Vierzehn

Tabitha Velour öffnete die Tür, und ein Lächeln legte ihr Gesicht in Falten, als sie Athelstan hereinwinkte.

»Guten Morgen, Bruder. Ihr habt doch nicht etwa noch mehr Fragen?«

Sie führte den Ordensbruder in die kleine Wohnstube, wo Emma Roffel mit einem Kontobuch auf dem Schoß vor dem Feuer saß. Auch sie lächelte, als Athelstan eintrat.

»Bruder, warum seid Ihr hier? Bitte setzt Euch doch.« Sie wandte sich an Tabitha. »Bring einen Krug Ale für Bruder Athelstan.«

Athelstan setzte sich. Tabitha brachte Ale und einen Teller frische Milchbrötchen, den sie auf eine Kante des Herdsteins stellte.

»Nun, Bruder, was kann ich für Euch tun?« Emma Roffels Gesicht wirkte sanfter und ruhiger.

Nun lächelte auch Athelstan. »Ich war unterwegs zu Sir Jacob Crawley im Hospital von St. Bartholomew und kam nur vorbei, weil ich dachte, Ihr könntet mir das hier vielleicht flicken« - er zeigte auf einen Riß im Ärmei seiner Kutte - »und mir zugleich noch ein paar Fragen beantworten, bevor die ganze Sache abgeschlossen wird.«

»Abgeschlossen?« Emma Roffel richtete sich auf.

Athelstan nickte. »Ich treffe mich in St. Bartholomew mit Sir John. Er kommt mit Gerichtsdienern und einem Haftbefehl für Sir Jacob Crawley wegen Mordes an Eurem Gemahl sowie an Bracklebury und seinen beiden Matrosen.«

Emma Roffel schloß die Augen. »Gott schütze uns«, flüsterte sie. Dann beugte sie sich vor und faßte nach dem Ärmel von Athelstans Kutte. »Tabitha ist eine gute Näherin. Sie kann das flicken.« Sie schnippte mit den Fingern. »Komm schon her, Weib!«

Tabitha eilte zu der kleinen Bank unter dem Fenster, klappte sie auf und holte einen Korb heraus. Dann kniete sie damit neben Athelstan nieder. Der Ordensbruder schrak hoch, als es laut an der Tür klopfte.

»Ich kümmere mich darum«, sagte Emma Roffel.

Athelstan hörte, wie sie den Korridor hinunterging, die Tür öffnete, ein paar Worte sprach und sie wieder schloß.

Er blickte nicht auf, als sie wieder hereinkam.

»Wer war das?« fragte Tabitha.

Emma Roffel gab keine Antwort. Sie ging in die Küche und kam dann zurück; ihre Hände steckten in den Ärmeln eines weiten Gewandes. Sie setzte sich und starrte ins Feuer.

»Wir haben hier einen schlauen, schlauen kleinen Pfaffen, Tabitha.«

Athelstan blickte auf. Emma Roffels Gesicht war eine Maske der Wut, bleich und schmallippig, und ihre dunklen, kraftvollen Augen loderten.

»Mistress?« fragte er.

»Laß seine Kutte, Tabitha. Komm her und setz dich zu mir.«

Die Zofe huschte zu ihr hinüber. Athelstan verschränkte die Hände vor dem Bauch und hoffte, daß man ihm die Angst nicht anmerken würde. Emma Roffel beugte sich vor. »Einen hinterlistigen, verschlagenen Pfaffen, der ganz und gar nicht unterwegs nach St. Bartholomew ist!« spie sie. »Weißt du, wer da geklopft hat, Tabitha?« Sie ließ Athelstan nicht aus den Augen. »Ein anderer Pfaffe - dieser dumme, steinalte, sabbernde Pfarrer Stephen aus der Kirche von St. Mary Magdalene.«

»Wieso erregt Euch das, Mistress?« fragte Athelstan unschuldsvoll.

Emma Roffel lehnte sich zurück. Offenbar machte ihr dieser Kampf der Gehirne Spaß.

»Das wißt Ihr ganz genau, Pfaffe. Erzählt es mir doch!«

»Oh ja, ich werde Euch etwas erzählen, Madam. Ich erzähle Euch die Geschichte eines jungen schottischen Mädchens, geboren in einem Fischerdorf in der Nähe von Edinburgh. Sie heiratete einen amtsenthobenen Priester, und sie glaubte, diese Ehe habe der Himmel gestiftet, aber daraus erwuchs ein Haß, der in der Hölle geschmiedet ward. Ihr, Mistress Roffel, haßtet Euren Mann. Der Haß ließ beider Seelen frieren. Roffel wandte sich an seine männliche Hure Bernicia, und Ihr gingt zu Eurer Geliebten: Tabitha.« Athelstan schaute Tabitha an, die seinen Blick kühl erwiderte. »Ihr nahmt Euch vor, Euren Mann zu ermorden«, fuhr er fort, »indem Ihr die Flasche mit seinem Usquebaugh vergiftetet; Ihr dachtet Euch, sollte es je herauskommen, würde jemand von Bord der God’s Bright Light die Schuld bekommen, denn Euer Mann war bei seiner Mannschaft verhaßt.« 

»Aber Pater«, schnurrte Emma Roffel, »William trug seine Flasche doch immer bei sich. Er, nicht ich, ging damit in Richard Crawleys Schenke, um sie füllen zu lassen.« Sie schlang die Arme fester um die Schultern. »Ich bin sicher, wenn Ihr und dieser fette Coroner Nachforschungen anstellt, dann werdet Ihr feststellen, daß mein Mann aus der Flasche trank, ohne eine unangenehme Wirkung zu verspüren. Ja, wie Ihr wißt, habe auch ich daraus getrunken, und sogar Ihr selbst. Es war kein Gift darin.«

»Macht Euch nicht über mich lustig, Madam«, schnappte Athelstan. »Ich werde Euch sagen, wie es ging. Ihr habt die Flasche genommen, als sie leer war, und Arsenik hineingetan. Kapitän Roffel füllte sie mit Usquebaugh. Man mußte schon mehr als einen Schluck nehmen, bis das Gift am Grund sich vermischte und wirksam werden konnte. Wie Ihr es geplant hattet, ist das irgendwann geschehen, aber erst, als er auf dem Meer war. Jeder Apotheker wird Euch sagen, daß Arsen kein Gift ist, welches auf der Stelle tötet. Es braucht Zeit, bis es sich im Körper des Opfers angesammelt hat.« Athelstan zuckte die Achseln. »Als die Flasche hergebracht wurde, habt Ihr sie ausgespült und gescheuert. Dann habt Ihr Usquebaugh besorgt, sie wieder gefüllt und zu den Sachen Eures Gemahls gelegt, als sei sie nie dort weggenommen worden.«

Emma Roffel musterte ihn kühl.

»Der Tod Eures Mannes«, fuhr Athelstan fort, »war eigentlich Lohn genug für Euch, aber als Bracklebury Euch den Toten brachte, merktet Ihr, daß da etwas nicht stimmte. Vielleicht hatte Bracklebury den Töten ein letztes Mal durchsucht? Oder Ihr habt die Seiten am Ende des Stundenbuches studiert und herausgefunden, daß ›S.L.‹ nichts anderes bedeutet als ›secreto loco - an einem geheimen Ort‹? Der letzte Eintrag war ganz frisch, und daher wußtet Ihr, daß Euer Gemahl erst vor kurzem etwas Wertvolles in seinen Besitz gebracht und versteckt haben mußte.« Athelstan fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Es würde nicht schwerfallen, Bracklebury zum Reden zu bringen; er dachte ja nur daran, dieses Silber zu finden.«

»Und?« fragte Emma Roffel mit gespielter Unschuld.   

»Ihr wußtet - Gott weiß, woher - von dem Geheimversteck Eures Mannes, und so habt Ihr ein unheiliges Bündnis mit Bracklebury geschlossen. Ihr würdet das Silber finden und mit ihm teilen. Dann würdet Ihr die trauernde Witwe spielen und Euer kühles Herrin-und-Zofe-Verhältnis mit Tabitha aufrecht erhalten, bis Ihr beide verschwinden und unter neuem Namen in irgendeine andere Stadt in England oder Schottland ziehen könntet.«

»Aber ich war in dieser Nacht nicht auf der God’s Bright Light«, erklärte Emma Roffel höhnisch. »Ich war in der Kirche von St. Mary Magdalene und habe um meinen Gemahl getrauert.«

»Unsinn!« erwiderte Athelstan. »Ihr wart an diesem Tag an Bord. Ihr habt Euch als eine der Huren verkleidet, und Bracklebury hat Euch in der Kajüte versteckt, so daß Ihr Eure Sache beginnen konntet -besser gesagt, Ihr habt nur so getan, denn Ihr wußtet längst, wo das Geheimversteck war. Bracklebury hat Euch von seiner Verabredung mit Cabe erzählt, und daß Signale zwischen den Schiffen, aber auch zwischen ihm und Cabe am Kai hin und her gehen mußten.«      

»Aber wie soll ich das alles getan haben«, beharrte Emma Roffel, »wenn ich doch in der Kirche um meinen Mann getrauert habe?«

»Das habt Ihr nicht«, versetzte Athelstan. »Das war Eure Zofe Tabitha. Pater Stephen ist alt, seine Augen sind schlecht, und Ihr seid keine Kirchgängerin. Ihr habt Tabitha zum Haus des Priesters geschickt; sie sollte sich für Euch ausgeben. Pater Stephen nahm ihr ab, daß sie war, wer sie zu sein vorgab. Aber es war Tabitha, die in der Nacht in der Kirche war.«

»Und die Beerdigung?« fragte jetzt Tabitha. »Sowohl Mistress Roffel als auch ich waren bei der Beerdigung, und Pater Stephen war auch da.«

»Oh, das glaube ich gern.« Athelstan lächelte, als er sah, wie die Zofe ihre kühle Strenge abgelegt hatte. »Ihr wart beide zugegen, verschleiert und mit Kapuzenmänteln. Aber du, Tabitha, hast weiter so getan, als wärest du deine Herrin, und sie spielte die Rolle der Zofe. Ihr habt gewußt, daß Pater Stephen das alles bald wieder vergessen würde; die Zeit würde vergehen, und Ihr hattet ja auch vor, die Stadt zu verlassen. Sollte Pater Stephen dieses Haus besuchen, könntet Ihr den Schein weiter wahren, und für jede Verwirrung gäbe es eine Erklärung.« Athelstan schob seinen Bierkrug beiseite; er hatte ihn nicht angerührt und würde es auch weiter nicht tun. »Als Pater Stephen plötzlich während meiner Anwesenheit hier erschien, wurde Euch klar, daß dies kein Zufall war. Pater Stephen konnte deutlich erkennen, wer ihm da die Tür öffnete.«

»Ach, fahrt doch bitte fort«, flüsterte Emma Roffel. Sie saß zurückgelehnt auf ihrem Stuhl, angespannt und das Kinn angriffslustig vorgereckt. »Wie war das also an Bord der God’s Bright Light?«

Athelstan sammelte für einen Augenblick seine Gedanken, aber dabei behielt er Emma Roffels Hände, die in den Ärmeln ihres Gewandes steckten, die ganze Zeit sorgfältig im Auge.

»Ja, an Bord der God’s Bright Light«, sagte er, »habt Ihr Euch vor den beiden Matrosen der Wache versteckt, und auch vor Sir Jacob Crawley, als er das Schilf besuchte. Trotzdem war dem Admiral unbehaglich zumute. Als er wieder von Bord gegangen war, habt Ihr Euren Plan ausgeführt und Bracklebury und seine Matrosen umgebracht.«

»Ich, ein zartes Weib?«

»Wer hat etwas von Zartheit gesagt?« fragte Athelstan. »Ihr seid vielleicht nicht mehr jung, aber Ihr seid stark und voller Lebenskraft - eben eine Fischerstochter. Außerdem ist es nicht schwierig, mit betäubten Männern umzugehen. Nur Bracklebury hatte Zugang zu der Kajüte, in der Ihr Euch verborgen hattet. Ihr würdet behaupten, Ihr hättet bei der Suche keinen Erfolg gehabt, wärt aber weiterhin guter Hoffnung. Ja, Ihr habt nur darauf gewartet, Bracklebury und die anderen Zeugen ermorden zu können, um das Rätsel so noch weiter zu verwirren.« Athelstan machte eine Pause; hoffentlich kam Cranston bald. »Ihr habt ein starkes Schlafmittel in die Becher gegeben, aus denen Bracklebury und die beiden anderen Männer tranken. Sie sind in einen betäubten Schlummer versunken, Ihr habt ihnen die Gewichte an den Hals gebunden und sie über die Reling geworfen. Ich bezweifle, daß die armen Seelen das Bewußtsein noch einmal wiedererlangt haben.« Athelstan starrte die Lampe über dem Herd an. »Der dichte Flußnebel wird all Euer Treiben verborgen haben. Eben dieser Nebel und auch das Sprachrohr haben Eure Stimme unkenntlich gemacht. Ihr hattet gehört, wie Bracklebury die Parole und die Blinkzeichen weitergab, und so habt Ihr dafür gesorgt, daß alles weiter seinen gewohnten Gang gehen konnte. Dann aber« - Athelstan straffte sich - »kam dieser Matrose lachend und singend mit seiner Dirne zurück. Etwa um die gleiche Zeit seid Ihr verschwunden, in einer nebligen, kalten Morgendämmerung, als die Matrosen auf den beiden Nachbarschiffen schläfrig waren und der Kai verlassen dalag.«

»Und wie habe ich das gemacht?« rief Emma Roffel. »Bin ich geflogen?«

»Nein, Mistress Roffel. Ihr habt Euch den Silbergürtel an den Hals gehängt, seid auf der dem Kai abgewandten Seite ins Wasser geglitten und habt Euch von der Strömung flußabwärts tragen lassen, bevor Ihr weit weg von Queen’s Hithe und den wachsamen Augen des Menschenfischers ans Ufer geschwommen seid. Dann habt Ihr Euch umgezogen. Tabitha war mit frischen Kleidern zur Stelle, und bald wart Ihr wieder zu Hause und spieltet weiter die zurückgezogen trauernde Witwe.« Athelstan hielt inne und lauschte dem Knarren und Ächzen des alten Hauses. »Es muß Euch Spaß gemacht haben, Mistress Roffel, zuzusehen, wie alle Welt blindlings im Kreis herum rannte, wie Anschuldigungen verteilt wurden und wie Cabe sich fragte, wo Bracklebury war. Ihr seid eine starke Frau, Mistress Roffel.«

»Aber nicht stark genug, um zu schwimmen, wie Ihr es mir zugute haltet.«

»Unfug«, widersprach Athelstan. »Ihr seid eine Fischerstochter. Ihr konntet schwimmen, bevor Ihr laufen lerntet; Ihr wart ja immer auf dem Wasser und habt Eurem Vater mit den Netzen geholfen. Ich habe Eure Hand gefühlt, als Ihr das Lagerhaus des Menschenfischers verließt - sie war rauh und ziemlich schwielig. Ihr seid mit Meerwasser im Blut zur Welt gekommen. Wahrscheinlich konntet Ihr besser schwimmen als irgendeiner der Männer an Bord der Schiffe, die da auf der Themse liegen. Ihr habt zugeschaut, wie wir alle im Kreis herum liefen wie die Mäuse im Käfig. Und Ihr habt Euch gedacht, Ihr könntet das Wasser noch trüber machen und Euch überdies an der Hure Bernicia rächen. Tabitha hat jenen Brief an Cabe geschrieben, der vorgeblich von Bracklebury kam und Bernicia beschuldigte. Und die ganze Zeit habt Ihr Eure Abreise vorbereitet. Ihr habt Euch als Seemann verkleidet und vermummt und dann ein wenig von dem Silber zu einem Goldschmied getragen. Damit habt Ihr nicht nur das Geheimnis weiter vertieft, sondern Euch und Tabitha das nötige Geld verschafft, um London zu verlassen.« Athelstan beugte sich vor und erklärte anklagend: »Der einzige Makel in Eurem Plan bestand darin, daß Brackleburys Leiche entdeckt wurde.«

Tabitha klatschte höhnisch in die Hände. »Ihr habt recht, Mistress. Ein schlauer kleiner Pfaffe.«

»Woher kanntet Ihr Brackleburys Zeichen, das Ihr in dem Brief an Bernicia verwandtet?« fragte Athelstan. »Ich nehme an, Ihr habt es in den Dokumenten Eures Gatten gefunden.« Er sah sich im Zimmer um. »So ordentlich«, sagte er leise. »Das hat Sir Jacob Crawley gesagt. Er meinte damit, daß die Kombüse so ordentlich war. Alle Becher und Teller gespült. Als wäre nicht nur eine Mörderin, sondern auch eine gute Hausfrau dagewesen, die die Spuren ihres Tuns verwischt hatte.«

»Schlau!« murmelte Emma Roffel.

»Eigentlich gar nicht«, sagte Athelstan. »Es ist eher ein bunter Flickenteppich - Brackleburys Leichnam, Eure schwielige Hand, die sauber aufgeräumte Kombüse, Eure Erzählungen über Eure Jugend, das Stundenbuch Eures Gemahls. Und natürlich das ungeheure Gewicht der Logik.«

Emma Roffel schaute lächelnd in die Flammen des Feuers, und Tabitha beugte sich vor und streichelte ihr sanft das Knie.

»Wart Ihr schon einmal in der Hölle, Pater?« murmelte sie.

»Zuweilen«, antwortete Athelstan sofort, ohne nachzudenken.

Emma Roffel verzog höhnisch den Mund. »Komisch. Ich habe Euch nie dort gesehen.« Sie schaute den Ordensbruder wütend an. »Aber ich war da, Pater. Ich habe alles aufgegeben für Roffel, für diesen amtsenthobenen Priester, bis sich zeigte, daß er im innersten Kern verfault war. Für einen Mann, der mich benutzte wie einen Hund seine Hündin und, damit nicht zufrieden, ein ganzes Heer hübscher Lustknaben bezahlte. Für einen Mann, der den Tod in meinen Schoß trug und aus meinem Herzen eine Wüste machte. Jawohl, ich habe den Dreckskerl umgebracht! Bracklebury hat mir sofort erzählt, was sich zugetragen hatte; er war wütend und brannte darauf, das Silber zu finden. Ich spielte mit ihm wie mit einem Fisch an der Angel. Und alles andere war so, wie Ihr sagt.« Ihre Miene glättete sich. »Ich ging mit den Huren an Bord und versteckte mich. Erst im Laderaum, dann in der Kajüte. Ich hörte die Parole, sah die Lichtsignale.« Sie grinste. »Es war ganz leicht. Ich betäubte die Wache und beschmierte mich von Kopf bis Fuß mit Talg - ein altes Mittel der Fischer, um den Körper vor der Kälte zu schützen. Dann wartete ich bis zur Gezeitenwende und schwamm wie nie zuvor - schwamm in die Freiheit!« Ihre Stimme hob sich. »Freiheit von der Männerwelt! Tabitha erwartete mich mit einem Mantel und etwas Usquebaugh, und ich war in Sicherheit. Es war so leicht!« Sie funkelte Athelstan an. »Bis Ihr daherkamt, Ihr mit Eurem dunklen Gesicht und dem verschleierten Blick. Unser Leben ist ruiniert, nicht wahr, Tabitha? Ruiniert von schlauen Pfaffen, die nicht sind, was sie zu sein scheinen.« Emma Roffel sog die Luft zwischen den Zähnen ein. »Schlau, so schlau!«

Mit einer jähen Bewegung zuckte ihre Hand aus dem Ärmel ihres Gewandes, und der Dolch stach geradewegs nach Athelstan, aber der Ordensbruder wich behende aus; er packte den Bierkrug und schleuderte ihn nach ihr, und zugleich duckte er sich seitwärts, als Tabitha nach seinem Mantel griff. Er und die Zofe stürzten zu Boden und wälzten sich in der Binsenstreu, während er versuchte, sich loszureißen. Mit einem kurzen Seitenblick sah er den Saum von Emma Roffels Kleid; sie kam auf ihn zu.    

»Oh, Herr des Himmels!« donnerte eine Stimme.

Tabitha wurde hochgerissen und zur Seite geschleudert, und dann grinste der Coroner boshaft auf ihn herab.

»Bruder, was würden denn deine Pfarrkinder dazu sagen?«

Athelstan rappelte sich auf. Emma Roffel wurde von einem stämmigen Gerichtsdiener festgehalten, und Shawditch, der Untersheriff, half Tabitha auf die Beine.

»Weiß der Himmel, was meine Pfarrkinder sagen würden«, murmelte Athelstan. »Sir John, habt Ihr alles gehört?«

»Allerdings«, sagte der Coroner fröhlich und schaute Emma Roffel an. »Ich habe auch schon mit Pfarrer Stephen gesprochen. Er erklärte kategorisch, daß die Person, die ihm heute hier die Tür geöffnet hat, nicht dieselbe sei, die in jener Nacht bei Roffels Leichnam in der Kirche St. Mary Magdalene gewacht hat.

Schafft sie weg!« befahl er Shawditch. »Und dann kommt wieder her und durchsucht dieses Haus vom Keller bis zum Dachboden.«      

»Was sollen wir denn suchen, Sir John?«

»Weißes Arsenik«, sagte Athelstan. »Weißes Pulver jeglicher Art, das Ihr versteckt findet. Und mehr Silber, Master Shawditch, als Ihr je im Leben gesehen habt.«

Der Untersheriff machte Anstalten, die beiden Frauen abzuführen, aber Emma Roffel sträubte sich und riß sich noch einmal los. »Sir John, ich nehme es auf meinen Eid, daß Tabitha mit den Morden nichts zu tun hat!«

Sir John trat auf sie zu. »Wenn das so ist, wird sie vielleicht freigelassen. Aber Ihr, Mistress Roffel, habt den Tod verdient.« Er lachte finster. »Nicht wegen Bracklebury, aber um der beiden Matrosen willen -brave, hart arbeitende Männer und treue Untertanen ihres Königs. Die armen Schweine haben Eure Habgier und mörderische Bosheit mit ihrem Leben bezahlen müssen.«

Er kehrte zu Athelstan zurück. »Shawditch!« rief er über die Schulter. »Schafft sie beide ins Fleet-Gefängnis.«

Cranston wartete, bis die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte. Dann war es still im Haus, und der Coroner grinste den Ordensbruder betreten an. »Weißt du, Bruder, ich habe nicht geglaubt, daß du in Gefahr schwebst, aber dann fiel mir ein, daß ihr Mann ja Priester war. Da fragte ich mich, was wohl passieren würde, wenn ein anderer Priester sie wegen ihrer Verbrechen zur Rede stellen würde.« Er rieb sich den Oberschenkel. »Ich werde zu alt, um über Mauern zu klettern. Aber genug davon. Athelstan, mein Sohn, du schuldest mir einen Becher Wein!«

Drei Tage später wanderte Athelstan müde durch die Ropery, wandte sich an der Bridge Street nach rechts und ging über die verstopfte Brücke zurück nach Southwark. Den Nachmittag hatte er in Blackfriars verbracht und dem Prior berichtet, was sich in der Pfarrei und bei seiner Arbeit mit Cranston begeben hatte. Der alte Dominikaner hatte aufmerksam bis zum Schluß zugehört und einen leisen Pfiff ausgestoßen, als Athelstan von dem Rätsel um die God’s Bright Light erzählt hatte.

»Man muß dir gratulieren, Bruder Athelstan«, sagte er. »Dir und Sir John. Denn weder Mann noch Weib sollte morden und sich dann vor der Hand Gottes verbergen dürfen.« Strahlend schaute er über den Tisch und drohte Athelstan mit knochigem Finger. »Du warst immer schon scharfsinnig, Bruder.« Er lehnte sich zurück und legte den Finger an die Lippen. »Bist du dieser Arbeit müde, Bruder?«

»Nein, Pater Prior. Es ist Gottes Arbeit.«

»Aber Gottes Weinberg ist groß. Möchtest du gern hierher zurückkommen? Du könntest Vorlesungen halten, über Logik, Philosophie und Astronomie. Ich weiß, man würde deine Talente zu schätzen wissen, sogar in den Hallen von Oxford.«

Athelstan starrte ihn verblüfft an. »Ihr wollt, daß ich St. Erconwald verlasse, Pater Prior?«

Der alte Mann lächelte. »Es geht nicht um das, was ich will, Bruder«, antwortete er ruhig. »Genau wie ich, hast du dem Orden Gehorsam gelobt. Aber hier geht es um das, was du willst. Denke darüber nach.«

Das hatte Athelstan getan, und als er sich jetzt durch das Gedränge auf der Brücke kämpfte, spürte er die Versuchung, die in den Worten des Priors lag. Schluß mit Schmutz und Mordtaten. Er dachte an Emma Roffel, an die bleiche Maske der Wut über dem spitzen Messer. Für einen Augenblick trat er in die Kirche von St. Thomas Becket, die über die Brücke hinausragte. Gleich hinter dem Eingang kniete er nieder und schaute zu dem roten Ewigen Licht, ohne mit der Wimper zu zucken. Er dachte an all die Gewalttätigkeit - an den ermordeten Kaufmann Springall, an Sir Ralph Witton, der im Tower umgebracht worden war, und an andere Mordtaten in Southwark und in Blackfriars. Athelstan nagte an der Unterlippe und lehnte das Gesicht an die kalte Mauer. Andererseits brachte das alles auch seinen Lohn. Ashby und Aveline waren begnadigt worden. Die beiden Turteltauben waren in den Sonnenuntergang davongeritten, nicht ohne Athelstan noch zuzurufen, er müsse sie so bald wie möglich besuchen. Die Revisoren waren entzückt gewesen, als sie das Silber zurückbekommen hatten, das im Keller von Roffels Haus versteckt gewesen war, und Sir Jacob Crawleys Name war von allen Makeln befreit worden. Der Bootsmann Moleskin war ein Held, und natürlich war der alte John Cranston auch noch da. Athelstan bekreuzigte sich und stand auf; er beugte das Knie in Richtung des Tabernakels und trat wieder hinaus auf die Brücke. Es wurde langsam dunkel, während er durch die Gassen zurück nach St. Erconwald wanderte. Weil er Hunger hatte, kaufte er sich in Merrylegs Bäckerei eine Pastete; er hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen. Aber ein Bettler an der Ecke der Catgut Alley sah so kläglich aus, daß Athelstan ihm seufzend die ganze Pastete schenkte.

Er hatte damit gerechnet, die Kirche verlassen vorzufinden, und sah jetzt überrascht, daß eine ganze Schar von Gemeindemitgliedern sich aufgeregt um Watkin und Pike drängte, die auf den Stufen standen. Der füllige Mistsammler lehnte mit dem Rücken an der Tür, als wolle er sie bewachen.

»Was ist denn hier los?« fragte Athelstan.

Watkin machte ein sorgenvolles Gesicht und legte einen Finger an den Mund.

»Pater, habt Ihr ein Kruzifix oder Weihwasser?«

»Natürlich. Warum?«

»Da ist ein Dämon in der Kirche.«

»Was? Watkin, hast du getrunken?«

»Pater, da ist ein Dämon. Crim hat ihn gesehen! Er stand unter dem Lettner.«

»Ach, sei doch nicht albern«, sagte Athelstan. »Watkin, geh beiseite.«

»Ich glaube, Ihr solltet da nicht hineingehen.«

»Papperlapapp! Aus dem Weg!«

Athelstan drängte sich vorbei und betrat die dunkle Kirche. Keine Kerzen brannten, und im Dämmerlicht waren gerade noch die Umrisse der Bühne, der Lettner und das rot glimmende Tabernakellicht im Chor zu erkennen. Vorsichtig ging Athelstan durch das Mittelschiff hinauf und merkte überrascht, daß sich Furcht in seinem Magen regte.

»Wer ist da?« rief er.

Keine Antwort.

»Im Namen Gottes!« rief Athelstan. »Wer ist da?«

Er hörte ein Geräusch, und seine Angst wurde größer. Eine große, dunkle Gestalt erschien im Lettner, schwarz gekleidet von Kopf bis Fuß. Sie sah aus wie ein riesiger Ziegenbock mit dämonischen Gesichtszügen und gewaltig geschwungenen Hörnern und wirkte im Licht der dicken gelben Talgkerze in ihren Händen nur noch gespenstischer.

»Geh und häng dich auf, Pfäfflein!«

Athelstan entspannte sich und schloß die Augen. »Sir John, um des lieben Herrgotts willen! Ihr habt meine Gemeinde in Angst und Schrecken versetzt.«

Sir Johns Gelächter dröhnte hinter der Maske lauter denn je. Der Coroner kam durch die Kirche stolziert, jeder Zoll ein schrecklicher Dämon.

»Gefallt dir mein Kostüm, Bruder? Ich wollte dich überraschen. Du hättest sehen sollen, wie flink der alte Watkin laufen konnte!« Cranstons Stimme dröhnte wie eine Glocke. »Ich hatte keine Ahnung, daß ein Schmalzfaß so schön springen kann.«

»Nehmt die Maske ab, Sir John.«

Mühsam streifte der Coroner die Maske hoch. Sein breites, rotes Gesicht war schweißnaß und strahlte in einem boshaften Lächeln. »Die Tuchhändlergilde hat sie mir geliehen«, erklärte er. »Wie findest du sie, Bruder?«

»Der Fürst der Hölle selbst würde vor Neid erblassen, Sir John.«

»Gut. Ich dachte mir, daß du das sagen würdest.«

Cranston setzte sich am Fuß einer Säule hin. Er stellte die Kerze neben sich und winkte Athelstan heran.

»Komm her, Pfaffe. Ich bin nicht nur zum Vergnügen hier. Es ist wieder jemand ermordet worden.«

Athelstan setzte sich neben ihn und starrte in die flackernde Kerzenflamme. Er spürte die kribbelnde Erregung im Bauch und wußte, daß der Prior sich irrte: Niemals würde er das hier gegen eine trockene, staubige Schulstube tauschen.

»Da ist jemand ermordet worden«, wiederholte Cranston, »und zwar in einer Gasse bei Walbrook. In der ›Goldenen Elsten - einer prächtigen Schenke mit einem ausgelassenen Wirt. Um es kurz zu machen: »Heute früh wurde mein Wirt mit eingeschlagenem Schädel im Keller gefunden, aber die Kellertür war verschlossen, und niemand hat jemanden hineingehen oder herauskommen sehen.«

»Habt Ihr schon mit den Vernehmungen begonnen, Sir John?«

»Ja. Aber jetzt sag mir, Bruder: Wie kann jemand in einen Keller kommen, einem Mann den Schädel einschlagen und wieder verschwinden, wenn die Tür von innen verriegelt ist? Es gibt keinen Hinweis auf gewaltsames Eindringen. Niemand wurde auch nur in der Nähe der Tür gesehen.«

Athelstan kratzte sich am Kinn. »Das ist unmöglich, Sir John.«

»Ist es auch.« Der Coroner wollte sich ausschütten vor Lachen. »Ich habe es mir ausgedacht.«

Athelstan gab ihm einen heftigen Rippenstoß. Der Coroner legte den Kopf in den Nacken und lachte noch lauter.

»Nein, nein, Bruder, wir hatten jetzt genug Morde. Das einzige, was mich noch beschäftigt, ist der Umstand, daß Alice Frogmore schon wieder Anzeige gegen Thomas, die Kröte, wegen unbefugten Betretens ihres Grundstücks erstattet hat. Habe ich dir schon mal von Thomas, der Kröte, erzählt?«

Athelstan stand seufzend auf. »Nein, Sir John, noch nicht. Aber ich habe das furchtbare Gefühl, daß Ihr es jetzt tun werdet.«

»Ganz recht, Mönch. Wir gehen auf der Stelle zu diesem einarmigen Piraten in die Schenke »Zum Geschecktem. Da gibt es einen Krug Rotwein, einen Teller gebratene Zwiebeln, zwei Rindfleischpasteten und ein bißchen Weißbrot, und dann kommen wir wieder her und proben ein für allemal dieses verdammte Stück. Und wenn es noch mehr Streit zwischen Gott Vater und dem Heiligen Geist gibt, dann schlage ich den beiden die Köpfe zusammen!« Cranston kam schwerfällig auf die Beine und nahm die Dämonenmaske auf. »Findest du, sie steht mir, Bruder?«

»Ja, aber zeigt Euch damit nicht den Kerlchen, denn die werden sonst schreien.«

»Oh, das habe ich schon getan. Sie fanden es komisch, aber die Hunde sind unter den Tisch geflohen. Und diesem faulen Gauner Leif habe ich einen Heidenschreck eingejagt.« Cranston setzte die Maske wieder auf. »Komm, erschrecken wir den alten Watkin noch einmal.« Er stapfte zur Tür.

»Sir John!« rief Athelstan. »Vielleicht tut Ihr das lieber nicht!«

»Was soll das heißen, Mönch?«

»Ich bin ein Ordensbruder, Sir John, und der arme alte Watkin ist genug erschreckt worden.«

»Ah, wahrscheinlich hast du recht.« Cranstons Stimme klang gedämpft hinter der Maske. Er zog an den Hörnern, aber die Maske saß fest.     

»Ach, verflucht und zugenäht!« knurrte Cranston. »Bruder, das Mistding geht nicht mehr ab!«

Athelstan zog ebenfalls an der Maske, aber sie ließ sich nicht bewegen. Athelstan schüttelte sich vor Lachen.

»Sir John, Ihr müßt Euch hinknien.«

Cranston gehorchte, aber so sehr Athelstan auch zerrte - alles, was er bekam, war eine Flut schmutziger Flüche von Cranston, der jetzt behauptete, die Ohren würden ihm abgerissen.

»Man kann nichts machen«, stellte Athelstan schließlich fest. »Wir müssen zu Basil, dem Schmied, und sehen, was er tun kann.«

Behutsam nahm der Ordensbruder Sir John bei der Hand und führte ihn zur Kirche hinaus. Seine Pfarrkinder stoben auseinander, und Athelstan wußte, daß er in die Legenden von Southwark eingehen würde: Der Ordensbruder, der einen Dämon gefangen und zum Schmied gebracht hatte, um ihn wieder zur Hölle fahren zu lassen.