Dreizehn

Die God’s Bright Light machte sich zum Auslaufen bereit, als Cranston, Athelstan und ihre beiden wunderlichen Begleiter an Bord kamen. Nach einer leutseligen Begrüßung durch den jungen Kapitän hörte dieser dem Ordensbruder aufmerksam zu und betrachtete dabei den Menschenfischer und Icthus. Dann nickte er.

»Wie Ihr wollt, Bruder. Aber die Themse ist ein breiter Fluß.«

Athelstan sah sich um. Die Spuren der nächtlichen Schlacht waren restlos beseitigt. Gottlob waren auch die toten Franzosen herabgenommen woren. Er trat an die Reling, spähte hinüber nach Queen’s Hithe und versuchte, sich die dunkle Nacht vorzustellen und die Laternen, die hin und her blinkten. Wer mochte der heimliche Beobachter am Ufer gewesen sen? Und wer hatte Bracklebury umgebracht? Athelstan trat zurück. Jemand, der scharfe Augen hatte, konnte ihn vom Ufer aus sehen. Aber in der Nacht, als Bracklebury verschwunden war, hatte vom Meer her ein dichter Nebel über dem Fluß gewabert. Athelstan winkte Cranston zu sich herüber, und unter den neugierigen Augen der Mannschaft führte der Menschenfischer seinen Icthus an einem dürren Arm herbei. Athelstan deutete dicht vor dem Heck über die Reling.      

»Spring hier hinein«, sagte er.

»Um Gottes willen, Bruder!« flüsterte der Kapitän.

»Seid Ihr da sicher? Eine Leiche würde doch von der Strömung fortgerissen.«

Sogar Cranston machte ein zweifelndes Gesicht.

»Willst du es tun, Icthus?« fragte Athelstan sanft. Er streichelte dem Jungen die Wange. »Du brauchst es nicht, wenn du nicht willst, aber du könntest uns helfen, die Wahrheit herauszufinden.« 

Der merkwürdige Mund des Jungen öffnete sich zu einem Grinsen. Er warf sein Gewand ab und ließ es zerknüllt auf das Deck fallen; sein dürrer Körper war nur noch mit einem wollenen Lendentuch bekleidet. Ohne auf das Gelächter der Matrosen über seine magere Gestalt zu achten, kletterte er auf die Reling, entblößte noch einmal sein Zahnfleisch zu einem kurzen Lächeln in Athelstans Richtung und sprang dann in den Fluß. Ein paar Luftblasen kamen an die Oberfläche, und er war verschwunden. Athelstan spähte in das dunkle Wasser und wartete darauf, daß der Junge wieder auftauchte, aber die Zeit verging, und sein Magen krampfte sich angstvoll zusammen. Er schaute zu dem Menschenfischer hinüber.

»Ist es wirklich sicher für ihn?«

»So sicher, als stände er hier«, erwiderte der Menschenfischer sarkastisch und funkelte die kichernden Matrosen an, die hinter ihm standen.

Cranston holte seinen Weinschlauch hervor und bot ihn dem Kapitän an. Der schüttelte den Kopf, und der Coroner nahm einen großzügigen Schluck. Dann rülpste er und kam schwerfällig an die Reling.

»Na, komm schon!« brüllte er zum Wasser hinunter. »Wo zum Teufel steckst du?«

Das Wasser kräuselte sich, und wie zur Antwort auf Cranstons Gebrüll tauchte Icthus auf. Er prustete, grinste merkwürdig, klappte den Mund zu, atmete durch die Nase ein und tauchte wieder unter. Beim nächsten Mal tauchte er schneller wieder auf; wassertretend klatschte er in die Hände, machte dann ein zustoßende Bewegung und hielt schließlich einen Finger hoch.

»Er will einen Dolch!« rief der Menschenfischer. »Sir John!«

Cranston zog eine langen Dolch hervor und warf ihn zu Icthus hinunter; der fing ihn geschickt auf und tauchte unter. Als er wieder heraufkam, hatte er eine grausige Last auf den Armen.

»Gott sei mir gnädig!« hauchte Cranston. »Wenn ich es nicht mit eigenen Augen sehen würde, ich hätte es nicht geglaubt.«

Taue und Netze wurden hinuntergelassen, und Matrosen liefen herbei, um zu helfen. Sie faßten die Leiche, die Icthus ans Licht gefördert hatte, und zogen den Schwimmer und seine aufgequollene Last an Bord.

»Das ist Alain!« erklärte Peverill und drängte sich nach vorn. »Bei den Zähnen der Hölle! Was hat das zu bedeuten?«

Icthus hatte sein Gewand wieder angelegt und kauerte jetzt neben dem Töten. In der Hand hielt er ein Tau mit einer Eisenkugel. Mit Handzeichen gab er zu verstehen, daß es um den Hals des Töten geschlungen gewesen war. Athelstan starrte das schmale Gesicht der Leiche an; es war hellgrün verfärbt und wies am Hals die gleichen Male auf wie Bracklebury. Der Leichnam war im Wasser aufgequollen, so daß Gesicht und Körper entstellt aussahen. Athelstan sah die Schürfmale zu beiden Seiten der Kehle und den Bluterguß, wo die Eisenkugel die Brust des Toten getroffen hatte.

»Nun, Bruder?« Cranston schwankte ziemlich bedenklich.

Athelstan nahm die schwere Eisenkugel in beide Hände; er sah, daß das Tau durch eine kleine Ose geschlungen war.

»Kapitän, gehören die zur Bewaffnung des Schiffes?«

Der Seemann nickte und deutete über das Deck, wo weiter hinten Kisten mit ganz ähnlichen Kugeln gestapelt standen.

»Wir legen sie auf die Katapulte«, erklärte er. »Manchmal wird das Tau mit Pech getränkt und angezündet, so daß die Kugel nicht nur alles zertrümmert, sondern es auch noch in Brand setzt.«

Der Kapitän betrachtete den Leichnam voller Ekel. Als er sah, daß ein Auge weggefressen war, wandte er sich ab und ging davon.

Minter, der Schiffsarzt, kauerte sich neben die Leiche und begann mit einer gründlichen Untersuchung.

»Wer immer Bracklebury und Alain ermordet hat«, sagte Athelstan, »hat sie auf irgendeine Weise bewußtlos gemacht und ihnen dann diese Kugeln um den Hals gehängt, damit sie auf den Grund sanken.«

»Aber soweit ich feststellen kann, weisen sie neben den Abschürfungen am Hals und dem Bluterguß auf der Brust keine weiteren Verletzungen auf«, meinte der Schiffsarzt.

Cranston schnippte mit den Fingern und winkte den Menschenfischer und seinen seltsamen Gefährten heran. Er drückte Icthus eine Silbermünze in die Hand.

»War da unten noch eine Leiche?«

Icthus schüttelte den Kopf.

»Bist du sicher?« drängte Cranston.

Icthus nickte.

Cranston scharrte erbost mit den Füßen und starrte in den dunkler werdenden Himmel hinauf.

»Bei den Zähnen der Hölle, Bruder, was machen wir jetzt?«

Auch der Ordensbruder schaute zum Himmel hinauf. In seinem Kopf wirbelten Ideen, Empfindungen und Eindrücke wild durcheinander. Gern wäre er nach St. Erconwald zurückgekehrt, hätte sich an seinen Herd gesetzt und Ordnung in dieses Chaos gebracht.

»Bruder?« fragte Cranston mißtrauisch. »Fehlt dir auch nichts?«

Athelstan lächelte und wandte sich an den Kapitän. »Sagt mir, Sir, bewegen sich die Sterne am Himmel?«

Southchurch zuckte die Achseln. »Die meisten Leute sagen, daß sie es tun, Pater.«

»Und was meint Ihr?«

»Ich bin einmal im Mittelmeer gefahren. Da habe ich einen ägyptischen Kapitän kennengelernt, der behauptete, nicht die Sterne bewegen sich, sondern die Erde sei eine Kugel, die durch den Himmel kreise.«

Athelstan schaute zu den dunklen Wolken hinauf. Solche Theorien hatte er schon einmal gehört.

»Athelstan!« bellte Cranston.

Der Ordensbruder zwinkerte dem Coroner zu. Er schaute hinüber zu den Offizieren und musterte Cabe aufmerksam. Der Mann war anscheinend immer noch zutiefst erschrocken über das, was er an diesem Nachmittag gesehen hatte.

»Wir haben Bracklebury gefunden«, sagte Athelstan, »und wir haben Alain gefunden. Aber wo ist der Leichnam des armen Clement?«

Athelstan wühlte in seinem Geldbeutel und gab Icthus und dem Menschenfischer ein paar Münzen. Dann dankte er dem Kapitän und nahm Cranston beim Ellbogen.

»Kommt, Sir John, es reicht. Gott weiß, ich habe für heute mehr als genug an menschlicher Bösartigkeit genossen.«

Ein Ruderboot brachte sie an Land. Schweigend wanderten sie durch das Gewirr der Straßen zurück zum »Heiligen Lamm Gottes«, wo Athelstan sein Pferd abholte.

Das anhaltende Schweigen des Ordensbruders machte Cranston immer wütender. Athelstan lehnte sogar eine Erfrischung ab und murmelte, er müsse zurück nach St. Erconwald.

»Bruder!« donnerte Cranston verdrossen, als Athelstan sich zum Gehen wandte. »Worüber denkst du denn nach?«

Athelstan schüttelte den Kopf. »Das weiß ich selbst noch nicht, Sir John.«

»Soll ich einen Steckbrief von diesem Clement verbreiten lassen?« fragte Cranston; dann räusperte er sich lautstark und spuckte aus. »Wenn das so weitergeht, werde ich mich noch völlig lächerlich machen, verdammt. Jedesmal, wenn ich jemanden suche, stellt sich heraus, daß er ersoffen ist!« Er sah seinen Sekretär an. »Du hast mir immer noch nicht gesagt, wie Bracklebury und Alain getötet wurden.«

Athelstan stand im Hof vor dem Stall und wartete darauf, daß Philomel gesattelt wurde. »Bracklebury, Alain und Clement wurden mit Drogen betäubt.« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß noch nicht, wie oder von wem, aber als ich Brackleburys Leichnam untersuchte, nahm ich gleich an, daß jemand ihm ein Gewicht um den Hals gehängt und ihn über Bord geworfen hatte. Kräftig, wie er war, muß Bracklebury bewußtlos gewesen sein, wenn er sich nicht gewehrt hat. Aber er hatte keine Beule am Kopf und keine Verletzung am Körper. Daher meine Schlußfolgerung, daß man ihn betäubt haben muß.« Athelstan unterbrach sich, um Philomel zu begrüßen. »Das gleiche Schicksal traf Alain und Clement. Sie wurden wahrscheinlich alle in der Nähe des Achterkastells über Bord geworfen, denn dort hätten die Decksaufbauten und der dichte Nebel den Mörder am besten geschützt.«

»Und wieso ist Brackleburys Leiche wieder aufgetaucht?«

Athelstan lächelte. »Das haben wir Eustace, dem Mönch, zu verdanken.« Er nahm den Arm des dicken Coroners. »Denkt doch nur an die wirbelnden Ruder der Galeeren, Sir John, und wie sie in unser Schiff gekracht sind - und dann die Leichen, die ins Wasser fielen und es aufwühlten und schäumen ließen.« Athelstan kratzte sich am Kopf. »Der Mörder muß hastig gearbeitet haben. Vielleicht war das Seil um Brackleburys Hals nicht fest genug und hat sich gelockert, was durch die Schlacht noch gefördert wurde. Das Eisengewicht rutscht ab, der Tote kommt an die Oberfläche.« Athelstan zuckte die Achseln. »Und die Tiefe gab den Toten frei. Daß wir Alains Leiche entdeckt haben, beweist lediglich meine …« Er lächelte.

»…unsere Theorie.« Er klopfte Cranston auf die Schulter. »Also schlagt Euch Clement aus dem Kopf. Gott allein weiß, wo seine Leiche jetzt ist.«

»Und der Mörder?« fragte Cranston.

Athelstan packte Philomels Zügel, schwang sich in den Sattel und schaute auf Cranston hinunter.

»Sir John, geht nach Hause, gebt der Lady Maude einen Kuß und spielt mit den Kerlchen. Ruht Euch aus und denkt nach.« Er trieb Philomel voran, während ihm Cranston, wütender als zuvor, sprachlos nachstarrte.

In St. Erconwald war alles ruhig. Marston hatte sich längst aus dem Staub gemacht, und auch die Gemeindemitglieder, die an der Bühne gearbeitet hatten, waren verschwunden. Huddles Kulissengemälde war fast fertig, und der Ordensbruder betrachtete eine Zeitlang in stummer Bewunderung den gewaltigen Höllenschlund, dem schwarze Dämonen mit roten Affengesichtern entsprangen. Hinter der Leinwand entdeckte er eiserne Pfannen und Holzfässer, mit denen Crim und die anderen Jungen allerlei Lärm machen würden. Er nahm die silberne Trompete zur Hand, die ertönen würde, bevor Gott sprach, drückte sie an die Lippen und blies eine kurze Fanfare; dann errötete er verlegen, denn Ashby erschien hinter dem Lettner.

»Pater, was ist los?«

»Ach, Nicholas … ich hatte vergessen, daß Ihr noch hier seid. Geht es Euch gut?«

»Ja. Aveline ist eben gegangen. Sie sagt, Marston habe Reißaus genommen.«      

»Braucht Ihr noch irgend etwas?« Athelstan hoffte, der junge Mann werde ihn jetzt nicht in ein Gespräch verwickeln.

»Nein, Pater.« Ashby lehnte sich an den Lettner. »Ich habe im ganzen Leben noch nie so gut geruht, gegessen und getrunken.« Er deutete auf die Bühne und die Segeltuchkulisse. »Es wird eine großartige Aufführung werden, Pater.«

Athelstan lächelte. »Ja, das stimmt, Nicholas - falls meine Pfarrkinder sich nicht vorher gegenseitig umbringen.«

Ashby lachte. »Benedicta hat sie alle hinausgescheucht, als Watkin einen Streit vom Zaun brach. Er behauptete, Gott Vater müsse höher sitzen als der Heilige Geist. Ihr könnt Euch denken, was Pike dazu gesagt hat.«

Athelstan nickte. »Und Bonaventura?«

»Oh, der ist im Altarraum.«

»Das hätte ich mir denken können«, brummte Athelstan bei sich. »Der kleine Söldner.«

Er verabschiedete sich von Ashby, verließ die Kirche und ging hinüber zum Stall, wo Philomel aus einer kleinen Raufe büschelweise Heu mampfte. Athelstan räumte den verschlissenen Sattel weg, gab dem Pferd frisches Wasser und ging zum Haus. Benedicta hatte das Feuer angefacht und eine Pastete am Herd warmgestellt.

»Ich werde mich jetzt selbst belohnen«, murmelte Athelstan. Er ging in die Speisekammer und holte den kleinen Krug Wein, den Cranston ihm zu Ostern geschenkt hatte. »Der Beste aus Bordeaux«, hatte der Coroner gesagt. Athelstan brach das Siegel am Korken, schenkte sich den Becher großzügig voll und trank einen kleinen Schluck. Dann wusch er sich Hände und Gesicht in einer Schüssel Rosenwasser, nahm seinen Hornlöffel und setzte sich zu Tisch, um Benedictas Pastete zu genießen.

»Dem Himmel sei Dank für gutes Essen«, dachte er. »Und dem Himmel sei Dank, daß ich es nicht kochen muß.«

Athelstan aß zu Ende, säuberte Mund und Finger und ging nach oben. Er schlief eine Stunde auf seiner schmalen Pritsche. Erfrischt wachte er auf, stieg die Treppe hinab und räumte den Tisch bis auf den Weinbecher ab. Dann nahm er sich ein großes Stück Pergament vor und begann, alles aufzuschreiben, was er über die merkwürdigen Ereignisse an Bord der God’s Bright Light wußte. Alles kritzelte er nieder - jeden Gedanken, jeden Eindruck. Hin und wieder wurde er wegen irgendwelcher Kleinigkeiten gestört. Mugwort, der Glöckner, meldete, das Glockenseil sei verschlissen und müsse erneuert werden. Ranulf, der Rattenfänger, wollte, daß Athelstan eine Messe für die neugegründete Gilde der Rattenjäger las. Crim brauchte die Versicherung, daß er bei dem Stück wirklich die Trommel würde schlagen dürfen. Pemel, die Flämin, wollte wissen, ob es eine schwere Sünde sei, freitags Fleisch zu essen. 

Athelstan ging zur Kirche hinüber, um sich zu vergewissern, daß bei Ashby alles in Ordnung sei, und um die Kirche für die Nacht zu verschließen. Dann kehrte er zu seiner Schreibarbeit zurück. Der Lärm aus den Gassen und Straßen der Umgebung erstarb allmählich, bis das lauteste Geräusch das Heulen der Eulen war, die jagend über das hohe Gras des Kirchhofs strichen. Athelstan arbeitete weiter; er schrieb und schrieb und baute sogar aus Holzstücken kleine Modelle der Kriegskoggen, die bei Queen’s Hithe vor Anker lagen. Erst als er sicher war, daß er alles niedergeschrieben hatte, was er wußte, versuchte er, Schlüsse zu ziehen. Seine Verdrossenheit nahm zu - immer wieder konstruierte er eine Theorie, aber immer wieder fiel sie auseinander wie ein Syllogismus, der einer logischen Prüfung nicht standhält. Er nahm einen neuen Bogen Pergament und schrieb zuoberst: »Si autem? - Was aber, wenn?« Er schrieb alle seine Zweifel untereinander, und als er fertig war, rieb er sich die Hände. Dann betrachtete er seine gespreizten Finger.

»Du bist zu weich, Athelstan«, murmelte er. »Weiche Hände.«

Er wandte sich wieder seiner Schreibarbeit zu. Ein Gedanke kam ihm in den Sinn.

»Was aber, wenn es zwei Mörder gibt? Was, wenn es drei sind? Oder gibt es nur einen? Einen Tanzmeister in diesem Reigen?«

Wieder begann er zu schreiben; er nahm sich einen zentralen Fakt vor, als wäre es eine göttlich offenbarte Wahrheit, und errichtete seine Theorie um diesen Fakt herum. Mitternacht war längst vorüber, als er fertig war. Er warf die Feder aus der Hand.

»Was wäre, wenn?« murmelte er. »Was wäre, wenn? Aber wie kann ich es beweisen?«

Er ließ den Kopf auf die Arme sinken, und unversehens versank er in einen seiner Alpträume. Ein maskierter Bootsmann ruderte ihn in einem Boot über die nebelverhangene Themse. Der Nebel verzog sich, und im Bug sah er eine in einen Kapuzenmantel gehüllte, vermummte Gestalt. Athelstan wußte, daß es der Mörder war. Das Boot stieß mit dumpfem Schlag irgendwo an. Athelstan schüttelte sich wach und sah, daß er seinen Becher vom Tisch gestoßen hatte. Er gähnte, streckte sich und stand auf. Die Manuskripte ließ er, wo sie waren; er dämmte das Feuer ein und stieg langsam die Treppe zu seiner Schlafkammer hinauf.

Am nächsten Morgen schlief er länger, als er beabsichtigt hatte. Er wachte erst auf, als Crim unten an die Tür hämmerte.

»Kommt schon, Pater!« schrie der Junge. »Zeit für die Messe!«

Athelstan beschloß, auf der Stelle hinüberzulaufen, statt sich erst zu waschen und umzuziehen. So folgte er Crim aus dem Haus und durch wirbelnde Nebelschleier hinüber zur Kirche. Ein paar seiner Pfarrkinder warteten schon.

»Ihr kommt zu spät, Pater!« rief Tiptoe, der Schankwirt, vorwurfsvoll.

»Und ich kann die Glocke nicht läuten«, erklärte Mugwort betrübt.

»Ich war müde«, antwortete Athelstan ungeduldig. »Aber jetzt kommt.«

Er schloß die Kirchentür auf und ließ Ashby heraus, damit er sich erleichtern konnte. Ursula, die Schweinebäuerin, stand Wache, falls Marston und seine Raufbolde wieder auftauchten. Athelstan zog rasch seine Gewänder an und bemühte sich, Bonaventura zu ignorieren, der sich immer wieder an seinen Waden rieb.

»Geh weg, Kater!« knurrte Athelstan. »Du bist ein Söldner und Verräter.«

Die Annäherungsversuche des Katers wurden immer energischer, und schließlich mußte Crim ihn hinausbringen. Athelstan zündete die Kerzen an und las die Messe. Als er fertig war - nach wie vor abgelenkt von den Schlußfolgerungen, die er in früher Morgenstunde gezogen hatte -, gab er Crim einen Penny und eine Nachricht an Cranston. Dann ging er eilig wieder ins Haus, wusch und rasierte sich. Hastig aß er ein bißchen Brot und Käse; dann gab er Mugwort die Aufsicht über die Kirche, bis Benedicta oder Watkin erschienen, sattelte Philomel und ritt zur London Bridge hinunter.

Athelstan kam nur langsam voran. Philomel war träge, und auf der London Bridge drängten sich Schubkarren, Fuhrwerke und Packpferde; alle wollten rasch hinüber, bevor die Märkte öffneten. An der Kirche von St. Thomas Becket auf halbem Wege machte Athelstan halt. Er sprach ein Gebet und zündete vor der Statue der Jungfrau eine Kerze an, damit sie ihm bei der Suche nach der Wahrheit Anleitung und Weisheit zuteil werden ließe.

In der Stadt angekommen, sah er sich weiteren Verzögerungen gegenüber. In der Bridge Street stand ein Haus in Flammen, und weiter unten vollführte eine Schar Abrahamsmänner ihre wahnwitzigen Tänze zur Belustigung der einen und zum Verdruß der anderen. Als er in der Cheapside angekommen war, hatte er sich den Hintern wundgescheuert und verfluchte erbittert den Ritt, der ihn mehr als eine Stunde gekostet hatte.

Cranston fand er wohlbehalten im »Heiligen Lamm Gottes« vor. Der Coroner saß an seinem Lieblingsplatz und sah zu, wie der Wirt und seine Frau, unterstützt von einem Heer von Knechten, Feuer anzündeten und die Kochherde anheizten. Zu so früher Stunde gab sich der dicke Coroner ausnahmsweise damit zufrieden, sich zurückzulehnen und die würzigen Düfte zu genießen, die nach und nach aus der Küche drangen.   

Er grinste Athelstan entgegen. »Mönch, du siehst wütend aus.«

»Ordensbruder, Sir John - und ich bin nur verdrossen.« Behutsam setzte Athelstan sich hin und spähte dann in Cranstons Humpen.

»Ale mit Wasser«, sagte Cranston. »Aber ich habe eine Hackfleischpastete bestellt, mit Zwiebeln, Lauch und einem Hauch Rosmarin und Knoblauch.« Er schloß die Augen. »Stell’s dir nur vor, Bruder: fettes, würziges Fleisch, brutzelnd unter einer dicken, goldenen Kruste. Übrigens - ich habe ihn schon rufen lassen.« Er klappte ein Auge auf und spähte zu der Stundenkerze hinüber, die neben der Tür in ihrem eisernen Halter steckte. »Sag mir also lieber, was du vor hast.«

Athelstan erklärte es ihm, stockend zunächst, aber dann immer beredter, je größer sein Zutrauen in die eigenen Schlußfolgerungen wurde. Anfangs brüllte Cranston vor Lachen.

»Am Arsch!« höhnte er. »Quatsch mit dicker Sauce!«

»Danke gleichfalls, mein Sohn«, erwiderte Athelstan.

Sir John beruhigte sich allmählich. Noch einmal trug Athelstan seine Schlußfolgerungen vor und untermauerte jede seiner Thesen mit Argumenten und Beweisen, bis Cranstons Heiterkeit vergangen war. Athelstan machte eine Pause, als die Wirtin, die den Coroner stets verwöhnte, noch einen Humpen Ale brachte und auf einem großen Brett eine dampfende Pastete auftrug. Der Anblick dieser Pastete machte Athelstan hungrig, und so schnitt sie auch für ihn ein Stück ab. Die beiden aßen und tranken schweigend. Erst als Cranston fertig war, umriß Athelstan seine Strategie. Der Coroner hatte ein ganzes Bündel von Fragen. Athelstan beantwortete sie, und schließlich nickte Sir John.

»Mir leuchtet ein, was du sagst, Bruder. Und da kommt er, vielleicht gerade im rechten Augenblick.«

Philip Cabe hatte die Schenke betreten. Er sah Cranston und Athelstan, kam breitbeinig heran und ließ sich auf den Schemel fallen, den Athelstan heranrückte.

»Sir John, es ist sehr früh.«

»Master Cabe, es ist auch sehr dringend.«

Athelstan musterte den Seemann aufmerksam. Cabe sah abgespannt aus - er war unrasiert, und seine grauen Augen waren von nächtlicher Trinkerei noch glasig.

»Was macht Euch denn Sorgen, Master Cabe?« fragte Athelstan sanft.

»Nichts, Pater.«

»Möchtet Ihr etwas trinken?«

Der Seemann zuckte die Achseln. »Verdünntes Bier vielleicht.«

Cranston gab die Bestellung auf, und sie warteten, bis serviert worden war. Cabe nippte behutsam an seinem Humpen.      

»Was wollt Ihr von mir?« fragte er dann.

»Die Wahrheit«, sagte Athelstan.

»Die habe ich Euch schon gesagt.«

Cranston beugte sich vor und quetschte das Handgelenk des Mannes.

»Nein, das habt Ihr nicht. Ihr seid ein Lügner, ein Dieb und ein Mörder. Und wenn Ihr mir nicht die Wahrheit sagt, werde ich Euch baumeln sehen!« Cranston lächelte finster. »Jetzt seid ein braver Junge und legt beide Hände auf den Tisch, weit weg von dem Messer, das da in Eurem Gürtel steckt. Los!«

Cabe gehorchte.

Cranston grinste. »Euren Humpen dürft Ihr berühren, aber sonst nichts. Und jetzt wird mein Secretarius die wirkliche Lage der Dinge beschreiben.«

Athelstan rückte ein Stück näher. »Ihr wart Zweiter Maat auf der God’s Bright Light«, begann er, »als sie vor der französischen Küste ein Fischerboot aufbrachte, versenkte und die ganze Besatzung ermordete. Aber dieser Angriff ergab sich nicht zufällig. Roffel wußte, daß es dort Silber zu holen gab. Er fand das Silber und schaffte es an Bord der God’s Bright Light. Roffel war jedoch ein gemeiner Hund, wie Sir John es ausdrücken würde. Er hätte das Silber mit seiner Besatzung, vor allem mit den Offizieren, teilen müssen, und mit der Krone außerdem. Statt dessen versteckte er es an einem geheimen Ort. Durch irgendeinen Zufall habt Ihr und Bracklebury davon erfahren.«

Cabe starrte dumpf in seinen Humpen.

»Nun wurde Roffel krank und starb. Genau gesagt, er wurde vergiftet.«

»Das war ich nicht«, murmelte Cabe.

»Ich habe nicht gesagt, daß Ihr es wart, aber Roffels Hinscheiden bot Euch und Bracklebury eine vorzügliche Gelegenheit, das Schiff zu durchsuchen. Ihr fandet nichts. Doch als die God’s Bright Light in der Themse vor Anker gegangen war, konntet Ihr und Bracklebury gründlicher suchen. Ihr entwarft Eure Pläne. Die Besatzung, von einer kleinen Wache abgesehen, würde an Land geschickt werden, und dann würde Bracklebury die Gelegenheit nutzen, das Schiff von den Toppen bis zur Bilge zu durchsuchen.«

Athelstan nahm einen Schluck aus seinem Humpen.

»Wärt Ihr nun beide an Bord geblieben«, fuhr er fort, »hätte das vielleicht Verdacht erregt - schließlich ist kein Seemann erpicht darauf, an Bord zu bleiben, wenn das Schiff nach einiger Zeit auf See endlich im Hafen liegt.« Athelstan stellte seinen Humpen wieder hin. »Bracklebury ließ Roffels Leichnam an Land bringen. Die Dirnen kamen an Bord, und dann verließt Ihr mit dem größten Teil der Mannschaft das Schiff. Aber ganz vertrautet Ihr Bracklebury nicht; und so beharrtet Ihr darauf, daß er mit Euch in Verbindung zu bleiben habe. Ihr vereinbartet ein System von Lichtsignalen zwischen Bracklebury an Bord des Schiffes und Euch, in einem dunklen Winkel auf dem Kai versteckt.

Alles verlief nach Plan, bis kurz vor Morgengrauen dieser Matrose mit seiner Hure zurückkehrte und das Schiff verlassen vorfand. Master Cabe, ich kann nur ahnen, welche Wut und welche Zweifel Euch befielen, als Ihr erfuhrt, was geschehen war. Sein Verschwinden muß Euch ratlos gemacht haben. Wie war es bewerkstelligt worden? Wo war Bracklebury - und vor allem: Wo war das Silber?«

»Ammenmärchen!« höhnte Cabe.

»Oh nein«, beharrte Athelstan. »Sir John weiß, daß ich die Wahrheit sage. Ihr, Master Cabe, gelangtet zu der Überzeugung, man habe Euch betrogen. Und Ihr fingt an, Euch zu fragen, wer das gewesen war. Aus Eurem Versteck auf dem dunklen Kai hattet Ihr gesehen, wie die Hure nach Queen’s Hithe herunterkam. Vielleicht vermutetet Ihr, sie und Bracklebury hätten den Plan gehabt, das Silber zu stehlen und Euch zum Narren zu halten.«

»Woher sollte Bracklebury denn Bernicia kennen?« knurrte Cabe.

Athelstan zuckte die Achseln. »Oh, das weiß man nie, Master Cabe. In dieser lügenhaften Welt schafft die Habgier seltsame Bundesgenossen. So oder so, Ihr wart jedenfalls davon überzeugt, daß Bernicia wisse, wo das Silber war. Also faßtet Ihr den Plan, Euch mit ihr zu treffen und dabei Brackleburys Namen zu benutzen.«

Cabe trank einen Schluck Bier und grinste geringschätzig.

»Aber wenn Bracklebury ihr Verbündeter war, wie konnte ich mich dann für ihn ausgeben?«

»Das weiß ich nicht«, antwortet Athelstan wahrheitsgemäß. »Irgend etwas hatte Euch anderen Sinnes werden lassen; Ihr glaubtet nun nicht mehr, daß Bracklebury Euch betrogen hatte, Bernicia aber sehr wohl. Wie auch immer«, fuhr Athelstan fort, »Ihr traft Euch mit Bernicia in einer geheimen Schenke und ließt Euch in Ihr Haus einladen, wo ihr der Hure die Kehle aufschlitztet und das ganze Haus auf den Kopf stelltet.«

»Was für Beweise habt Ihr denn?« fauchte Cabe.

Cranston beugte sich vor und klopfte auf den Tisch. »Ich will ehrlich sein: Nicht viele, mein Böckchen. Andererseits, wenn wir noch einmal mit dir zu dieser geheimen Schenke gehen - wer weiß, wer dich da alles wiedererkennen würde.«

Cabe wurde noch bleicher.

»Komm schon«, drängte Cranston sanft. »Früher oder später kommt die Wahrheit doch heraus.«

»Was geschieht… ?« Cabe hob den Kopf. »Was geschieht, wenn ich die Wahrheit sage, wie ich sie sehe?« 

Cranston wedelte mit der Hand. »Mord ist Mord, Master Cabe, und ein Mörder kommt an den Galgen. Aber wer sich zum Zeugen der Krone macht, der kann vielleicht um königlichen Pardon einkommen und sich bereit erklären, England zu verlassen…« Cranston verdrehte die Augen und schaute zur Tür. »Sagen wir, für… drei Jahre?«

Athelstan packte den Seemann beim Arm. »Um der Liebe unseres Herrn willen, Master Cabe: Sagt uns die Wahrheit!«

»Kann ich einen Becher Wein haben, Pater?«

Cranston bestellte Rotwein, und Cabe nippte behutsam daran.

»Dies sind die Tatsachen«, begann er tonlos. »Roffel war ein gemeiner Mörder. Gott sei uns gnädig - es war nicht das erste Mal, daß er ein Schiff überfiel und die Gefangenen ermordete, aber dies war doch ein besonderer Fall. Roffel suchte etwas.« Er zuckte die Achseln. »Nun, Ihr wißt ja, was geschehen ist. Nachher nahmen Bracklebury und ich uns vor, ihn zur Rede zu stellen. Nun hatte Roffel vielleicht vorgehabt, die Kajütentür zu verriegeln, aber er tat es nicht; es kam jedenfalls sehr selten vor, daß wir einfach hineinspazierten. An jenem Morgen aber taten wir es, und da saß Roffel an seinem Tisch, hatte den Geldgürtel vor sich, und die Silbermünzen quollen heraus. Auf den ersten Blick war uns klar, was geschehen war. Roffel brüllte uns an: Wir sollten verschwinden, und wenn wir so etwas noch einmal täten, würde er uns aufhängen.« Cabe rieb sich das Gesicht. »Bracklebury und ich waren natürlich wütend. Es war nicht das erste Mal, daß Roffel uns um unseren Anteil betrogen hatte.« Cabe sah Athelstan an. »Was immer Ihr von mir halten mögt, Pater, ich bin ein guter Seemann und fürchte mich vor nichts, was auf Erden wandelt. Mein ganzer Körper ist eine einzige Narbe, von Kopf bis Fuß. Und wofür? Für schalen Wein, billige Huren und ein klammes Bett in einem schmutzigen Wirtshaus?« Er nahm seinen Becher und stürzte den Wein herunter. »Bracklebury und ich machten unsere Pläne, aber da wurde Roffel krank und starb.«

»Habt Ihr ihn ermordet?« unterbrach Cranston ihn.

Cabe hob die rechte Hand. »Ich schwöre bei Gott, daß ich mit Roffels Tod nichts zu tun hatte.«

»Aber Bracklebury?«

»Das weiß der Himmel. Wie dem auch sei«, fuhr Cabe fort, »Roffels Tod gab uns Gelegenheit, seine Kajüte zu durchsuchen. Wir durchwühlten alles, aber von einem Gürtel voller Silber war keine Spur. Das Schiff ging auf der Themse vor Anger, Bracklebury brachte den Toten an Land, und eine Zeitlang spielten wir unsere Rollen weiter. Wir erlaubten den Matrosen, ihre Huren an Bord zu holen, und dann, wie Ihr schon sagtet, ließ Bracklebury das Schiff räumen. Bracklebury war ein guter Maat, aber ich vertraute ihm nicht restlos; also verabredeten wir, daß er einmal pro Stunde ein Lichtzeichen zum Ufer blinken würde, das ich dann beantworten sollte.« Cabe leckte sich die Lippen. »Die anderen Offiziere waren so betrunken, daß sie sich nicht mehr erinnern konnten, wohin jeder einzelne von uns gegangen war. Ich verbrachte den größten Teil dieser verfluchten Nacht auf dem Kai und machte mir Sorgen um alles mögliche. Wenn Bracklebury das Silber nun nicht fände? Und wenn er es fände und auf den Gedanken käme, damit zu fliehen? Dann sah ich die Hure Bernicia am Kai stehen und zum Schiff hinüberspähen. Ich hörte, wie Bracklebury sie beschimpfte, und dann verschwand die Mißgeburt.« Cabe schlürfte seinen Wein. »Die Nebelschwaden verlagerten sich - manchmal bedeckten sie die God’s Bright Light vollständig, dann wieder teilten sie sich. Ich sah die Blinksignale, und dann fuhr das Boot des Admirals hinüber. Damit hatten wir gerechnet, aber Bracklebury hatte gemeint, den würde er schob abwimmeln.« Cabe spreizte die Finger auf der Tischplatte. »Am nächsten Morgen kam mir das Ganze wie ein Alptraum vor. Die God’s Bright Light war verlassen. Von Bracklebury und der Wache war keine Spur. Ich kam sofort zu dem Schluß, daß Bracklebury das Silber gefunden und die beiden Matrosen entweder ermordet oder mit ihnen geteilt und das Schiff verlassen hatte.« Er schaute Cranston mit schmalem Lächeln an. »Aber so einfach war die Sache nicht, wie, Sir John? Da war die Frage, wer die Signale zwischen den Schiffen immer weiter gegeben hatte - weder ich noch sonst jemand hatte ja gesehen, wie sich jemand der God’s Bright Light genähert oder von ihr entfernt hatte.« Cabe klopfte auf den Tisch. »Es ließ mir keine Ruhe, denn Bracklebury konnte nicht schwimmen.« Cabe nahm wieder einen Schluck Wein und sah Cranston flehentlich an. »Versprecht Ihr mir, daß ich nicht hängen werde?«

»Ich verspreche es.«

»Nun, vor zwei Tagen bekam ich einen Brief. Er war von einem Schreiber geschrieben, aber er trug Brackleburys Zeichen, einen Kreis mit einem Punkt in der Mitte. Darin stand nur, er sei vom Schiff gesprungen und verstecke sich jetzt vor dem Gesetz. Außerdem behauptete er, Bernicia habe das Silber auf diese oder jene Weise an sich gebracht. Die Hure hatte alle betrogen!«

»Ihr wißt, daß Bernicia ein Mann war?« sagte Athelstan.

»Ja, das habe ich gemerkt, als ich die Schlampe umbrachte.«

»Also habt Ihr Bernicia ermordet?«      

»Oh ja«, sagte Cabe. »Ich bin ihr in dieses Loch gefolgt.«

»Ihr habt Euch nicht gefragt, wie Bernicia das Silber hatte finden können?«

»Erst doch. Aber dann fiel mir ein, daß sie an Bord gewesen war, kurz nachdem wir vor Anker gegangen waren, und ich dachte mir, daß sie es da vielleicht gefunden hatte.«

»Und warum habt Ihr Brackleburys Namen benutzt?«

»Nun, in seinem Brief sagte er, daß er sich versteckt habe, weil Ihr, Sir John, seine Beschreibung am Fluß und in der ganzen Stadt in Umlauf gebracht hättet. Ich war aber immer noch mißtrauisch. Ich dachte mir, Bracklebury spielte vielleicht ein doppeltes Spiel.« Cabe zuckte die Achseln. »Ich ging also in diese Schenke und traf dort Bernicia. Ich habe nicht behauptet, Bracklebury zu sein, sondern habe es lediglich angedeutet.« Er blies die Wangen auf. »Bernicia schien den Unterschied nicht zu bemerken, und das, so dachte ich, war der Beweis für die Richtigkeit des Briefes: Bernicia mußte das Silber haben. Also brachte ich sie um. Dann durchwühlte ich das Haus, fand aber nichts.« Cabe lachte leise. »Wißt Ihr, da dachte ich ja immer noch, Bracklebury sei am Leben und ich sei in eine durchtriebene Falle gegangen. Als dann seine Leiche auftauchte, gab ich einfach auf.« Cabe sah Athelstan an. »Ihr habt nicht erklärt, wie das hat geschehen können.«

Der Ordensbruder zuckte die Achseln. »Vielleicht war es die Schlacht am Fluß, vielleicht hat das Tau sich auch von allein gelöst.«

»Als ich die Leiche sah«, fuhr Cabe in gleichförmigem Ton fort, »wußte ich überhaupt nichts mehr.« Wieder blies er die Wangen auf. »Jetzt habe ich alles gesagt.«

»Weißt du denn, wer dir den Brief geschickt hat?« fragte Cranston.

»Nein, aber…«

»Was…aber?« fragte Cranston.

»Was ist denn, wenn Bracklebury noch lebt? Wenn dieser Toter nur einer ist, der ihm sehr ähnlich sieht? Wo ist Clement, der zweite Matrose? Wer wußte sonst noch von dem Silber? Wer kannte Brackleburys persönliches Zeichen?« Cabe beugte sich über den Tisch. »Sir John, in Gottes Namen, was ist da geschehen?«

»In Gottes Namen«, antwortete der Coroner langsam. »Wir wissen es wirklich nicht.«

»Was ist jetzt mit mir?« fragte Cabe.

»Wann sticht die God’s Bright Light in See?«

»In zwei Tagen.«

»Sieh zu, daß du an Bord bist«, befahl Cranston. »Und ich werde dafür sorgen, daß du vorher einen königlichen Pardon erhältst. Der wird aber nur gültig sein, wenn du dich drei Jahre lang nicht in London -und ich meine London - blicken läßt.«

Cabe stand auf. Er wandte sich zum Gehen, hielt dann inne und drehte sich noch einmal um.

»Ich hoffe, Ihr fangt dieses Dreckschwein!« zischte er. »Und ich hoffe, der Galgen ist hoch genug.«

Athelstan sah dem Seemann nach, als er hinausging.

»Wißt Ihr, wie es jetzt weitergeht, Sir John?«

»Ja, Bruder, das weiß ich«, antwortete Cranston. »Aber eines begreife ich noch nicht: Wie konnten Roffel und Ospring damit rechnen, daß sie das Silber stehlen und den Revisoren entgehen könnten?«

Athelstan seufzte. »Sie hätten beide gelogen und vielleicht sogar jenem Agenten alles in die Schuhe geschoben. Sir Henry war mächtig genug, um Beamte zu bestechen.« Er trank sein Bier aus. »Ist Sir Jacob immer noch in St. Bartholomew?«

»Allerdings, und es geht ihm nicht schlechter.«

»Gut. Dann soll der Tanz beginnen!«