Nach den Aperitifs bei Erica Abendessen bei Nazanine. Wir haben uns im Jahr ihrer Scheidung kennengelernt. Ihr Mann hatte ein Verhältnis und ein Kind mit seiner Sekretärin. Niemand auf der Insel mochte ihn.
Ihr Vater war in den sechziger Jahren der erste Fremde auf der Insel. Ein strenger, unnahbarer Mann – auch gewalttätig? Er soll seinem Ex-Schwiegersohn gedroht haben. Einige behaupten sogar, dass er ihn körperlich angegriffen hat. Kann ich mir bei ihm eigentlich nicht vorstellen. Er wirkt alt und gebrechlich. Aber der äußere Schein kann trügen. Er ist dieses Jahr nicht nach Nissos gekommen.
Ich mag Nazanine. Verloren, aufrichtig, immer besorgt, versucht sie es jedem recht zu machen (soweit das auf dieser Insel überhaupt möglich ist). Versucht sie, mit den Essenseinladungen und Partys in ihrem Haus eine Lücke zu füllen? Welche Lücke? Die durch ihre Scheidung entstandene oder das Fehlen ihres Vaters? Sie steht ihrem Vater sehr nah. Einzige Tochter, Einzelkind, typisches Beispiel für einen Elektra-Komplex. Vielleicht wird sie aufblühen, sich selbst finden, wenn es ihr gelingt, sich von ihm zu lösen – das heißt, vom Vater wie vom Mann.
Abendessen bei ihr, kleine Gesellschaft: berühmter österreichischer Schriftsteller mit langweiliger Frau. Schreibhemmung, sucht mithilfe von Drogen Inspiration – es ist hier sehr leicht, an welche zu kommen. Er sitzt neben mir, berührt versehentlich meinen Oberschenkel. Ich ziehe das Bein zurück. Seine Frau, die auf der anderen Seite des Tischs sitzt, sieht erst ihn an, dann mich, zündet sich eine Zigarette nach der anderen an. Ihre Lippen, zusammengekniffen vor Ärger und Frustration.
Der Organisator eines Musikfestivals sieht aus wie eine Bulldogge. Ein Hund, der Geld wittert und Nazanine schwanzwedelnd hinterherhechelt. Er lacht über jeden Witz von ihr, er schaut ihr in die Augen, was kommt als Nächstes? Wird er ihr das Essen schneiden und sie füttern?
Alex ist mitgekommen, sitzt am anderen Tischende. Übrigens fällt mir gerade ein, dass es Nazanine war, die mir diese Geschichte über die Ikonen erzählt hat. Von dem Skandal, zu dem es vor Jahren im Kloster gekommen ist: kostbare Weihrauchgefäße aus dem 14. und Opfergaben aus dem 17. Jahrhundert, verkauft und durch moderne Kopien ersetzt.
»Wer ist dieser österreichische Schriftsteller?«, fragte Markou und blätterte weiter.
»Keine Ahnung«, antwortete Maroulas und schluckte das frittierte Kalamaristück runter, auf dem er mindestens eine Minute herumgekaut hatte. »Es gibt einen berühmten französischen Schriftsteller, der zum Schreiben auf die Insel kommt. Aber meines Wissens ist er nicht verheiratet. Ich werde mich mal umhören.«
Trotz aller Anspielungen auf tatsächlich existierende Personen handelt es sich hier um einen Roman, dachte Markou. Seine Aufgabe war es, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden – was vermutlich chirurgische Präzision erforderte.
Unter Nazanine = Mariama Milandi, geschieden, Vater, Festivalleiter, der auf Geld aus ist schrieb er österreichisch/französischer (?) Schriftsteller, Drogen, Ehefrau und wandte sich dann den Notizen für die nächsten Kapitel zu.