Die nächsten Tage verkrümelte sich Karla im Bett. Sie hörte, dass ständig jemand an der Haustür war, dass Anrufe kamen, man nach ihr fragte und sie besuchen wollte, aber sie stellte sich stumm und stur. Jack und Jane hatte sie dazu verdonnert, jeden Gast abzuwimmeln.
Das war alles andere als nett, aber war das Leben etwa nett zu ihr?
Außerdem waren Schmerzen immer ein guter Grund, um auf Tauchstation zu gehen und die Welt auszusperren. Während sich ihr Vater laufend bei Karla blicken ließ, bekam sie ihre Großmutter in diesen Tagen nur sehr selten zu Gesicht.
Einmal, als Karla ein wenig im oberen Stockwerk umherwanderte, um sich die Beine zu vertreten, blickte sie durch das Flurfenster hinüber auf die Scheune. Sie konnte Jane sehen, die eine große Kiste mit Utensilien hineinschleppte. Am nächsten Abend hingen rote Gardinen vor den Scheiben, eine rote Lampe in Form eines Herzens brannte auf dem Fensterbrett und verbreitete warmes Licht. Über der Tür leuchtete ein roter Schriftzug, der aussah wie von Hand geschrieben. Was darauf stand, konnte Karla aus der Entfernung nicht lesen. Sie wunderte sich nur, wieso alles rot war. Rot wie die Tulpen im Garten – und rot wie die Liebe. Was nur hatte Jane mit der Scheune vor? Eine Partnervermittlung? Ein Heiratsinstitut? Karla musste lachen über diesen absurden Gedanken. Wen wollte Jane schon verkuppeln? In Polchow waren alle verheiratet. Zumindest kam es Karla so vor. Die einzigen noch frei herumlaufenden Singles waren vermutlich Mia und ihr Vater.
Als Karla Jack beim Gutenachtsagen nach den Plänen ihrer Großmutter befragte, zuckte der nur mit den Achseln. «Du weißt doch, wenn deine Oma etwas ausheckt, dann wacht sie so argwöhnisch über ihr Geheimnis wie ein nistendes Hindublatthühnchen über seine Brut.»
Diese Auskunft war für Karla alles andere als befriedigend. Erstens wusste sie gar nicht, was ein Hindublatthühnchen überhaupt war, zweitens musste Jane eine ziemlich dolle Sache planen, wenn sie solch ein Getue darum machte. Ihre Neugier ließ Karla keine Ruhe. Also verließ sie am nächsten Tag ihr Zimmer und tastete sich vorsichtig die Treppe hinunter. Ein Seeelefant war ein Ausbund an Anmut gegen sie, fand Karla.
Aber was half es?
Sie musste herausfinden, was Jane vorhatte. So öffnete sie die schwere Haustür, trat hinaus ins Sonnenlicht und tapste über den Hof.
Karla betrachtete den Schriftzug über der Tür der Scheune und schüttelte den Kopf.
First-Love-Ambulanz stand da.
Ach, du lieber Himmel, was sollte das denn nun schon wieder?
Was, bitte, war eine Notfallstation für erste Liebe?
Karla öffnete die Tür, trat ein und schaute sich um.
Von Janes Antiquitätengeschäft war nichts mehr übrig geblieben außer einem Biedermeiersofa, das sie vor einiger Zeit mit nachtblauem Samt hatte neu beziehen lassen. Zwei moderne Sessel aus tomatenrotem Leder standen in der Mitte. Auf dem Fensterbrett thronte die rote Herzlampe, die Karla gestern Abend schon vom Flurfenster aus gesehen hatte, über den Holzfußboden waren Rosenblätter verstreut, auf einem kleinen Glastisch zwischen den beiden Sesseln befanden sich eine Box mit Kleenex-Tüchern, eine Tüte «Frustschutzbärchen», eine Packung «Gute-Laune-Drops» mit Zitronengeschmack und eine Tafel Schokolade mit dem Aufdruck «Herzschmerzstopper». Ein weinendes Herz war darauf zu sehen, durchgestrichen mit einem dicken schwarzen Balken.
So einfach war das also, dachte Karla. Ein Stück Schokolade – und weg war all der Kummer.
Aufgefressen sozusagen.
Wenigstens in der Beziehung gab es einen Lichtblick nach Janes Hagebuttentee-Idylle der letzten Wochen. Naschen war erlaubt.
Karla hob eines der künstlichen Rosenblätter vom Boden auf und rieb es zwischen ihren Fingerspitzen. In dem Moment öffnete sich die Tür, und ihre Großmutter kam herein. Wie immer hatte sich Jane perfekt ihrer Umgebung angepasst. Sie trug eine rote Tunika, eine rote Hose und rote Sneakers. An ihren Ohrläppchen baumelten riesige Herzen, und sie duftete nach Rosenparfüm.
«Och, Karla!», rief Jane aus, deren Stimme maßlos enttäuscht klang. «Nun hast du mir alles verdorben! Ich wollte doch nicht, dass das hier schon jemand sieht. Es soll doch erst morgen die offizielle Eröffnung meiner kleinen Praxis geben.»
«Danke, Jane, mir geht’s gut. Nett, dass du mich das fragst, wo du dich doch so toll um mich gekümmert hast die ganze Zeit!»
Jane ließ sich in einen der roten Sessel plumpsen. «Und nun machst du mir auch noch ein schlechtes Gewissen!» Sie nahm sich eine Hand voll Gummibärchen aus der «Frustschutz»-Tüte und steckte sich die Bären alle auf einmal in den Mund. «Denke jetzt bloß nichts Falsches! Die esse ich nur, weil sie aus Bio-Gelantine und mit natürlichen Aromen sind.»
«Lenk nicht ab!»
Jane seufzte. «Du hast ja Recht! Ich war so beschäftigt mit alldem hier, und ich wusste doch, du bist bei deinem Vater in den allerbesten Händen.»
«Manchmal wünsche ich mir echt eine Großmutter, die strickt, statt einer, die nicht richtig tickt.»
«Jetzt wirst du frech!» An Janes Grinsen aber sah Karla, dass sie ihr nicht böse war. Eigentlich war ihre Oma sogar stolz darauf, dass sie nicht war wie andere Großmütter. Keine Kreuzworträtsel-Butterkuchen-Omi, die sich als Haustier einen Wellensittich hielt, sondern eine, die selbst eine Meise hatte.
Jane wickelte die «Herzschmerzstopper»-Schokolade aus dem Papier und brach einen Riegel ab.
«Du wirst all deinen guten Vorsätzen untreu», schimpfte Karla.
«Kalium, Kalzium, Phosphor, Magnesium, Fluor, Zink, Kupfer, Chrom, Nickel, Vitamin E, B-Vitamine, Lecithin …»
«Klingt wie ein Beipackzettel.»
«Wenn du so willst … Ist alles in Kakao enthalten», erklärte Jane. «Schokolade wiederum besteht aus Kakao. Wie du also siehst, ist Schokolade geradezu unnatürlich gesund.»
Karla ließ sich vorsichtig in dem anderen Sessel nieder, stand aber sofort wieder, weil ihr das Sitzen viel zu wehtat.
«Warum nimmst du nicht dein Spezialkissen?», fragte Jane. «Dafür hast du es doch.»
«Weil ich keine Lust habe, ständig mit dem Ding durch die Gegend zu laufen.» Karla verschränkte ihre Arme auf dem Rücken und sah sich um. «Und jetzt erzähle mir bitte endlich, was eine First-Love-Ambulanz in Polchow soll!»
«Das sagt doch schon der Name. Ich werde Leute therapieren, die Liebeskummer haben», sagte Jane und sah Karla triumphierend an.
«Kannst du das denn? Du bist doch gar keine Therapeutin.»
«Aber eine Frau mit Lebenserfahrung. Außerdem habe ich mal ein paar Semester Psychologie studiert, bevor ich deinen Großvater kennen gelernt habe.»
Karla legte die Stirn in Falten. «Und das soll reichen?»
«Jesus!» Jane warf die Arme in die Luft und machte ein verzücktes Gesicht. «Meinst du, ich kenne das nicht mehr: den Rausch des Verliebtseins? Den schüchternen Augenaufschlag ganz am Anfang, die ersten Worte, die man wechselt, die leichten, zufälligen Berührungen, das Herzflattern, die Sehnsucht, die feuchten Hände?» Ihre Großmutter war kaum noch zu bremsen. «Erregung. Energie. Ekstase. Raserei. Hormonrausch und dieses Bienenschwarm-Gekribbel im Bauch.» Einen Moment lang schwieg Jane, bevor sie mit leiser Stimme fortfuhr: «Und auch diesen Abgrund an Traurigkeit, in den man fällt, wenn das alles vorbei ist und man am liebsten nicht mehr aufstehen will.»
«Aber du bist doch schon ziemlich alt», wandte Karla schüchtern ein.
«Ich war aber mal jung. Außerdem habe ich dir doch schon mal gesagt: Dieser Wahnsinn hört nie auf. Nie! Der verfolgt einen bis ins Grab. Und manchmal bringt er einen sogar hinein.»
«Trotzdem …» Karla zögerte. «Wer soll denn schon zu dir kommen? Hier draußen in der Pampa? So viele Liebeskranke gibt’s doch gar nicht. Hier haben sie höchstens mal die Grippe, wenn es Herbst wird. Oder Bauchweh, wenn sie an Weihnachten zu viel Gänsebraten essen.»
«Hast du eine Ahnung! Jeder Mensch ist irgendwie … wie hast du es ausgedrückt? Liebeskrank. Viele wissen es nur nicht.»
«Wenn es eine First-Love-Ambulanz ist, dann können dich Erwachsene ja gar nicht um Rat fragen. Die haben doch ihre erste Liebe alle schon hinter sich.»
«Den Namen habe ich doch nur gewählt, weil’s besser klingt. Man muss eine Sache verkaufen, verstehst du? Das ist PR! Ich bin für alle da. Auch für die 84-jährige Obstbäuerin aus dem Nachbarort, die noch verrückt genug ist, sich zu verlieben und auf Bäume zu klettern.»
Karla schaute ihre Großmutter ernst an. «Man verliebt sich nicht mehr kurz vor dem Tod.»
«Wer sagt denn das? Manche haben einfach keine Zeit zum Sterben und leben lieber. Und zum Leben gehört nun mal die Liebe. So wie alles andere Schöne auch. Wie Rosen und laue Sommerabende und Schnee auf Tannen. Und wo du schon mal hier bist, fangen wir am besten gleich mit dir an!»
«Was?», fragte Karla verdutzt.
«Na, du schüttest mir dein Herz aus!»
«Ich habe nichts auf dem Herzen, was ich ausschütten muss.»
«Dann wärst du das erste 14-jährige Mädchen auf dieser Welt.» Jane stand auf, ging zum Fenster und schaltete die rote Herzlampe an.
«Ist doch hell genug», protestierte Karla.
«So ist es kuscheliger. Also!»
«Nichts also.» Karla drehte sich um und wandte ihrer Großmutter den Rücken zu. «Bei dir kommt man sich vor wie eine Zitrone in der Saftpresse.»
Jane kam zu ihr hin und nahm Karla in den Arm. «Es tut mir leid. Aber verstehe doch: Ich muss jemanden haben, mit dem ich trainieren kann. Und wer wäre da besser geeignet als meine Enkelin?»
Karla schmiegte sich an Jane und ließ sich von ihr übers Haar streichen. «Gut», sagte sie. «Dann bin ich eben dein Versuchskaninchen. Aber ich denke mir jetzt nur was zu Übungszwecken aus. Okay? Komm bloß nicht auf die Idee zu glauben, das sei wahr.»
«Auf keinen Fall werde ich das denken», protestierte Jane. «Setzen wir uns!»
«Ich bleibe stehen.»
«Ganz wie du willst.» Jane ging zurück zu ihrem Sessel, nahm Platz, zog ein Kleenex aus der Box und reichte es Karla. «Falls du weinen musst.»
Karla rollte mit den Augen und blickte an die Decke. «Ich muss nicht weinen. Warum soll ich denn heulen?»
Jane nickte. «Natürlich.»
Karla wusste nicht, wie sie anfangen sollte. Dann gab sie sich einen Ruck. «Mal angenommen, rein hypothetisch, ich wäre in einen Jungen verliebt und hätte gesehen, wie er ein anderes Mädchen küsst. Was würdest du mir raten?»
«Das käme ganz darauf an, was für eine Art Kuss es war. Ein richtiger Kuss, also …» Jane schwieg einen Moment, dann fuhr sie hastig fort:«… also einer mit Zunge? Oder nur auf die Wange?»
«Wange», nuschelte Karla. «Aber ziemlich nah am Mund.» Karla schaute ihrer Großmutter nicht ins Gesicht, sondern hielt ihren Kopf immer noch abgewandt und blickte an der roten Leuchte vorbei aus dem Fenster.
Herz ausschütten! Was war das überhaupt für eine Redensart? Hatte man etwa kleine Kristalle in den Herzkammern liegen, die man ausschüttete wie Zucker aus einer Tüte?
Kaum war die Tüte leer, war alles wieder gut?
Das Herz ausgemistet und bereit für eine neue Liebe?
«Mit dem Küssen ist das so eine Sache», sagte Jane. «Es gibt da ein wunderschönes Sprichwort: ‹Die Liebe beginnt mit einem Lächeln, lebt von Küssen und stirbt unter Tränen.›» Jane blickte verträumt vor sich hin, dann lachte sie laut auf. «Da habe ich übrigens neulich etwas Witziges gelesen. Wusstest du, dass zwei Drittel aller menschlichen Nasen beim Küssen nach rechts zeigen?»
Karla schüttelte ungeduldig den Kopf. Von ihr aus könnte Felix’ Nase sonst wohin zeigen, kreiselförmig in alle vier Himmelsrichtungen oder was auch immer, wenn es nur sie wäre, die er küssen würde, und kein anderes Mädchen. «So richtig gute Tipps hast du aber auch nicht parat», maulte Karla.
«Du darfst nicht vergessen, du bist meine erste Patientin. Ach, Karla, das ist doch ganz einfach! Du müsstest herausfinden, wie dieser Kuss, von dem du mir gerade erzählt hast, gemeint war. Küsse sind so verschieden wie die Handschriften der Menschen. Meist aber ist ein Wangenkuss ganz harmlos und hat nicht viel zu bedeuten.»
«Und wie soll ich das herausfinden?» Karla erschrak. Sie hätte sich schon wieder fast verplappert. «Ich meine, wie soll man so was überhaupt feststellen?»
Jane setzte sich quer in den Sessel und ließ ihre Beine über die Armlehne baumeln. «Das kriegt man am besten raus, wenn man die zwei Personen, um die es geht, zusammenführt, sie dann unter einem Vorwand alleine lässt und heimlich beobachtet.»
«Das ist …» Karla fehlten die Worte.
Jane schnitt eine Grimasse. «Spionage?»
«Ganz genau.»
«Spionage. Sabotage. Was soll’s?! In der Liebe und im Krieg sind alle Mittel erlaubt.» Jane strahlte Karla an und warf ihren Kopf hin und her, dass die roten Herzclips an ihren Ohrläppchen nur so tanzten. «Ich finde, unsere erste Therapiestunde ist ganz phantastisch gelaufen. Was meinst du? Und das Beste ist, in den nächsten Tagen steht ein kleiner Artikel über meine First-Love-Ambulanz in der Zeitung. Mit Foto von mir. Ist das nicht toll? Nur mein Alter habe ich dem Redakteur verschwiegen. Soll doch keiner wissen, dass ich zum Auspusten meiner Geburtstagskerzen einen Ventilator brauche.»
Als Karla kurz darauf wieder in ihrem Zimmer war, wirbelten tausend Gedanken durch ihren Kopf.
Hatte die Therapiestunde mit Jane einen Sinn gehabt?
War es wirklich eine gute Idee, Felix und Charlotte auszuspionieren? Was würde sein, wenn sie dahinterkämen? Was für eine Ausrede hätte sie dann? Doch Karla war inzwischen Feuer und Flamme für Janes Vorschlag und nicht bereit, sich davon wieder abbringen zu lassen. Warum sollte sie es nicht tun?, überlegte sie. Wenn man schon nicht reiten durfte, musste man sich eben andere Hobbys zulegen. So einfach war das. Und Spionage war nun mal aufregender als Fingerhüte zu sammeln oder Blumenampeln aus Makramee zu knüpfen. Fragte sich nur noch, wie sie das Ganze einfädeln sollte. Für ihr neues Hobby brauchte man mehr als nur Jutegarn.
Da brauchte man eine gute Idee.
Einen prima Plan!
Es dauerte nicht lange, da klopfte es an Karlas Tür. Nanu, dachte Karla, wer mochte das sein?
Es war Jonas.
Er hockte sich auf den bunten Flickenteppich neben Karlas Bett, der normalerweise Colas und Fantas Stammplatz war. Aber die beiden ließen sich nicht blicken. Und so warf sich Jonas auf den Bauch, stützte sein Gesicht in beide Hände und sah Karla fragend an, während sich diese im Zeitlupentempo auf der Bettkante niederließ.
«Wenn ich nicht wüsste, dass du einen Reitunfall gehabt hast, würde ich glauben, du wärst auf einer Erbse ausgerutscht.»
«Was redest du für einen Stuss?»
«Das ist kein Stuss. Das ist die Wahrheit. Im Augenblick kommst du mir vor wie die Prinzessin auf der Erbse. Man darf dich nicht besuchen, dich nicht anrufen, du verkriechst dich wie eine Schnirkelschnecke.» Jonas grinste. «Immerhin habe ich es jetzt wenigstens bis auf deinen Bettvorleger geschafft. Das müssen mir die anderen erst mal nachmachen.»
«Weiter kommst du auch nicht.»
Jonas deutete im Liegen eine Verbeugung an. «Danke, Gnädigste! Wenn sowieso keine Aussicht mehr besteht, wieder bei dir zu landen, dann kann ich dir ja ein Geheimnis verraten.»
«Tu, was du nicht lassen kannst.»
Karla saß stocksteif auf der Kante ihres Himmelbettes, an dem die weißen Schleier zurückgeschlagen waren. Sie wollte nicht vor Jonas auf dem lächerlichen Rettungsring aus dem Sanitätshaus Platz nehmen.
Auch wenn sie gleichgültig tat, so war sie doch sehr gespannt, was Jonas ihr zu sagen hatte. «Also, schieß los!»
«Ich glaube, ich habe mich verknallt.»
«Tolles Geheimnis!», knurrte Karla. «So, wie du neulich Johanna angestarrt hast, konnte das ja wohl niemandem verborgen bleiben.»
Jonas grinste. «Ich fand es wahnsinnig dezent.»
«So dezent wie ein pinkfarbener Cadillac.»
Jonas wälzte sich vom Bauch auf den Rücken und starrte versonnen zur Decke. «Johanna ist scheu und schön. Eine coole Mischung. Außerdem passen wir schon von den Namen her perfekt zusammen. Johanna und Jonas.»
«Ich hab’s kapiert», sagte Karla.
Jonas setzte sich aufrecht hin und sah Karla erstaunt an. «Jetzt sag nicht, du bist eifersüchtig.»
«Bilde dir bloß nichts ein! Warum sollte ich eifersüchtig sein? Mit uns, das ist vorbei.»
«Eben. Warum reagierst du dann so merkwürdig?»
«Tue ich gar nicht.»
«Tust du doch.»
Karla konnte sich nicht länger beherrschen. «Ich finde es nur nicht fair», schimpfte sie, «dass alle jemanden haben, nur ich bleibe zurück. Und du bist auch noch so unsensibel, mir von ihr vorzuschwärmen. Behalte es doch für dich! Aber das könnt ihr Jungs anscheinend nicht. Ihr seid viel verklatschter als wir Mädchen.»
«Das ist ja wohl ein Witz», rief Jonas und lachte laut auf.
Karla wandte ihr Gesicht ab und musterte die Kringel, die die Nachmittagssonne auf die Holzdielen zeichnete. «Allein wie du ihren Namen ausgesprochen hast! Als würde Schokomus auf deiner Zunge zergehen.»
Jonas sprang auf und setzte sich neben Karla. «Seien wir doch mal ehrlich! Du bist gar nicht eifersüchtig auf Johanna.»
«Sag ich doch die ganze Zeit.»
«Du bist eifersüchtig auf Charlotte, weil du verknallt bist in Felix.»
«Warum wissen immer alle über mein Liebesleben besser Bescheid als ich?», zischte Karla und vermied es, Jonas anzusehen. «Oder glauben es zu wissen? Haben aber in Wirklichkeit null Ahnung.»
«Erzähl noch was!» Jonas legte den Arm um Karlas Schulter und drehte ihren Oberkörper vorsichtig zu sich herum, sodass sie ihn ansehen musste. «Mir kannst du nichts vormachen. Du warst immer schon in Felix verliebt, auch als wir zusammen waren.»
«Du hast wirklich eine blühende Phantasie.»
Als ihr Jonas’ Lächeln vor der Nase herumtanzte wie eine Libelle, senkte Karla rasch den Blick.
«Wenn du mich fragst», raunte Jonas ihr zu, «dann ist Felix ein Trottel, wenn er nicht langsam kapiert, was er an dir hat. Du bist ein tolles Mädchen, wenn du nicht gerade deine komischen fünf Minuten hast. Und du kannst küssen …», Jonas schnalzte mit der Zunge, «drei Sterne. Mindestens.»
«Danke.» Karla setzte ihre desinteressierteste Miene auf. Aber in Wahrheit freute sie sich doch über das Kompliment und konnte nichts dagegen tun, dass jetzt auch ein Lächeln über ihr Gesicht zog und ihre Mundwinkel glättete. Jonas hatte ja Recht. Es ging nicht um Johanna und ihn. Und deshalb gab es keinen Grund, weiterhin so unfreundlich zu sein. Sie gab Jonas einen Klaps aufs Bein. «Und Johanna? Denkst du, dass sie auch in dich verliebt ist?»
«Ich glaube schon. Wir haben uns gestern geküsst, und ich habe gemerkt, wir funken auf der gleichen Frequenz.»
Karla schwieg einen Moment. «Wo?»
«Wie, wo?»
«Wo ihr euch geküsst habt.»
«Dafür, dass du eben gar nichts wissen wolltest, willst du es jetzt aber genau wissen. Im Kino.»
«Im Kino?»
«Kino ist doch super. Es ist dunkel, es sieht einen niemand, wenn es gruselig wird, schmiegt sich das Mädchen an dich, weil es Angst hat, und wenn es romantisch wird, ist die Sache sowieso geritzt. Dann küssen sie sich auf der Leinwand, und im Saal küssen sie sich auch. Das ist wie Instantpudding. Die Zutaten sind da, du musst sie nur noch zusammenrühren.»
Karla zeigte Jonas einen Vogel. «Klingt nach Dr. Oetker, aber nicht nach großer Liebe.»
Jonas strich sich die Haare zurück und ließ sich nach hinten auf Karlas Bett fallen. «Und wenn man dann noch den passenden Deckel zum Puddingtopf gefunden hat, kann eigentlich nichts mehr schief gehen.»
«Deckel zum Topf», sagte Karla kopfschüttelnd, während sie sich ihr Kissen mit dem Pferdekopf auf den Bauch packte. «Echt charmant. Wie ihr Jungs eben so seid! Einfühlsam wie Schrottpressen.»
«Das sagt man so: Auf jeden Topf passt ein Deckel.»
«Fragt sich nur: Wer ist bei euch der Topf – und wer der Deckel?»
«Das wird sich noch herausstellen», grinste Jonas.
Plötzlich hatte Karla es sehr eilig, allein zu sein und nachzudenken.
«Ich glaube, ich möchte ein bisschen schlafen», sagte sie.
«Geht klar!» Jonas sprang auf, formte mit Zeige- und Mittelfinger ein V und ging zur Tür. «Tschüs, Karla! Gute Besserung!»
«Tschüs – und danke für deinen Besuch!»
«Schon okay.» Er hatte bereits die Hand auf der Klinke, da drehte sich Jonas nochmal um: «Kannst du mir sagen, was eigentlich Mia Muhrmann in der First-Love-Ambulanz deiner Oma zu suchen hat? Ich habe sie eben in die Scheune gehen sehen. Über die erste Liebe ist die ja wohl hinaus.»
Doch Karla hatte andere Sorgen. Jonas hatte die Tür hinter sich schon fast geschlossen, da rief sie ihm nach: «Ach, übrigens, was läuft eigentlich so im Kino?»