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ch schließe die E-Mail und schaue aus dem Fenster. Mein Herz schlägt so schnell, dass meine Brust wehtut. Das Unvermeidbare ist geschehen. Heute ist der erste Juli und nach sechs Monaten mit virtuellen Drohungen, zeigt mein Erpresser sein Gesicht. Es könnte ihr
Gesicht sein, aber ich habe das Gefühl, dass es ein Mann ist.
Werde ich ihn wiedererkennen? Was wird er im Tausch gegen das Stillschweigen wollen?
Das letzte Mal, als ich mein Bankkonto überprüft habe, hatte ich zweitausendfünfhundert Euro. So reich war ich noch nie, aber wird es genug sein, um ihn dazu zu bringen, den „Beweis“ zu zerstören, von dem er behauptet ihn zu besitzen? Das bezweifle ich. Ich kann nur hoffen, dass es genug ist, um ihn bis zu seinem nächsten Besuch davon abzuhalten, es zu posten.
Zum Glück ist heute ein ruhiger Tag bei der Arbeit, also kann ich die nächsten drei Stunden damit verbringen, lediglich auf meinen Bildschirm zu starren. Noch glückverheißender ist, dass Delphine und Barbara heute so beschäftigt sind, was bedeutet, dass es heute Morgen keine Kaffeepause geben wird. Ich könnte mich jetzt nicht unterhalten. Und ich denke nicht, dass ich etwas herunterbekommen würde, ohne es direkt wieder auszuspucken.
Um fünf vor zwölf verlasse ich die DCA Büros und betrete das Bistro. Noch ist es leer, da die Pariser Mittagspausen meist erst um 13 Uhr herum beginnen. Der einzige Kunde in dem Lokal ist ein Mann in einem hellgrünen T-Shirt, der im hinteren Teil des Raumes an einem Bier nuckelt. Er starrt mich eindringlich an und winkt mich dann unheilversprechend zu sich her.
Ich trotte zu seinem Tisch hinüber und setze mich gegenüber von ihm. „Wer bist du?“
„Du erinnerst dich nicht an mich, oder?“
„Ich würde nicht fragen, wenn ich es täte.“
„Wir haben im selben Jahr an der Ecole des Sciences Sociales
angefangen“, sagt er.
„Also warst du auf der Party?“
Er nickt.
„Und du hast es gefilmt?“
Er nickt erneut.
„Beweise es.“
„Klar.“ Er zieht sein Telefon hervor, tippt auf dem Bildschirm herum und dreht es dann mir zu.
Was ich auf dem Bildschirm sehe, ist, was ich die letzten sechs Jahre versucht habe zu vergessen.
Ich blicke ihn forschend an, mein Mund zu einem schmalen Streifen verengt und mit feuchten Händen.
„In diesem Teil zoome ich auf dein Gesicht“, sagt er. „Siehst du?“
Ich werfe einen Blick auf den Bildschirm und wende mich dann ab. „Du hast deine Position deutlich dargestellt. Was willst du von mir?“
„Drei Mal darfst du raten.“
„Ich habe zweitausendfünfhundert Euro“, sage ich.
Er grunzt. „Ich brauche dein Geld nicht, Mia. Ich will dich als mein Spielzeug, meine persönliche… petite pute
.“
Meine kleine Nutte.
Plötzlich geht mir ein Licht auf. „Ich erinnere mich an dich! Du bist Gaspard – dieser widerliche Typ, der mich während des ersten Jahres in Straßburg verfolgt hat!“
Seine Nasenflügel flattern. „Ich habe dich angebetet.“
„Ohne Witz.“
„Ich dachte, du wärst ein Engel, mit deinem Elfengesicht und diesen Augen…“ Er grunzt. „Und dann hörte ich, wie du mich genau so
– einen widerlichen Kerl – vor all deinen Freundinnen genannt hast.“
„Das hattest du verdient! Du bist mir überall hin gefolgt und hast mich angestarrt.“ Ich schaue ihm ins Gesicht. „Kannst du nicht nachvollziehen, wie sich ein achtzehnjähriges Mädchen in dieser Situation fühlen würde? Versetz dich in meine Lage. Du hast mir in der Kantine nachgestellt, in den Lernräumen, im Schlafsaal… Ich habe dich sogar ein paar Mal in der Damentoilette gesehen!“
„Und wenn schon.“ Er zuckt mit den Achseln. „Ich habe dich nicht berührt, oder? Ich habe nur geschaut.“
So viel dazu, ihn dazu zu bringen, sich in meine Lage zu versetzen.
„Im zweiten Jahr bist du verschwunden“, sage ich. „Ich dachte, du hättest abgebrochen oder hättest gewechselt. Ich habe dich komplett vergessen.“
„Natürlich hast du das.“ Er schürzt die Lippen. „Aber ich bin nirgendwo hingegangen. Ich habe mich nur diskreter verhalten, nachdem du mich bei der Administration verpfiffen hast.“
Ich beobachte ihn für einen langen Moment.
Er hält meinem Blick stand, seine Augen gefüllt mit solch abscheulicher Anzüglichkeit, dass es mir hochkommt. Genau wie es vor acht Jahren war, jedes Mal, wenn ich ihn hinter einem Baum oder einem Pfeiler mit diesem anzüglichen Blick gesehen habe.
„Also, Mia“, sagt er endlich. „Haben wir einen Deal?“
„Nein, das haben wir nicht.“
„Du verhältst dich nicht sonderlich klug.“
„Warum jetzt?“, frage ich. „Du hast das Video nun seit sechs Jahren. Warum reagierst du erst jetzt?“
Er grinst. „Ich bin für mein drittes Jahr nach Sydney gegangen, habe meinen Abschluss gemacht, mir einen Job geangelt und eine Freundin – Sandy. Ein wahrhaft gutes Mädchen – nicht wie manch andere
.“
Ich ignoriere seinen bedeutungsvollen Ausdruck und versuche meinen undurchdringlichen Gesichtsausdruck so gut wie möglich beizubehalten.
„Aber du hast meine Beziehung ruiniert“, sagt er.
„Ich
? Wie?“
“Dieses Video… Ich konnte die Finger nicht davonlassen, ich konnte nicht aufhören mir anzusehen wie du gefickt wirst.“ Er schüttelt den Kopf, sein Ausdruck benebelt. „Ich hatte die wildesten Fantasien mit dir, Mia. Die Dinge, die wir in ihnen machten!“
Panik macht sich in meiner Brust breit, aber ich versuche es verdammt noch mal nicht zu zeigen.
Gaspard lehnt sich vor. „Es wurde ein wenig zur Obsession.“
„Was du nicht sagst.“
Er funkelt mich an. „Ich habe versucht Sandy dazu zu bringen wie du zu werden… Ich habe sie gebeten ihre Haare rotbraun zu färben. Dann habe ich ihr grün gefärbte Kontaktlinsen gekauft. Und dann habe ich begonnen, sie im Bett zu Dingen zu zwingen, die sie nicht wollte.“
„Lass mich raten – sie hat dich abserviert.“
Das hätte ich nicht sagen sollen!
Aber ich konnte nicht anders.
Er nickt. „Wenn ich Druckmittel gehabt hätte, hätte ich sie dazu bewegen können zu bleiben. Aber die hatte ich nicht – nicht so wie bei dir.“
Der Schimmer in seinen Augen ist grenzwertig gestört.
Oh Gott.
Gaspard lehnt sich zurück. „Nachdem Sandy gegangen ist, habe ich einige Zeit damit verschwendet, mich mit Prostituierten und anderem Müll zu treffen. Sie machten alles, was ich ihnen sagte, kein Problem, aber… aber ich fühlte mich übers Ohr gehauen. Verstehst du?“
Er zeigt seine Zähne in einem kranken Lachen.
Ich wende mich ab.
„Und da realisierte ich, dass ich keinen billigen Ersatz benutzen musste. Ich konnte dich haben. Mia Stoll, meine Fantasie, die stolze Nutte meiner Träume, war in Reichweite, wenn ich meine Karten richtig spielte. Alles was ich dafür tun musste war es, dich zu finden und –“
„Mich zu erpressen“, schneide ich ihm das Wort ab.
„Ganz genau“, sagt er ohne einen Anschein von Unwohlsein. „Ich habe allerdings eine Weile gebraucht, um dich ausfindig zu machen, da du nicht in den Sozialen Medien oder im Telefonbuch zu finden bist.“
„Aber du hast es geschafft.“
„Jepp, das habe ich.“
Ich zwinge mich dazu ihm in die Augen zu sehen. „Ich werde nicht dein Spielzeug sein.“
„Hör zu“, sagt er in versöhnendem Tonfall. „Es wird nicht so schlimm sein wie du denkst. Ich werde dich nicht in der Öffentlichkeit bloßstellen. Ich bin ein vernünftiger Mann.“
„Vernünftig?“ Ich schlucke ein bitteres Lachen hinab. „Du bist völlig irre.“
Er funkelt mich an. „Warum hörst du nicht mit diesem unschuldigen Gehabe auf? Ich war
auf dieser Party. Ich habe es gefilmt
, schon vergessen?“
„Menschen ändern sich“, sage ich.
„Oh bitte.“ Er zieht eine Grimasse. „Tu dir selbst einen Gefallen und stimme meinen Bedingungen zu.“
„Nein.“
„Mia, Schatz,“ Sein Tonfall wird wieder sanfter und noch unheimlicher als vorher, „Alles was ich verlange ist, dass du mir deinen süßen kleinen Körper ein oder zwei Mal im Jahr, wenn ich in Frankreich bin, zur Verfügung stellst, so wie du es mit drei
anderen Männern auf der Party gemacht hast. Während der restlichen Zeit kannst du ficken, wen immer du willst.“
„Nein“, sage ich erneut.
Er runzelt die Stirn. „Du würdest deine akademische Karriere riskieren? Deinen Job? Dass deine Pastoren-Mutter dich verstößt?“
Diese Aussichten sind mit Sicherheit angsteinflößend. Besonders die Letzte.
„Ich sage dir was“, sagt er mit einem überfreundlichen Lächeln. „Warum schläfst du nicht eine Nacht drüber? Nimm dir am besten gleich das ganze Wochenende. Ich werde mit meiner Familie aufs Land gehen und bin am Montag wieder zurück.“
Es ist verlockend ihm zu sagen, dass er zur Hölle fahren soll, aber ich beiße mir auf die Zunge.
„Ich kann total verstehen, dass mein Angebot auf den ersten Blick abschreckend wirkt.“ Sein Lächeln wird zunehmend kränker. „Vor allem, da du angenommen hast, dass du dich aus dieser Angelegenheit mit Geld freikaufen kannst.“
Ich weigere mich ihn anzusehen.
„Aber du bist ein großes Mädchen. Du wirst überleben.“ Er steht auf. „Bis Montag, chérie
.“
Und dann geht er hinaus.