Während Maroulas nach Vrythos weiterfuhr, stellte Markou seinen Roller am Kreisverkehr ab und ging im Schatten der stillgelegten Windmühlen zum Hauptplatz von Chora hinauf, der im grellen Mittagslicht verlassen dalag. Nur die am Rand des Platzes gestapelten Tische und Stühle ließen erkennen, dass es hier in wenigen Stunden, wie jeden Abend in der Hochsaison, von Menschen wimmeln würde. Im Moment waren jedoch das Einzige, was sich zwischen dem Restaurant und den zwei Cafés bewegte, ein paar Papierservietten, eine blaue Plastiktüte und vom Wind herumgewirbelte Blätter.
Neben dem Café Stoa den Hügel rauf und dann rechts, erinnerte sich Markou an Maroulas’ Wegbeschreibung. Unter dem Bogen durch, dann ist es das siebte Haus auf der linken Seite. Direkt an der Kreuzung, die zu Milandis Haus führt.
Er ging am Café vorbei und zog unter dem Bogen aus blühenden Ranken instinktiv den Kopf ein, obwohl er mit seinen eins achtzig locker hindurchpasste. Auf der anderen Seite begann er die Türen zu seiner Linken zu zählen. Über den Hügel rechts von ihm erstreckte sich ein kleiner, von einer unverputzten Steinmauer umgebener Park, und oben thronte das mittelalterliche Kloster.
Auf Höhe der dritten Tür sah er ein Stück vor sich eine korpulente Frau aus einem Haus kommen und die schmale Gasse überqueren. Sie stellte eine große rote Plastikwanne auf den Boden und nahm eine Hose heraus, die sie ein Mal kräftig schüttelte und an eine an der Mauer befestigte Wäscheleine hängte.
Kein guter Tag, um Wäsche zu trocknen, dachte Markou, als er sich der Frau näherte. Obwohl der Wind in der engen Gasse deutlich schwächer war, konnte er sich nicht vorstellen, dass die Wäsche bleiben würde, wo sie war.
Er zählte im Gehen weiter die Türen und stellte fest, dass die Frau aus dem siebten Haus gekommen war, dem von Cadena. Sie wandte ihm ihr freundliches, rundes Gesicht zu, das von ihrem dunklen, zu einem schlampigen Knoten gebundenen Haar eingerahmt war. Markou schätzte sie auf Mitte, Ende fünfzig.
»Glauben Sie nicht, dass Ihnen der Wind die Wäsche wegwehen wird?«, sprach Markou die Frau an und deutete auf die vom Sturm heftig gebeutelten Hosen.
»Machen Sie sich da mal keine Sorgen, junger Mann«, sagte die Frau und fischte eine riesige Wäscheklammer aus ihrer Schürzentasche.
»Zwei oder drei von denen, und selbst ein Orkan könnte der Wäsche nichts anhaben. Die frechen Nachbarskinder sind viel schlimmer als der stärkste Sturm.« Sie nickte zum Haus nebenan.
Ihr melodischer Dialekt war ausgeprägter als der des Kadetten.
»Hauptkommissar Markou«, stellte er sich vor.
Die Miene der Frau verdüsterte sich.
»Sie kommen wegen Lucy. Das arme Mädchen«, seufzte sie und schlug sich wie die Heldin einer klassischen griechischen Tragödie mit der Faust auf die Brust.
»Wirklich ein Jammer, junger Mann, wirklich ein Jammer! So ein junges schönes Mädchen, und so lebendig! Finden Sie ihn, junger Mann, finden Sie den Kerl, der das getan hat. Er soll in der Hölle verrotten!« Sie wischte sich mit dem T-Shirt, das sie gerade in den Händen hielt, die Augen.
»Der Herr erwartet Sie bereits. Er ist untröstlich. Seit gestern kann er sich kaum mehr auf den Beinen halten. Er spricht nicht, er isst nicht, sein Mittagessen hat er gar nicht erst angerührt.« Die Frau schüttelte bedrückt den Kopf und wandte sich ab.
Dann warf sie das T-Shirt in die rote Wanne zurück, nahm Markou an der Hand und zog ihn zum Haus, wo sie ihn durch die Küche in einen Innenhof führte.
Unter einer mit Jasmin und weißen Bougainvilleen bewachsenen Pergola führte eine Bogentür in ein Wohnzimmer. Dort saß auf einem beigen Sofa der Mann, den Markou am Vorabend Arm in Arm mit der Brasilianerin die Treppe hatte herunterkommen sehen.
Bevor Markou zu ihm ging, drückte die Frau seine Hand und sagte: »Ich bin übrigens Archondia. Wenn Sie etwas brauchen, sagen Sie mir einfach Bescheid, ja?«
Markou nickte, und Archondia drehte sich Flüche murmelnd um und kehrte zu ihrer Wäsche zurück.