Am nächsten Tag beherbergte Nissos zwei Leichen: eine in der Kühlkammer der Krankenstation und eine zweite, in schwarze Müllsäcke gepackt, in Mitsenas’ Kühltransporter. Solange die Insel vom Rest der Welt abgeschnitten war, konnte der Metzger nicht mit frischer Ware rechnen. Und sobald der Wind nachließ und die Fähre die nächste Fleischlieferung brachte, wären die Toten bereits auf dem Weg ins Leichenschauhaus und müssten nicht mehr auf der Insel gelagert werden.

Während Lucy Davis und Mehmet Ersen an kühlen Orten untergebracht waren, kamen Mariama Milandi, Timos Karas, Henrietta Banks und Betty Levalois auf eine neue Liste. Eine Liste der Leute, die im Wartezimmer gesessen hatten, als der Türke lautstark verkündete, dass er zum Gaidoura Beach wollte. Markou fragte sich, ob er die richtigen Schlüsse gezogen hatte. Und falls ja, dachte er, welch Ironie, dass das Leben die Kunst auf so simple Weise kopierte.

Wie am Abend zuvor war er in Gedanken wieder auf dem Nil bei Louise Bourget, dem ermordeten Dienstmädchen, das ihr Versuch, den Mörder ihrer Herrin zu erpressen, das Leben gekostet hatte.

Hatte Ersen den Mörder von Lucy Davis gekannt? Und wenn ja, warum hatte er nichts gesagt? Hatte er – wie Agatha Christies Dienstmädchen – irgendeinen geheimen Zweck

Maroulas hatte sie alle angerufen und gefragt, wo sie zum Zeitpunkt des zweiten Mordes gewesen waren, den sie nur grob bestimmen konnten. Berücksichtigte man die Aussage des Kioskbesitzers und die Entfernung zwischen dem Hafen von Vrythos und dem Gaidoura Beach, musste es zwischen dem späten Nachmittag und Sonnenuntergang passiert sein. Später wäre der schwer zugängliche Strand wegen der Dunkelheit kaum mehr zu erreichen gewesen.

»Doch was genau ist am Gaidoura Beach passiert?«, fragte sich Markou. Maroulas war überzeugt, dass es ein Unfall war. Obwohl ein großer Krimi-Fan, war er eher skeptisch, als ihm der Kommissar seine von Agatha Christie inspirierte Theorie darlegte. Auch weil die Ärztin aufgrund von Ersens Verletzung bestätigte, dass ihn ein heftiger Windstoß von den Beinen gerissen und in die Tiefe gestürzt haben könnte. Aber hatte es sich so abgespielt?

Markou flüsterte leise: »Vielleicht.« Aber in ihm schrie es: »Völlig ausgeschlossen!«

Er wandte sich Maroulas zu, der gerade ein Telefonat beendete, und fragte noch einmal: »Ihnen ist gestern also wirklich nichts aufgefallen? Nichts, was eine Art Hinweis an einen der Anwesenden hätte sein können?«

»Jedenfalls fällt mir nichts ein«, antwortete der Kadett achselzuckend. »Aber ich habe mit Cadena nach dem Manuskript gesucht und war ganz auf den Laptop konzentriert. Soll ich ihn auch anrufen?«

Arnaud Cadena. In einem klassischen Whodunit wäre es der perfekte Twist, wenn er der Täter wäre. Der Einzige, den Lucy Davis nicht in ihrem Manuskript erwähnte, die Person, die niemand verdächtigte. Doch im richtigen Leben konnte man sich eine Geschichte nicht einfach zurechtbiegen, wie

»Ja«, sagte er dennoch, »fragen Sie auch Cadena, was er nach Verlassen der Polizeistation gemacht hat. Und erkundigen Sie sich, ob er etwas gehört hat, was Ihnen entgangen ist, als er noch hier war.«

»Okay«, sagte Maroulas und wählte die Nummer des alten Mannes.