Archondia kam mit einem Tablett mit zwei kleinen Tassen herein. Sie stellte den süßen griechischen Kaffee mit einem Schuss Zimt auf das Tischchen neben Cadena und den schwarzen vor Markou.
Das kurze Schweigen, das ihr Erscheinen verursachte, verschaffte dem Kommissar die Möglichkeit, sich in Cadenas Wohnzimmer umzusehen.
Gegenüber vom Sofa mit den bestickten Kissen und dem niedrigen quadratischen Tisch brachte ein Wandbehang etwas Farbe in den ganz in Weiß gehaltenen Raum. Im Regal daneben standen außer einer Unmenge von Büchern sowie allen möglichen Muscheln und Keramikfiguren auch vier gerahmte Fotos. Neben dem Foto mit Lucy Davis war auch eins von Cadena dabei, auf dem er eine Urkunde überreicht bekam. Zwei Schnappschüsse zeigten idyllische Inselszenen. Sonst waren keine Personen auf den Fotos. Eine Familie hatte der alte Mann anscheinend nicht.
Markous Blick wanderte zu der Wand gegenüber dem Bücherregal. Auf der alten Truhe dort standen mehrere geschnitzte Vogelfiguren sowie eine Wasserpfeife und ein vergoldetes Tablett mit kleinen Kaffeetassen aus Glas. Außerdem waren neben einer gerahmten Stickerei des Wortes καλημέρα, griechisch für »Guten Tag«, drei weitere Bilderrahmen an die Truhe gelehnt. Der vorderste enthielt ein Schwarz-Weiß-Foto eines griechischen Cafés, über dessen Eingang Stoa stand. Markou erkannte darin das Lokal, an dem er gerade vorbeigekommen war. Das Foto musste schon vor einigen Jahrzehnten aufgenommen worden sein. An einem kleinen Tisch saßen zwei schnurrbärtige Männer, und neben der Tür stand eine Frau mit einem Kopftuch und lächelte in die Kamera.
Angesichts des Nagels, der über der Truhe aus der Wand stand, vermutete Markou, dass einer dieser Bilderrahmen dort bald seinen Platz finden würde.
»Lassen Sie es mich einfach wissen, wenn Sie noch etwas brauchen«, sagte Archondia. Sie sprach Englisch mit demselben melodischen Singsang ihrer Muttersprache.
Ohne auf eine Antwort zu warten, ging sie aus dem Zimmer. Kurz zuvor hatte Markou sie unter dem Fenster entdeckt und ihren Namen gerufen. Darauf hatte sich Archondia abrupt aufgerichtet, verlegen gemurmelt, sie müsse den Boden putzen, und mit schamrotem Gesicht, weil sie beim Lauschen ertappt worden war, gefragt, ob sie Kaffee wollten.
Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, knüpfte Cadena an der Stelle an, wo sie unterbrochen worden waren.
»Wie gesagt, sie kam nach Nissos, um hier von allem Abstand zu gewinnen, Ruhe zu finden und sich von der Insel, dieser Eremitage, inspirieren zu lassen. Denn genau das ist sie für mich: Moncalme. Seit dem Tag, an dem ich vor dreißig Jahren zum ersten Mal Fuß auf die Insel setzte, lebe ich hier so zurückgezogen wie ein Einsiedler. Lucy hat allerdings ein ganz anderes Nissos kennengelernt als ich. Inzwischen ist auf der Insel einiges los. Jung und begeisterungsfähig, wie sie war, hat sich Lucy rasch den Freundeskreis aufgebaut, den ich nie haben wollte.«
Mit einem gequälten Lächeln fügte er hinzu: »Ich habe zwar keine Kinder, aber auch ich war mal jung. Vermutlich war mein Lebensstil etwas zu langweilig für sie. In der Ruhe und Zurückgezogenheit, die ich hier finde, kann ich endlich einmal ausschließlich zu meinem Vergnügen lesen – keine Manuskripte, die ich beurteilen muss – und jeden Tag am Perivolos Beach gleich unter dem Haus schwimmen gehen.« Er deutete aus dem Fenster. »Und wenn ich dann nach Paris zurückkehre, sind meine Batterien wieder aufgeladen, wie man so schön sagt.«
Dann fügte er gedankenverloren hinzu: »Mein Gott, wie schnell diese dreißig Jahre verflogen sind! Inzwischen gilt Nissos als das ›neue Mykonos‹. Grauenhaft!« Er hob abrupt die Hand, als wollte er ein Insekt verscheuchen.
»Aber die jungen Leute, egal wo und wann, wollen ihr Leben in vollen Zügen genießen. Und Lucy, mit ihrem offenen, freundlichen Wesen, hat hier schnell Anschluss gefunden. Alle haben sie sofort ins Herz geschlossen.«
Cadena schürzte die Lippen und schaute noch einmal auf das Foto im Bücherregal.
»Deshalb kann ich es einfach nicht fassen. Wer könnte …? Lucy …?«
»Genau das versuchen wir herauszufinden«, sagte Markou leise und schaute mitfühlend in die traurigen blauen Augen des alten Mannes.