53

D er Sohn des Ministerpräsidenten saß in einem Designersessel inmitten seines prächtigen Wohnzimmers und raufte sich die Haare mit der linken Hand, während er mit der rechten das Wegwerfhandy so stark an sein Ohr presste, dass die Knöchel seiner Hand weiß wurden.

»Was soll das heißen, deine Männer haben sie nicht gekriegt?«, fragte er in weinerlichem Tonfall.

»Das soll heißen, kleiner Mann«, antwortete Dimitris, »die kleine Schlampe ist cleverer, als wir dachten. Hat meinen Leuten in die Eier getreten. Und zwar wortwörtlich.«

»Und was unternimmst du jetzt?«

»Nichts.«

Jeremias Laak sprang aus dem Sessel auf.

»Wie nichts?«

»Nein. Die kleine Schlampe ist bestimmt zur Polizei gerannt. Polizei ist nicht gut. Stress mit der Polizei ist die ganze Sache nicht wert.«

Jeremias Laak ging nervös durch das Zimmer und stieß mit dem Schienbein an die Kristallglasplatte des Couchtisches.

»Aber was ist, wenn sie weitermacht?«

Dimitris war die Ruhe selbst.

»Warte erst mal ab. Angst hat sie jetzt bestimmt. Es kann gut sein, dass sie die Finger von der Geschichte lässt.«

Damit wollte sich der Sohn des Ministerpräsidenten nicht zufriedengeben. »Aber …«

»Hör zu, kleiner Mann«, unterbrach ihn Dimitris kalt. »Ich kann nicht immer dein Kindermädchen spielen. Du musst auch mal allein klarkommen. Ansonsten wirst du lästig.«

Jeremias schluckte. Er wusste, was Dimitris mit Menschen machte, die ihm »lästig« wurden.

»Ja, ja. Schon gut. Ich komme klar.«

»Das ist gut, kleiner Mann.« Dimitris legte auf.

Jeremias ging an die Bar und genehmigte sich einen Drink. Den zweiten an diesem Morgen. In diesem Augenblick ertönte die Türklingel.

»Auch das noch«, zischte er wütend und stapfte in die weitläufige Eingangshalle. In der Wand war ein Bildschirm eingelassen, der eine Liveaufnahme des eisernen Eingangstors zeigte. Dort stand niemand. Aber Jeremias konnte deutlich erkennen, dass zwischen den Metallstreben der Tür ein großer Briefumschlag steckte. Der Sohn des Ministerpräsidenten öffnete die Haustür und ging den mit Kies ausgelegten Weg bis zu dem großen Tor hinab. Der hellbraune Umschlag war zwischen die Gitterstäbe geklemmt worden. Viel konnte er nicht enthalten, dafür war er zu dünn. Vielleicht war das Ganze nur ein Scherz. Dass es keiner war, konnte selbst ein schlechter Beobachter daran erkennen, dass sich Jeremias’ Gesichtsfarbe in Sekundenbruchteilen veränderte, nachdem er den Umschlag geöffnet und den Inhalt entnommen hatte. Ein Ausdruck des Fotos von ihm, Bariato und Dimitris. Auf der Rückseite war eine Karte abgedruckt mit einem markierten Punkt. ›Das muss im nahe gelegenen Waldgebiet nördlich der Stadt sein‹, dachte Jeremias. Ein kurzes Schreiben mit großen Druckbuchstaben befand sich ebenfalls in dem Brief.

»HABE BRIEF VON BARIATO . 60 000,00 EURO HAST DU FÜR DIE WIP BEKOMMEN . INTERESSIERT ? 5000,-EURO IN BAR . MORGEN FRÜH SIEBEN UHR . WENN DU NICHT ALLEIN KOMMST , HAT DIE ZEITUNG BESTIMMT INTERESSE

Jeremias fluchte, zerknüllte wütend den Brief und warf ihn auf den Boden. Dann fasste er mit der Hand in die Hosentasche und holte das Wegwerfhandy hervor. Er wollte die Nummer von Dimitris wählen, da erinnerte er sich an die Worte des Russen: ›Du musst auch mal allein klarkommen. Ansonsten wirst du lästig.‹ Er konnte Dimitris wegen des Briefs nicht anrufen. Jeremias überlegte. Fünftausend Euro war keine große Summe. Mehr als das Doppelte hatte er in bar immer im Haus. Und wenn sich die Angelegenheit mit Geld regeln ließ, dann war sie nicht so schlimm. Jeremias ging in die Hocke und hob den zusammengeknüllten Brief wieder auf. Dann glättete er ihn vorsichtig und steckte ihn zusammen mit dem Foto und der Landkarte in den Umschlag. Jeremias drehte sich um und schlurfte zurück ins Haus. Er war zu sehr in seinen Gedanken verloren, um das Auto zu bemerken, das auf der anderen Straßenseite gestanden hatte, nun gestartet wurde und langsam davonfuhr.