Die Hände auf die Knie gelegt, saß der Türke mit gespreizten Beinen entspannt da und blickte sich im Büro um.
»Würde nicht schaden, hier mal ein bisschen zu renovieren«, bemerkte er und sah Markou an.
Mehmet Ersen, Sohn des Ataman, 29 Jahre alt, geboren in Bodrum, wohnhaft in Istanbul, Modedesigner, schrieb Markou. Und darunter: Lebt auf seinem Boot Schnee im Jachthafen von Vrythos. Außerdem notierte er die Passnummer.
»Lucy war okay«, begann Ersen. »Ich bin ihr ab und zu begegnet, aber wir haben nie mehr als nur ein paar Worte gewechselt.«
Und mit einem selbstbewussten Lächeln fügte er hinzu: »Um ehrlich zu sein, hat sie sogar mit mir geflirtet, aber sie war nicht mein Typ.«
Markou musterte den jungen Mann. Sein ärmelloses weißes T-Shirt mit Marlon Brandos Gesicht als Pate auf der Brust offenbarte seinen mickrigen Bizeps. Dazu trug er knielange dunkelblaue Bermudashorts, weiße Sportsocken und blau-weiß gestreifte Plastiklatschen, wie Markou sie als Kind im Schwimmbad getragen hatte. Ein paar Goldkettchen und Perlenschnüre an den Handgelenken, ein Goldring an jedem Zeigefinger, dunkles gelocktes Haar und große schwarze Augen vervollständigten das Erscheinungsbild des Shootingstars der türkischen Modeszene.
Auch wenn Markou mit Mode nichts am Hut hatte, erschien ihm Ersens Äußeres ziemlich schäbig. Trotzdem behauptete dieser kleine Mann, das Objekt von Lucy Davis’ Begierde gewesen zu sein.
Fast automatisch wanderten Markous Gedanken zu Fausto Ardolini, der mit seinen fünfundvierzig Jahren ein großer, gut gebauter attraktiver Mann war. Wenn er Lucy Davis’ heimlicher Liebhaber war, wie passte dann Ersen ins Bild?
»Damit will ich nicht sagen, dass sie hässlich war. Aber ich stehe mehr auf ältere – und größere – Frauen.«
Er beugte sich vor und fügte leise hinzu: »Wie die Brasilianerin da draußen! Ein richtiges Pferd! Groß und mit ordentlichen Rundungen.« Er beschrieb ihre Figur mit den Händen.
»Sie ist ein Neuzugang. Es ist ihr erster Sommer auf Nissos. Mitte fünfzig, ehemaliges Model, Witwe und extrem reich. Was will man mehr?« Leise lachend zwinkerte Ersen dem Kommissar zu.
Markou fragte sich, wie eine Frau wie Levalois der Typ so eines Hänflings sein konnte.
Ohne auf Ersens Äußerungen einzugehen, fragte ihn Markou, wo er sich auf der Party überall aufgehalten hatte. »Waren Sie auch unten im Erdgeschoss? Ist Ihnen dort etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
»Nein, nichts«, antwortete der Designer. »Ich bin ein paarmal kurz nach unten und auf die Gasse hinausgegangen, um mit ein paar vorbeikommenden Freunden zu reden. Kurz vor eins habe ich mich dann von Mariama verabschiedet, weil ich noch was anderes vorhatte.«
»Waren Sie in der Abstellkammer?«
»Wieso das denn? Ich hatte nicht die Absicht, irgendwas am Haus zu reparieren oder im Garten zu arbeiten.«
»Wie ich sehe, wissen Sie sehr genau, was dort alles aufbewahrt wird«, bemerkte Markou.
Ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, antwortete Ersen: »Mariama hat mir mal Werkzeug für mein Boot geliehen. Ist schon eine Weile her – zwei, drei Jahre würde ich sagen –, vielleicht erinnert sie sich gar nicht mehr daran.«
»Und was war das für eine Handtasche, die sie dort vor einer Weile versteckt haben?«
Ersens Augenlider flatterten, und seine Gelassenheit geriet ins Wanken. Um Zeit zu gewinnen, ordnete er die Kettchen an seinem Handgelenk neu und fragte lächelnd: »Eine Handtasche?«
»Ja, jemand hat sie vor etwa zwanzig Tagen gesehen, wie Sie …« Markou blätterte ein paar Seiten in seinem Notizbuch zurück und sah das genaue Datum nach. »Am Abend von Mariama Milandis Geburtstag hat jemand gesehen, wie Sie eine Frauenhandtasche aus der Abstellkammer geholt haben, bevor Sie gegangen sind.«
»Zuallererst war das keine Frauenhandtasche, sondern eine Clutch, und die sind unisex. Diese Dinger sind zurzeit echt in …«
Markou hob die Hand. Modetrends interessierten ihn nicht.
»Wie dem auch sei«, sagte Ersen »Wenn ich mich recht erinnere, war in der Tasche ein kleines Geschenk für einen Freund, zu dessen Party ich später noch ging. Und weil ich die Clutch nicht den ganzen Abend mit mir herumschleppen wollte, habe ich sie in die Abstellkammer gelegt und hinterher wieder geholt.«
»Und am Abend des Mordes? Haben Sie da auch ein paar solche Geschenke in der Kammer deponiert?«
»Nein. Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich an dem Abend nicht in der Kammer war.«
Bevor der Kommissar ihm weitere Fragen stellen konnte, fragte der Türke: »Dort haben Sie sie doch gefunden. Sie wurde mit einem Hammer erschlagen, oder?«
Obwohl die Polizei noch keine offizielle Erklärung zu dem Mord abgegeben hatte, machte sich Markou hinsichtlich der Macht des Hörensagens keine Illusionen. Er konnte sich gut vorstellen, dass inzwischen ganz Nissos genauestens Bescheid wusste, wo und in welchem Zustand Lucy Davis gefunden worden war.
Ohne Markous Antwort abzuwarten, fuhr Ersen fort: »Also, wenn man jemand mit einem Hammer auf den Kopf schlägt, dann spritzt das Blut doch nur so, oder nicht?« Er wedelte mit den Händen vor seinem T-Shirt mit dem Konterfei von Don Corleone herum und fügte gedankenversunken hinzu: »Ganz schön krank.«
Markous nächste Frage holte ihn jedoch rasch wieder in die Realität zurück.
»Könnten wir uns mal auf Ihrem Boot umsehen?«
Ersen spitzte den Mund, und seine Augenbrauen zogen sich zusammen, was seinem Aussehen etwas Wieselartiges verlieh.
»Ich weiß zwar nicht, wie so etwas in Griechenland gehandhabt wird«, sagte er, »aber auch hier brauchen Sie bestimmt einen Durchsuchungsbeschluss.«
Markous Nicken brachte das Lächeln wieder auf Ersens Lippen zurück, und er fügte rasch hinzu: »Ich habe nichts zu verbergen, aber ich hasse es, wenn jemand in meinen Sachen herumschnüffelt. Wenn Sie das also für unbedingt nötig halten, müssen Sie mir schon einen Durchsuchungsbeschluss vorlegen. Außer Sie haben es auf einen kleinen diplomatischen Konflikt angelegt«, fügte er großspurig hinzu. »Berühmter türkischer Designer während Sommerurlaubs auf griechischer Insel von Polizei belästigt«, bemerkte er schmunzelnd und schrieb mit dem Finger die imaginäre Schlagzeile in die Luft.
»Verlassen Sie die Insel vorerst nicht«, entgegnete der Kommissar kurz angebunden.
Ersen stand auf und antwortete nonchalant: »Wo sollte ich bei so einem Wind denn hin? Außerdem amüsiere ich mich blendend hier!«