Kapitel 29
N ach dem Frühstück nimmt Cedric sich Raphael zur Seite, um sich mit ihm über irgendwelche geschäftlichen Themen zu unterhalten. Ich nutze die Gelegenheit, um mit Lily und einem Buch an den Strand zu gehen. Mein Plan besteht darin, mit meinem Baby zu spielen, zu lesen und mich zu entspannen. Ich gebe zu, dass das ein wackliger Plan ist, unter Anbetracht vom besorgniserregenden Effekt, den Gaspards E-Mail auf mich hatte, aber ich nehme mir fest vor mein Bestes zu geben, diese schöne Insel ein wenig länger zu genießen, bevor wir nach Paris zurückfliegen.
Nachdem ich eine halbe Stunde damit verbracht zu lesen, ohne ein einziges Wort wahrgenommen zu haben, klappe ich das Buch zu und setze mich auf.
Diane setzt sich neben mich. Sie hebt Lilys kleinen Beißring in Form einer Giraffe hoch und spielt eine Weile mit ihr und bringt mein kleines Mädchen damit zum Lachen.
Dann wendet sie sich an mich und lächelt. „Weißt du, ich habe dich in dem Moment erkannt, als ich dich am Flughafen gesehen habe. Ich habe dich vor einem Jahr im Le Big Ben gesehen.“
„Ich habe dich auch erkannt“, sage ich, lächele zurück und deute auf ihren runden Bauch. „Fünfter Monat?“
„Sechster.“
„Junge oder Mädchen?“
„Abwarten.“ Sie zwinkert mir zu, bevor sie hinzufügt. „Ich bin so froh, dass du die Frau bist, die Raphael gezähmt hat! Ich hatte befürchtet, dass er mit – ach, vergiss es. Das spielt jetzt keine Rolle.“
„Ich habe niemanden gezähmt“, sage ich. „Und was Raphael angeht, der ist nicht zähmbar.“
„Das war er. Vor dir.“
Ich grinse. „Willst du die Wahrheit wissen? Vor einem Jahr hatten Raphael und ich ein kleines Liebesabenteuer. Dann bin ich gegangen. Jetzt wo ich zurück bin, möchte er mehr davon. Ein ‚Arrangement‘ wie er es nennt. Das ist alles.“
„Ist Lily seine Tochter?“, fragt sie.
Ich blinzle. „Du bist…direkt.“
„Tut mir leid.“ Sie sieht mich flehend an. „Bitte beachte meine Frage nicht weiter! Meine Neugier wird mich noch umbringen.“
„Das ist sie“, höre ich mich überraschenderweise selbst sagen. „Aber das ist nicht, was ich ihm erzählt habe.“
„Dein Geheimnis ist bei mir sicher“, sagt sie.
Auf unerklärliche Weise glaube ich ihr.
Sie fährt mit ihren Fingern durch Lilys federähnliche Locken. „Denkst du, dass er dir glaubt, was auch immer du ihm erzählt hast?“
„Er hat nichts Gegenteiliges gesagt.“
„Es spielt keine Rolle, was er gesagt hat.“ Diane lächelt als Lily ihren Daumen schnappt und ihn in ihren Mund steckt. „Was eine Rolle spielt ist das, was er gemacht hat. Er hat dich und Lily mit hierher genommen, an seinen Zufluchtsort, damit du seinen Bruder und seine engsten Freunde kennenlernen konntest.“
Ich vergrabe meine Hände im Sand und verarbeite ihre Worte.
Diane gibt Lily einen sanften Kuss und setzt sie auf das Handtuch.
„Beurteile Raphael nicht nach seinen Worten“, sagt sie uns steht auf. „Er benutzt sie, um seine Gefühle zu verstecken. Beurteile ihn nach seinen Taten.“
Und damit schlendert sie davon.
Während ich über ihren Rat sinniere, taucht Genevieve an meiner Seite auf und deutet auf den Platz, auf dem Diane vor ein paar Minuten saß.
„Darf ich?“
„Bitte.“
Habe ich unwissentlich jedermanns Lieblingsplatz an diesem Strand besetzt?
„Das Wetter ist toll, oder?“, fragt Genevieve, lehnt sich zurück und streckt ihre schlanken Beine aus.
Ich nicke. „Einfach perfekt.“
„Ich habe mich über dich informiert“, sagt sie sich zu mir drehend. „Du bist Mediävistin.“
„Jap.“
„Ich erinnere mich an dich von vor einem Jahr.“
„Ich habe während ein paar Wochen im Le Big Ben gekellnert.“ Ich lächle. „Ich habe nicht realisiert, dass ich solch einen Eindruck auf Raphaels Freunde hinterlassen habe.“
„Er hat dich abgeschossen, wie er es mit allen anderen tut“, sagt sie. „Aber dann nahm er dich zurück. Warum?“
Mein Lächeln verschwindet.
„Was ist dein Plan?“, fragt sie.
Ich starre sie an, zu erschüttert, um zu antworten.
Sie starrt zurück. „Eigentlich musst du das nicht beantworten. Dein Plan ist transparent genug.“
„Ist das so?“
„Du hoffst, dass du ihn dir angelst, wie schon so viele vor dir“, sagt sie, ohne zu blinzeln. „Und du benutzt dein Baby als Lockmittel.“
Aus einem Impuls heraus, nehme ich Lily hoch und schlinge meine Arme in einer beschützenden Geste um sie.
„Hör mir gut zu, Mia.“ Genevieve lehnt sich zu mir. „Raphael mag unheimlich charmant zu dir sein, aber er wird dich niemals heiraten.“
Darüber sind wir uns einig.
„Realisierst du, dass er so viel mehr, als nur ein reicher und gutaussehender Playboy ist?“, fragt sie.
Wie es der Zufall will, tue ich das.
Raphael ist klug und gut in dem was er tut. Trotz seiner unbekümmerten Persönlichkeit liegt ihm sein Unternehmen am Herzen und er arbeitet sich dafür den Allerwertesten ab. Er ist urkomisch, aber nie auf die Kosten der anderen. Er ist ein Casanova, ja gut, aber er betrügt und belügt die Frauen nicht, mit denen er schläft. Wenn ich es mir recht überlege, ist er einer der ehrlichsten Menschen, die ich kenne.
„Er ist Adel“, sagt Genevieve. „Und das bin ich zu deiner Information auch.“
„Zu deiner Information, wir befinden uns im 21. Jahrhundert.“
Et alors? “ Sie sieht mich verächtlich an. „Die Erde wird immer noch von einigen Ausgewählten regiert. Raphael ist der Erbe einer der ältesten und wohlhabendsten aristokratischen Familien des Landes. Kennst du seinen vollen Namen? Du musst ihn kennen, da du ja für ihn gearbeitet hast.“
Ich sehe weg.
„Außerdem haben er und ich den perfekten Pakt geschlossen“, fährt sie fort. „Wenn wir uns bis zu unserem 31. Lebensjahr nicht anderweitig verliebt haben, dann werden wir heiraten.“
Ich werfe einen Blick auf ihr Gesicht, um zu sehen, ob sie das ernst meint.
„Und dieser Tag kommt in großen Schritten auf uns zu“, sagt Genevieve trocken.
Ich zucke mit den Achseln. „Also was ist das Problem? Du wirst ihn ganz bald für dich alleine haben, wenn euer Pakt ihm irgendetwas bedeutet.“
„Das tut er“, ihr linkes Auge beginnt zu zucken. „Wir sind perfekt füreinander und das weiß er. Wir sind beide reich, einflussreich und zynisch. Es gibt einen Grund, warum ich seine beste Freundin bin und dazu seine einzige weibliche Freundin.“
„Schön für dich“, sage ich.
„Er verabscheut die Frauen, mit denen er schläft.“
Ich sage nichts.
„Sobald wir verheiratet sind, sind wir das französische Power-Paar des Jahrhunderts“, sagt sie und wirft ihr Haar zurück.
Ich hebe meinen Kopf. „Warum habe ich dann den Eindruck, dass du Angst vor mir hast?“
Sie zeigt auf Lily. „Ist sie seine?“
„Das geht dich nichts an.“
„Selbst wenn sie es ist, dein Plan wird nicht aufgehen“, murrt sie. „Ich werde dafür sorgen, dass er dich als das sieht, was du bist. Du bist eine billige Goldgräberin wie diese Adele, die überall herumerzählt hat, dass er sie geschwängert hat.“
Ich schließe meine Arme enger um Lily.
„Ich bin sicher, dass das Baby nicht von Raph war“, sagt Genevieve. „Trotzdem war ich froh, dass die Bitch eine Fehlgeburt hatte.“
Hast du ihr dabei geholfen?
„Aber dann hat sie angefangen das Gerücht zu verbreiten, dass er sie vergewaltigt hat.“ Genevieve verdreht die Augen. „Armselige Idiotin.“
Ich streichle Lilys Hand. „Ich hörte, sie sei plötzlich verschwunden.“
„Sie ist verschwunden, weil ich ihr einen Ansporn gegeben habe.“ Genevieves Augen leuchten auf. „Ich könnte dich auch bezahlen. Nenn mir deinen Preis.“
„Dein Geld kannst du behalten“, sage ich.
Sie blickt mich finster an. „Oh, ich verstehe. Du denkst, dass du schlauer als Adele bist. Du denkst, du bekommst mehr von ihm, als von mir.“
Mein Mund verzerrt sich vor Ekel.
„Okay.“ Genevieve steht auf und faltet ihr Handtuch. „Ich behalte mein Geld und gebe dir einen kostenlosen Rat. Nimm deinen Bastard und verschwinde.“
„Und wenn nicht?“
„Dann werde ich tun, was nötig ist, um Raphael vor Müll wie dir zu schützen.“
Damit hebt sie ihre Designer-Strandtasche auf und geht in Richtung Villa.
Ich bleibe am Strand, unterhalte Lily mit ihrem liebsten Bienensummen-Spiel und hoffe, dass ich mich beruhigen kann, bevor ich zurück zu Raphael und seinen Liebsten gehe. Leichter gesagt als getan. Ich lege Lily auf das Handtuch und lege mich neben sie. Da ist kein einziges Wölkchen am Himmel und es weht eine so leichte Brise, was das Mittelmeer so zahm wirken lässt, wie der Teich im Jardin du Luxemburg.
Was für ein Kontrast zu dem Aufstand in meinem Kopf.
Zwanzig Minuten später muss ich mir eingestehen, dass Beruhigung unmöglich ist, sogar auf dieser Insel. Warum, warum nur bin ich nicht in Martinique geblieben? Meine Ambitionen für meinen Doktor haben mich genau zu den beiden Männern zurückgebracht, vor denen ich vor einem Jahr geflohen bin.
Und jetzt fühlt es sich an, als würde ich ein Déjà Vu erleben und frage mich, welcher von beiden mir mehr schaden wird: Gaspard, mit Absicht, oder Raphael, ohne es zu wollen?
Ich sammle meine Sachen zusammen, verstaue Lily im Tragegurt und trotte in Richtung des Hauses. Gerade als ich die Hecke erreiche, die um die Veranda herumwächst, dringt Genevieves polierte Stimme an meine Ohren. Ihre Worte sind weniger poliert als ihr Akzent.
„Bullshit“, sagt sie.
Es herrscht kurze Stille und dann redet sie wieder. „Aber was ist mit unserem Pakt?“
„Welcher Pakt?“ Raphaels Stimme ist sanft.
„Zu heiraten, wenn wir 31 werden.“ Genevieves Stimme bricht ab. „Als wir vor ein paar Monaten darüber gesprochen haben, hast du versäumt mir zu sagen, dass du ihn einseitig aufgehoben hast.“
„Wir haben vor ein paar Monaten darüber Witze gemacht! Oh, komm schon, Vivie, wir waren Kinder als wir den Pakt geschlossen haben.“
„Wir waren 18.“
„Genau – Kinder“, sagt Raphael besänftigend. „Ich dachte immer, dass das ein langjähriger Spaß zwischen uns war und ich war sicher, dass du das auch so gesehen hast.“
„Nein, das habe ich nicht.“
„Ich verstehe es nicht“, sagt er. „Du weißt, dass ich nicht der Heirats-Typ bin. Das weiß die ganze Welt.“
„Ja, aber ich dachte… ich dachte unsere Verbindung wäre etwas Besonderes. Wir sind aus dem gleichen Holz geschnitzt, Raph. Da waren wir uns immer einig.“
Er sagt nichts.
„Siehst du nicht, wie viel Sinn es machen würde, wenn wir heiraten würden?“, fragt Genevieve.
„Nein, das sehe ich nicht. Wir haben noch nicht einmal gedatet, um Gottes willen!“
„Das könnten wir.“
„Nein, könnten wir nicht.“
Wieder Stille.
„Mein Gott,“ sagt Raphael. „Vivie, ich hatte keine Ahnung…“
„Dann bist du dumm“, hält Genevieve fest. „Aber Kopf hoch. Deine Mia ist schlauer als wir beide zusammen. Sie wird es sicher weit bringen.“
„Was heißt das?“
Ich halte den Atem an.
„Wir hatten eben eine nette lange Unterhaltung, sie und ich“, sagt Genevieve. „Ich habe ihr angeboten sie zu bezahlen, damit sie sich verpisst –“
„Du – was ?“
„Du hast mich richtig verstanden. Ich habe ihr Geld angeboten.“ Genevieves Stimme zittert vor unterdrückter Wut. „Und weißt du, was sie gesagt hat?“
„Was?“, fragt Raphael kalt.
„Sie sagte ‚Behalt dein Geld. Du wirst niemals in der Lage sein mir mehr zu bieten, als ich aus Raphael herausquetschen kann’.“
Lily wählt genau diesen Moment, um laut zu nießen.
Als ich das Ende der Hecke erreiche und die Veranda betrete ist Genevieve verschwunden und Raphael sieht mich undefinierbar an, bevor er auf dem Absatz kehrt macht und ins Haus marschiert.