Sir Jacob Crawley begrüßte Cranston und Athelstan freundlich. Dem Bruder war Sir Johns leises Schwanken peinlich, doch Sir Jacob beachtete es überhaupt nicht, als er sie in seiner Kajüte willkommen hieß. Man hatte eine kleine Tafel auf zwei Böcken aufgestellt und mit Leintüchern, silbernen Bechern, Besteck und den allerbesten Zinntellern gedeckt. Laternen brannten, und Kerzenleuchter, die sorgfältig auf dem Tisch befestigt waren, tauchten die Kajüte in ein sanftes, warmes Licht. Wie ihre kleineren Schwesterschiffe war auch die Holy Trinity kampfbereit. Athelstan hatte die Vorbereitungen gesehen, als er und Cranston an Bord gekommen waren. An Deck der Holy Trinity standen Eimer mit Salzwasser zum Feuerlöschen; die Bogenschützen schleppten Bündel von Pfeilen heran und stellten sie in kleine, eisenbeschlagene Tonnen rings um den Mast. Als der Admiral die Kajütentür hinter ihnen schloß, hatte Athelstan das Gefühl, eine andere Welt zu betreten. Crawley geleitete sie zu ihren Stühlen. Man servierte ihnen Gerichte, die aus den Garküchen und Bäckereien der Vintry geholt worden waren. Es war nicht das Allerbeste, aber es war heiß und würzig - Hirsch- und Rindspasteten, heiße Brühe, Quittentorte und Krüge mit verschiedenen Weinen. Anfangs bestand das Gespräch aus dem bloßen Austausch von Artigkeiten, hin und wieder unterbrochen von einem Klopfen an der Tür, wenn ein Offizier um Rat fragen und sich Anweisungen holen wollte.
»Glaubt Ihr, Eustace, der Mönch, wird seine Galeeren so weit die Themse hinaufbringen?« fragte Athelstan.
Crawley nickte. »Binnen einer Stunde wird der Nebel so dicht sein, daß er ihm besten Schutz bietet.« Der Admiral trank aus seinem Becher und lehnte sich zurück. »Man muß damit rechnen. Seit Wochen brandschatzen wir die Städte an der normannischen Küste, und Eustace ist unverschämt genug, einen so waghalsigen Versuch zu unternehmen. Schon seine bloße Anwesenheit hier ist gefährlich.« Crawley beugte sich wieder vor. »Warum, Bruder? Wollt Ihr zurück an Land? Es steht Euch frei.«
»Nein.« Cranston rülpste, schmatzte und betrachtete den samtenen Damast, der die eine Kajütenwand bedeckte. »Sir Jacob, Bruder Athelstan hat mit dem Heer des Königs in Frankreich gekämpft.« Cranston machte keine weiteren Ausführungen zu Athelstans kurzer Militärlaufbahn, bei der sein jüngerer Bruder ums Leben gekommen war. »Und der alte John Cranston hat keine Angst vor einem Piraten.« Der Coroner trommelte mit fetten Fingern auf dem Tisch. »Außerdem, Sir Jacob, haben wir ja noch Dienstliches zu erledigen.« Er drehte sich zu Athelstan um und zwinkerte kurz, um ihm zu verstehen zu geben, daß er Sir Jacob nichts von ihrer Entdeckung an Bord der God’s Bright Light erzählen sollte.
Der Admiral spreizte die Hände. »Sir John, stellt nur Eure Fragen. Diesmal werde ich Euch die Wahrheit sagen.«
»Gut. Ihr konntet Roffel nicht leiden?«
»Stimmt, Sir John, ich haßte ihn mit jeder Faser meines Wesens, denn er war ein Pirat und ein verkommener Mörder. In meinen Augen hat Roffel bekommen, was er verdiente.«
»Hattet Ihr etwas mit seinem Tod zu tun?«
»Bei den heiligen Sakramenten, nein!«
»Wußtet Ihr etwas von seinem Überfall auf ein Fischerboot zwischen Calais und Dieppe?«
»Nein, Sir John, davon wußte ich nichts. Wenn meine Kapitäne auf See sind, können sie tun, was sie wollen. Ihre Aufgabe ist einfach: Sie müssen möglichst viele Feinde aufbringen und vernichten. Da werden keine Fragen gestellt, und wenn doch, so bekommt man selten eine ehrliche Antwort.«
»Und wie war es, als die God’s Bright Light hier vor Anker ging?«
Crawley zuckte die Achseln. »Ich ging an Bord, sah Roffels stinkenden Leichnam, redete ein paar Worte mit Bracklebury und kam wieder hierher.«
»Ihr hattet nicht das Gefühl, daß da etwas nicht stimmte?« fragte Athelstan.
»Doch, man spürte ein gewisses Unbehagen. Bracklebury wollte mir nicht in die Augen schauen, und es schien ihn zu stören, daß ich an Bord war.«
Cranston räusperte sich und nahm einen großen Schluck aus seinem Becher. Athelstan beobachtete ihn wachsam. Sir John hatte bereits einen stattlichen Rausch; sein rotes Gesicht glühte jetzt, und sein Schnurrbart sträubte sich.
»Sir Jacob«, dröhnte Cranston, »es gibt zwei Dinge, über die Ihr uns belogen habt.« Er hob die Hand, als Crawley ob der Beleidigung zusammenzuckte. »Jawohl, Sir, belogen, und ich sage Euch das als Euer Freund, nicht als Coroner. Ihr habt uns gesagt, Ihr wärt in dieser Nacht nicht auf der God’s Bright Light gewesen. Wir wissen aber, daß Ihr irgendwann nach Mitternacht zu dem Schiff hinübergefahren und einige Zeit dort geblieben seid.«
Crawley nagte an der Unterlippe, spielte mit einer Kruste auf seinem Teller. »Ich bin der Admiral dieser Flotille. Roffels Tod hat mich beunruhigt, und Brackleburys verdächtiges Benehmen hat mein Mißtrauen nur noch vertieft. Ich sah, daß die Besatzung von Bord ging, und es machte mir Sorgen, daß nur Bracklebury und jene beiden anderen auf dem Schiff blieben.« Er hob die Schultern. »Zunächst nahm ich es hin. Die Parole wurde weitergegeben, die Lichtsignale ebenfalls, und auf den Schiffen schien alles ruhig zu sein. Aber als ich über das Deck ging, sah ich, daß der God’s Bright Light vom Kai her Lichtzeichen gegeben wurden.« Crawley zögerte. »Ihr habt von zwei Dingen gesprochen?«
»Aye!« blaffte Cranston. »Die Hure Bernicia kam zum Kai und rief die God’s Bright Light an. Bracklebury trieb sie mit einem Schwall von Flüchen davon. Den Wortwechsel habt Ihr doch sicher gehört?«
»Ja, ja, natürlich«, sagte Crawley müde. »Ich habe es gehört, und ich habe auch eine Laterne durch den Dunst vom Kai herüberblinken sehen. Ich wurde mißtrauisch, und deshalb fuhr ich hinüber. Doch an Bord war alles in Ordnung. Die beiden Matrosen standen auf Wache. Bracklebury saß in der Kajüte; er aß Schiffszwieback und trank ziemlich heftig, aber betrunken war er nicht. Ich fragte ihn nach dem Lichtsignal, aber da grinste er und sagte, daß sei eine Hure, mit der er sich angefreundet habe; sie tue das oft, wenn er Wache habe. Er war auf eine ziemlich unverschämte Weise höflich und griente, als ob er etwas zu verbergen hätte.«
»Wie sah es in der Kajüte aus?« fragte Athelstan. »Ist Euch da etwas aufgefallen?«
»Nein. Ich ging wieder an Deck und sprach mit den beiden Matrosen.« Crawley zuckte die Achseln. »Ihr wißt ja, wie Seeleute sind, Sir John. Sie waren wach und auf dem Posten, aber sie hatten es sich bequem gemacht. Der eine würfelte mit sich selbst, und der andere machte seine Späße über die verschiedenen Arten, wie er die erstbeste Dirne nehmen würde, der er an Land begegnete.«
»Es war also alles in Ordnung?« fragte Athelstan.
»Nein. Aber ich weiß nicht, was es war. Irgend etwas stimmte nicht. Irgend etwas war nicht, wie es sein sollte. Ich ging unter Deck. Es war dunkel und still; ich fand nichts Ungewöhnliches und kam wieder herauf.« Der Admiral trank einen Schluck Wein. »Den Rest wißt Ihr selbst.« Er lächelte vergebungsheischend. »Als der Matrose im Morgengrauen an Bord zurückkam und feststellte, daß Bracklebury und die Wache verschwunden waren, bekam ich es mit der Angst zu tun. Hier war irgend etwas Schreckliches im Gange, und ich wollte nicht, daß man mir die Schuld daran gab; also log ich.«
Athelstan lehnte sich zurück und umfaßte den Becher mit beiden Händen. Er dachte an die Eintragungen auf den letzten Blättern in Roffels Stundenbuch.
»Sir Jacob, sagen Euch die Buchstaben SL etwas?«
Der Admiral schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe Euch die Wahrheit gesagt. Ich habe kein Verbrechen begangen.«
»Oh doch«, widersprach Athelstan. Sogar Cranston sah ihn erstaunt an.
Sir Jacob erbleichte. »Was wollt Ihr damit sagen?« stotterte er.
»Nun, gewissermaßen ein Verbrechen«, erklärte Athelstan. »Ihr seid in die Kirche von St. Mary Magdalene eingedrungen, habt Roffels Leiche aus dem Sarg gerissen, ihr die Kehle durchgeschnitten und ein Schild mit der Aufschrift MÖRDER an die Brust geheftet.«
Athelstan beobachtete den Admiral genau. Er war zu dieser Schlußfolgerung erst gekommen, als Crawley seinen Gefühlen Roffel gegenüber Luft gemacht hatte.
»Das könnt Ihr nicht beweisen«, sagte Crawley.
»Ach, kommt, Sir Jacob, wir brauchen es nur logisch zu betrachten. Erstens: Wenn jemand von der Besatzung der God’s Bright Light das Verlangen gehabt hätte, die Überreste ihres Kapitäns zu schänden, dann hätte er es auf der Heimreise tun können. Aber als man Roffels Leiche vom Schiff gebracht hatte, waren sie alle froh, nichts mehr davon sehen zu müssen. Zweitens: Wer da in die Kirche eingebrochen ist, war stark und kräftig. Wo könnten wir einen solchen Menschen finden?» Athelstan schaute Crawley in die Augen. »Emma Roffel hat ihren Mann gehaßt, aber sie ist weder gewandt noch stark genug, um an einer Kirchenmauer hinaufzuklettern, einen Fensterladen aufzubrechen, eine Männerleiche aus dem Sarg zu zerren und sie auf den Apsisstuhl zu setzen. Und warum sollte sie es auch tun? Drittens: Ihr, Sir Jacob, hattet ein Motiv. Ihr seid der einzige, der Roffel ein besonderes Verbrechen vorzuwerfen hatte - den Mord an einem Verwandten.« Athelstan lächelte und entspannte sich. »Ihr seid ohne Zweifel unschuldig an der Ermordung Roffels. Aber Ihr fühltet Euch betrogen. Also habt Ihr Euch selbst zum Richter gemacht und Euer Urteil gesprochen.«
»Es könnte auch Bracklebury gewesen sein.« Cranston schmatzte und starrte den Ordensbruder mit glasigen Augen an.
Athelstan runzelte die Stirn. »Sir John, Master Bracklebury hat sich die meiste Zeit über vor allen Leuten versteckt. Warum soll er mit einem solchen Verbrechen alles aufs Spiel setzen? Ich habe doch recht, nicht wahr, Sir Jacob?«
Der Admiral griff nach seinem Becher und schaute Athelstan trotzig an.
»Ja, Bruder, Ihr habt recht. Ich war froh, daß Roffel tot war. Er war ein Mörder. An dem Tag, als man seine Leiche an Land schaffte, beauftragte ich einen Matrosen, festzustellen, wohin man sie brachte. Er kam zurück und berichtete, der Tote sei vor dem Hochaltar in der Kirche von St. Mary Magdalene aufgebahrt, aber die Witwe wache davor.« Crawley knallte den Becher auf den Tisch. »Also beschloß ich abzuwarten.« Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Was ich getan habe, war unrecht, aber Roffel hat es verdient.«
Cranston schnalzte mißbilligend und legte seine Hand auf die seines ehemaligen Kameraden. »Sir Jacob, habt Ihr die Wahrheit gesagt?«
»Ja, John. Das schwöre ich!«
Das Gespräch wurde durch ein dumpfes Aufprallen längsseits und lautes Stimmengewirr unterbrochen. Männer rannten über das Deck, dann wurde die Tür aufgerissen, und ein Offizier stürzte herein.
»Sir Jacob, entschuldigt.«
»Was ist denn, Mann?«
»Am besten kommt Ihr an Deck, Sir.«
Sir Jacob folgte ihm mit Cranston und Athelstan im Schlepptau. Es war dunkel geworden, und die Worte des Admirals erwiesen sich als prophetisch: Der Flußnebel brodelte und wirbelte wie Dampf aus einem Kochkessel, so daß man den Bug des Schiffes schon nicht mehr sah. Auch der Fluß selbst lag darunter verborgen, als habe sich eine schwere Wolke herabgesenkt und das Schiff mit einer dichten Wand aus Schweigen und Geheimnis umgeben. Athelstan spähte durch die Düsternis. Ab und zu sah er die Lichter der anderen Schiffe aufblinken. Dann hörte er das seltsame Geräusch, das die Aufregung hervorgerufen hatte.
»Was zum Teufel ist das?« fragte Cranston mit schwerer Zunge.
Athelstan schob sich vorsichtig bis an die Reling.
»Das sind Glocken, Sir John. Kirchenglocken, die Alarm läuten.«
»Da ist noch etwas«, rief der Offizier, der ihr Mahl gestört hatte, von der anderen Seite des Decks herüber. »Sir Jacob, hier ist ein Bootsmann. Er sagt, er heißt Moleskin.«
Athelstan überquerte das schlüpfrige Deck und spähte auf der anderen Seite über die Reling. Im Licht der Laterne, die der Bootsmann hochhielt, konnte er gerade noch Moleskins vergnügtes Gesicht erkennen.
»Moleskin, was machst du hier?« rief Athelstan.
»Pater, ich wußte, daß Ihr hier seid. Ich bin zur Stadt hinübergefahren, und da hat man mir gesagt, daß Ihr an Bord der Holy Trinity seid.«
»Herr des Himmels, Mann!« rief Sir Jacob, der neben Athelstan getreten war, hinunter. »Was gibt es denn so Dringendes? Hast du die Nachricht nicht gehört?«
»Ich gehöre zu Bruder Athelstans Pfarrgemeinde«, antwortete Moleskin. »Er sorgt für mich. Ist sogar gekommen, um meine alte Mutter zu besuchen, jawohl.«
»Gütiger Gott«, sagte Crawley leise. »Der Kerl ist ja verrückt.«
»Was willst du, Moleskin?« fragte Athelstan.
»Ach, eigentlich gar nichts, Pater. Ich habe mir bloß Sorgen gemacht. Wißt Ihr, die schlauen Hunde da oben bei Euch an Bord glauben, die französischen Galeeren würden den Fluß herauf auf sie zu kommen. Na, ich habe sie aber am anderen Ufer gesehen, auf der Seite von Southwark. Was aus den anderen Kerlen wird, kratzt mich nicht, aber ich habe mir Sorgen um Euch und den Lord Roßzermalmer gemacht!«
»Verpiß dich, du!« brüllte Cranston.
»Und auch Euch einen schönen guten Abend, Sir John«, gab Moleskin zurück.
»Fahr lieber zurück«, rief Athelstan hinunter.
»Macht Euch keine Sorgen um mich, Bruder, mich fängt kein Drecksfranzose. Ich war schon auf diesem Fluß, als die noch kleine Kaulquappen waren.«
Moleskins Stimme hallte aus den Tiefen des Nebels. Athelstan spähte hinunter, die Schleier verwehten für ein paar Augenblicke, aber Moleskin und sein Boot waren nicht mehr da. Cranston lehnte betrunken an der Reling und schaute Crawley an. Sir Jacob spähte durch den Nebel und fuhr sich mit den Fingern durch den kleinen Spitzbart. »Was wißt Ihr über Moleskin, Pater?« fragte er.
»Einer der besten Bootsführer auf der Themse«, antwortete Athelstan. »Gerissen, ehrlich und nüchtern. Er kennt die Themse wie seine Hosentasche.«
»Gütiger Gott«, knurrte Cranston. Die kalte Nachtluft vertrieb allmählich den Weindunst aus seinem Schädel. »Franzosenfürze!« zischte er erbost.
»Was ist denn?« fragte Athelstan.
Sir Jacob wandte sich um und befahl seinen Offizieren, den anderen Schiffen Nachricht zu geben.
Athelstan packte Cranstons Arm. »Sir John, was ist los?«
Cranston zog ihn in eine Ecke. »Bruder, der Franzose ist ein raffinierter Seemann. Wahrscheinlich ist er im Schatten des Nordufers die Themse heraufgekommen, an Westminster vorbei, und in Sichtweite von Temple, Whitefriars und sogar der Fleet Street. Das hat er getan, um Verwirrung zu stiften, damit jetzt alle auf der Hut sind. Wir erwarten einen Feind, der hinter uns den Fluß heraufkommt, von Westen her. Unterdessen aber hat der Schlaufuchs Eustace seine Galeeren über den Fluß auf die Seite von Southwark gesteuert. Kurz vor der London Bridge wird er wenden und, anders als Sir Jacob erwartet, aus der entgegengesetzten Richtung herabgleiten.«
»Und?« fragte Athelstan.
»Herrgott noch mal, Bruder! Das Element der Überraschung!« Cranstons Schnurrbart sträubte sich bei der Aussicht auf ein Gefecht. »Es ist, als ob ich einen Messerstecher von links erwarten würde und er sich unversehens von rechts auf mich stürzt. Folgendes wird geschehen. Eustace hat seine Galeeren gewendet. Er wird zurückkommen, hier mit Hilfe des Überraschungsmoments soviel Schaden wie möglich anrichten und dann weiter zur Flußmündung Vordringen. Er wird die Stadt lächerlich machen, vom Admiral des Königs ganz zu schweigen. Aber nicht Sir John Cranston!« brüllte er in die neblige Dunkelheit hinaus und schlug Athelstan auf die Schulter. »Dank dir, du liebster unter den Ordensbrüdern, und diesem frechen Hund Moleskin werden wir gut vorbereitet sein.«
Athelstan sah, daß sich das Schiff bereits kampfbereit machte. Die Decks wimmelten von Matrosen. Die Kohlenbecken glühten rot unter metallenen Hauben.
Bogenschützen spannten die Sehnen ihrer Bögen, und Jungen liefen herum und füllten ihnen die Köcher. Crawley ging in seine Kajüte und kam mit einem Kampfgurt, einem Panzerhemd und einer kegelförmigen Sturmhaube mit Nasenschurz heraus. Andere Offiziere taten es ihm nach. Ein Trommelwirbel setzte ein, aber Crawley brachte ihn rasch zum Verstummen. Kleine Katapulte wurden unter schützenden Planen hervor gerollt. Das Beiboot des Schiffes brachte eine letzte Nachricht zu den anderen Koggen: Die Änderung der Pläne wurde bestätigt, und die übrigen Kapitäne wurden gewarnt, mit einem Angriff aus östlicher Richtung zu rechnen, da die französischen Galeeren an der London Bridge gewendet hätten. Crawley rief zu den Ausguckposten hinauf.
»Ein Stück Silber für den, der den Feind als erster sichtet!«
»Dick wie Suppe!« schrie eine Stimme herunter. »Nichts zu sehen, Sir Jacob!«
Athelstan spürte die bange Erwartung. Lange Stangen und Enterhaken wurden von unten heraufgebracht, Schwerter und Dolche in ihren Scheiden gelockert. Ein Mann kam zu Athelstan und bat ihn, ihm die Beichte abzunehmen. Athelstan kniete nieder und hörte das hastig geflüsterte Bekenntnis des Mannes, der nicht mehr als achtzehn oder neunzehn Sommer alt war. »Schon bald«, flüsterte er, während sie in einer Ecke zwischen Reling und Achterkastell an Deck knieten, »könnte ich Menschen töten.«
»Gott wird dein Richter sein, mein Sohn«, antwortete Athelstan. »Ich kann nur sagen: Tu, was du für richtig hältst, wenn der Augenblick es dir gebietet.«
Auch andere wollten jetzt beichten. Am Ende erteilte Athelstan ihnen Generalabsolution. Unterdessen war Cranston ungeduldig auf und ab gestapft und hatte in den Nebel hinausgespäht.
»Sir John«, rief Crawley, »Ihr könnt unter Deck gehen oder wir bringen Euch an Land, wenn Ihr wollt.«
»Packt Euch!« brüllte Cranston. »Nie wird man sagen können, John Cranston hätte den Schwanz eingekniffen!«
»Aber was ist mit Bruder Athelstan?«
Cranston schaute den Ordensbruder an. »Bruder, du mußt an Land.«
Athelstan schüttelte den Kopf. »Ich bin hier. Das bedeutet, Gott wollte mich hier haben. Und irgendjemand, Sir John, muß Euch ja Rückendeckung geben.«
Cranston kam näher. »Pack dich, kleiner Bruder!«
»Sir John«, antwortete Athelstan gleichmütig, »was ist, wenn Euch etwas zustößt? Euer Gesicht glüht wie ein Leuchtfeuer - ein gewaltiges Ziel. Was soll ich Lady Maude oder den Kerlchen sagen?«
Cranston sah sich nach Crawley um. »Wir bleiben«, rief er. »Sir Jacob? Einen Schwertgurt, Dolch und Schild. Ach ja, und einen Helm.«
»Wenn Ihr einen habt, der groß genug ist«, murmelte Athelstan bei sich.
Sir John wappnete sich geschäftig und löste durch seine Flüche und seinen schwarzen Humor die Anspannung um ihn herum. Als er fertig war, sah er aus wie eine veritable Kampftonne; der zu kleine Helm, der auf seinem Kopf thronte, ließ ihn um so lächerlicher aussehen.
Geschwätz und Gelächter erstarben, als der Ausguck im Vorderkastell rief: »Ich sehe was! Nein, es ist weg! Es ist weg!«
Die ganze Besatzung hatte sich umgedreht und spähte flußaufwärts. Athelstan trat an die Reling. Was hörte er da? Ein Knarren?«
»Gott im Himmel!« schrie Cranston, als Brandpfeile durch den Nebel herangezischt kamen. Einer traf das Deck, ein zweiter bohrte sich einem Bogenschützen in die Schulter, so daß er schreiend vor Schmerzen wie eine Puppe zurückgeschleudert wurde.
»Teufelsdreck!« schrie Cranston. »Die Hunde sind da!«
Weitere Brandpfeile fielen, gefolgt von einem Schwall brennenden Pechs, das krachend aufs Deck prasselte, aber rasch mit Wasser gelöscht wurde. Athelstan fühlte, wie sich sein Magen zusammenzog und sein Mund trocken wurde. Er spähte in den Nebel hinaus. Langgestreckte Umrisse tauchten dort auf, geduckt und mit prachtvollen Aufbauten, die wie zähnefletschende Wolfsköpfe aussahen. Athelstan wich erschrocken zurück. Es waren drei oder vier - nein, fünf Galeeren, die mit aufgerichteten Rudern auf die Holy Trinity zujagten wie Windhunde auf der Hatz. Die lautlose Geschwindigkeit, mit der sie herankamen, war unheimlich.
»Wieso feuert Ihr nicht?« schrie er Crawley zu.
Der Admiral stand mit erhobener Hand da. Eine Galeere krachte an Steuerbord gegen die Holy Trinity. Eine zweite schwenkte mit eingezogenen Rudern in einer ausgreifenden Bewegung unter ihrem Heck hindurch. Eine dritte drehte schäumend vor ihrem Bug bei. Ein Enterhaken schoß vor und faßte die Reling.
»Für den Hl. Georg!« schrie Crawley, und seine Hand fuhr herab.
Die Langbogen sangen ihr Lied, ein dumpfes, musikalisches Dröhnen, und gänsefederbewehrte Pfeile schwirrten in die Dunkelheit. Geschrei und Geheul zerrissen die Nachtluft.
»Und noch einmal! Schießt!«
Ein Franzose mit dunklem, bärtigem Gesicht, der einzige, der bisher das Deck der Holy Trinity erreicht hatte, starrte Athelstan verdattert an. Ein Pfeil traf ihn zwischen die Augen. Er kippte zurück.
»Und noch einmal!« brüllte Crawley. »Schießt!«
Athelstan sah sich von Cranston zurückgerissen, während er die Bogenschützen anstarrte. Es waren handverlesene Meisterschützen; wenn sie einen Pfeil abschossen, hielten sie einen zweiten zwischen den Zähnen. Athelstan schätzte, daß jeder mindestens drei Pfeile in der Minute abschoß. Sie arbeiteten kalt und lautlos. Ab und zu schoß ein französischer Arquebusier zurück, und ein Bogenschütze flog schreiend aufs Deck. Er wurde weggezogen, und ein anderer nahm seinen Platz ein. Andere, unternehmungslustigere Schützen, enterten die Wanten. Athelstan eilte zu den Verwundeten. Der erste, ein etwa sechzehnjähriger Junge, hustete bereits Blut, und sein Blick wurde glasig. Athelstan machte ein Kreuzzeichen über seinem Gesicht und vertraute darauf, daß Christus ihn verstehen würde. Crawley führte jetzt die Brandschützen heran und setzte sie großer Gefahr aus, denn sie mußten sich über die Reling beugen und in die Galeeren hinunter schießen. Die Franzosen schossen mit Armbrüsten zurück. Ein Bogenschütze verschwand schreiend über die Reling; das halbe Gesicht war ihm weggerissen. Athelstan stand mit Crawley und einer kleinen Gruppe von Offizieren am Fuße des Mastes und lauschte dem Schlachtgetöse. Er begriff, welches Glück sie gehabt hatten - ohne Moleskins Warnung hätte die ganze Besatzung unvorbereitet in die falsche Richtung Ausschau gehalten, als Eustace und seine Freibeuter zuschlugen.
»Nach Steuerbord!« schrie jemand.
Crawley drehte sich um. Auf der Landseite war eine Galeere herangekommen und hatte die Umzingelung der Holy Trinity vollständig gemacht. Athelstan schaute zur Mastspitze hinauf; als Wimpel flatterte dort eine Mönchskapuze. Jetzt befanden sie sich in akuter Gefahr. Bogenschützen stürzten hinüber, aber schon schlängelten sich Entertrossen herüber, und Haken verhedderten sich in Takelage und Reling. In wildem Ansturm gelang es bewaffneten Franzosen, die über ihren Brustpanzern die Livree mit dem Wappen der Mönchskapuze trugen, an Bord Fuß zu fassen. Sie drängten die leichtgepanzerten Bogenschützen zurück, die mit ihren Langbogen so gewandt umgehen konnten, gegen diese geharnischten Schwertträger aber schutzlos waren.
»Los!« brüllte Cranston, und ohne auf Crawleys Befehl zu warten, führte der fette Coroner die Schiffssoldaten gegen die Entermannschaft. Auch Athelstan hätte sich ins Getümmel gestürzt, aber Crawley hielt ihn zurück. Cranston stürmte den Franzosen entgegen wie ein wütender Bulle.
Der Ordensbruder schaute schreckensstarr zu. Cranston schwang sein großes Schwert wie eine Sense. Athelstan roch Feuer. Er drehte sich um und sah, daß von der Galeere auf der anderen Seite des Schiffes Rauch aufwallte. Die Brandpfeile zeigten endlich Wirkung. Crawley zog sich mit rauchgeschwärztem Gesicht aus dem Handgemenge zurück, lief auf die andere Seite und rief seinen Männern zu: »Wegschieben! Schiebt sie weg!«
Die vom Bug bis zum Heck in lodernden Flammen stehende Galeere wurde in den Nebel hinausgestoßen. Die Schreie der Männer an Bord waren furchtbar. Athelstan sah mindestens drei, die sich mit brennenden Kleidern in die eiskalte Themse stürzten. Als diese Seite frei war, eilten weitere Bogenschützen Cranston zu Hilfe. Athelstan zog sich in den Schutz des Achterkastells zurück. Da löste sich ein Franzose aus dem Kampfgewühl und rannte auf ihn zu. Athelstan wollte ihm seitwärts ausweichen. Das Schiff schwankte. Das Deck war schlüpfrig vom blutgetränkten Löschwasser. Athelstan stürzte krachend auf die Planken und verrenkte sich den Arm. Der Franzose hob das Schwert, um zuzuschlagen, mußte aber wohl in dem Moment erkannt haben, daß Athelstan ein Priester war, denn er grinste, trat zurück und verschwand wieder im Gedränge. Der Bruder hielt sich den verrenkten Arm und humpelte auf die Kajüte zu. Hinter sich hörte er Cranstons Gebrüll. Er schloß die Augen und betete, daß Christus den dicken Coroner beschützen möge. Dann hörte er eine Trompete gellen, ein-, zwei-, dreimal, und gleich darauf ließ der Kampf nach. Die Pfeile flogen nicht mehr, das Befehlsgebrüll erstarb. Athelstan lehnte sich an die Kajüte, schaute über das Schiff nach vorn und erlebte jene gespenstische Stille, die sich am Ende einer Schlacht immer herabsenkte. Selbst die Verwundeten und Sterbenden verstummten.
»Alles in Ordnung, Bruder?« Cranston kam großspurig über das Deck heran. Der Coroner war blutbespritzt, und sein Schwert war naß und klebrig. Von ein paar Kratzern an der Hand und einer kleinen Fleischwunde unterhalb des Ellbogens abgesehen, war er anscheinend unverletzt. Er packte Athelstan bei den Schultern und schob das Gesicht dicht an ihn heran; seine eisblauen Augen blickten voller Sorge.
»Athelstan, bist du wohlauf?«
»Dem Himmel sei Dank, jawohl.«
»Gut.« Cranston grinste. »Die Furzfranzosen sind weg.« Breitbeinig drehte er sich um, den fetten Bauch und die Brust vorgewölbt, und reckte sein Schwert in die Luft. »Wir haben die Hunde besiegt, Leute!«
Jubel erhob sich, und Athelstan hörte, wie er von den anderen Koggen aufgenommen wurde. Er trat an die Reling. Mehrere französische Galeeren brannten und lagen jetzt sehr tief im Wasser; die tosenden Flammen verwandelten sie in schwimmende Asche. Von Eustace, dem Mönch, und seiner Galeere sowie vom Rest der kleinen Piratenflotte war nichts mehr zu sehen.
»Wie wird es jetzt weitergehen, Sir John?« fragte Athelstan.
»Die Kerle werden schleunigst ins offene Meer hinaus fliehen«, antwortete der Coroner. »Sie müssen vor dem Morgengrauen, ehe sich der Nebel hebt, draußen sein.«
Cranston warf sein Schwert aufs Deck; eine Gruppe rufender Männer unter dem Mast hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Cranston und Athelstan gingen hinüber. Da lag Sir Jacob. Ein Arzt kauerte neben ihm und versorgte eine Wunde in der Schulter. Der Admiral verzog vor Schmerzen das Gesicht, als er Cranstons Hand packte.
»Wir haben es geschafft, John.« Sein Gesicht, weiß wie ein Laken, erstrahlte in einem schmalen Lächeln. »Wir haben es wieder einmal geschafft, John, wie in alten Zeiten.«
Cranston sah den Arzt an. »Ist er in Gefahr?«
»Nein«, antwortete der Mann. »Es ist nichts, was ein frischer Breiumschlag und ein guter Verband nicht heilen könnten.«
Crawley hatte Mühe, sich zu konzentrieren. Er spähte zu Athelstan hinauf.
»Jetzt weiß ich’s«, flüsterte er. »Ich erinnere mich. Alles war so ordentlich, so sehr ordentlich!« Dann fiel er in Ohnmacht.
Athelstan und Cranston zogen sich zurück. Auf dem Schiff herrschte ein Treiben wie in einem Bienenkorb, und der Ordensbruder verzog das Gesicht, als die Bogenschützen mit ihren Hirschfängern den verwundeten Feinden die Kehlen durchschnitten und die Toten ohne weitere Umstände ins Wasser warfen. Man ließ Boote hinunter und teilte den anderen Schiffen mit, was mit den englischen Verwundeten, den Toten beider Seiten und den feindlichen Gefangenen zu geschehen habe.
Athelstan hielt sich den Arm und saß in der Kajüte, während Cranston, unterbrochen von tiefen Zügen aus seinem Weinschlauch, eine anschauliche Schilderung des Kampfes gab. Crawley, der inzwischen unterwegs zum Hospital von St. Bartholomew war, hatte einen bemerkenswerten Sieg errungen. Vier Galeeren waren versenkt und etliche Gefangene gemacht worden, wovon die meisten, vielleicht die Glückspilze, bereits unterwegs zum Flaggschiff waren, um an der Rah aufgeknüpft zu werden.
Die Neuigkeit hatte die Stadt schon erreicht. Durch den Nebel hörte man Glockengeläut, und Matrosen berichteten, daß die Menge trotz Dunkelheit und Nebel am Kai zusammenströmte.
»Sir John«, sagte Athelstan leise, »wir sollten an Land gehen. Hier haben wir getan, was wir konnten.«
Cranston, der sich eben zur dritten Schilderung seiner meisterlichen Großtaten aufschwingen wollte, rieb sich die Augen und grinste. »Du hast recht.«
Der Coroner ging zur Kajütentür und sah, wie ein französischer Gefangener mit einer Schlinge um den Hals über die Reling gestoßen wurde, um so eines langsamen Erstickungstodes zu sterben.
»Du hast recht, Bruder; wir sollten wirklich gehen. Keine anstürmenden Ritter, keine Schlachtrösser mit seidenen Schabracken - nur blutiges Gewimmel und gewaltsamer Tod.«
Unter Geschrei und Hochrufen von Soldaten und Bogenschützen überquerten sie das Deck. Athelstan schaute zu den baumelnden Leichen hinüber.
»Sir John, kann man dem kein Ende machen?«
»Die Regeln des Krieges«, antwortete Cranston. »Die Regeln des Krieges. Eustace, der Mönch, ist ein Pirat. Piraten werden ohne Federlesen aufgehängt.«
Crawleys Adjutant hatte ein Boot für sie bereithalten lassen. Vorsichtig kletterten die beiden die Strickleiter hinunter; das Zujubeln der Mannschaft gellte ihnen noch in den Ohren.
»Wohin, Sir John?« fragte der Ruderer.
Cranston sah Athelstan an. »Du bist herzlich willkommen, in der Cheapside zu übernachten.«
Athelstan schüttelte den Kopf. Er hielt den Blick gesenkt, denn er wollte die gräßlichen Hinrichtungen nicht sehen, die auf dem Flaggschiff im Gange waren. Die Leichen baumelten jetzt wie tote Ratten an der Seitenwand des Schiffes.
»Nein, Sir John, ich danke Euch, aber bittet den Bootsmann, mich nach Southwark zu bringen.« Lächelnd tätschelte er Sir Johns Arm. »Ihr seid ein Held, Sir John. Ihr habt ein tapferes, mutiges Herz. Lady Maude wird stolz auf Euch sein.« Athelstan grinste. »Und ich werde den beiden Kerlchen erzählen, daß ihr Vater ein veritabler Hektor ist.«
Der Menschenfischer kauerte am Kai. Er sah, wie das Boot mit Athelstan die Holy Trinity verließ und nach Southwark fuhr. Er sah die Umrisse des Flaggschiffes und die grausig zuckenden Gestalten an den Enden der Stricke. Er lächelte, als die Phantome sich um ihn scharten.
»Erntezeit, meine Süßen.« Er wandte den Kopf und lauschte angestrengt in die Dunkelheit. »Es sind Lebende wie Tote im Fluß. Wenn sie ans Ufer kommen, sagt ihnen, ihr wolltet ihnen helfen. Wenn sie auf Französisch antworten, tötet sie. Sind es Engländer, so helft ihnen. Aber vergeßt nicht, nach den Leichen Ausschau zu halten.«
Eines der Phantome zupfte ihn am Armei und deutete auf den Fluß, wo eine Leiche im weißen Hemd und dunkler Hose, das Gesicht nach unten gewandt, auf sie zugedümpelt kam.
»Ja, ja.« Der Menschenfischer lächelte. »Endlich ist Erntezeit!«