KAPITEL 29

Kapitel 29

Montag, 4. August

I ch hole Uncle Buckys Maple Latte, seinen Muffin und seine Zeitung im Casino Deli. Seine Routine funktioniert wie ein Uhrwerk. Wortwörtlich. Den Kaffee und die Ballaststoffe nimmt er um 9.40 Uhr zu sich. Die darauffolgende zwanzigminütige Toilettenpause gibt mir die Gelegenheit, die Fahrzeugflotte des Casinos abzuchecken. Ich will Web so viele Informationen geben wie nur möglich, um ihm seine Aufgabe zu erleichtern.

Der kleinste ist ein schlichter weißer Van von der Art Hey, Kleine, willst du ein Bonbon oder einen Welpen geschenkt?. Dann gibt es sie in jeder Größe bis zum Truck mit separatem Führerhaus. Der größte sieht aus, als würde unser ganzer Hausstand samt Pops’ Werkstatt hineinpassen.

Ich stelle mir vor, dass die Schaukästen hochkant transportiert werden, dicht an dicht gepackt, damit sie nicht umfallen können. Der Rahmen um die Kästen ist etwa 25 Zentimeter breit. Schaudernd erinnere ich mich an die Vorfahren in diesem Rahmen. Ihre Knochen müssen aneinander befestigt worden sein, um sie so ausstellen zu können.

Der kleinste Umzugswagen sieht aus, als hätte jemand einen Schuppen mit Flachdach auf einen gewöhnlichen Pick-up gesetzt. Den könnte ich problemlos fahren, aber das Fassungsvermögen ist kaum größer als das des Bösen-Bonbonmann-Vans. Ich suche weiter.

Der Nächste hat eine Haube wie TJ s Diesel-Pick-up, an die er beim ersten Schneefall den Schneepflug montiert. Der Umzugswagen ist größer und breiter als der kleine. Er ist um die Hälfte länger. Ich schätze, so fünf Meter. Ist er groß genug?

Mein größter Horror ist, dass wir Verwandte zurücklassen müssen, wenn wir nicht alle Schaukästen in den Umzugswagen bekommen. Wir können nicht riskieren, mehrmals hin und her zu fahren.

Ich inspiziere den Umzugswagen, der mindestens doppelt so groß ist wie der andere. Er hat eine Haube, die wie das vordere Teil eines Sattelschleppers aussieht. Ich steige aufs Trittbrett, um durchs Fenster schauen zu können. Als ich die komplizierte Schaltung sehe, wird mir übel. Ich kann Fahrzeuge mit manueller Gangschaltung fahren, aber nicht diesen Schwerkraftlaster.

Ich fühle mich wie Goldlöckchen und die drei Bären. Ein Truck ist zu klein. Der andere zu groß. Ist der Mittlere genau richtig?

»Was ist los?« Bucky unterbricht meine Gedanken.

Verdammt. Ich versuche, lässig vom Trittbrett zu springen, und mache sicherheitshalber noch einen Sidekick.

»Ich hab mich gerade gefragt, wann ich mit einer dieser Schönheiten für dich Besorgungen machen darf«, sage ich.

»Du fährst Auto?« Er klingt echt überrascht. »Ich dachte, dass du keinen Führerschein hast, weil deine Mom dich herbringt und wieder abholt.«

Bevor ich eine bissige Bemerkung machen kann, beiße ich mir auf die Lippen. Ich brauche Bucky auf meiner Seite. Ein Betreuer, der mich loswerden will, wäre im Moment das Letzte.

»Ich bin eine ausgezeichnete Fahrerin«, sage ich. Die Wahrheit lässt mich zwei Zentimeter größer werden. »Ich kann alles fahren.« Ich zeige auf die Flotte. »Jeden von denen.«

Uncle Bucky grummelt ein wenig begeistertes »Hmmm«.

Ich tue, als hätte ich ihn nicht gehört.

»Ohne Witz, Uncle Bucky. Ich bin bereit, Fahreraufträge für dich zu erledigen. Genau wie Erik.« Der letzte Satz ist mir gerade noch eingefallen.

»Hast du den CDL ?« Er zieht eine seiner buschigen Augenbrauen höher als die andere. Sie sieht aus wie eine graue Raupe, die kurz davor ist, ihren liegenden Zwilling anzuspringen.

Was zum Teufel ist ein CDL ?

Bucky interpretiert mein Schweigen richtig. »Ein gewerblicher Führerschein.«

Ich habe einen Führerschein von einem älteren Cousin, damit ich Alkohol kaufen kann; aber ich weiß nicht, wie ich an einen gefälschten CDL rankomme. Bucky reinzulegen, ist mit Sicherheit kein guter Schachzug.

Brauche ich überhaupt einen CDL , um den kleineren Transporter zu fahren, oder nur für den größten?

Moment mal …

»Erik hat einen CDL -Führerschein? Wirklich?« Meine Stimme wird piepsig. »Kann man dafür eine Prüfung ablegen? Vielleicht beginne ich mit dem Bösen-Bonbonmann-Van?«

»Wirst du bald achtzehn?«, fragt Bucky, obwohl er weiß, dass das nicht der Fall ist.

»Das ist Altersdiskriminierung.« Ich versuche, entrüstet zu klingen.

»Das ist keine Altersdiskriminierung«, spottet er.

Web kreuzt während meiner Mittagspause auf. Er kommt nicht an meinen Tisch in der Angestelltenkantine. Stattdessen spricht er mit den anderen Angestellten. Sie begrüßen sich mit Nish-Handschütteln und kichern über Witze, die ich nicht richtig höre. Vielleicht ist er gar nicht hier, um mit mir zu reden, und er politisiert nur mit den Tribal Citizens, die im Casino arbeiten. Außer … er schaut in meine Richtung und deutet mit dem Kopf auf eine Treppe neben dem Aufzug.

Ich schiebe mir das letzte Stück meines Bologna-Käse-Sandwiches in den Mund. Die Banane werde ich später essen. Die Sandwichverpackung werfe ich in den Müll und gehe zur Treppe. Als ich an Web vorbeigehe, ignoriert er mich und lacht mit einem der älteren Nodins. Die Nodin-Familie ist eine große Wählervereinigung; sie haben ihre eigenen Treffen vor Beginn einer Wahlkampfperiode, um zu beschließen, wer in der Familie kandidieren soll.

Erst nachdem ich einen Treppenabsatz nach unten gegangen bin, höre ich Schritte hinter mir.

»Wir sollten diese Umzugswagen-Situation strategisch planen.« Web hat mich eingeholt.

»Ich habe mich schon schlaugemacht. ›Wareneingang und Versand‹ hat einen mittelgroßen Truck, der meiner Meinung nach genau richtig ist. Ich werde herausfinden, wo die Schlüssel aufbewahrt werden und wo die Überwachungskameras sind.«

»Gute Arbeit. Weiter so.« Er strahlt mich an.

Anstatt den üblichen Stolz zu empfinden, wie ich das sonst tue, wenn Web mich lobt, fühle ich mich plötzlich unwohl. Diese Aktion muss klappen. Es hängt so viel davon ab.

»Jetzt brauchen wir noch jemanden, der ihn fährt«, sagt er. »Die Fährhelfer kennen mich alle. Wie wäre es mit dem Praktikanten, der vor dir für Bucky gearbeitet hat?«

»Erik Miller?« Ich sehe Web an, nicht sicher, was er vorhat.

»Genau. Er ist schon öfter mit einem Truck gefahren, oder? Und er ist neu hier in der Gegend, sodass die Typen auf der Fähre ihn nicht erkennen werden.« Web hat gute Argumente, nur dass …

»Erik darf nicht in den Raub verwickelt werden.«

»Tatsächlich?« Web klingt überrascht. »Ich dachte, dass alle Misfit Toys dabei wären.«

Es ist nicht meine Sache, irgendetwas über Eriks Bewährung weiterzuerzählen. Zur Bekräftigung wiederhole ich es noch einmal.

»Erik ist nicht dabei«, erkläre ich.

Einen Moment lang sieht Web verärgert aus, dann entspannen sich seine Züge.

»Ogichidaakwezans hat gesprochen«, sagt er. »Ich schätze, da muss ich mir was einfallen lassen.«