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N ur fünfunddreißig Minuten nach dem Gespräch mit Siggi Buckmann parkte Robin den Mini auf der anderen Straßenseite der Adresse, für die ihr Navi eine Fahrzeit von mehr als einer Stunde angegeben hatte. Aber Navis berechnen die Fahrtzeit anhand von Durchschnittsgeschwindigkeiten. Und unter Berücksichtigung von Verkehrsregeln wie etwa Geschwindigkeitsbegrenzungen.

Das kleine Café, in dem sich Robin mit ihrer Studienkollegin Jessica Eisenberg verabredet hatte, lag gegenüber dem modernen Gebäude, in dem der öffentlich-rechtliche Sender untergebracht war. Jessica leitete seit einigen Jahren die Redaktion einer täglichen Morgensendung. Robin stieg aus dem Mini und winkte Jessica, die bereits vor dem Eingang des Cafés wartete. Robin musterte ihre alte Bekannte. Die Zeit war nicht sehr nett zu ihr gewesen. Jessicas dunkelblonde Haare wirkten stumpf und etwas strähnig. Die Falten um ihren Mund hatten bereits Ex-Kanzlerinnen-Niveau erreicht. Sie trug einen langweiligen beigefarbenen Mantel, einen leichten braunen Pullover, Jeans und langweilige Pumps. ›Alles in allem erschreckend spießig‹, dachte Robin. Die Frauen begrüßten sich mit Umarmung und Wangenkuss.

»Hallo, meine Süße! Wir haben uns ja ewig nicht gesehen!«, begann Jessica das Gespräch leicht aufgesetzt.

»Fast zwei Jahre nicht«, erwiderte Robin.

Sie betraten die kleine Espressobar, die älteste des Landes, wenn man den Schildern am Eingang glauben durfte, setzten sich an die dunkle Holztheke und bestellten zwei Espressi macchiati.

»Also schieß los! Was ist so dringend? Du hast dich am Telefon so nebulös ausgedrückt«, sagte Jessica und zückte einen kleinen Notizblock und einen Montblanc-Füller aus ihrer hellen Lederhandtasche.

»Sagt dir die WIP etwas?«, fragte Robin.

»Natürlich, diese Betrügergesellschaft, die Zeitungen waren ja voll davon.«

»Genau um die geht es …«

Robin erzählte, wie ihr Kollege Karsten herausgefunden hatte, dass eine Verbindung zwischen Jeremias Laak und dem Geschäftsführer der WIP bestand. Sie berichtete von Karstens Unfall und den merkwürdigen Umständen seines Todes, ebenso von den offenen Fragen im angeblichen Selbstmord von Lutz Bariato. Und sie schilderte, wie Maria und sie von Jeremias Laak bedroht worden waren, auch von dem Überfall und der irren Verfolgungsjagd der letzten Nacht. Jessica schrieb und schrieb.

»Und die Staatsanwaltschaft will wirklich nichts weiter gegen Jeremias Laak unternehmen?«, fragte sie, nachdem Robin endlich ihren Bericht beendet hatte.

»Das ist richtig. Der ermittelnden Staatsanwältin wurde sogar der Fall entzogen, weil sie es gewagt hatte, gegen den Sohn des Ministerpräsidenten vorzugehen.«

Jessica schüttelte den Kopf und strich sich ein paar fettige Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Einfach unglaublich.«

Sie dachte nach. »Daraus machen wir eine Sondersendung! Das wird einen richtigen Knall geben! Gleich morgen früh. Und du wirst mein Studiogast. Einverstanden?«

Robin überlegte nicht lange. »Klar! Bin dabei!«

Jessica holte ihre Geldbörse aus der kleinen Handtasche.

»Ich muss sofort wieder ins Büro und alles veranlassen. Trink du in Ruhe aus, ich lade dich ein.« Sie zog einen Geldschein und legte ihn auf die Theke. »Ich melde mich heute Abend noch bei dir und sage Bescheid, wann du morgen im Sender erscheinen musst!« Jessica stand auf und warf sich die Handtasche über die Schulter. Dann stürmte sie aus dem kleinen Café.

Robin lehnte sich auf dem Barhocker entspannt zurück und schlürfte zufrieden an ihrem Espresso macchiato.

»Na also. Geht doch.«