Am selben Tisch wie am Abend zuvor, von der stabilen Plastikpergola vor dem Wind geschützt, versuchte Markou mit seiner Gabel ein Stück gegrillten Oktopus zu zerkleinern.

Als ihm das nicht gelang, klemmte er sich das Handy zwischen Schulter und Ohr und griff mit der frei gewordenen Hand nach dem Messer. Er schnitt das Oktopusstück durch und nahm das Telefon wieder in die Hand, während ihm Polizeichef Katzikis bestätigte, dass er immer noch nicht auf die Insel zurückkehren konnte. Er hoffte, der Sturm würde in der Nacht nachlassen, aber der Wetterbericht gab wenig Anlass zu Optimismus.

»Valantis sagt, Sie machen Ihre Sache ganz hervorragend.«

»Hoffentlich hat er Ihnen auch gesagt, dass wir bisher noch keine nennenswerten Ergebnisse vorzuweisen haben …«

»Ich weiß zwar nicht, wie Sie in Athen arbeiten«, widersprach ihm Katzikis, »aber nach nur zwei Tagen haben Sie bereits ein Motiv sowie mehrere Verdächtige und Anhaltspunkte. Sie nennen es vielleicht ›keine nennenswerten Ergebnisse‹, ich nenne es Fortschritte.«

Markou ließ die schmeichelhaften Worte des Polizeichefs einfach an sich abprallen. Hin und wieder fragte er sich, ob es normal war, dass es ihm keine Befriedigung verschaffte, ein paar kleine Siege zu erringen, solange er nicht den Krieg gewann und den Schuldigen überführen konnte. Und mochte

»Das will ich doch meinen«, sagte Katzikis. »Und ich muss zugeben, dass ich mich frage – und glauben Sie mir, nicht aus reiner Bescheidenheit –, ob ich als Leiter der Ermittlungen dieselben Ergebnisse vorweisen könnte. Der Umstand, dass Sie nicht von der Insel sind und deshalb keine vorgefassten Meinungen und Sympathien oder Antipathien haben, macht Sie zu einem besseren Beobachter. Sie können unvoreingenommener beurteilen, was Sie zu hören bekommen.«

Dieser Umstand – der Abstand zu den Akteuren bei der aktuellen Ermittlung – war eine willkommene Abwechslung zu Markous letzten Fällen. Auf Nissos waren das Opfer, die Verdächtigen und der Tatort nur Teil seiner Aufgabe. Er war nicht persönlich in die Sache verwickelt. Er sah die Dinge »mit dem Blick eines Ermittlers, der niemanden kennt und völlig unvoreingenommen an die Sache herangeht – für den alle Beteiligten Fremde sind und somit gleichermaßen verdächtig«, wie Poirot es in Agatha Christies Alibi ausdrückt.

»Und frei heraus gesagt«, in der kurzen Pause, die Katzikis folgen ließ, konnte Markou sich das Stück Oktopus in den Mund schieben, »haben Sie mit so etwas wesentlich mehr Erfahrung als ich. Nissos ist kein Paradies auf Erden; ganz im Gegenteil, je kleiner ein Ort, umso deutlicher sichtbar werden die Probleme. Allerdings wir haben meist mit anderen Verbrechen zu tun. Vor allem Drogen, und ich muss zugeben, dass ich da manchmal ein Auge zudrücke, denn sonst verbrächte ich jeden Abend damit, an allen Stränden und in jedem Haus nach Joints und Spuren von Kokain zu suchen. Ab und zu nehmen wir einen Kleindealer fest, worauf allerdings prompt drei andere auftauchen – wie die sprichwörtlichen Köpfe der Hydra!«

»Wir haben kleine Diebstähle auf dem Campingplatz und die üblichen Verkehrsverstöße und Unfälle, meistens mit Motorrollern … Ach ja, und vor ein paar Jahren hatten wir wegen irgendwelcher Grundstücksstreitigkeiten auch einen Mordversuch, aber …«

Markou unterbrach ihn: »Sie hatten auch den Fall mit der Schwester der Bürgermeistersfrau, die ihren Mann umbringen wollte, als sie ihn mit einer Touristin erwischt hat … Irgendwas in der Art jedenfalls.«

Katzikis’ lautes Gelächter durchlöcherte fast das Trommelfell des Kommissars. »Ja, aber es war die Tante der Frau des Bürgermeisters, auch als ›Schielende Theodora‹ bekannt. Aber das ist schon fünfzehn Jahre her – wenn nicht sogar länger. Damals hatte ich gerade den Posten des vorigen Chefs übernommen. Aber ich meinte gar nicht solche alten Fälle …«

Katzikis Stimme war leise geworden, und den letzten Satz ließ er einfach so stehen.

Nach ein paar Sekunden, in denen er vorsichtig verstaubte und zerbrechliche Gegenstände aus den Regalen seines Gedächtnisses zu nehmen schien, fuhr er fort: »Wo wir gerade von alten Geschichten sprechen, fällt mir ein, dass wir schon mal einen Mord auf der Insel hatten – zumindest wurde der Fall als solcher behandelt und schließlich zu den Akten gelegt – ein ungelöster Mord, der schon ziemlich lange zurückliegt. Außer dem Opfer, über das wir ebenfalls so gut wie nichts wissen, haben wir keinerlei Anhaltspunkte und …«

Markou winkte nach der Rechnung, schob seinen halb

»Es war 1992 oder 93 in der Metochi Kalogiron, auf einem Stück Land, das Thomas Doulgerakis gehörte, zu Fuß etwa fünfzehn Minuten von Chora entfernt, über dem Gaidoura Beach …«