»Ich habe sie zu verschiedenen Zeiten einbestellt, aber …«, Maroulas hielt kurz inne und deutete auf die Tür hinter sich, »… sie sind alle zusammen gekommen.«
Nichts verriet, dass sich auf der anderen Seite der halb offenen Tür sechs Personen befanden. Es war kein Ton zu hören.
»Nur Karas und Milandi sind nicht hier. Sie habe ich erst für heute Nachmittag einbestellt. Und den Türken konnte ich noch nicht erreichen. Er geht schon wieder nicht ans Telefon. Vielleicht muss ich noch mal zu seinem Boot fahren.«
»Ich brauche Sie aber hier«, sagte Markou. »Holen Sie die Italiener rein.«
»Beide?«, fragte Maroulas.
Gute Frage, dachte Markou. Wenn er sie gemeinsam vernahm, konnte er sich gleichzeitig einen Eindruck von ihren Reaktionen verschaffen. Nicht nur hören, was sie sagten – oder nicht sagten –, sondern auch kleine Gesten, Blicke und unterschwellige Reaktionen auf die Aussagen des anderen sehen. Andererseits wollte er auf keinen Fall, dass sie bei der Vernehmung in irgendeiner Form miteinander kommunizierten.
»Zuerst den Mann. Er wirkt nicht so stabil wie seine Frau. Wenn er einknickt, holen wir sie zum Kreuzverhör herein.«
Der junge Kadett murmelte zwar etwas von Vorschriften und korrekter Vorgehensweise, aber als er Markous entschlossenen Blick sah, nickte er nur.
»Fausto Ardolini«, rief Maroulas durch die Tür zum Wartezimmer. Die Besorgnis in der Miene von Ardolinis Frau war nicht zu übersehen, als sich der Italiener von seinem Platz erhob.
Fausto Ardolini war genauso gekleidet wie am Tag zuvor, aber sein Gesicht sah völlig anders aus. Er hatte dunkle Ringe unter den geröteten Augen, an seiner Oberlippe klebte ein Rest Zahnpasta, und unter den Bartstoppeln auf seiner rechten Wange hatte sich ein roter Fleck gebildet, an dem er sich alle paar Sekunden kratzte.
Nach einem halbherzigen »Buongiorno« schaute er Markou mit zusammengepressten Lippen schweigend an.
»Lucy Davis hat ein Buch geschrieben …«, begann der Kommissar und ließ das so stehen.
Ardolini schwieg weiter und wartete auf mehr. Doch als nichts kam, sagte er: »Ja, sie hat uns erzählt, dass sie mit irgendwas angefangen hat. Aber ich habe keine Ahnung, woran sie schrieb.«
»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?«
»Auf der Party natürlich.«
»Und davor?«
»Zwei Abende zuvor«, gab er widerstrebend Auskunft.
»Wo? Waren Sie beide allein?«
Wieder zögerte er eine Weile, bevor er antwortete: »In ihrem Haus am Gaidoura Beach. Wir waren zu dritt. Alessandra, Lucy und ich.«
Der Kommissar musste an die drei Gläser denken, die er in der Küche des Hauses gesehen hatte.
»Da hat sie uns auch erzählt, dass sie an etwas schrieb«, erklärte der Italiener.
»Hat sie Ihnen ihr Manuskript gezeigt?«
»Nein.«
Markou griff nach den Ausdrucken und legte sie vor Ardolini hin. Er fand die Stelle und lenkte den Blick des Italieners mit einem Stift auf die Passagen, in denen die Erzählerin ihre Affäre mit einem Paar beschrieb. Er konnte Ardolini schwer schlucken hören, als er die Verführungsszene auf der Terrasse las. Aus seinem Gesicht schienen die letzten Reste seiner Bräune zu weichen.
»Und?«, fragte Markou, als Ardolini aufblickte.
Zuerst drehte der Italiener den Kopf, dann den ganzen Oberkörper zur Tür – als ob er aufspringen und weglaufen wollte. Doch er blieb sitzen und blickte nur Hilfe suchend zur Tür.
»Rufen Sie Frau Ardolini herein«, forderte der Kommissar Maroulas auf.
Als der Italiener den Namen seiner Frau hörte, wandte er sich wieder dem Kommissar zu, obwohl er nur bruchstückhaft verstand, was auf Griechisch gesprochen wurde.
Und als Ardolini dann den Kadetten zur Tür gehen sah und den Namen seiner Frau rufen hörte, veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Seine finstere Miene hellte sich auf wie bei einem im Kaufhaus verloren gegangenen Kind, dessen Eltern endlich auftauchten.