12 – Dominique Servant
Wie ich die Entspannung und die Meditation entdeckte
Als Medizinstudent erntete ich bei einem Praktikum auf einer Herzstation vonseiten der Ärzte und Assistenzärzte ein allgemeines und leicht spöttisches Lächeln, als ich fragte, ob man einem sehr ängstlichen Patienten, der nach einem Herzinfarkt gerade einen Bypass bekommen hatte, nicht Entspannungsübungen verordnen könne. Man gab mir zu verstehen, dass das, was bei der Behandlung zählte, neben regelmäßigem Sport die Medikamente und die richtige Ernährung seien. Was Entspannung angehe, die unter der Rubrik »sanfte Medizin« lief – und als Spielerei ohne große Wirkung galt –, so habe sie auf einer Station mit Spitzentechnologie nichts zu suchen.
Heutzutage hat sich die Einstellung ein wenig geändert, und man erkennt an, dass Entspannungs- und Meditationstechniken bei der Rehabilitation von Herzpatienten und der Begleitung gesundheitlicher Probleme physischer und psychischer Art tatsächlich einen Platz haben. Aber in der Praxis kennen wenige Fachleute wirklich die verschiedenen Methoden und wann sie angezeigt sind, und noch weniger haben sie sie selbst praktiziert. Doch ist es nicht besser, selbst zu wissen, wovon man spricht, wenn man seine Patienten gut beraten will? Überdies war ich, von Natur aus etwas scheu und von bestimmten Ängsten besetzt, über die ich noch sprechen werde, sehr früh von Methoden angezogen, mit denen man diese besiegen konnte. Deshalb beschloss ich, mich für solche Techniken zu interessieren, und die beste Art und Weise bestand vor allem darin, sie selbst zu üben.
Eine Anleitung finden
Ich interessierte mich also während meines Medizinstudiums für die Entspannung, aber erst in den Anfangsmonaten als Assistenzarzt in der Psychiatrie begann ich, sie wirklich zu praktizieren. Erster Reflex, wenn man etwas studiert: Man besorgt sich ein Buch, um die Sache schnell verstehen und anwenden zu lernen. Wie groß war meine Enttäuschung, als ich ein Buch kaufte, das man mir empfohlen hatte, und es zu Hause aufschlug! Nichts als Text, ein wenig Geschichte, Theorie und wieder Theorie, aber nicht viel, was mir wirklich für die Praxis half. In den wenigen Sätzen, die am verständlichsten waren, war von einem deutschen Psychiater namens Schultz die Rede, der das Autogene Training begründet hatte und von dem die Formel stammt: »Mein Arm ist schwer, ganz schwer, er wird immer schwerer …« Ich war nicht wirklich begeistert von der Autosuggestion, die ein wenig der Methode von Coué ähnelt, aber ich entdeckte dort einige Grundlagen der Praxis: dass man sich einen ruhigen Ort sucht, sich still hinsetzt, sich seines Körpers bewusst wird und einen Zustand der Lockerheit herstellt. Ich entwarf mein erstes Programm mit Entspannungsübungen ausgehend vom Autogenen Training und änderte dessen Übungen so ab, dass sie nicht mehr so lang und schwerfällig waren und mit weniger Wiederholungen auskamen.
Dann klappte ich das Buch zu und stellte es ins Regal. Es steht bis heute noch dort, und ich habe es nie mehr gebraucht. Ich war enttäuscht und ziemlich ratlos. Ich glaube nicht, dass ich in jenem Augenblick bewusst beschloss, selber eines Tages praktische Entspannungs- und Meditationsanleitungen zu schreiben, die die Leser inspirieren und ihnen konkret helfen würden, aber unbewusst muss dieser Gedanke schon sehr stark da gewesen sein.
Mein erstes Mal
Ich lag mit dem Rücken auf einer Matratze und fühlte mich ein wenig schwindelig, weil ich am Abend vorher mit einigen befreundeten Assistenzärzten aus der Psychiatrie ausgegangen war, und es war wohl ein wenig spät geworden. Die Psychologin, die auf der Station arbeitete, hatte mich zu einem Einführungstag eingeladen. Warum spürte ich diese seltsame Beklemmung, als ob ich nicht atmen könnte? Ich hörte die sanfte Stimme der Therapeutin, aber ich hatte Probleme mit meinem Atem, obwohl sie mich aufforderte, ganz ruhig und langsam zu atmen. Ich spürte, wie mir das Herz in der Brust schlug, obwohl es mir kurz davor noch gut gegangen war.
Um sich zu entspannen, muss man lernen, nach innen zu hören.
Im Laufe des Tages verschwand diese unangenehme Empfindung dann nach und nach. Ich lernte, mich auf meine eigenen Empfindungen zu konzentrieren, ein Echo von dem zu spüren, was im Innern geschah, auf mich selbst zu lauschen. Ich ließ alles los, ich dachte nicht nach. Wenn ich eine körperliche Empfindung hatte, wartete ich, ich sagte mir, dass sie vergehen würde. Mein Atem wurde fließender, ich spürte meinen ganzen Körper und nicht nur die begrenzte Partie meines Brustkorbs. Geschafft, ich hatte das erste Hindernis überwunden. Um sich zu entspannen, muss man lernen, nach innen zu hören. Eine Übung ist nicht gelungen oder gescheitert: Sie bringt stets etwas und stellt immer eine Etappe der Entdeckung dar. Nur die Wiederholung derselben Übungen, ohne sich unter Druck zu setzen, bringt das Empfinden des Gelöstseins, das ich mit der Zeit erreichte.
Kleine Empfehlungen für den Anfang
Entspannung ist eine sehr offene Technik. Man kann ein paar geeignete Einstiegsübungen finden und dann im eigenen Tempo weitermachen. Man braucht eine gewisse Anleitung, aber das eigene Üben ist das Einzige, was wirklich zum Erfolg führt. Wenige Techniken sind so offen und allgemein zugänglich, und man kann sich aus den verschiedensten Gründen mit ihnen beschäftigen: um etwas für sich zu tun, um eine neue Lebenskunst zu entwickeln oder um sein Leben gelassener anzugehen.
Die Wege des Lernens
Ich habe meinen Beruf als Psychotherapeut in vielerlei Hinsicht durch meine Patienten gelernt. Durch sie hat sich mein Wissen über die menschliche Natur und auch über mich selbst erweitert. Das gilt besonders für die Entspannung, bei der das Praktizieren der Übungen auf der Grundlage der erlebten Erfahrung einen sehr bereichernden Austausch erlaubt.
Ich mache inzwischen regelmäßig jeden Tag und sogar mehrmals am Tag Übungen, die im Laufe der Zeit manchmal den Charakter eines Innehaltens annehmen, einer Brise des Wohlbefindens oder der Ruhe, einer Zeit der Regeneration und des Zu-sich-Kommens, oder im Gegenteil den Charakter des Sich-Wegträumens, des Von-sich-Weggehens und Loslassens. Ich reserviere mir auch ein wenig Zeit, um vollständigere und dementsprechend längere Übungen zu machen, für die man im Tempo unseres modernen Lebens nicht immer Zeit findet.
Dank des Austauschs mit anderen Therapeuten und der Anregungen aus einigen Büchern habe ich im Laufe der Zeit meine eigenen Übungen entwickelt, immer inspiriert und abgewandelt aus den klassischen Techniken, die man in mehreren der bekannten Methoden findet. Ich interessierte mich für das Autogene Training von Schultz, für die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson, für Autosuggestion, Yoga, Hypnose und Meditation. Sie alle tragen unterschiedliche Aspekte bei und haben gleichzeitig vieles miteinander gemein. Ich habe daraus etwas veränderte, einfache Mittel geschöpft, die ich zuerst für mich selber angewendet und anschließend anderen Therapeuten, meinen Patienten und allen Interessierten gezeigt habe, etwa anlässlich von Praktika zur Stressbewältigung in der Arbeitswelt. Daraus haben sich vier Haupttechniken ergeben, die ich vor allem verwende.
Meine vier Lieblingstechniken
Die Atemtechniken: Ich verwende sie im Laufe des Tages ständig, um, wenn ich kann, negative Emotionen zu entschärfen, und auch zu Beginn und zur Vertiefung der anderen Techniken.
Die Körperentspannung: Sie ist unerlässlich, wenn man beispielsweise seinen Tag sitzend im Büro verbringt und sich der Körper zwangsläufig verspannt. Erdungsmethoden, wie beispielsweise ein- oder zweimal die Fäuste ballen und sich beim Öffnen der Fäuste der Entspannung bewusst werden, das Sich-Zentrieren auf die verschiedenen Körperpartien, die Selbstsuggestion eines Gefühls der Leichtigkeit erlauben mir im Laufe der Zeit sehr rasch, eine Entspannung des Körpers herbeizuführen.
Die Achtsamkeit: Schon unzählige Male habe ich diese Rückbesinnung auf das Jetzt verwendet, die zu einer Gewohnheit und einer Methode geworden ist, den Druck zu senken und einen anderen Blick auf das zu werfen, was wir Stress nennen.
Die Visualisierung: Wenn ich etwas tun muss, wovor ich mich fürchte, hatte ich früher die Tendenz, darüber nachzudenken und es zu analysieren. Inzwischen versuche ich immer mehr, mir die Situation mithilfe der Visualisierung vorzustellen und mich darin zu sehen, um die negative Emotion abzuschwächen, die sie mit sich bringt.
Auf der Grundlage dieser vier Haupttechniken ist eine Vielzahl von Übungen möglich. Ich fordere die Übenden immer auf, sie ganz nach Wunsch abzuwandeln und sich eigene Übungen auszudenken.
Meine Lieblingsübungen
Ich habe über fünfzig Entspannungs- und Meditationsübungen zusammengestellt und werde manchmal gefragt, welche mir am liebsten sind. Ich möchte Ihnen einige einfache, aber sehr unterschiedliche Übungen vorstellen, die ich selbst praktiziere.
Die Ganzkörperatmung
Diese Atemübung ist eine Technik sowohl für Anfänger als auch für die versiertesten Praktiker. Atmen heißt vor allem, das Steuer haben, die Kontrolle über die eigenen Empfindungen übernehmen, und danach ist die Reise unendlich. Ich nehme mir im Büro häufig einige Minuten Zeit und lasse mich von meinem Atem tragen, indem ich ihm lausche und besondere Aufmerksamkeit schenke. Beim Einatmen halte ich auf der Höhe des Brustkorbs und des Bauches einige Augenblicke inne und achte auf die Empfindungen, die meinen Atem begleiten, und die regelmäßige Bewegung der Schultern. Ich lasse die Luft frei durch meine Nasenlöcher und meine Luftröhre strömen und sich in meiner Lunge ausbreiten, bevor sie den umgekehrten Weg geht. Ich werde dann zur Atmung, der Atem wird zum Allerwichtigsten, und ich lausche ihm. Ich lasse die Luft einige Minuten zirkulieren, ich nehme es bewusst wahr, ich hole etwas tiefer Luft, lasse meinen Brustkorb weiter werden und atme, indem ich alle Spannungen in meinem Körper zum Fließen bringe, wie eine Welle, die durch meinen Körper geht und deren Wirkung sich überall verteilt.
Wenn ich ausatme, entspannt sich mein Gesicht, dann meine Schultern, mein Hals und mein Nacken. Anschließend die inneren Organe: Das Herz, der Darm, die Muskeln werden friedlich. Die Luft zirkuliert frei in meinem Körper, bringt mir Entspannung und Beruhigung. Vielleicht wird es Menschen, die es niemals probiert haben, schwerfallen zu verstehen, wie die simple Tatsache zu atmen eine solche Entspannung im Körper zur Folge haben kann. Alle, die sich dafür ein wenig Zeit genommen haben, werden es verstehen.
Reisen im Kopf
Einigen Menschen gelingt das Visualisieren auf Anhieb sehr gut, anderen anfangs weniger gut, aber man lernt es mit der Zeit. Stellen Sie sich einen Ort, ein Haus, ein Zimmer, einen Augenblick oder eine Umgebung vor, wo Sie mit sich allein sind. Lassen Sie die Farben, die Umrisse, die Einzelheiten oder den Gesamteindruck vor Ihrem inneren Auge erstehen. Behalten Sie dieses Bild im Innern, kultivieren Sie es: Das ist der Auslöseimpuls für Ihr Wohlbefinden. Jeder hat ein anderes Bild. Hier ist das meine:
Der Ort, an dem ich mich geborgen fühle
Es handelt sich um ein kleines weißes Haus auf der Ile de Ré, wohin ich mich, wann immer es mir möglich ist, zurückziehe, um mich zu regenerieren und ansonsten die ganz einfachen Dinge zu erleben, die sich im Laufe der Jahre in mein emotionales Gedächtnis eingegraben haben: das Rauschen des Windes auf dem Fahrrad, die Liebkosungen der Sonne, den Geruch der Gezeiten, der sich mit dem der Felder, der Weinberge, des Pinienwaldes und vielen anderen Düften mischt, diese so besondere Mischung aus Land und Meer auf dieser Atlantikinsel. Ich beginne die Visualisierung immer mit einem einfachen und unbewegten Bild, auf dem ich vollkommen allein bin. Wenn ich mir die alte Steinmauer auf der Terrasse, das Grau der Fensterläden und der Tür vor den weißen Mauern vorstelle, versetzt mich das fast augenblicklich in einen anderen Zustand und löst in mir ein Empfinden von wiedergefundener Zeit, von Augenblicken der Fülle, aus.
Der Imagination die Macht überlassen
Diese Fähigkeit, Reisen im Kopf zu unternehmen, beinhaltet noch weit mehr, als nur mithilfe der Visualisierung Empfindungen auszulösen oder einen Ort der Geborgenheit aufzusuchen: Sie ermöglicht auch, sich von Blockaden zu befreien, Ängste zu überwinden, kreativer zu sein und anders mit anderen zu kommunizieren. Man kann sich auf eine echte Fantasiereise begeben und in Situationen versetzen, die sich von unseren gewöhnlichen Abwehrstrategien unterscheiden.
Die Visualisierung hilft nicht nur, angenehme Empfindungen auszulösen. Man lernt mit dieser Technik, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen; sie wird zu einem virtuellen Lern- und Übungsfeld.
Bei vielen Tätigkeiten, vor denen wir uns fürchten, ist die Visualisierung ein sehr effektives Werkzeug zur Befreiung und zu einer anderen Art des Lernens. Sie macht es uns möglich, unsere unbegreiflichsten Ängste und Phobien zu überwinden, wie etwa die Angst, sich in einer Menschenmenge, einem Auto oder einem Flugzeug aufzuhalten, aber auch am Arbeitsplatz vor anderen das Wort zu ergreifen, eine bestimmte Sportart oder das Tangotanzen zu lernen etc.
Ich konnte die Erfahrung machen, dass die Visualisierungsübungen eine ungeahnte Hilfe darstellen, wenn man lernen will, sich von seinen Blockaden und Hemmungen zu befreien. Sie ergänzen oft die psychologischen Ratschläge und üblichen mentalen Übungen, mit denen man uns überhäuft.
Ich fahre Ski im Kopf
Als Kind und Jugendlicher fuhr ich ein wenig Ski und danach lange nicht mehr. Als ich viele Jahre später meine Frau kennenlernte, fing ich wieder damit an. Sie half mir, mich wieder auf die Bretter zu stellen. Sie bog sich mehrmals vor Lachen, als sie sah, wie ich buchstäblich blockiert und voller Panik oben auf einer harmlosen Anfängerpiste stand. Die Angst verwandelt unser Erleben und hemmt den Körper bei der Suche nach der natürlichsten Position. Der Körper verspannt sich, man hat nichts mehr unter Kontrolle, und der Sturz ist vorprogrammiert. Ich beobachtete die anderen Skifahrer. Eine Gruppe von befreundeten Psychiatern ermutigte mich. Sie zeigten mir, dass meine Haltung auf dem Abhang die Auflage meiner Skier auf dem Schnee und mein Körpergewicht auf den Skiern veränderte. Ich ließ den Film im Kopf immer wieder durchlaufen. Ich stellte mir die ideale Haltung und das Geschwindigkeitsgefühl vor. Durch diese wiederholte Visualisierungsübung bekam ich langsam Spaß an der Sache und konnte vor allem meine Angst und meine Blockaden überwinden. Auch wenn ich von Natur aus nicht besonders sportlich bin, habe ich inzwischen wirklich Freude am Skifahren und bin stolz darauf, dass ich durch die Visualisierungsübungen alles in allem bescheidene Fortschritte gemacht habe, natürlich in Verbindung mit Beharrlichkeit und Übung.
Meditieren, um nicht mehr an das zu denken, was Leiden auslöst
Vor einiger Zeit wollte eine junge Psychologin bei einem meiner Seminare über Achtsamkeit von mir wissen, ob ich selbst übte und was es mir brachte. Ich versuchte, ihre Frage aufrichtig zu beantworten. Ich erinnere mich an eine Zeit vor einigen Jahren, als mich die Gesundheit eines meiner Kinder beunruhigte, eine Sorge, die inzwischen glücklicherweise verflogen ist, aber die damals viele Ängste auslöste. Wenn man in seinen Gedanken feststeckt und die Dinge gerade erlebt, ist es schwierig klarzukommen, nicht später, wenn die Situation vergangen ist oder die Sorgen durch die Zeit gemildert wurden. Die Achtsamkeitsmeditation hat mich gelehrt, mit einem Problem zu leben und nicht nur ein Problem zu sein und dauernd darüber nachzudenken, um eine Lösung zu finden. Grübeln heißt nicht handeln, die Gedanken sind keine Tatsachen, lautet der Schlüsselgedanke der Achtsamkeitsmeditation.
Ich habe die sehr spezifische Wirksamkeit dieser Technik beobachtet, die einzig und allein darauf gründet, sich des gegenwärtigen Augenblicks bewusst zu werden. Durch regelmäßiges Üben habe ich selbst die wohltuenden Wirkungen auf die Gedanken, die innere Öffnung und die Beobachterposition, die wir dann einnehmen können, erfahren.
Meditieren, wenn man weit weg von zu Hause ist
Es gab eine Zeit, in der ich sehr viel reiste, um an Kongressen auf der ganzen Welt teilzunehmen, oft hin- und hergerissen zwischen der Einsamkeit, weil ich weit fort von zu Hause war, und dem Interesse an allen Dingen, die ich sah und lernte, und den Menschen, denen ich begegnete. Es gibt auch die Momente der Einsamkeit, wenn man abends ins Hotel kommt und praktisch niemanden kennt. Solche Augenblicke sind oft günstig für das Nachdenken und den Dialog mit sich selbst. Auf diese Weise entdeckte ich die Achtsamkeitsübungen. Ich lernte, fern von zu Hause meine Traurigkeit zu beobachten, dass ich nicht bei meiner Familie war; ich lernte, empfänglich zu sein für all die kleinen neuen Erfahrungen, die Reisen und Begegnungen mit sich bringen, und für die Unterschiede, die man dabei entdeckt. Die Achtsamkeit bereichert all diese Augenblicke, in denen man mit sich allein ist. Es ist eine Alternative zum Träumen oder Nachdenken, und es ist zweifelsohne eine menschliche Fähigkeit, die in unserer Kultur allerdings noch nicht ganz selbstverständlich geworden ist.
In die tiefsten Tiefen des eigenen Bewusstseins reisen
Wie jeder von uns habe auch ich manchmal das Bedürfnis, aus dem Alltag auszubrechen, aber es ist nicht leicht, sich der Welt zu entziehen, die uns umgibt. Ich habe manchmal Lust, woanders zu sein und mich tief zu entspannen. Wenn ich Zeit habe, mache ich gern tiefere Entspannungsübungen, die ein Ausspannen auf der körperlichen wie auch der mentalen Ebene herbeiführen. Ich strecke mich auf meinem Bett aus und suggeriere mir mental ein immer tieferes Loslassen. Ich lasse mithilfe der Assoziation, der Zentrierung des Geistes auf den Körper die Reise geschehen und mich in einen Zustand zunehmender Entspannung versetzen, der mit Empfindungen von Leichtigkeit und anderen körperlichen Vorstellungen einhergeht. Anfangs geht es ein wenig langsam, aber dann beschleunigen sich die Dinge und laufen auf ein für diesen Zustand charakteristisches Loslassen hinaus, bei dem man hier ist, aber gleichzeitig auch woanders. Der Körper entspannt sich und erreicht einen immer tieferen und intimeren Zustand, in dem Empfindungen und Gefühle befreit werden und von selbst in den Vordergrund treten. Was den Geist angeht, so streift er umher und entwickelt eine überschwängliche Fantasie und Kreativität. Das Nachlassen des bewussten Denkens öffnet neue Zugangspforten zu verschütteten Erinnerungen und zum Blick, den man auf sich und seine Umgebung wirft.
Ich mache auch kürzere und weniger tiefe Übungen, wenn ich nicht zu Hause bin. Im TGV lasse ich mich manchmal einfach fünf oder zehn Minuten ganz auf das Geräusch des Zuges ein, wobei das hypnotische Schaukeln des Zugs mir hilft, die Augen zu schließen und woandershin abzutauchen. Ich lasse mich an einen anderen Ort versetzen, den ich kenne, und durch die assoziative Aufeinanderfolge der Bilder entwickelt sich dieser Ort weiter, wobei manchmal die Logik verloren geht wie in einem Tagtraum, wo ein Teil von uns sich von der Selbstkontrolle, den Regeln und Zwängen befreit.
Es ist schwierig, von außen zu beurteilen, was diese Art Übung, die nah an der Selbsthypnose und Autosuggestion ist, mir bringt. Ich glaube, dass sie mich regeneriert, mir erlaubt, mich zu erforschen und, wie ich hoffe, neue Inspirationen und Ideen in mir zu wecken.
Was mir Entspannung und Meditation gebracht haben
Entspannung und Meditation haben nicht mein ängstliches Naturell geändert, aber sie haben mir für bestimmte Dinge die Augen geöffnet. Sie ermöglichen mir, meine Orientierung wiederzufinden, mich von Automatismen und Wiederholungen zu befreien und es zu vermeiden, ewig zu grübeln.
In meiner psychotherapeutischen Praxis hat die Entspannung die Art und Weise bereichert, wie ich meinen Patienten helfe. Ich schlage Entspannung nicht systematisch vor, aber ich erwähne diese Möglichkeit fast immer irgendwann als sehr wirksames und hilfreiches therapeutisches Werkzeug für Stress- und Angstprobleme.
Überdies zeigt die Entspannung sofort, was im eigenen Innern los ist, sie lässt Möglichkeiten erahnen, wie man aus den eigenen Ängsten herausgehen kann. Die Erfahrung der Entspannung ist auch ein prompter Beweis, dass man sein inneres Unglück überwinden kann, und sie ist einfacher zu handhaben als andere Formen der Psychotherapie oder der Arbeit an sich selbst.
Meine drei wichtigsten Ratschläge
Üben Sie auf Ihre eigene Weise
Entspannung und Meditation dürfen kein Zwang sein. Ich habe bereits erwähnt, dass ich nichts an den neuen Entspannungsübungen erfunden, sondern diese nur freier und zugänglicher gestaltet habe. Wenn Sie Schwierigkeiten haben loszulassen, praktizieren Sie Achtsamkeitsübungen im Alltag.
Lassen Sie sich von der Erfahrung leiten
Sie werden feststellen, dass der Nutzen sich sehr schnell einstellt, aber erst durch die Vertiefung findet man den wahren Schlüssel zu Wohlbefinden, Antworten auf Stress, Ängstlichkeit und auf zahlreiche Formen von innerem Unglück.
Entdecken Sie eine neue Lebenskunst
Entspannung und Meditation laden uns ein, einen anderen Blick auf die Dinge und uns selbst zu werfen, sie setzen in uns schlummernde Eigenschaften und Möglichkeiten frei, sie bieten einen anderen Weg der Befreiung als nur über das Wort, einen Weg, der vielen offensteht.
Zum Abschluss
Die Technik der Entspannung und Meditation, die von einigen Ärzten und Psychiatern immer noch scheel angesehen wird, sollte im Gegenteil weithin empfohlen und praktiziert werden. Mir ist es ein Anliegen, dazu beizutragen, dass aus der Entspannung ein Fachgebiet wird und dass sie weiter verbreitet wird. Ich habe die Unterstützung vieler Kliniker und Übender, die mir helfen, sie einer größeren Anzahl von Menschen als natürliche und nachhaltige Methode nahezubringen, die andere Methoden ergänzt. Auch wenn sie nicht alle Leiden heilen kann, bringt sie den Betroffenen doch einen Gewinn. Ich habe anhand meiner eigenen Erfahrung feststellen können, dass es möglich ist, innezuhalten, sich Zeit zu nehmen, die Dinge voll und ganz zu erleben und wieder einen ruhigeren Zustand zu erreichen. Ich bin überzeugt, dass es für jeden möglich ist.