Karas stritt rundheraus ab, was Davis in ihrem Manu- skript über ihn geschrieben hatte. Es war das erste Mal, dass der Kommissar den Galeriebesitzer die Fassung verlieren sah. Seine Brille beschlug fast vor Wut, als er die Anschuldigungen las, denen zufolge er illegalen Handel mit Ikonen und anderen Kulturschätzen trieb. Er leugnete jede Verbindung zu dem Skandal im Kloster, von dem Maroulas dem Kommissar erzählt hatte, und lud die beiden Polizisten sogar ein, seine Galerie zu durchsuchen, einen Blick in seine Bücher zu werfen und sich von jedem auf der Insel bestätigen zu lassen, dass er eine ehrliche Haut war. Dann stürmte er mit hochrotem Kopf aufgebracht aus der Station.

Milandi dagegen bestätigte, dass ihr Vater ihren Ex-Mann attackiert hatte. Jedoch ausschließlich verbal, betonte sie; zu Handgreiflichkeiten, wie Davis behauptet hatte, war es nie gekommen.

»Daddy ist kein gewalttätiger Mensch«, erklärte sie. »Aber er hat nicht nur herausgefunden, dass mich mein Ex-Mann mit seiner Sekretärin betrog, sondern auch, dass er in der Firma, in der ihn mein Vater selbst angestellt hat, Geld unterschlug. So habe ich Papa noch nie hochgehen gesehen! Ich hatte echt Angst, dass er ihn verprügelt, aber er hat ihn nicht angerührt.«

Und bedrückt fügte sie hinzu: »Von dem Vorfall wusste nur eine Person: Henrietta. Papa hat es ihr vergangenes Jahr

Nachdem Milandi gegangen war, setzte sich Maroulas an seinen Schreibtisch, um Lucy Davis’ Manuskript an Katzikis zu mailen. Das gab Markou Gelegenheit, seine Notizen noch einmal ungestört durchzugehen, auf der Suche nach etwas, was er übersehen hatte. Bestimmt zum zehnten Mal griff er nach Ersens Vernehmungsprotokoll. Wenn er etwas gewusst, wenn er tatsächlich im Beisein des Mörders eine Andeutung gemacht hatte, die sein Leben in Gefahr brachte, wieso hatte es dann keiner mitbekommen?

Und vor allem, warum hatte Ersen ihm nichts gesagt? Oder hatte er eine Andeutung gemacht, die Markou nicht verstanden hatte? Der Kommissar ging Ersens Aussagen noch einmal Wort für Wort durch und versuchte, sich genau an Tonfall und Wortwahl zu erinnern. Hatte er irgendeinem Blick, einem bestimmten Gesichtsausdruck nicht die nötige Bedeutung beigemessen?

Er ließ Ersens Vernehmungsprotokoll auf das Manuskript fallen. Vielleicht konnte ihnen ja Katzikis weiterhelfen. Dessen Erfahrung und seine Kenntnisse der Personen und Vorfälle, die er selbst als nachteilig für eine objektive Vernehmung bezeichnet hatte, waren in diesem Fall vielleicht hilfreich.

Es war Rovis gewesen, Markous Chef in Athen, der ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, das Manuskript dem Polizeichef von Nissos zukommen zu lassen. Obwohl ihm Markou versichert hatte, dass er alles bis ins kleinste Detail mit ihm durchgesprochen hatte, sagte Rovis: »An Ihrer Stelle würde ich es ihm trotzdem zumailen, damit er alles auch schriftlich vorliegen hat.« Das war ein verdeckter Befehl gewesen, und sein Chef hatte recht: Sie hätten Katzikis das Manuskript sofort schicken sollen.

Einerseits hoffte Markou, dass Katzikis, der immer noch

Dessen Tod lief vorerst unter Unfall. Das verschaffte ihnen mehr Zeit, da es die Einmischung der türkischen Behörden hinauszögerte.

Maroulas’ Stimme aus dem Vorzimmer vertrieb die Gewitterwolken, die sich um Markous Kopf zusammenbrauten.

»Ich habe was gefunden!«

Er kam mit dem Laptop in der Hand herein und stellte ihn vor Markou auf den Schreibtisch. Er platzte fast vor Aufregung.

»Um die Mail an den Chef zu schicken, habe ich mich mit Davis’ Laptop ins Wi-Fi eingeloggt, und als die Verbindung stand, sind lauter Nachrichten eingegangen. Das meiste Spams, und E-Mails von Freunden, aber auch diese hier …«

Er deutete auf eine Mail und fuhr fort: »Ich bin sofort hellhörig geworden und habe sie geöffnet. Im Betreff steht: Re: Buch über Who’s who auf griechischer Insel. Krimi.« Maroulas öffnete sie.

Meine liebe Lucy,

das hört sich an, als würdest Du Dich bestens amüsieren! Entschuldige bitte meine späte Antwort, aber in diesem wundervollen kleinen Dorf fernab von allem haben wir keinen Internetzugang. Ich habe die Kapitel und die Notizen gelesen, klingt alles sehr interessant. Mach auf jeden Fall weiter. Um es meinem Freund bei Albion Editions zu schicken, bräuchte ich allerdings etwas mehr Material. Aber das hat Zeit bis September.

Liebe Grüße von Ian und mir,

Catherine

Meine liebe Catherine,

hallo aus dem Paradies. Einem verlorenen Paradies allerdings, denn die Menschen sind keine Engel, egal, was wir uns einzureden versuchen. Hier ist ein erster Entwurf des Buches, das ich endlich zu schreiben begonnen habe, du weißt schon, von dem ich dir bereits erzählt habe. Mit jedem Tag, den ich hier verbringe – verzaubert vom Meer, der Sonne und der wundervollen Atmosphäre der Insel –, stoße ich auf neues, schockierendes Material. Ich schicke Dir die ersten Kapitel und ein paar Notizen zu den folgenden. Hoffentlich findest Du in den Ferien etwas Zeit, um sie zu lesen. Lass mich bitte wissen, ob wir es schon an diesen befreundeten Lektor schicken können, von dem Du mir vor ein paar Monaten erzählt hast.

Mit den besten Grüßen an Dich und Ian

L.D.

Maroulas legte die Fingerspitze auf das Touchpad und führte den Cursor auf das angehängte Word-Dokument.

»Ich habe die Datei geöffnet«, sagte er, als er sie anklickte. »Sie enthält den Entwurf des Buchs. Die ersten drei Kapitel sind mehr oder weniger unverändert. Was die folgenden angeht, handelt es sich eher um Skizzen, die weniger Details enthalten als das, was wir schon gelesen haben, aber eins« er scrollte zur letzten Seite des Dokuments, »ist in unserer Version nicht enthalten.« Damit deutete er auf zwei Zeilen am Ende des Dokuments.

Markous Augen leuchteten auf, als er sie las: