blonde Frau mit dem interessanten Kinngrübchen ihre Kollegin war. Robin winkte mir zu, als sie mich sah, und stellte mich ihrer Freundin vor.

»Also? Was ist passiert?«, fragte ich, nachdem ich mich zu ihnen gesetzt hatte. Robin berichtete, dass sich Maria bei Jeremias Laak als Karstens Kollegin ausgegeben und ihn mit dem Foto, das ich bereits kannte, konfrontiert hatte.

»Und dann hat sie ihn um ein Interview gebeten. Jetzt erzähl bitte du weiter!«

Maria nickte. »Als ich ihn danach fragte, wurde er richtig wütend. Er schrie mich an, ich solle mich verpissen. Ich sagte ihm, dass ich auch ohne seine Stellungnahme einen Artikel schreiben würde. Da fasste er mich plötzlich an den Handgelenken und sagte leise: ›Überleg dir das, du Schlampe! Du willst doch nicht auch so enden wie dein Freund, oder?‹ Mir zittern jetzt noch die Hände.«

»Das ist alles?«

Robin sah mich entgeistert an. »Also, mir reicht das! Das ist doch ein glasklares Geständnis!«

»Nein, das ist es ganz sicher nicht«, erwiderte ich ruhig.

»Was denn sonst?«

»Es ist eine Drohung, ja. Aber doch kein Geständnis. Vielleicht wollte er sich nur wichtigmachen. Passt doch zu dem kleinen Angeber. Und wir wissen noch nicht einmal, ob er weiß, dass Karsten tot ist. Vielleicht meinte er auch nur den Autounfall.«

»Auf welcher Seite stehst du eigentlich?«, fauchte Robin wütend.

»Robin, jetzt beruhig dich doch bitte …« Weiter kam ich nicht.

»Beruhigen? Dieser kleine Scheißkerl hat unseren Freund getötet! Wie soll ich mich da beruhigen?«

Die Gäste des Tisches, der uns am nächsten stand, drehten sich erschrocken und neugierig zu uns um.

»Ganz sicher hat er das nicht!«, sagte ich mit leiser Stimme. »Jeremias Laak war es kaum, der Karstens Wagen von der Straße gedrängt hat. Dazu fehlt ihm der Mut. Das hast du doch selbst gesagt. Und er war es ganz bestimmt auch nicht, der gestern auf der Intensivstation als Arzt verkleidet herumlief. Die Personenbeschreibung der Stationsschwester passt überhaupt nicht.«

Robin beruhigte sich etwas und dachte nach.

»Gut, vielleicht nicht er selbst. Aber er steckt bestimmt dahinter!«

Dieses Mal entgegnete ich nichts, was Robin sofort bemerkte.

»Aha! Du glaubst das auch, oder?«

»Ich halte es nicht für ausgeschlossen«, antwortete ich diplomatisch.

»Dann könntest du doch mit der Staatsanwaltschaft reden, damit die Jeremias Laak in die Mangel nehmen!«

»Ich fürchte nicht.«

Aus der Innentasche meiner Lederjacke zog ich das zusammengefaltete Fax des Landgerichts hervor, das mir Sabine vorhin übergeben hatte.

»Die Staatsanwaltschaft wird in Zukunft die Finger von Jeremias Laak lassen. Mit Sicherheit.«

Ich reichte Robin das Fax, die es hastig überflog. Dann sah sie mich mit großen Augen an.

»Verstehe ich das richtig? Das Landgericht hat deinen Durchsuchungsbeschluss für die Laak-Villa für rechtswidrig erklärt, weil schon kein Anfangsverdacht gegen Jeremias Laak vorliegt?«

Ich nickte stumm.

»Wie kann das sein?«

Ich tippte mit dem Finger auf die linke der drei Unterschriften, die sich auf der letzten Seite des Beschlusses befanden.

»Das hier ist der Vorsitzende der Kammer«, erklärte ich.

»Ehrmann«, las Robin laut vor. »Wer ist das?«

»Soweit mir bekannt ist, ein guter Parteifreund von Alexander Laak, dem Ministerpräsidenten. Die beiden haben vor vielen Jahren zusammen im Stadtrat gesessen.«

»Darf er dann so eine Entscheidung überhaupt treffen?«, schaltete sich Maria ein. »Ist er nicht … Wie heißt das noch?«

»Befangen«, antwortete ich. »Ja, ganz bestimmt sogar. Aber er hat die Entscheidung getroffen. Und das mit so deutlichen Worten, dass die Staatsanwaltschaft Jeremias Laak nur noch mit Samthandschuhen anfassen wird. Wenn überhaupt.«

Robin lehnte sich müde auf ihrem Stuhl zurück und sprach leise zu sich selbst: »All animals are equal, but some are more equal than others.«