»Kommissar?«

Markou ignorierte den jungen Kadetten. Das italienische Paar blieb still und tauschte besorgte Blicke, nachdem sie ihr Foto gesehen hatten. Die Sekunden vergingen, und der Kommissar starrte weiter auf das Display. Er vergrößerte das Foto und konzentrierte sich auf Alessandra Ardolinis geblümtes Kleid, zumindest auf die Stellen, die davon erkennbar waren.

Er kam sich auf einmal richtig dumm vor, als ihm bewusst wurde, was er am Abend des Mordes übersehen hatte. Und vorzuwerfen hatte er das alles einzig und allein sich selbst.

Er verkleinerte das Foto wieder und klickte sich zu dem Bild von Betty Levalois weiter. Wieder verstrichen ein paar Sekunden in lähmendem Schweigen, als er es heranzoomte. Doch dann fuhr Markou ohne eine Erklärung mit der Vernehmung der beiden Italiener fort.

»Ihre Liebschaften interessieren mich persönlich nicht im Geringsten. Aber als Mordermittler muss ich wissen, ob wahr ist, was Lucy Davis geschrieben hat.«

Alessandra Ardolinis eisiger Blick richtete sich auf einen Punkt hinter dem Kommissar. Doch bei der Stimme ihres Mannes fuhr ihr Kopf herum.

»Ja«, sagte Fausto Ardolini.

Ihr »Zitto!« – Halt den Mund! – wurde vom »Ja, es ist wahr« ihres Mannes beiseitegewischt.

»Das Einzige, was an Lucys Darstellung nicht stimmt, ist, dass das Ganze erst vor zwei und nicht schon vor drei Jahren an einem alkoholseligen Abend begann. Und zwar am Strand und nicht auf der Terrasse unseres Hauses.«

Langsam den Kopf schüttelnd, die Hände um die Stuhllehnen gekrampft, hörte Alessandra Ardolini zu, wie ihr Mann alles ausplauderte, was sie geheim zu halten versucht hatte.

»Niemand wusste davon oder schöpfte auch nur Verdacht. Und als das passiert ist …«, er hielt inne und schluckte. »Als das mit Lucy passiert ist, wurde mir schnell klar, dass Sie es irgendwann herausfinden würden. Ich weiß nämlich, dass ein paar Leute dachten, ich hätte etwas mit ihr. Die ganze Wahrheit konnten sie sich nicht vorstellen. Deshalb wollte ich vorgestern herkommen, um Ihnen alles zu erzählen. Aber meine Frau hat mich davon überzeugt, dass es nicht klug wäre. Wie Sie bereits sagten, haben wir Kinder – und einen Ruf zu verlieren …«

Fausto Ardolini ließ den Satz so stehen, und Markou wandte sich seiner Frau zu, die blass geworden war und unverwandt auf ihre Zehen starrte.

»Wir hatten keine Ahnung, was in dem Buch steht«, fuhr Ardolini fort. »Wir wussten nicht, dass sie so wahrheitsgetreu geschildert hat, was zwischen uns gelaufen ist. Aber jetzt, wo ich weiß, dass Lucy etwas so … Persönliches für

Das unterdrückte »Non, per favore« aus dem Mund seiner Frau ließ ihn kurz innehalten. Er sah sie an, als sie die Augen hob. Das Leuchten in ihnen war erloschen. An die Stelle von Überraschung und Ärger war Resignation getreten.

Er flüsterte nur »devo« – ich muss – und wandte den Blick ab.

»Das Gleichgewicht hat sich verändert, ja. Vielleicht wussten die beiden nicht, dass ich es gemerkt habe; vielleicht dachten sie, ich würde mich damit abfinden, wenn sie mir nur ein paar Krumen hinwarfen, aber ich … ich habe es gemerkt. Zwischen meiner Frau und Lucy hat sich eine neue Nähe entwickelt, eine Beziehung, in der ich zum Außenstehenden wurde. Es mag sich vielleicht seltsam anhören, aber obwohl wir zu dritt waren, war bis vor Kurzem keiner von uns der Dritte gewesen. Wir waren alle … zwei. Ich weiß nicht, wie ich es anders erklären soll.«

Auf sein resigniertes Achselzucken hin rang sich seine Frau ein Lächeln ab, berührte seine Hand und flüsterte: »Amore mio

»Es versteht sich hoffentlich von selbst, dass weder meine Frau noch ich Lucy umgebracht haben«, schloss Fausto Ardolini.

Markou sah die beiden schweigend an. Ohne jeden Kommentar, ohne ein Nicken, das als Trost aufgefasst werden konnte, und ohne ihnen eine Gelegenheit für weitere Erklärungen zu geben, streckte er Alessandra Ardolini die Hand entgegen und sagte: »Könnte ich bitte Ihre Tasche sehen?«