Recherche
„
N
ichts. Verdammt, wieder nichts.“
Sie steckte das Handy weg, als Brian ihr Büro betrat. Das weiße Hemd, das er zu seiner schwarzen Jeans trug, hatte er bis zum dritten Knopf von oben aufgeknöpft. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, die Augen funkelten. Er war wütend, versuchte jedoch, ein Lächeln für sie zustande zu bringen, was ihm ansatzweise gelang.
„Hallo, Audrey“, grüßte er im Vorbeigehen und steuerte direkt auf Lees Büro zu.
„Moment, warte mal. Ich muss dich erst …“, versuchte Audrey, ihn aufzuhalten.
Zu spät. Brian stürmte das Büro des Cheflektors, der ihn, wie Audrey durch die Glasfront deutlich erkennen konnte, mit großen Augen anvisierte. Was sollte das? Sein Verhalten war nicht angemessen. In der Hektik hatte Brian die Tür nur angelehnt, sodass Audrey das folgende Gespräch zwischen den beiden hören konnte. Außerdem sprachen sie nicht gerade leise. Warren Lee blieb hinter seinem Schreibtisch stehen, und Brian verzichtete darauf, davor Platz zu nehmen.
„Warum wird alles abgelehnt, was ich gut finde? Langsam ist es auffällig“, echauffierte sich Brian.
Der Cheflektor schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust, wobei sein rosafarbenes Hemd ein paar Falten warf. „Es war nun mal Schund. Nehmen Sie es nicht persönlich. Das, was Sie als gut erachten, brauche ich nicht einmal in der Konferenz vorzustellen. Und gut reicht nicht. Das müssten Sie langsam wissen, Mister Gomery.“
„Wortklauberei. Auf den Punkt gebracht: Sie scheinen wenig Vertrauen in meine Arbeit zu haben. Die anderen stellen oft Schund vor, finden Sie nicht?“
Audrey spitzte die Lippen und senkte den Kopf, als Lee einen Blick durch die Scheibe in ihr Büro warf. Ein paar Sekunden später hörte sie, dass die Glastür geschlossen wurde. Brian nahm anscheinend kein Blatt vor den Mund, wenn er sich ungerecht behandelt fühlte. Sie riskierte noch einen Blick und sah, dass sich beide inzwischen gesetzt hatten und anscheinend ruhiger miteinander redeten. Also widmete sie sich wieder ihren Recherchen.
Die Arbeit an diesem Dienstag hielt sich in Grenzen, sodass sie die Auszeit, die sicher nicht lange dauern würde, nutzen wollte, um etwas über Scott Emery herauszufinden. Schon gestern war sie fleißig gewesen und hatte sämtliche Detekteien abtelefoniert. Doch niemand hatte je für ihren Vater gearbeitet. Und im Internet gab es keinen Scott Emery. Zumindest keinen aus Ohio, der einen Eintrag hatte. Vielleicht sollte sie noch einmal den Computer ihres Vaters durchforsten. Sie hatte die meisten Dateien nur überflogen. In ihrer Tasche kramte sie nach einer Kopfschmerztablette. Die letzte Nacht hatte sie kaum ein Auge zugetan, was eventuell auch am Vollmond gelegen hatte. Dazu schien das Wetter umzuschlagen. Für die nächsten Tage war Regen angesagt. Plötzlich tauchte Brian aus Lees Büro auf. Der hatte ihn zur Tür begleitet, die er nun geräuschvoll ins Schloss warf, um sich gleich darauf wieder hinter seinen Schreibtisch zu verziehen.
„Wichtigtuer“, schimpfte Brian, ohne sich umzudrehen. Vor ihrem Schreibtisch blieb er stehen und stützte sich mit den Händen an der Kante ab. „Ich hoffe, dein Morgen ist besser“, raunte er.
„Geht so. Was ist denn los?“
„Die Hälfte hast du sicher gehört, oder?“
Audrey verzog die Mundwinkel. „Na ja, ja.“
„Keine Entschuldigung. Wir waren ja laut genug. Reden wir in der Pause darüber? Lust auf eine Zeitreise und einen Kaffee?“
Sie verstand. Spontan stimmte sie zu, was Brian ein Lächeln entlockte. „Danke, Miss Richards. Jetzt geht es mir schon besser.“
„Mir ebenfalls“, rutschte es ihr heraus. Dass sie rot anlief, konnte sie nicht verstecken und verwandelte sein Lächeln in ein Grinsen. In Brian Gomery steckte wohl auch ein Macho.
***
Brian simste ihr, dass er sich zehn Minuten verspäten würde, weshalb Audrey voraus ins Café ging. Die Wartezeit verkürzte sie sich, indem sie sich ein paar Stichpunkte zu Die Erben von Avalon
notierte. Kaum hatte sie das Notizbuch ausgepackt, klingelte ihr Handy und verkündete einen eingehenden Anruf von Grace.
„Na, was gibt es Neues? Privat und an der Recherchefront?“
„Dir auch einen schönen Tag“, wiegelte Audrey ab. Aber da hatte sie die Rechnung ohne ihre Freundin gemacht.
„Ich muss mir doch keine Sorgen machen?“, fragte Grace.
„Nein. Wieso?“
„Weil du ablenkst.“
Audrey seufzte und schob ihre Notizen beiseite. „Nein, alles gut.“
„Und Brian?“, wollte Grace wissen.
„Was soll mit ihm sein?“
„Ach komm. Seid ihr schon ein Stück näher gerückt?“
„Vielleicht. Und Daniel?“
Grace lachte. „Ein ganzes Stückchen näher“, antwortete sie vage.
„Oh, erzähl!“
„Wir waren ja einen Kaffee trinken.“
Da sie eine Pause einlegte, erwiderte Audrey: „Das habe ich nicht vergessen. Und weiter?“
„Es blieb nicht bei einem Kaffee.“
Dieser gewisse Unterton war eindeutig. „Wow!“
„Halt, nein, nicht, was du denkst, Audrey!“
„Was denn?“
„Er hat mich danach nur auf ein oder zwei Drinks in sein Haus am Rand von Indianapolis eingeladen. Ein Traum.“
„Das Haus?“
„Der Mann, das Haus, die Drinks.“
„Auch auf die Gefahr hin, dass ich langweilig klinge, Hauptsache ist doch, er ist charmant und aufmerksam.“
„Das ist er, in der Tat.“ Audrey hörte sie durchs Handy seufzen. „Wir sehen uns bald wieder. Er holt mich nachher von der Arbeit ab. Ach, was ich dir noch sagen wollte: Meine Chefin hat erfahren, dass Gene Hartman demnächst einen neuen Roman herausbringen will. Wieder einen Thriller.“
Audrey atmete hörbar aus.
„Audrey?“, fragte Grace, als sie nichts dazu sagte.
„Ja, ich bin noch dran.“
„Du glaubst wirklich, dass …?“
„Dass dieser Hartman die Idee von Dad geklaut hat? Nun, seine Notizen zu Die Bloom-Affäre
haben mich eben stutzig gemacht. Aber keine Sorge, ich lass die Sache nun endgültig ruhen.“
„Ist vielleicht besser so. Und wenn nicht, dann nimm deine beste Freundin mit ins Boot. Du weißt ja, ich liebe Abenteuer. Hab dich lieb, Süße.“
Urplötzlich tauchte Brian auf und setzte sich ihr gegenüber. „Tut mir leid, dass ich zwanzig Minuten überfällig bin.“
„Kein Problem.“ Audrey lächelte ihn an. Er sah entspannter aus als heute Vormittag.
„Hast du dir schon etwas bestellt?“, fragte er und winkte nach einer Kellnerin.
Sie schüttelte den Kopf und deutete auf ihr Handy. „Grace? Brian ist hier. Bis bald mal wieder. Hab dich auch lieb.“
Als sie das Gespräch beendet hatte, bestellten sie zwei Cappuccino. Danach räumte sie die Notizen weg.
„Hast du Probleme, Audrey?“, fragte er ernst.
Erstaunt musterte sie ihn, während ihr immer noch Graces Worte durch den Kopf gingen. Hartman wollte also schon bald ein zweites Buch veröffentlichen. „Wie kommst du darauf?“
„Entschuldige, ich wollte nicht lauschen. Genauso wenig wie du wohl heute Vormittag.“
Wohl?, durchfuhr es sie. Die Kellnerin servierte ihre Getränke und lächelte ihnen freundlich zu, bevor sie wieder verschwand. Ein leiser ABBA-Song schlich sich durch das Café, durchbrochen vom Stimmenwirrwarr der Gäste.
„Was ist Die Bloom-Affäre
?“, wollte Brian wissen.
„Eine längere Geschichte. Unwichtig.“ Audrey winkte ab.
„Okay, verstehe.“ Er schien ein wenig enttäuscht, wenn nicht gar frustriert.
„Vielleicht erzähle ich es dir irgendwann mal“, sagte sie daher.
Er presste die Lippen aufeinander und nickte. Nachdenklich begann er, in dem schaumigen Cappuccino zu rühren.
„Und bei dir? Alles okay?“ Eigentlich eine dumme Frage.
Brian wiegte den Kopf hin und her. „Warren Lee scheint mich hinauskicken zu wollen.“
Audrey, die gerade an ihrem Cappuccino nippte, verschluckte sich beinahe. „Was? Bist du dir sicher?“
„Du hast recht, Audrey.“
„Mit was?“
„Wir sollten nicht über Probleme reden. Für gewöhnlich halten die meisten Freundschaften und Beziehungen dann länger. Jeder trägt sein Säckchen allein und kümmert sich selbst um die faulen Kartoffeln darin.“
Das klang mehr als ironisch. „So war das vorhin nicht gemeint. Ich finde ja, Freundschaften und Beziehungen wachsen durch das gemeinsame Aussortieren von faulen Kartoffeln.“
Brians Blick bohrte sich in ihren, so klar war er. „Nicht böse sein, ist nicht mein Tag heute. War nicht so gemeint, du kennst mich ja kaum. Nur interessierst du mich. Als Mensch. Daher … ich meine, du sollst wissen, dass du wirklich mit jedem Problem zu mir kommen kannst.“
Sie lächelte warm. „Das ist lieb, Brian, danke. Dito.“
„Ich habe keine Geheimnisse. Ich finde, er schikaniert mich vor den anderen. Kann sein, dass er Angst hat, ich wolle seinen Posten übernehmen. Folder wollte mich schon einmal befördern und war eine ganze Weile nicht gut auf Lee zu sprechen. Warum, weiß ich nicht. Aber von Folder halte ich nicht mehr viel, seit er einen Rückzieher gemacht hat. Na ja.“
„Das mit Lee tut mir leid, und das mit der Beförderung.“
Brian seufzte. „Ja, mir ebenfalls.“
„Hast du Lee gegenüber deine Befürchtungen offen ausgesprochen?“
„Ja. Er tat es als lächerlich ab. Er sagte, er könne nichts dafür, wenn mich mein Geschmack im Stich lasse. Ja, ich finde, der Verlag sollte mal etwas wagen. Selbst völlig unbekannte Autoren mehr fördern anstatt welche, die schon einen Namen haben oder viele Follower in sozialen Netzwerken, berühmte Eltern oder Verwandte und Bekannte. Er hat alle Manuskripte abgelehnt, die ich in den letzten Wochen eingesehen und für gut befunden habe. Sie sind nicht mal eine Diskussion wert für ihn. Das ist unprofessionell, wenn du mich fragst.“
„Seltsam, normalerweise lässt Lee immer mit sich reden.“
„Offensichtlich nicht. Aber lassen wir das Thema. Die Pause ist bald vorbei, und jetzt haben wir doch nur über Probleme geredet, wenn auch nur über meine. Wer weiß, vielleicht überlegt es sich Lee anders.“
„Ich bin mir sicher, du hast ein gutes Gespür für Talente.“
„Allerdings. Manchmal erinnert mich Lee an meinen Vater.“ Brian trank von seinem Cappuccino und sah sie über den Rand der Tasse an, was sie ganz verlegen machte.
Der Regen riss auch am Abend nicht ab. Brian hatte sie den restlichen Arbeitstag über nicht mehr zu Gesicht bekommen und machte sich gleich nach Feierabend auf den Heimweg. Ihre Mutter saß am Kamin und beobachtete die Flammen, die um die Holzscheite züngelten und eine wohlige Wärme verbreiteten. Audrey ging neben ihr in die Knie und blickte lächelnd zu ihr auf. Dabei bemerkte sie den Schal, den ihre Mutter gestrickt hatte. Er lag in ihrem Schoß.
Sie berührte Audreys Hände, die auf der Lehne des Sessels ruhten. „Der Schal ist heute fertig geworden.“
Audrey streckte die Finger aus und ließ sie über die weiche Wolle fahren. „Wunderschön.“
„Ich habe mir neue Wolle eingepackt.“ Plötzlich schimmerten Tränen in den Augen ihrer Mom. „Ach, Kind, du wirst mir fehlen.“
Audrey erhob sich und umarmte ihre Mutter. „Wir schaffen das. Gemeinsam. Wir telefonieren oft und …“
„Alles gut. Mich machen Abschiede nur sentimental.“
Und wie viel Angst sie seit Dads Tod davor hatte, durchfuhr es Audrey.
Ihre Mutter sah sie eindringlich an. „Pass auf dich auf.“
„Das mache ich, Mom. Und falls etwas ist, gebe ich Grace Bescheid. Sie hat den schwarzen Gürtel.“
„Stimmt.“ Ihre Mutter lachte. Grace machte seit ihrer Kindheit Karate und hatte sogar zwei Wettbewerbe gewonnen, wollte den Kampfsport aber nicht weiter professionell betreiben.
Ihre Mutter legte ihr den Schal um.
Sie drückte ihn an sich. „Danke, Mom.“
„Danke dir. Wie war die Arbeit? Hast du Brian wiedergesehen?“
Augenblicklich stieg Audrey Hitze in die Wangen, was ihrer Mutter nicht entging. Zum Glück sagte sie nichts, sondern lächelte nur in sich hinein.
„Wenn ich zurück bin, wiederholen wir das Kennenlernen. Dann wird alles anders, versprochen!“
Nun lächelte auch Audrey. „Ich freue mich schon.“
***
„Nichts! So ein … Halt, Moment.“ Audrey ließ die Computermaus ihres Vaters ruhen, sodass der Cursor auf einer Unterdatei verharrte, die den Namen SE
trug.
„SE
wie Scott Emery?“ Sie öffnete die Datei mit einem Klick. Nachdem ihre Mutter zu Bett gegangen war, hatte sie sich in das Arbeitszimmer ihres Vaters geschlichen. Ihr Herz begann, gegen die Rippen zu hämmern, als sich auf dem Bildschirm ein Brief öffnete, der von einer Detektei stammte.
„Volltreffer“, murmelte Audrey Laut Briefkopf mit der geschwungenen grünen Schrift stammte das Schreiben von einem Privatdetektiv namens Lance Miller aus Indianapolis.
Sehr geehrter Mr. Richards,
leider haben mich meine umfangreichen Recherchen nicht weitergebracht. Scott Emery, zuletzt wohnhaft in Port Clinton, Ohio, ist laut den Nachbarn unbekannt verzogen. Und das schon vor über einem Jahr. Bis dato wohnte er im Haus seiner Eltern an der Bricklane in der Nähe des Lake Erie (Fotos siehe Anhang). Seine Eltern sind vor drei Jahren bei einem Autounfall auf einem Highway ums Leben gekommen. Emery hat das Haus verkauft. Mr. und Mrs. Silver haben mir Zutritt gewährt. Aber Emery hat keine auffälligen Spuren hinterlassen. Er hat anscheinend niemandem gesagt, wo er hinziehen wird. Oder keiner, den ich befragt habe, wollte es mir sagen. Ich hoffe, da der letzte Brief schon eine Weile zurückliegt, dass er nun aufgegeben hat. Anscheinend wollte er einen absoluten Neubeginn machen und die Vergangenheit hinter sich lassen. Und damit auch die Gedanken an Sie. Ich kann natürlich weiter nachforschen, wenn Sie das wünschen. Rufen Sie mich diesbezüglich an oder kommen Sie vorbei.
Mit besten den Grüßen
Lance Miller
Audrey klickte aufgeregt auf den Foto-Ordner. Dort waren mehrere Aufnahmen zu finden, auf denen aus verschiedenen Perspektiven ein schlichtes weißes Bretterhaus mit vorderseitiger Veranda zu sehen war. Umgeben wurde das Haus von einem Garten mit Einfahrt und Carport. Ein weiteres Bild zeigte Scott Emery. Miller hatte dazu vermerkt, dass es vor sechs Jahren auf einer privaten Feier aufgenommen worden war. Audrey zoomte das Foto größer. Emery war ein sportlich aussehender junger Mann mit welligem, kurzem schwarzem Haar, tief liegenden dunkelgrünen Augen und markanten Zügen. Lässig saß er auf einem Baumstamm. Das weiße Hemd trug er offen über seinem braun gebrannten Oberkörper. Auf seinen Hüften saß eine eng anliegende Darkblue-Jeans. Grace würde ihn mit Sicherheit „heiß“ finden. Seine Brauen hatten die Form von geschwungenen Halbmonden. Nicht zu dick, nicht zu dünn. An seinem Hals besaß er ein ovales Muttermal. Ein Mann, der ihrem Vater offenbar große Angst gemacht hatte. Auf dem Foto wirkte er smart und sein Lächeln sympathisch. Seine Augen leuchteten. Vielleicht lag es an der Person hinter der Kamera.
„Wer bist du wirklich?“, fragte Audrey, als könnte er sie hören und ihr antworten. Sie druckte Foto und Brief aus, steckte beides in ein Kuvert und suchte anschließend im Internet nach der Homepage des Detektivs.
„Seltsam, kein Eintrag.“
Die angegebene Adresse schien es nicht mehr zu geben.
Obwohl es schon nach neun Uhr abends war, wählte sie Millers Nummer. Sekunden später meldete sich eine Frauenstimme, die verschlafen klang.
„Bei Miller.“
„Mrs. Miller?“
Kurze Pause. Dann ein seufzendes „Ja“.
Audrey presste das Handy dichter ans Ohr, da es in der Leitung rauschte. „Entschuldigen Sie die späte Störung. Ich wollte Ihren Mann nur etwas fragen.“
Wieder eine Pause, diesmal länger.
„Lance? Das geht nicht.“
Audrey schluckte trocken. „Warum? Es ist nur …“
„Hören Sie, mein Mann ist vor zweieinhalb Jahren gestorben. Bei einem Autounfall.“
Mit dieser Nachricht hatte Audrey nicht gerechnet. „Das … das tut mir leid.“
„Mir ebenfalls. Guten Abend.“
Nach diesen Worten legte Mrs. Miller auf. Was hätte sie auch sagen sollen?
Audrey ließ das Telefon geschockt sinken. Vor zweieinhalb Jahren, schoss es ihr durch den Kopf. Das war kurz nachdem ihr Vater ums Leben gekommen war. Zufall? Aufgewühlt massierte sich Audrey die Schläfen. Dann schaltete sie den Computer aus, nahm das Kuvert und packte es zusammen mit den Briefen von Scott und Mr. X in eine alte Schachtel. Die Pistole legte sie an ihren Platz zurück. Danach verzog sie sich in ihr Zimmer.
Dort besah sie sich noch einmal das Foto von Emery und Millers Brief. Das ungute Gefühl in ihr wuchs. Es lief in sämtliche Richtungen, dennoch konnte sie keine bestimmte ausmachen. Sie glaubte nur, sicher zu wissen, dass es da einiges gab, das im Zusammenhang mit dem Tod ihres Vaters vertuscht wurde.
Eine Weile später fiel ihr Blick auf Im Nebel der Intrigen
. Der Titel passte perfekt zu ihrem jetzigen Leben. Ihr war, als würde ihr eine innere Stimme sagen, sie sollte weitersuchen. Doch je länger sie nachdachte, desto wirrer wurden ihre Gedankengänge. Irgendwann fiel sie in einen unruhigen Schlaf. Sie träumte wieder von jenem Tag, an dem ihr Vater angeblich in diesem Hotel ums Leben gekommen war und sie nicht rechtzeitig für ihn hatte da sein können. Der Traum endete wie jedes Mal. In purem Entsetzen.