»Haben Sie diesen Ganoven endlich verhaftet?«, rief Hen- rietta Banks, als sie kurz nach zehn Uhr in die Wache gestürmt kam.

»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass er’s war!« Ohne Maroulas Beachtung zu schenken, der an seinem Schreibtisch saß, ließ sie ihren Blick auf der Suche nach »Gregory« Psarakis durch das Vorzimmer wandern. Als sie ihn nirgendwo entdeckte, zog sie ihren smaragdgrünen Kaftan zurecht, strich sich mit den Fingern durchs Haar und fragte aufgeregt: »Wo ist er?«

Ohne Maroulas’ Antwort abzuwarten, stürmte sie in das Büro, wo Katzikis und Markou sie bereits erwarteten. Sie warf Markou eine Kusshand zu und richtete sich mit einem erleichterten Seufzen an den Polizeichef. »Wusste ich’s doch, dass Sie ihn verhaften werden! Sie wissen am besten, aus welchem Holz dieser Kerl geschnitzt ist! Ihr Kollege hier ist aus Athen; er kennt ihn nicht. Er weiß nicht, was auf Nissos los ist. Nur gut, dass Sie wieder zurück sind!«

Sie blickte sich hektisch um, als könnte sich Psarakis irgendwo in dem kleinen Büro verstecken. »Haben Sie ihn schon in eine Zelle gesperrt? Umso besser! Eigentlich sollten Sie ein Exempel an ihm statuieren und ihn mitten auf der Platia hängen! Kann ich zu ihm? Ich möchte sein Gesicht hinter Gittern sehen!«, rief sie, bevor sie einen Parfümflacon

»Dann lasse ich Sie jetzt allein mit ihr«, sagte Katzikis und verließ den Raum mit der Akte des ungelösten Falls von 1992 unterm Arm. Unter den alten Dokumenten, die sie enthielt, befand sich inzwischen auch eine Fotokopie des Fotos von 1965.

Banks setzte sich auf den Stuhl und entledigte sich ihrer jadegrünen Sandalen. Ihr dunkelgrüner Lidschatten war in der Morgenhitze bereits zerlaufen. Sie verschränkte die Hände ineinander und wartete – auf Erklärungen, Komplimente und Glückwünsche oder, im Idealfall, einen Besuch im Gefängnis beim Objekt ihrer Begierde.

Markou beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und sagte betont freundlich: »Nur Sie können uns helfen.«

Henrietta Banks nickte und antwortete in vielsagendem Ton: »Ich weiß, dass ich genial bin! Die Natur hat mich reich beschenkt.« Um es jedoch nicht zu verschreien, spuckte sie in Abwandlung des griechischen »ftou ftou«, womit die Einheimischen Unheil abwenden wollen, »tuff tuff« auf den Boden.

»Deshalb werden Sie auch verstehen, dass ich Ihnen nichts über Psarakis oder sonst jemanden sagen darf, solange mir kein vollständiges Bild vorliegt«, fuhr der Kommissar fort und schaute ihr dabei in die Augen.

»Aus diesem Grund muss ich Sie bitten, mir bis ins kleinste Detail zu erzählen, was in Ihrem Gespräch mit Mehmet Ersen hier auf der Wache gesagt wurde, als Sie sich über Mode unterhalten haben.«

Ihre Miene verdüsterte sich, und sie protestierte: »Was soll das mit Georgios …?« Doch Markou unterbrach sie: »Natürlich kann nur ein extrem intelligenter Mensch wie Sie verstehen, dass alles zusammenhängt.«

»Also, worüber haben Sie und Ersen gesprochen? Und so detailliert wie möglich bitte.«

»Natürlich«, wiederholte Banks und konzentrierte sich mit verkniffenem Gesicht darauf, die Intelligenz, mit der die Natur sie so großzügig beschenkt hatte, unter Beweis zu stellen.

»Also, er hat sich ausführlich über meinen guten Geschmack ausgelassen. Ich erinnere mich, dass er immer wieder das Wort phänomenal benutzte, Gott sei seiner Seele gnädig. Er hat mir versichert, dass ich ihm mit meinem Aussehen jedes Mal von Neuem den Atem raube und dass offensichtlich ist, dass ich in einem von gutem Geschmack und sehr viel Geld geprägten Umfeld aufgewachsen bin. Er nannte mich die bestangezogene Frau der Insel – nicht, dass ich solche Komplimente nötig habe, denn selbstverständlich weiß ich das. Es liegt mir einfach im Blut. Dann hat er mit den Fingern liebkosend über meinen Kaftan gestrichen und gesagt, dass ich ein untrügliches Gespür dafür habe, wie man Farben und Texturen kombiniert, und dass für die meisten ein Stoff aussieht wie der andere, während einem Kenner der Unterschied nie entgehen würde.«

Sie machte eine kurze Pause und tippte mit ihrem Zeigefinger nachdenklich an ihre Lippen, bevor sie fortfuhr: »Er wollte mich zu seiner Muse machen. Umso mehr bedaure ich seinen plötzlichen Tod. Und dann hat er über Männerkleidung gesprochen«, fügte sie mit einer wegwerfenden Handbewegung hinzu. »Er meinte, sie wäre unsäglich langweilig und uninspiriert, immer nur dieselben weißen Hemden. Und auch hier ist er wieder auf die unterschiedlichen Stoffe zu sprechen gekommen und dass nur ein geübtes Auge zwischen Leinen, auf Leinen getrimmter Baumwolle

Henrietta Banks zuckte mit den Achseln und fügte mit einem leisen Seufzen hinzu: »Das war alles. Später wollten wir uns dann auf der Platia auf einen Drink treffen, aber leider ist er nicht erschienen …«

Und mit einem Blick zum Kommissar, der ein paar ihrer Sätze in seinem Notizbuch unterstrich, fügte sie lächelnd und sehr zufrieden mit sich selbst hinzu: »Ich kann nur hoffen, dass Sie ihn jetzt endlich hinter Gitter bringen und er nie mehr das Sonnenlicht erblickt.«

Während Banks an Psarakis dachte, wandte sich die Aufmerksamkeit des Kommissars, der jetzt endlich wusste, wie und warum der Türke umgebracht worden war, jemand ganz anderem zu.