Kapitel 22
Greg
Als ich auf der Couch aufwache, bin ich ein wenig verwirrt. Das Haus ist immer noch dunkel und still, aber als ich auf die Uhr sehe, ist es weit nach Mitternacht und ich weiß, dass etwas nicht stimmt. Melissa hätte mich nie auf der Couch liegen lassen, wenn sie schon nach Hause gekommen wäre.
Verdammt, ich bin so müde. Es fühlt sich an, als würde mich der Stress, etwas vor der Frau, die ich liebe, geheim zu halten, langsam auffressen. Ich weiß, dass dieses Gespräch nicht leicht wird, aber ich muss mit ihr reden. Ich muss nur genug Vertrauen in uns und unsere Liebe haben, dass sie mir verzeiht, dass ich es vor ihr geheim gehalten habe.
Ich stehe von der Couch auf und strecke meine vom Schlaf verspannten Muskeln. Dann mache ich mich auf die Suche nach meiner Frau. Vielleicht war es keine gute Idee, ihr zu sagen, dass alles in Ordnung ist. Sie weiß, dass etwas nicht stimmt, aber ich glaube nicht, dass sie so wütend ist, dass sie nicht nach Hause kommt. Natürlich haben wir uns ein paar Mal gestritten, aber nur über Kleinigkeiten, wie das Offenlassen der Zahnpastatube.
Zehn Minuten später beginne ich doch, mir Sorgen zu machen. Sie ist nicht hier. Und nicht nur das, es scheint, dass sie nicht mehr hier war, seit ich nach Hause gekommen bin. Ihre Sachen sind noch alle hier, aber sie nicht.
Ich verbringe weitere zehn Minuten damit, nach meinem Handy zu suchen. Ohne Erfolg. Himmel, ich verliere noch den Verstand. Ich gerate in Panik, denn mir wird klar, wenn ich mein Handy nicht habe, kann sie mich nicht erreichen, falls etwas Schlimmes passiert sein sollte. Was, wenn sie einen Unfall hatte? Verflucht! Sie könnte im Krankenhaus sein, und ich habe geschlafen.
Ich finde das Handy endlich unter dem Sitz meines Wagens und breche fast zusammen, als ich sehe, wie viele Anrufe ich verpasst
habe. Einen von Axel, einen von Emmy, zwei von Dee, aber die sechzehn Anrufe von Izzy lassen mein Herz stocken.
Nachdem ich alle Nachrichten gelesen habe, weiß ich immer noch nicht genau, was vor sich geht. Emmy scheint verwirrt und ahnungslos zu sein. Sie lässt mich wissen, dass sie nicht mit den Mädels ausgegangen ist, aber sie hat mit Izzy gesprochen und ich soll sie so schnell wie möglich anrufen. Dees Nachricht ist genauso verwirrend wie Emmys. Ihre zweite Nachricht jedoch verwandelt mein Blut in Eis.
Dee: G, ich weiß nicht, was passiert ist. Meli ist zur Toilette gegangen, und als sie zurückkam, sah sie wie ein Geist aus. Sie ist jetzt weg, aber ich weiß, dass Mandy etwas gemacht hat. Das kleine Miststück will es mir aber nicht sagen. Du musst sie finden, G. Irgendetwas stimmt nicht, aber ich weiß nicht, was. Ruf Izzy an. Sie ist vor einer Weile mit ihr weggefahren. Hab dich lieb
.
Mandy. Diese verfluchte Schlampe. Ich habe keine Ahnung, was sie zu Melissa gesagt hat, aber es kann nichts Gutes gewesen sein. Warum habe ich nur geglaubt, dass sie über mich und ihre Besessenheit von meinem Schwanz hinweg ist? Das letzte Gespräch, das ich mit ihr hatte, endete eigentlich ganz gut. Sie entschuldigte sich wieder und wieder und versicherte mir, dass sie mir nur das Beste wünsche. Ich denke, ich hätte hellhörig werden sollen, als sie mir sagte, dass sie wieder ihre Medikamente nehme. Verflucht.
Als ich mir Izzys Nachrichten anhöre, die besorgt anfangen und verzweifelt enden, weiß ich, dass mein Pech sich gerade verschlimmert hat. Sie erzählt mir nicht mehr als Dee. Offensichtlich hat meine Schöne dichtgemacht und lässt niemanden an sich heran.
Ich gehe im Wohnzimmer auf und ab, als schließlich Axels Nachricht hereinkommt.
Axel: Sie ist hier, und du musst wegbleiben, Bruder. Ich weiß, dass das unmöglich für dich sein wird, aber vertrau mir, wenn ich sage, dass sie in Sicherheit ist. Und ich sorge dafür, dass es so bleibt. Sie weiß es, mehr muss ich dir nicht sagen. Iz hat nicht viel gesagt, nur dass Mandy ihr von Simon erzählt hat. Ich würde gern wissen,
woher dieses Miststück so viel weiß, dass sie Melissa in diese Lage bringen konnte. Lass sie sich beruhigen und komm morgen früh her. Und, G – wenn du Izzy erzählst, dass ich dir verraten habe, dass sie hier ist, schneide ich dir den Schwanz ab
.
Zum Glück ist sie in Sicherheit, aber das trägt nicht dazu bei, meine Anspannung zu mildern. Ich muss meine Frau beschützen. Ich muss bei ihr sein. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass es dafür viel zu spät ist, rufe ich Axel sofort zurück.
„Was willst du?“, grollt er ins Telefon.
„Geht es ihr gut?“
„Was zur Hölle denkst du denn? Meine Frau ist bei deiner, weil sie die ganze Zeit, seit sie hier angekommen ist, nicht aufgehört hat zu weinen. Ich bin kein Mädchen und mag meinen Schwanz, also habe ich nicht lange zugehört, aber sie hat viel Scheiß gesagt, den sie bestimmt bereuen wird und noch mehr Scheiß, den sie wahrscheinlich nicht bereuen wird.“
„Ich kann dir nicht folgen, Axel. Was meinst du damit?“
„Ich meine damit, wenn du jetzt herkommst, kriegst du einiges zu hören, was dir nicht gefallen wird. Sie ist verletzt und ich habe dir gesagt, dass es so kommen würde, daher kann ich ihren Schmerz verstehen. Aber sie steht auch unter Schock. Sie sagt Sachen, die sie nicht sagen würde, wenn sie einen klaren Kopf hätte. Wenn du sie liebst, dann bleib verflucht noch mal zu Hause und lass Izzy die starke Schulter sein, die sie braucht.“
„Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll, Ax.“ Ich seufze und fahre mir mit den Fingern durchs Haar. Alle meine Instinkte sagen mir, dass ich zu ihr eilen und die zerbrochenen Stücke wieder zusammensetzen soll.
„Das weiß ich, aber du musst lernen, dass nicht immer du derjenige sein kannst, der alles in Ordnung bringt. Du kannst nicht jeden vor allem beschützen. Das hat dich erst in diese Misere gebracht.“ Ich höre im Hintergrund, wie er durch sein Haus geht und ein paar Türen schließt. „Lass mich nach ihnen sehen. Würde dir das ein bisschen helfen?“
„Bitte“, flüstere ich.
„Bleib dran“, sagt er und legt das Telefon weg. Nach einer gefühlten Ewigkeit nimmt er es wieder hoch und seufzt. „Sie schläft jetzt. Hat sich wie ein Baby in Izzys Armen zusammengerollt. Es geht ihr ganz gut, G, aber du musst ihr Zeit lassen. Ich rufe dich morgen früh an, okay?“
„Ax, ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Es fühlt sich an, als würde ein Teil meiner Seele aus meinem Körper gerissen.“
„Ich weiß. Glaub mir, ich weiß das. Ich habe das zwölf Jahre mitgemacht, Mann. Das Einzige, was ich dir geben kann, ist Hoffnung. Izzy und ich haben auch einige Tiefen durchgemacht, aber wenn ihr füreinander bestimmt seid, hält nichts dein Mädel aus deinen Armen fern.“
Er legt auf, und ich sitze stundenlang da, bis die ersten Sonnenstrahlen ins Zimmer fallen. Ich sitze da und denke darüber nach, was ich tun soll, wenn ich das nicht in Ordnung bringen kann, denn ich weiß, dass ich mich nicht davon erholen werde, wenn sie mich nicht mehr in ihrem Leben haben will. Es wird sein, als würde ich Grace ein zweites Mal verlieren.
Ich habe auf einen der Liebesromane gestarrt, den Melissa gestern auf dem Couchtisch liegen lassen hat, und kehre erst in die Wirklichkeit zurück, als das Telefon endlich klingelt. Als ich sehe, dass es Axel ist, habe ich innerhalb von Sekunden abgenommen und das Telefon am Ohr.
„Ja?“ Selbst ich höre die völlige Verzweiflung, die aus diesem einen Wort klingt.
„Sie ist gegangen, Greg. Ich habe Nate gewickelt, und sie und Izzy waren unten. Ich war nur fünf Minuten weg, aber als ich zurückkam, war sie schon fort. Izzy will mir nicht sagen, wohin sie gegangen ist, weil sie meint, dass sie einfach Zeit braucht. Verdammt, es tut mir leid.“
„Sie ist weg?“
„Sie ist weg.“ Mit jedem Wort stirbt die Hoffnung, an die ich mich geklammert habe. „Sie hat ihr Auto nicht hier gehabt, also denke ich, dass eins der anderen Mädels sie abgeholt hat. Das hast du aber nicht
von mir. Ich muss mit einer von ihnen leben und will heil bleiben. Ich halte dich auf dem Laufenden, okay?“
Ich weiß nicht, ob ich ihm geantwortet habe. Vielleicht, aber als das Freizeichen in mein Ohr piept, erwache ich aus meiner Erstarrung und lege auf. Ich sitze eine Weile da und frage mich, was zur Hölle ich jetzt tun soll.
Ich blicke wieder auf das Buch auf dem Couchtisch und wünsche mir, dass Liebe so einfach wie in Liebesromanen wäre. Ich würde alles leichter ertragen können, wenn ich wüsste, dass auf der nächsten Seite das Happy End auf mich wartet. Selbst der Kerl auf dem Cover scheint mich zu verspotten. Er sieht mich an, als hätte ich wissen müssen, dass ich nichts vor der Frau, die ich liebe, verheimlichen darf. Verdammt, und so ist es auch. Ich will gerade aufstehen, als mir der Titel ins Auge fällt: Mir widerstehen
von Crystal Spears. Oh, Ironie, du bist wirklich ein Miststück.
Ich halte es noch dreißig Minuten aus, dann bin ich in meinem Wagen und auf dem Weg zu Lillys Haus. Ich erwarte nicht, dass Melissa dort ist, aber ich muss mit jemandem reden, der nicht eng mit mir befreundet ist. Ich brauche jemanden, der auf ihrer Seite ist und sie versteht.
Da es Dienstag ist, verbringt Cohen den Morgen in einer Kindertagesstätte, um Kontakt mit anderen Kindern zu bekommen. So ist es leichter, ein Gespräch mit Lilly zu führen. Ich hoffe nur, dass sie mich nicht hasst, wenn ich ihr alles erzählt habe.
„Greg? Was machst du denn hier, Süßer?“ Ihr Lächeln ist strahlend, als sie an die Tür kommt, aber sobald sie mein Gesicht sieht, verblasst ihr Lächeln, sie wankt und greift sich an die Brust. „Meli-Kate? Oh Gott, geht es meinem Baby gut?“
„Was? Mein Gott, Lilly, es tut mir leid. Ich habe nicht daran gedacht, wie es wirkt, wenn ich hier allein auftauche. Es geht ihr gut. Ich muss mit dir reden.“
„Oh, Gott sei Dank. Aber natürlich. Komm rein. Ich muss nur mit der Wäsche weitermachen.“
Ich folge ihr den kurzen Flur hinunter und setze mich an den Küchentisch. Sie kommt mit einem Berg Handtüchern herein und setzt sich lächelnd.
„In Ordnung. Schieß los, Süßer. Erzähl mir, was du auf dem Herzen hast.“
„Ich weiß nicht mal, wo ich anfangen soll.“
„Meiner Erfahrung nach ist der Anfang die beste Stelle“, sagt sie sanft und tätschelt mein Bein.
Also tue ich das. Ich beginne am Anfang und erzähle ihr von Grace, wie ich mit ihrem Tod umgegangen bin, mein Geschäft aufgebaut habe, von Izzy und ihren Problemen, und schließlich von Melissa. Nicht ein einziges Mal sieht sie mich angewidert an. Sie sitzt geduldig da, hört mir zu und faltet die Handtücher. Ich rechne damit, dass sie mich rauswirft, als ich ihr erzähle, woher ich Simon kenne, doch sie nickt nur und legt weiter die Handtücher zusammen. Als ich endlich fertig bin, lehne ich mich zurück und warte. Bestimmt will sie nicht, dass ein Stück Scheiße wie ich mit ihrer Tochter zusammen ist.
„Du hast ein gutes Herz, Greg. Das wusste ich in der Sekunde, als du mit Cohen auf den Schultern und einem breiten Lächeln durch die Tür kamst. Ich habe mir während des letzten Monats nicht ein Mal Sorgen um Meli-Kate gemacht. Seit ich meine Sofia verloren habe, scheine ich mir immer nur Sorgen um das Mädchen gemacht zu haben. Sie war nicht glücklich und lebte nicht. Ihr Glück kam zurück, als sie dich traf. Ich verstehe zwar nicht so ganz, warum du es ihr nicht gleich am Anfang erzählt hast, aber ich weiß, dass du meinem Baby nicht wehtun wolltest.“
„Nein, Ma’am, ich würde mir eher den Arm abhacken, als ihr wehzutun, aber ich habe es trotzdem getan. In dem Versuch, sie nicht zu verletzen, habe ich es doch getan und jetzt weiß ich nicht, wie ich es wieder in Ordnung bringen soll.“
„Mein Süßer, wahre Liebe kann man immer wieder in Ordnung bringen. Wenn man jemanden so liebt, wie meine Meli-Kate und du einander liebt, gibt es keinen Berg auf der Welt, der zu hoch zum Erklimmen ist, wenn etwas wieder in Ordnung gebracht werden muss.“
Ich atme tief durch und versuche, den Aufruhr in mir unter Kontrolle zu bringen. „Ich darf sie nicht verlieren.“ So einfach ist das. Sie zu verlieren, ist für mich unvorstellbar.
„Und das wirst du auch nicht, mein Lieber. Sie braucht Zeit, um es zu verarbeiten. Ich kenne mein Mädchen, sie ist verletzt, aber sie hält sich von dir fern, weil sie wieder einen klaren Kopf kriegen muss. Ihr Herz wird sie schnell wieder auf den richtigen Weg bringen, und dann ist sie bereit, zu reden.“
Zum ersten Mal seit Axels Anruf heute Morgen habe ich das Gefühl, dass es vielleicht Hoffnung gibt, dass alles wieder in Ordnung kommt. Ich muss das glauben, denn wenn Lilly sich täuscht, weiß ich nicht, was ich machen soll.
„Warum verurteilst du mich nicht, Lilly?“ Ich flüstere die Worte in meine Hand und hoffe fast, dass sie sie nicht hört.
„Wofür genau soll ich dich denn verurteilen? Dafür, dass du unter einem schrecklichen Verlust gelitten hast? Oh, Süßer, du bist ebenso ein Opfer wie wir. Du hast jemanden verloren, den du sehr geliebt hast und niemand kann dir einen Vorwurf daraus machen, wie du damit umgegangen bist. Jeder trauert anders. Du hast getan, was du konntest, um meine Sofia zu beschützen, obwohl du sie nicht mal kanntest, und das, mein Lieber, lässt mich dich nur noch mehr mögen. Nichts, was mit dir und Meli-Kate oder mit Sofia und Grace passiert ist, sollte auf deinen Schultern lasten. Dein Herz war immer am richtigen Fleck. Du hast es nur nicht begriffen.“
Ich habe so lange keine Mutterfigur mehr in meinem Leben gehabt und bei allem, was gestern passiert ist, wird mir das an diesem Punkt einfach zu viel. Zu wissen, dass Melissas Mutter mir nicht den Tod wünscht, nachdem sie alles erfahren hat, fühlt sich fast an, als wären mir alle Sünden vergeben worden. Zum ersten Mal, seit ich Grace verloren habe, empfinde ich nicht dieses überwältigende Gefühl von Schuld.
„Es tut mir leid“, murmele ich, beuge mich vor und verberge das Gesicht in den Händen. „Es tut mir leid.“ Ich brauche ein paar Sekunden, um mich zu beruhigen, aber sie sitzt nur da und streicht mir sanft übers Haar und murmelt aufmunternde Worte. Nichts auf der Welt ist mit der Berührung einer Mutter vergleichbar, selbst wenn es nicht die eigene ist.
Als ich endlich den Aufruhr unter Kontrolle bringe, der in mir tobt, blicke ich auf und direkt in ihre Augen. Sie wischt sich mit
einem der Handtücher über die Augen und lächelt mich freundlich an.
„Greg, wenn ich jemals einen Zweifel daran gehabt hätte, wie groß dein Herz ist, hast du ihn jetzt endgültig ausgeräumt.“
Ich bleibe ein paar Stunden bei Lilly und helfe ihr bei einigen Sachen im Haus. Ich muss bei ihr sein, weil sie jemand ist, der mit Melissa verbunden ist, aber ich brauche auch ihren Trost. Als ich gehe, umarmt sie mich und wünscht mir Glück.
Ich will absolut nicht nach Hause fahren. Ich will herumfahren, bis ich meine Schöne finde und sie heimbringen kann. Im Moment fühle ich mich, als könnte ich immer weiterfahren, bis zum Meer, wenn ich dann nur meine Frau wieder in den Armen halten könnte. Das Verlangen, sie in meinen Armen zu haben, ist überwältigend, aber Lilly hat recht. Sie braucht Zeit. Also werde ich stark sein und ihr diese Zeit lassen.
Ich bin erst einige Minuten zu Hause, als ich die Haustür aufgehen höre. Sofort stelle ich den Fernseher auf lautlos, stehe auf und warte darauf, wer den Flur entlangkommt. Es könnte einer der Jungs sein, aber ich bete, dass es Melissa ist.
Als ich sie sehe, werden meine Knie weich, und ich muss mich fast setzen. Auch wenn ich bemerke, dass sie aufgewühlt ist, ist sie immer noch die schönste Frau, die ich je gesehen habe.
„Hey“, sagt sie leise.
„Meine Schöne“, flüstere ich. „Oh Gott, Baby.“