Körperlichkeit und symbolische Ordnung
Merkmale der komischen Spieltradition
Die komische Spielpraxis in Europa begann mit den umherziehenden Truppen von Akrobaten, Gauklern und Artisten, die im vorklassischen Griechenland den Mimus und später in Rom Mimus und Pantomimus spielten. In den Charakteristika dieser frühen, wenngleich nicht immer ausschließlich komischen Darbietungen lagen bereits die wesentlichen Merkmale dessen begründet, was sich als genuin komische Spieltradition fassen lässt, nämlich weitgehende Aliterarizität, Improvisationscharakter, Derbheit des Witzes, überzeichnende Typisierung der Figuren und vor allem die Betonung des Körperspiels.
Dokumentationsproblematik
Dieses Kriterienbündel machte das Komische sowie die ihm affinen populären Spektakelformen des Theaters nahezu zum Synonym für eine aliterarische Theatertradition, die diejenige des literaturbasierten Theaters stets begleitet und – gemessen an der Quantität der Zuschauer und der Aufführungen – durchaus übertroffen hat. Allein der Umstand, dass sich auf Körperspiel und Improvisation basierendes Theater einer stringenten Überlieferungs- und Dokumentationsarbeit in Gestalt von Texten per se verschließt, ließ dieses über lange Zeit an der Peripherie der wissenschaftlichen und theoretischen Erschließung verbleiben. Die unsichere Quellenlage, die bis heute vor allem die tatsächliche Gestalt der jeweiligen historischen Spielpraxis und hier vor allem ihre performative Dimension anbelangt (vgl. Balme 1997a), darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Komische auf der Bühne im Bewusstsein der jeweiligen Zeitgenossen eine keineswegs nur marginale Wirkung entfaltet hat.
Vorbehalte gegenüber dem Komischen
Dies lässt sich gerade dort ablesen, wo der theoretische Diskurs die Merkmale und Motive theatraler Komik unter ausgesprochen negativen Vorzeichen betrachtete. In diesen Fällen verdichteten sich am Komischen die Vorbehalte gegen das Theater als einer körperbasierten Kunstform schlechthin. Mit anderen Worten, wenn immer die performative, im Hier und Jetzt der Darbietung entfaltete Wirkung des Theaters sowie seine sinnliche Ausstrahlung schlechthin zur Zielscheibe der Kritik wurden, so kreiste diese vornehmlich um die komische Spieltradition, deren theatrale Effekte, wenn überhaupt, nur lose an die diskursive Dimension dramatischen Handelns und Sprechens rückgebunden waren. Erschwerend kam hinzu, dass in der komischen Spiel- und Spektakelkultur die Zeichenhaftigkeit des Theaters, seiner Figuren und ihrer Handlungen rundweg zur Disposition steht.
Physiologische Orientierung
Die genuin physiologische Orientierung des Lachtheaters bedarf, anders als die dramatisch-literarische Gattung der Komödie, keiner raffinierten Verwicklungs- und Verwechslungsstruktur und keiner dramaturgisch elaborierten Handlung. Ihre Wirkungen basieren vorrangig auf der Präsenz des Körpers und der artistischen Ausschöpfung seiner Ausdrucks- und Verwandlungsmöglichkeiten. Gegenüber der unterwerfenden Macht der jeweiligen symbolischen Ordnung, d.h. der gesellschaftlichen Sinnsysteme sowie ihrer literarischen und ästhetischen Pendants, macht sich hier der Körper mit seinem Lustanspruch geltend (vgl. Greiner 1992, 6). Das gilt gerade nicht nur für die Körperlichkeit der dargestellten Figuren im Kontext der dargestellten Geschichte, sondern auch für die Physis des Darstellers. Bereits die inhaltliche Ebene komischer Stücke ist zumeist eng mit der Vorstellung rein leiblicher Vorgänge und ihres Exzesses ins Lustig-Amoralische verbunden (Essen/Fressen, Trinken/Saufen, Liebe/Lust, Wollen/Gier usw.) sowie nicht zuletzt mit der Bandbreite menschlicher Missgeschicke und gewaltsamer Vorgänge (vgl. Sternberg-Greiner 2002). Derlei Gehalte bedingen eine analoge Exzentrik im performativen Bereich ihrer Darstellung. Der komische Akteur muss sich bemühen, die Handlungen seiner Figur visuell und akustisch frappierend zu gestalten, um ihre lustige, delikate oder prekäre Dimension zu veranschaulichen. Es sind also gerade die individuelle Korporalität des komischen Akteurs und seine virtuosen Körperkunststücke, welche die dargestellte Figur und ihre Handlungen für das Publikum allererst zu komischen machen. Spezifisch ist für die komische Praxis somit, dass sie die Grenzen zwischen fiktionaler Theaterhandlung und der physischen Realität unscharf werden lässt bzw. diese in produktive Ambivalenz versetzt. Das komische Spiel gerät allenthalben zur Schnittstelle, an der sich szenischer Raum und realer Raum, Fiktion und Körperlichkeit immer wieder aufs Neue überlagern (vgl. Lohr 1987, 4ff.). Nicht zuletzt diese strukturelle Spezifik hat das komische Spiel in den Augen seiner Kritiker zur suspekten Größe werden lassen.
Groteske Leiblichkeit
Schon die christlichen Apologeten, wie etwa Quintus Septimius Florens Tertullianus, hegten in diesem Sinne schwere Vorbehalte nicht nur gegen das Lächerliche auf dem Theater, sondern zugleich gegen die verführerische Ausstrahlung des im komischen Spiel schamlos exponierten Leibes. Im Mittelalter wurde diese gedoppelte christliche Kritikperspektive weitergeführt. Im Rückgriff auf frühchristliche Streitschriften wie Tertullians De spectaculis kam es zu einer radikalen moralischen Zurückweisung des gestus histrionici, also der volkstümlichen Darbietungsformen der fahrenden Gaukler, Jokulatoren, Minstrels und Histrionen. Gemeinsam war den verschiedenen Pamphleten zumeist, dass sie nicht nur die aus ihrer Perspektive frivole Betonung von derb sexualisierter Körperlichkeit als eine Missachtung tugendorientierter Verhaltenskodizes werteten. Darüber hinaus sahen sie durch die exzentrische Gestik der Akteure, durch ihre grotesken Verrenkungen und die akrobatische Erzeugung ,unmöglicher‘ Körperbilder einen Exzess an Leiblichkeit inszeniert, der mit der natürlichen, von Gott gegebenen Ordnung nicht vereinbar schien. Wie bereits Michail Bachtin unter kulturtheoretischer Perspektive betont hat, stand der im komischen Spiel zur Schau gestellte „groteske Leib“ einem auf Körperdisziplinierung und Gleichmaß hin idealisierten Körperkanon, nach dem jedes Glied am rechten Platz zu sein und die richtige Funktion zu erfüllen hatte, diametral entgegen (Bachtin 1995; vgl. von Brincken 2006, 12ff.).
Die Commedia dell'arte: Paradigma komischer Bühnenpraxis
Improvisationsspiel
Nach der Wiederentdeckung des antiken Theaters in der Renaissance entwickelte sich zunächst die am Vorbild der Komödien des Plautus und Terenz geschulte literarische Commedia erudita. Dieser zunächst auf Latein, später auf Italienisch verfassten Gelehrtenkomödie der städtebürgerlichen Akademien trat dann die auf aliterarischen Bedingungen basierende Commedia dell’arte gegenüber. Eine volkstümlich-spektakelhafte Theaterform, die bis zum 18. Jahrhundert aufgrund ihres gewerbemäßigen und professionellen Charakters häufig als Commedia mercenaria bezeichnet wurde. Ihre seit etwa 1550 in Italien und bald in anderen europäischen Ländern operierenden professionellen Theatertruppen spielten durchaus alle in der Frühen Neuzeit geläufigen Dramengattungen (Tragödien, Komödien, Pastoralen) und später auch Opern. Sie wurden jedoch insbesondere dafür bekannt, nicht nach einer ausgeschriebenen Textvorlage, sondern – sowohl im Hinblick auf den Situations- und Sprachwitz als auch auf das Körperspiel – all’ improviso, d.h. aus dem Stegreif spielen zu können, weshalb ihre Theaterform auch Commedia a soggetto oder Commedia all’ improviso genannt wurde. Die improvisierte Spielweise avancierte zur eigentlichen Besonderheit der italienischen Truppen, die ihren Erfolg im In- und Ausland begründete. Von den 1560er Jahren bis in die 1630er Jahre traten die entsprechenden Truppen, etwa die Gelosi, Desiosi, die Confidenti und Fedeli, einen Siegeszug erst von Nordnach Süditalien und von dort aus über ganz Europa an (vgl. Castagno 1994).
Englische Komödianten; Haupt- und Staatsaktionen
In den europäischen Ländern agierten die Commedia -Truppen in Konkurrenz vor allem zu den englischen Komödianten. Diese wandernden Schauspielertruppen, die ab etwa 1590 von England aus auf das Festland und besonders in das protestantische Deutschland kamen, nahmen allmählich auch deutsche Berufsspieler auf und wurden um die Mitte des 17. Jahrhunderts von deutschen Wandertruppen abgelöst. Das Markenzeichen dieser englischen Komödianten und ihrer Ableger waren in erster Linie sogenannte Haupt- und Staatsaktionen, d.h. auf das wesentliche Handlungsgerüst reduzierte Varianten der Stücke von Shakespeare, Marlowe, Calderón, Lope de Vega, Racine, Corneille sowie barocker Märtyrer- und Tyrannendramen. Die Wandertruppen trugen damit zwar wesentlich zur interkulturellen (Literatur-)Vermittlung bei. Ihre Publikumsattraktivität bezogen jedoch auch ihre Aufführungen in erster Linie aus spektakulären Bühnenaktionen und derbkomischen oder akrobatischen Einlagen von lustigen Figuren wie Jan Bouset, Pickelhering und Hanswurst. In der Tat kann es als wesentliches Spezifikum der komischen Spieltradition gelten, dass sie dort, wo sie sich literarischer Vorlagen bediente, diese auf das in ihnen angelegte Substrat an performativen und vor allem körperbasierten Effekten befragte, welche sie aus den jeweiligen Inhalten und zuungunsten kohärenter dramatischer Verläufe extrahierte. Bühnenpraxis verhielt sich hier gleichsam ,parasitär‘ gegenüber dem literarischen Sinnprinzip.
Stoffe und Figurenschemata
Das Charakteristikum der Commedia - Truppen war es, dass ihre improvisierten, in verschiedenen italienischen Dialekten gespielten Aufführungen in hohem Maße schematisiert und stereotypisiert waren. Gespielt wurde nach einem Szenario (auch Kanevas oder soggetto genannt), einem vorher schriftlich in aller Knappheit festgelegten Handlungsgerüst, zumeist aus einer Haupt- und Nebenhandlung, deren szenische Umsetzung aber während der Vorstellung gemeinsam mit den Ensemblepartnern jeweils neu erbracht und erfunden werden musste. Die szenisch adaptierten Stoffe entstammten Märchen, Novellen (z. B. Boccaccio) sowie lateinischen und volkssprachlichen Komödien und drehten sich zumeist um die Liebesproblematik, die anhand eines wenig variablen typisierten Figurenschemas entfaltet wurde. Eine immer wiederkehrende Konstellation sah etwa ein junges Liebespaar vor, das gegen die Widerstände des alten Vaters und heiratswilliger Nebenbuhler nach allerlei Verwirrungen am Ende doch zueinander fand. Begleitet wurde dieser Hauptstrang durch Nebenhandlungen, in deren Zentrum die sogenannten lazzi, d.h. die komischen szenischen Einlagen der lustigen Dienerfiguren, allen voran des berühmten Arlecchino, standen.
Berufsschaupielertum
Die genannten Aufführungsmodalitäten sowie die spezifische Ästhetik der Commedia mit ihrem aliterarischen Fundament waren nicht zuletzt Ausdruck einer gewerbsmäßig-ökonomischen Auffassung von Schauspielertum. Der Zwang, den Neuigkeitswert der Darbietungen zu erhalten, die Spielschemata vor der Konkurrenz zu sichern sowie schnell und ohne lange Probenzeiten produzieren zu können, beförderte den Verzicht auf ausgeschriebene und in diesem Sinne dramatische Texte. Außerdem musste das Gebotene unabhängig von sprachlichen Barrieren verschiedenen Publika unmittelbar verständlich sein, jedoch auch möglichst schnell an deren aktuelle kulturelle und soziale Spezifika sowie an die damit einhergehenden Rezeptionshaltungen adaptierbar sein. Nicht zuletzt diese interkulturelle Dimension der Commedia -Praxis führte zur Exponierung des Improvisationsspiels sowie des körperlichen Fundaments, das eine überkulturell und übersozial gültige Dimensionierung aufweist.
Autonomie des Komischen
Vor diesem Hintergrund ist gegenüber Theorien, welche die satirisch-gesellschaftskritische Funktion der komischen Spielpraxis hervorheben, zu betonen, dass die szenische Komik im artistischen Akt und im performativ-körperlichen Moment einen autonomen Status gewinnt, der sie aus eindeutigen semantischen und damit auch sozialen Referenzbeziehungen entbindet (vgl. Münz 1998, Warning 1976). Indem die jeweilige Handlung sich als absichtlich und für die Unterhaltung des Publikums in Szene gesetzte ausweist, unterläuft sie des weiteren identifikatorische oder mitleidige Einlassungen seitens des Publikums gerade auch dort, wo Missgeschicke, Unfälle oder sogar Prekäres geboten werden. Belacht wird nicht das inhaltliche Was, sondern das Wie der Darbietung, ihre formale Virtuosität, sinnliche Prägnanz und phänomenale Ausstrahlung. Weniger wird also die jeweilige Figur verlacht, als dass man mit dem Darsteller über seine Leistung lacht. Die Commedia mit ihrer Betonung des Schauspielers und seiner individuellen Körperlichkeit und korporellen Kreativität, mit ihrer logischen und moralischen Indifferenz, mit ihrem Abstellen auf rein szenische Wirkung sowie mit ihren lazzi, die keine diskursiv-narrative Funktion erfüllten, sondern autonome, rein unterhaltende und hochvirtuose Kabinettstückchen waren, erfüllte die skizzierte Bedingung passgenau (vgl. Krömer 1990, 24ff. und 53f.; Cairns 1989). Das ist auch der Grund, weshalb sie später immer wieder als ein role model für avancierte Theaterformen (etwa innerhalb der historischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts) fungierte, die sich dezidiert gegen literarisch-inhaltliche Bühnenkonzepte wandten und den performativen Wert reinen Körperspiels prononcierten.
Einfluss in Europa
Die Ästhetik und Motivik der Commedia wirkten zu ihrer Zeit nachhaltig in ganz Europa, und zwar gerade auch im Hinblick auf eine literarische Dramatik, die sich eng an der jeweiligen Theaterpraxis sowie an den Unterhaltungsbedürfnissen des Publikums orientierte. In England wurde nicht zuletzt William Shakespeare von ihr beeinflusst. Am frühesten jedoch wurde sie im Spanien des Siglo de Oro unter Philipp IV. aufgenommen, wo sie wesentlich zur Ausbildung der literarischen Gattung der Comedia, wie sie vor allem mit dem Namen Lope de Vegas verbunden ist, beitrug. Trotz ihrer Unterschiede teilten alle spanischen Theatersparten sowie die ihnen entsprechenden dramatischen Genres ein wesentliches Merkmal, nämlich das des Spektakelhaften und der Orientierung der dramatisch vorausentworfenen theatralen Effekte an der Schaulust und dem Unterhaltungswillen des Publikums. In Frankreich traten die italienischen Schauspielertruppen schon seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts am französischen Hof auf und etablierten sich in der Folge unter dem Namen comédie italienne als feste Größe im Theaterleben der Hauptstadt. Die Truppen erhielten neben einem festen Haus staatliche Subventionen und liefen bald den comédiens français den Rang in der Gunst des Publikums ab (vgl. Virginis 1998). Nach einer schrittweisen, Sprache und Thematik gleichermaßen betreffenden ,Französisierung‘ ab der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und einer durchaus wechselvollen Geschichte ging die comédie italienne schließlich in der Mitte des 18. Jahrhunderts in die opéra comique über. Ihre wesentliche Rezeption auf dem Gebiet der literarischen Dramatik erfuhr sie zum einen durch Molière, zum anderen durch Marivaux.
Komisches Spiel vs. dramatisches Sinnangebot
Kampf gegen das Stegreifspiel
Besonders im deutschen Sprachraum kam es im Zusammenhang mit den Bemühungen um die Literarisierung des Theaters zu vehementen Angriffen gegen das komische Spiel und seine Tendenz zu ausufernder Sinnlichkeit und Spektakelhaftigkeit. Die Ausgangslage erbrachte die Literaturreform von Johann Christoph Gottsched (Versuch einer critischen Dichtkunst vor die Deutschen, 1730), die, in ihrer inhaltlichen Zwecksetzung wie in ihrer strengen literarischen Regulierung des Theaters, die Initialfunktion für eine neue deutsche, am Vorbild der französischen Klassik orientierte Dramatik übernehmen sollte. Theater sollte das bürgerliche Leben darstellen und dabei das Publikum moralisch belehren und bilden. Im Regeldrama Aristotelischer Prägung hatte der Handlungsablauf logisch zu sein, Inhalt und Form wurden gleichermaßen in Abhängigkeit von der Vernunft bestimmt. Schriftlich in Versen fixierte Texte wurden gefordert, wobei die Tragödie die bevorzugte literarische Gattung abgab. Über die Bereitstellung von Musterdramen und der sie begleitenden Theorie wirkte Gottsched auf die Theaterpraxis zurück, und zwar in Gestalt der mit dem Namen Caroline Neubers, einer Wandertruppenprinzipalin, verbundenen Schauspielreform. Das gemeinsame Interesse Gottscheds und Neubers bestand in der strikten Bindung der Darsteller an den literarischen Text und seine Sinnakzentuierung, mithin in der Verpflichtung des Theaters auf die Literatur. Diesem Anspruch fiel schließlich auch die durch Extemporieren und das Stegreifspiel gekennzeichnete lustige Figur des beim Publikum so beliebten Harlekins zum Opfer. Sie wurde auf der Neuberschen Bühne in Leipzig im Jahre 1737 in einem fragwürdigen Akt symbolischer Vernichtung verbrannt.
Vernunftdiktat; Natürlichkeitspostulat
Gottsched verwarf vor allem das Genre der Haupt- und Staatsaktionen, die „mit untermischten Lustbarkeiten des Harlekins pflegen aufgeführet zu werden“, rundweg als „Missgeburten der Schaubühne“. Es war dabei keineswegs nur „die Kleinmut und Zaghaftigkeit durch die Beispiele ohnmächtiger und verächtlicher Helden“, die Gottsched beim Publikum in prekärer Weise durch das Gebotene befördert glaubte. Vielmehr wandte er sich dezidiert gegen diejenige „Art ungereimter Schauspiele“, die „keine Nachahmungen der Natur [seien], da sie sich von der Wahrscheinlichkeit fast überall entfernen“ (Gottsched 2000, 544). Hinter dem auf die Theaterpraxis bezogenen Verdikt Gottscheds stand ein generelles Misstrauen gegenüber einer selbstgenügsamen komischen Darstellungspraxis, die sich in ihren formalen Übertreibungen vom Prinzip der Natürlichkeit, vom inhaltlichen Primat des logischen Grundes und damit von der allgemeinen Vernünftigkeit distanzierte. Jedoch standen gerade die von komischer Körperlichkeit ausgehende visuelle Intensität und ihre schiere theatrale Erscheinungsqualität in diametralem Gegensatz zu allen Versuchen, die Schaubühne im Sinne aufklärerischer Programmatik zu reinigen und sie als Medium für die entsprechenden Inhalte zu instrumentalisieren. Gegen die Gottsched-Neuberschen Hygienebestrebungen gewandt, verfasste Justus Möser eine Verteidigungsschrift für die Figur des Harlekins (Harlekin oder die Verteidigung des Grotesk-Komischen, 1761). Allerdings blieb auch er dem aufgeklärten Inhaltsprimat verhaftet, wo er das komische Spiel in erster Linie als satirische Kritik an realen Gegebenheiten bestimmte (vgl. Möser 1968, 21).
Komische Deformation um ihrer selbst willen und vor allem jenseits der Grenzen des guten Geschmacks, die durch das aufgeklärte Natürlichkeitspostulat eng gesteckt waren, wies dagegen auch Möser dezidiert zurück (vgl. von Brincken 2006, 35).
Divergenz von Literaturtheater und Spielpraxis
Die prosaische Tendenz und offen moralisierende Attitüde aufgeklärter Theoriebildung und Dramenprogrammatiken stand mithin insgesamt nicht zur literarischen Komödie, wohl aber zur exaltierten Sinnlichkeit von komischem Theaterspiel in Kontrast. Die durch Lessing konzipierte Theorie des bürgerlichen Trauerspiels führte ihrerseits zum programmatischen Verzicht auf coups de théâtre und spektakuläre Effekte. Wenngleich Lessing sich gegen das Gottsched’sche Totalverdikt gegenüber der komischen Figur richtete, so belegen die von ihm ausgegebenen Regeln für Schauspieler in der Hamburgischen Dramaturgie ein ganz ähnliches Interesse an der Bändigung des komischen Bühnengeschehens zugunsten der Vermittlung des dramatischen Werkes und seines Gehalts. So gab Lessing z.B. die Anweisungen, die Spielvorschriften des Verfassers seien zu beachten und es dürften keine Zusätze improvisiert werden, die dem jeweiligen Stück schaden. Die gegebenen Beispiele veranschaulichen in der Tat ein Missverhältnis zwischen literarisch-theoretischem Anspruch und Theaterpraxis.
Hanswurst und Wiener Volkstheater
Einzig in Österreich, dessen Theaterkultur ansonsten weitgehend eine Einheit mit der Deutschlands bildete, etablierte sich mit der von dem Schauspieler Johann Anton Stranitzky erfundenen und von seinen Nachfolgern in Habitus und Benehmen variierten Figur des Hanswurst die Tradition des Wiener Volktheaters, und dies durchaus aus dem Geiste der ursprünglichen Commedia heraus. Das Konzept einer gereinigten Schaubühne und die Regeldramatik begannen sich jedoch auch in Österreich durchzusetzen. Konkret wirkte sich dies in Form des sogenannten „Hanswurststreits“ (1747–1783) aus, der schließlich in der Einführung der Theaterzensur durch den Aufklärer Freiherr Joseph von Sonnenfels, der das Theater von den derben Stegreifpossen und Volksschauspielen reinigen wollte, mündete. Von Sonnenfels, einer der Berater Maria Theresias, setzte bei der Kaiserin nicht nur die Zensur, sondern im Jahre 1752 auch ein Extemporierverbot und die Verbannung der lustigen Figur des Bernadon durch. Besonders das Verbot des Extemporierens beraubte die komische Bühne ihrer eigentlichen Wesensart und Stärke. Jedoch erwies sich die lustige Figur, nicht zuletzt wegen der Affinität des Volkes, als zählebig. Das Resultat war eine Parallelität und Durchdringung von geregelter Dramatik und Volkstheater. Die charakterliche Bandbreite der lustigen Figuren Hanswurst, Bernadon, Kasperl usw. reichte schließlich von derben Sauf- und Raufbolden, Sexprotzen und großtuerischen Feiglingen bis hin zur Dienerfigur mit abgemilderten hanswurstischen Zügen innerhalb der Regeldramatik. Mit Philipp Hafner avancierte die Hanswurstiade schließlich zu einer literarischen Kunstgattung. Später wurde mit den Stücken von Ferdinand Raimund und Johann Nestroy eine an den Bedingungen des Unterhaltungstheaters geschulte und auf dessen Bühnenmodalitäten konzipierte Dramatik geschaffen, in der literarischer Anspruch, ironische Kritik und Theaterpraxistauglichkeit in ein fruchtbares Verhältnis traten (vgl. Fischer-Lichte 1993a, 171ff.).
Literarisierung der Commedia
Die oben skizzierte, weltanschaulich begründete Diskrepanz zwischen literarischem Inhaltsprimat und komischer Spielpraxis schlug sich im Europa des 18. Jahrhunderts jedoch gerade auch in Tendenzen nieder, zwischen beiden Formen auszugleichen. So schöpfte in Italien ein Dramatiker wie Carlo Goldoni aus dem Vorrat der aliterarischen Theaterkunst der Commedia dell’arte, jedoch mit dem Ziel, ihre dem aufgeklärten Weltbild nicht mehr kompatiblen szenischen Unwahrscheinlichkeiten literarisch zu extrapolieren. Seine am Vorbild der Molière’schen Charakterkomödie orientierte Literarisierung der überkommenen Komödienform – als psychologisierende Vermenschlichung der traditionellen Maskentypen deklariert –, stellte in der Tat darauf ab, das ausufernde Improvisationsspiel mit seinen stereotypen Wiederholungen, der exzentrischen Gestik und den lazzi einzudämmen, wenn nicht gänzlich zu beenden. Zwar errang Goldoni schon zu Lebzeiten einen Weltruf als Theaterautor. Der seinerseits beachtliche, wenn auch kurzfristige Theatererfolg seines Antipoden Carlo Gozzi, dessen Märchenspiele (fiabe) das traditionelle Maskenspiel neu belebten, weist aber darauf hin, dass das Interesse des Publikums an einer aus aufklärerischem Pathos heraus gereinigten literarischen Komödie keineswegs homogen war (vgl. Balme/von Brincken 2007, 275).
Unterhaltungstheater
Großstädtisches Unterhaltungsbedürfnis
Das Unterhaltungstheater sowie das Spektakel traten in Europa im 19. Jahrhundert ihren eigentlichen Siegeszug an, besonders in den großen Zentren London und Paris. In Frankreich stiegen bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Besucherzahlen im Vergleich zum ausgesprochen dürftigen Durchschnitt des 17. Jahrhunderts an. Aufgrund der 1791 proklamierten Gewerbefreiheit und der danach von Napoleon verfügten Neuregelungen des Theaterwesens kam es ab dem Ende des 18. Jahrhunderts zu einer Welle von Theaterneugründungen aus vorrangig ökonomischen Gründen. Die Theaterlandschaft der französischen Hauptstadt wurde fortan durch ein fruchtbares Nebeneinander verschiedener Theaterformen und der mit ihnen verbundenen dramatischen Genres geprägt, nämlich der klassischen Tradition an den großen Staatstheatern, der aktuellen literarischen Entwicklung vor allem an Privattheatern und schließlich der an Unterhaltung und Zuschauerbedürfnissen orientierten Boulevardtheater und Vorstadtbühnen. Hinzu kam der Zirkus, der sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zum eigentlichen Publikumsmagneten entwickelte. In der Folge entwickelte sich geradezu eine passion du théâtre. Es ist dabei von einem reinen Unterhaltungsbedürfnis des großstädtischen Publikums auszugehen, welches die europaweiten aufklärerischen Bemühungen gleichsam konterkarierte. Es manifestierte sich in einem stetig wachsenden Zulauf (zunächst vor allem aus der Unterschicht) zum Unterhaltungsbetrieb etwa des Théâtre de la foire und des Théâtre de Boulevard.
Melodram, Vaudeville, Pantomime
Eine besondere Hinneigung bestand einmal zu spektakelhaften dramatischen Genres, nämlich zum Melodram, das seine entscheidende Prägung durch Guilbert de Pixérécourt erhalten hatte (vgl. Frye 1957, 167 ff.; Marcoux 1992), und zum komischen Vaudeville. Eine weitere wesentliche Affinität, die übrigens von Massenpublikum und zeitgenössischen romantischen Literaten gleichermaßen geteilt wurde, ergab sich zur unliterarischen Pantomime, die aus der komischen Tradition der Commedia dell’arte entsprungen war, jedoch ihre Muster mehr und mehr aus der grotesk-ironischen Überformung der melodramatischen Gewaltszenarien gewann (vgl. von Brincken 2006, 126 ff.; Przybos 1987, 150).
Akrobaten-Theater
Die französische Pantomime war aus einer lebendigen Straßen- und Jahrmarktskultur hervorgegangen, die jedoch nach 1830 aufgrund gesetzlicher Verordnungen bereits ihren Niedergang erlebte und in eine theatrale Spektakelform mündete, zu deren Hochburg das zwischen 1813 und 1816 errichtete Théâtre des Funambules, das ,Theater der Seiltänzer‘ auf dem Boulevard du Temple wurde. Die Pantomime war, weitaus mehr als die Commedia, ein genuin vom akrobatischen Können bestimmtes Spiel, dessen Artisten-Darstellern aufgrund moralischer und politischer Vorbehalte seitens der Obrigkeit das Sprechen untersagt war. Zum Spielfundament wurde somit eine Form von Komik, die sich vom schieren Reiz des bewegten Körpers und des artistischen Agierens aus definierte. Sie war ob ihrer clownesken Exzentrik weder dramatisch im eigentlichen Sinne, noch ließ sie sich gänzlich für den satirisch-moralisierenden Verweis auf die soziale und historische Realität instrumentalisieren. Eingebettet war sie oftmals in fantastische Abenteuerstücke mit spektakulären Szenerien und prächtig-exotischen Dekorationen. Es handelte sich um nahezu zirkushaftes Spektakel, das mithilfe ausgeklügelter Bühnentechnik blitzschnelle Dekorationswechsel und frappante Effekte zu erzeugen suchte, zum ungetrübten Amüsement des Publikums (vgl. Balme/von Brincken 2007, 281).
Komische Spielpraxis im 20. Jahrhundert bis heute
Performatives Potenzial
Insgesamt war die Vorbildfunktion des komischen Spektakeltheaters gerade für die Entwicklung der modernen Szene beträchtlich. Die Pantomime fungierte, wie die Tradition der Commedia dell’arte, der Zirkus und die Clownskunst, als wesentliches Vorbild und als Katalysator für moderne Theaterentwürfe am Beginn des 20. Jahrhunderts.
Im Umkreis des französischen Symbolismus setzte Alfred Jarry mit seinem grotesken Drama um den brutal-monströsen Ubu Roi (Uraufführung am 10. Dezember 1896 im Théâtre de L’Œuvre) den Meilenstein für das moderne Drama und Theater (vgl. von Brincken 2003). Trotz seines Einflusses auf die spätere absurde Dramatik mit ihrer weltanschaulich düsteren Inhaltlichkeit ging es in Jarrys Drama vor allem um eine Re-Etablierung wirkungsästhetischer Prämissen für die Bühne und auch für das dem Theater zugewandte literarische Genre des Dramas. Entsprechend erteilte er in den theoretischen Schriften, welche die Aufführung des Stückes begleiteten, dem satirischen Prinzip und einer moralisierenden Komik eine dezidierte Absage (vgl. Jarry 1972). Zum Vorbild seines Textes bestimmte er zum einen die genuin unnatürliche Kunst des Marionettentheaters, zum anderen aber das groteske Spiel von Pantomimenclowns.
Komik und Dramatik um 1900
Im selben zeitlichen Umfeld um 1900 lassen sich auch in den dramatischen Versuchen anderer Künstler innerhalb Europas immer wieder Tendenzen ausmachen, die besondere sinnliche und phänomenale Ausstrahlung des Komischen und des spektakelhaften Spiels nicht nur zu thematisieren, sondern darüber hinaus als Vorbild einer neuen, vorrangig visuellen Bühnenästhetik zu verhandeln, etwa bei Oskar Kokoschka in seiner dramatischen Abbreviatur Sphinx und Strohmann oder auch bei Arthur Schnitzler in seiner doppelbödigen Groteske Zum großen Wurstel (1905). In Deutschland war es jedoch vor allem Frank Wedekind, der sein dramatisches Schaffen strukturell, motivisch sowie im Hinblick auf den darin intensiv geführten Körperdiskurs an den Unterhaltungsformen von Variété, Music-Hall und nicht zuletzt am Zirkus orientierte.
Komische Spielpraxis und Avantgarde
Diese frühen, um 1900 unternommenen Versuche, eine performative Dimension aus der komischen Spieltradition in den dramatischen Text selber einzubinden, setzte sich dann in avantgardistischen Versuchen zu einer materiellen Konkretisierung der Bühnensprache fort, zentral im italienischen Futurismus und im Dadaismus. In enger Verbindung damit standen die Bemühungen, die historische Spielpraxis der Commedia dell’arte, der Pantomime und verwandter Formen zur Schaffung einer neuen Schauspielkunst zu reaktivieren, so durch Jaques Copeau in Frankreich und früher im russischen Avantgarde-Theater, wie es durch die Regisseure Wsewolod E. Meyerhold, Alexander Tairow und Ievgeni Wachtangow vertreten wurde. Gerade Meyerhold versuchte in seiner 1912 erstmals veröffentlichten Programmschrift Balagan (vgl. Meyerhold 1979, Band 1, 196–221) durch eine Synthese der Spielprinzipien von Pantomime und Improvisation, Puppen- und Maskentheater eine neue, auf A-Mimetik beruhende Darstellungsästhetik gegenüber dem realistischen und literarisierten Theater zu etablieren. Umfassend etikettiert wurde diese von ihm mit dem Begriff der „Bühnen-Groteske “. Die von ihm zu diesem Zweck entwickelten Formen sollten später die Fundamente seiner an Abstraktion orientierten Schauspieltechnik, der sogenannten Biomechanik, abgeben.
Weltanschauliche Befrachtung des Komischen
Immer wieder griffen im Verlaufe des 20. Jahrhunderts Autoren wie Regisseure und auch Schauspieler auf die Strukturen der komischen Spielpraxis zurück (vgl. Koch/Vaßen 1991). Dabei kam es freilich, gerade in einem Theater mit weltanschaulicher und aufklärerischer Programmatik, von Neuem zu einer Befrachtung des Komischen mit satirisch-indexikalischer Funktion und/oder semantischem Gehalt. So konstatierte bereits Bertolt Brecht, dass das Prinzip der Verfremdung und des V-Effekts innerhalb seines Epischen Theaters wesentliche Züge komischer Technik trüge. Die Wiederbelebung der Commedia dell’arte - Tradition durch den Brechtschüler Giorgio Strehler in seinen Inszenierungen von Goldonis Diener zweier Herren stand ebenfalls unter politischer und sozialreformatorischer Perspektive. In den Vordergrund rückte hier eine angenommene utopische Dimension des Volkskulturhaften, das gegen bürgerliche Gesellschaftsstrukturen in Anschlag gebracht wurde. Von ähnlicher Tendenz sind auch die hochpolitischen Beiträge Dario Fos. Dem gegenüber steht eine große Richtung absurder bzw. grotesker Dramatik – von Luigi Pirandello zu Samuel Beckett, Eugène Ionesco, Fernando Arrabal und auch Friedrich Dürrenmatt –, die das Bühnen-Komische zum symbolisch vergrößernden Spiegel der menschlichen Existenz schlechthin ausweitete. Sowohl die dezidiert politischen wie auch die metaphorisierenden Entwürfe stehen – bei all ihrer ästhetischen Raffinesse und trotz ihres großen Erfolges beim Publikum – exemplarisch für ein anhaltendes Misstrauen gegenüber einer theatralen Praxis reinen, in seiner irreduziblen Performativität weder semantisch noch weltanschaulich gänzlich vereinnahmbaren Spiels.
Postmoderne und Deformation
Ernst genommen als konkreter und körperlicher Einspruch gegenüber symbolischen Sinnzuschreibungen wird das Komische dagegen durchaus im post-dramatischen Theater und innerhalb der Performancekunst. Wo es um die Dekonstruktion unserer Wahrnehmungsgewohnheiten via verstörende Bilder geht, werden alternative Körperdramaturgien entworfen, die im Exponieren materieller und phänomenaler Qualitäten die Verbindlichkeit kultureller Repräsentationsmuster rundweg in Frage stellen. Dazu bedient man sich durchaus komisch-clownesker Einlagen, etwa im Theater der britischen Truppe Forced Entertainment, und schockant-grotesker, jedoch ästhetisch äußerst reizvoller Deformation, so in den Experimenten der italienischen Socìetas Raffaello Sanzio und ihres Regisseurs Romeo Castellucci, oder auch im grotesken Figuren- und Materialtheater der argentinischen Gruppe El Periférico de Objetos. Heute hat sich im Zuge post-strukturalistischer Theoriebildung ein breiter Diskurs um die zwischen Irritation und Faszination oszillierende Ausstrahlung des deformierten Körpers ergeben, der neben dem Abstoßenden, dem Verunstalteten und dem Schockierenden auch das Komische betrifft, es also dem Abjekten subsumiert. Als solches bildet es heute wiederum einen Teilaspekt eines ästhetisch und theatral ausagierten Diskurses um die entgrenzenden Potenziale des Körpers im Spannungsfeld von Ordnung und Freiheit, von Disziplinierung und Utopie.