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E
s muss einen besseren Weg geben, um dieses Durcheinander zu beseitigen“, sagt Delphine. „Wir müssen nur schärfer nachdenken.“
Sie hat mich vor einer Stunde für eine kurze Unterhaltung angerufen und ich habe es nicht mehr ausgehalten und ihr alles erzählt. Naja, fast. Meine scharfsinnige Freundin wusste, dass ich schwanger war, als ich Paris verlies. Sie dachte sich auch, dass Lilys Vater bei der DCA arbeitete. Als ich mich weigerte ihr den Namen zu sagen, sagte sie: „Wie du willst. Ich werde es bald selbst herausfinden.“
Wenn man ihre Straßenkunst und Beharrlichkeit betrachtet, könnte das gut passieren.
Der Teil mit der Erpressung war allerdings eine totale Überraschung für sie. Ich habe ihr die ganze Geschichte erzählt – den Gang Bang, das Video, Gaspards kryptische Nachrichten vor einem Jahr, mein kurzes Treffen mit ihm im Bistro und seine neueste E-Mail.
Während Delphine über mein Chaos nachdachte, ging ich zu Lily, der die Windel gewechselt werden musste. Dann rief ich sie zurück und wir machten ein Brainstorming über Möglichkeiten. Aber leider übertrafen keine der Vorgehensweisen, die Delphine aufbrachte, die meinen.
In drei Tagen werden Lily und ich ein Flugzeug besteigen, das uns zurück nach Martinique bringen wird.
„Komm uns besuchen, wenn hier Winter ist“, sage ich zu ihr und versuche locker zu klingen.
„Du musst nicht abhauen, weißt du. Dieser geistesschwache Gaspard, hat er gesagt, dass er dein Video postet, wenn du nicht auftauchst?“
„Das hat er.“
„Denkst du er blufft, wie auch schon das letzte Mal?“, fragt sie.
„Ich befürchte nein. Ich denke, er meint es dieses Mal ernst.“
„Aber warum dann wegrennen? Der Schaden wird eh entstehen.“
Ich reibe mir die Stirn. „Ich kann einfach nicht…Ich bin nicht stark genug, um mich dem Rumoren in Paris zu stellen. Es wird einfacher in Martinique sein. Wie in diesem Lied von Aznavour, Emmenez-moi.
“
„Leid ist in der Sonne weniger grausam“, zitiert Delphine.
„Genau.“
„Und deine Eltern? Was, wenn sie Gaspards E-Mail öffnen und das Video ansehen?“
„Ich werde morgen ins Elsass fahren, um die Karten auf den Tisch zu legen und sie vor dem Video zu warnen.“
„Oh, Liebes, ich möchte gerade nicht in deinen Schuhen stecken.“
Ich grinse. „Das würde ich auch nicht, wenn ich eine Wahl hätte.“
„Was ist mit deiner akademischen Karriere?“, fragt sie. „Du bist kurz vor dem Ziel, du kannst jetzt nicht aufgeben!“
„Doch das kann ich, auch wenn es mir das Herz bricht meinen Betreuer so zu enttäuschen. Er war ein fantastischer Mentor für mich.“
„Dann tu es nicht!“
Ich seufze schwer. „Kann ich dich um einen Gefallen bitten?“
„Natürlich! Alles was hilft.“
„Ich möchte dich bitten eine Notiz für Gaspard aufzuschreiben und sie ihm am Samstag zu geben. Ich weiß, das ist viel verlangt –“
„Machst du Witze? Das mache ich gerne! Warte.“ Ich höre ein Geräusch, das sich so anhört wie eine sich öffnende Schublade. „Okay, ich habe Stift und Papier. Sag an.“
„Schreib bitte in Druckbuchstaben“, sage ich und diktiere die kurze Notiz.
Delphine schreibt sie auf. „Soll ich sie dir nochmal vorlesen, um sicher zu gehen?“
„Ja bitte.“
Sie räuspert sich. „Ich weiß
, dass du ein Drecksack bist. Ich habe Beweise
dafür, dass du ein Widerling bist. Wenn du das Video postest, dann werde ich dich der Polizei melden. Schmor in der Hölle.“
„Ich danke dir“, sage ich. „Du hast etwas bei mir gut.“
„Nein, du hast etwas bei mir gut, dafür dass ich seinen Blick sehen darf, wenn er die Notiz liest.“
Wir verabschieden uns und ich setze mich an den Küchentisch, den ich als Schreibtisch verwende. Meine schäbigen Habseligkeiten sind alle verpackt. Ich rufe Eva an sobald sie aus Florida zurück ist, um ihr die Neuigkeiten zu berichten.
Sie wird erst sauer auf mich sein, aber ich hoffe, dass sie es verstehen wird.
Es gibt nur noch eine Sache zu erledigen, bevor Lily und ich in den Zug ins Elsass steigen können. Ich reiße eine leere Seite aus meinem Notizbuch und schreibe.
Raphael,
Ich möchte nicht abreisen, ohne mich zu verabschieden oder es mit einer SMS wie beim letzten Mal zu sagen.
Also hier kommt es. Auf Wiedersehen, mein Lieblings-Schneemann. Lily und ich gehen zurück nach Martinique. Wir werden dort glücklicher sein.
Bitte glaube Genevieves Verleumdung nicht.
Ich fühle mich dabei bedeutungslos und verachtenswert dich darum zu bitten, aber ich muss es.
Alles Gute,
Mia
Ich falte das Blatt, stecke es in einen kleinen Umschlag und adressiere es an Raphaels Zuhause in Paris. Mit dem Brief in meiner Handtasche, schnappe ich mir Lily und gehe zur Post.
Wenn Raphael den Brief innerhalb der nächsten 48 Stunden erhält, dann bin ich im Elsass, wo ich ein Hotelzimmer außerhalb von Estheim gebucht habe. Wenn er ihn am Wochenende bekommt, dann bin ich in Martinique.
Es ist meiner Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass ich ihm die Möglichkeit verweigere, mich davon zu überzeugen zu bleiben. Aber wenn ich mich daran erinnere, wie wir nach Ninossos auseinandergegangen sind, bezweifle ich, dass er es überhaupt versuchen wird. Und was das Schuldgefühl angeht, Lily so weit von ihm weg zu bringen, ist es total ungerechtfertigt. Er will sie nicht.
Na also – ich tue ihm eigentlich einen Gefallen.
Ich mache, was für uns alle am besten ist.