»Es ist mir egal, was andere Menschen im Bett machen«, erklärte der Kommissar Alessandra Ardolini.

Nachdem sie Lucy Davis’ Passagen über sie gelesen hatte, machte ihre anfängliche Überraschung rasch einem starren, maskenhaften Gesichtsausdruck Platz. Jetzt nahm sie das Gespräch in die Hand, während ihr Mann sie stumm beobachtete und bei jeder ihrer Äußerungen zustimmend nickte.

»Ich möchte wissen, ob wahr ist, was Lucy Davis geschrieben hat«, fuhr der Kommissar fort.

»Ich wüsste nicht, wie Sie das bei Ihren Ermittlungen weiterbringen sollte.«

»Das zu beurteilen, überlassen Sie lieber mir«, entgegnete Markou schroff. Und nach kurzem Überlegen, wie er im Weiteren vorgehen sollte, senkte er die Stimme und sagte: »Wir versuchen herauszufinden, ob das Manuskript des Opfers in Teilen oder sogar komplett der Wahrheit entspricht. Wenn ja, könnten uns die Anspielungen und geschilderten Vorfälle weiterbringen.«

Alessandra Ardolinis Blick wanderte zu den Manuskriptseiten auf dem Schreibtisch. Damit sie nichts lesen konnte, was sie nichts anging, zog Markou die Ausdrucke zu sich heran.

Sie blickte wieder zu ihm auf. »Ihre Aufgabe ist also herauszufinden, ob ein Romanentwurf auf Tatsachen beruht?

»Genau das tue ich«, erwiderte der Kommissar. »Das Motiv ist immer der Schlüssel: Das Warum führt früher oder später zum Wer, ob nun durch einen Dschungel von Fragen oder auf einem Pfad aus klaren Fakten. Davis’ Text könnte uns das Warum liefern. Nämlich, dass eine sommerliche ›Sexskapade‹ zwischen drei Personen, ein scheinbar perfekt ausbalancierter Dreier, plötzlich aus dem Gleichgewicht geraten ist …«, der Kommissar sah Fausto Ardolini an, »… und dass die dritte Person nicht mehr mit der Situation zufrieden war, dass ihr die Rolle des fünften Rads am Wagen nicht mehr passte. Weil Lucy Davis plötzlich an einer Hälfte des Paares mehr lag als an der anderen und weil sie mehr wollte als nur ein Urlaubsabenteuer. Wie würde in so einem Fall die ausgeschlossene Person reagieren?«

Der Kommissar wandte sich wieder Alessandra Ardolini zu und deutete mit dem Finger auf sie. »Doppelter Verrat, doppelte Zurückweisung! Sowohl vom Ehemann als auch von der Geliebten! Wäre das kein Motiv?«

Alessandra Ardolini setzte bereits zu einer scharfen Entgegnung an, doch Markou fuhr unerbittlich fort.

»Auch ein zweites Motiv fiele mir spontan ein: ein seriöses Ehepaar, beide beruflich erfolgreich und Eltern von zwei erwachsenen Kindern, aber dann stellt sich heraus, dass es ein geheimes Sexualleben hat, das nicht zu ihrer Comme-il-faut-Fassade passt. Eine geheime Liebschaft, so etwas kommt vor. Aber eine Dreiecksbeziehung? Was würden ihre Freunde und Bekannten sagen, wenn ihr Geheimnis an den Tag käme? Nicht nur in Gestalt von gewöhnlichem Klatsch, sondern in Form eines Romans mit jeder Menge pikanter Details? Würde dieses Paar nicht mit allen Mitteln versuchen, die Veröffentlichung zu verhindern?« Er tippte mit strengem Blick auf die Seiten des Manuskripts.

»Das ist doch kompletter Unsinn!«, protestierte Alessandra Ardolini. »Wir haben sie nicht umgebracht! Das ist kompletter Unsinn!«, wiederholte sie und drückte ihre Tasche fester an ihre Brust, als wollte sie sich damit vor den Anschuldigungen des Kommissars schützen. Es war dieselbe Tasche, die sie auf dem Foto bei sich hatte, und sie hielt sie auch auf die gleiche Art.

Und dann hob Markou zur Überraschung aller die Hand und griff nach der Kamera.

Er wusste jetzt, was ihm am Foto der Italiener seltsam vorgekommen war. Er hatte etwas übersehen. Etwas, das ein neues Licht auf die Frage warf, ob der Täter die Party verlassen hatte.