Kapitel dreiundzwanzig

Der Mann hinter der Maske

Ich habe nichts getan«, sagte der schmalgesichtige Mann hinter der Maske.

»Und ob«, blaffte Shanti. »Ich verhafte Sie wegen des dringenden Verdachts, einen Mord begangen zu haben. Sie haben das Recht zu schweigen …«

»Krass«, sagte eine der latexbekleideten Cabaret-Tänzerinnen. »Coole Nummer.«

Ein Knie fest auf die Brust des Mannes gedrückt, zog Shanti ihr Handy aus der Tasche. »Benno, ich bin im … Entschuldigung? Wo zum Teufel bin ich eigentlich?«

»Shangri-La!«, rief eine Frau aus dem Publikum.

»Früher mal Lost Vagueness«, ergänzte ein anderer.

»Auf dem Shangri-La-Areal, Benno. In einer Bar namens …?«

»PugUgly!«, brüllte das Publikum unisono.

»In einer Bar namens PugUgly. Komm her, so schnell du kannst. Ich habe unseren Mann. Ach, bring Caine mit, falls du ihn findest. Hier gibt es eine Krankenstation, sollte er gern ein Nickerchen machen wollen.«

 

Als Benno, Caine und ein kleines Team mit dem Geländewagen eintrafen, hatte Shanti den Mann bereits draußen gegen eine Wellblechwand gedrückt. Der Regen ließ langsam nach.

Caine stieg aus. Er sah erschöpft aus und war völlig durchweicht. Sein Gesicht und seine Haare waren schlammverschmiert.

»Es tut mir leid, Shanti. Er ist mir entwischt. Wie haben Sie …?«

»Tja, ich war eben zur rechten Zeit am rechten Ort. Und nun zu Ihnen, Sir: Würden Sie meinen Kollegen bitte mitteilen, was Sie mir gesagt haben?«

Sie schob den Verdächtigen zu Benno hinüber, der ihn fest am Arm fasste. Der Mann hinter der Maske war dunkelhäutig, unrasiert, Ende zwanzig und hatte einen goldenen Schneidezahn.

»Wie ich schon sagte: Ich habe nichts getan.«

»Sie sind in einen Laden eingebrochen und haben dieses Kostüm gestohlen.«

»Nein. Habe ich nicht.«

»Fangen wir doch mal von vorn an«, schlug Benno vor. »Wie heißen Sie, Sir?«

»Ben.«

»Und der Nachname?«

»Ben Dunnit.«

»Woher haben Sie das Kostüm, Mr. Dunnit?«

»Das habe ich schon Ihrer Kollegin zu erklären versucht – ich habe ein Ticket für das Festival und habe nichts Unrechtes getan. Ich bin per Anhalter von Newcastle gekommen, aber ich habe länger gebraucht als geplant, deshalb bin ich erst seit heute Morgen hier.«

»Das Kostüm?«

»Das war doch nur ein Scherz … ich habe es doch noch gar nicht lange.«

»Was soll das heißen – Sie haben es noch gar nicht lange?«

»Ich … Na gut, ich habe doch etwas Unrechtes getan: Ich habe ein Fahrrad geklaut.«

»Sie haben ein Fahrrad geklaut?«

»Hören Sie, ich habe fast zwei Tage gebraucht, um hierherzukommen. Die letzte Nacht habe ich an einer Tankstelle geschlafen. Ich war völlig gerädert, als ich hier eintraf, und dann wimmelte es nur so von Cops. Ich bin in einen Pub gegangen und habe mir ein paar Drinks genehmigt. Alle hatten nur ein Thema – Sie wissen schon, Ethan Flynn. Anscheinend war ich der letzte Mensch auf diesem Planeten, der von seinem Tod erfuhr. Als ich den Pub verließ, war ich ziemlich angeschlagen. Ich bin eine Straße in Richtung Festival entlanggeschlendert und musste dringend pinkeln, aber es waren ja überall Polizisten, also hab ich mich in die Büsche geschlagen. Und da hab ich das Fahrrad entdeckt. Es lag im Gestrüpp. Ich hab es herausgeholt und bin das letzte Stück zum Festival geradelt – die ganze Strecke bergab.«

»Nur damit wir das richtig verstehen – Sie sind von Newcastle zum Festival getrampt …«

»Was fast zwei Tage gedauert hat.«

»Dann sind Sie auf ein paar Drinks in ein Pub eingekehrt. Als sie wieder herauskamen, sind Sie in die Büsche gegangen und haben ein besitzerloses Fahrrad entdeckt.«

»Es war nicht einmal abgeschlossen.«

»Also haben Sie entschieden, mit diesem Fahrrad zum Haupteingang zu fahren.«

»Dort habe ich mein Ticket vorgezeigt, aber man wollte mich mit dem Fahrrad nicht reinlassen. Ich sollte es bei den anderen Fahrrädern und Motorrädern auf dem Parkplatz abstellen.«

»Und was ist nun mit dem Kostüm?«

»Das steckte in einer Tüte in einer Gepäcktasche. Ich dachte, es wäre dumm, wenn ich nicht mal einen Blick hineinwerfe, aber außer dem Mantel, der Maske und dem Skelettanzug waren nur noch ein paar Werkzeuge in den Taschen. Super Qualität, das sah man gleich.«

»Sie haben das Kostüm also angezogen und damit das Festivalgelände betreten.«

»Das war bloß ein Scherz.«

»Wo ist das Werkzeug?«

»Noch in der Gepäcktasche, soweit ich weiß.«

»Was ist dann passiert?«

»Nichts. Ich habe mir gerade den Auftritt von Lil Bisto angesehen, als dieser Scherzkeks hier versucht hat, mich zu schnappen …« Er deutete anklagend mit dem Finger auf Dunster. »Es ist mir gelungen, abzuhauen. Aber dann hat der da die Verfolgung aufgenommen …« Der Finger schweifte weiter zu Caine. »Ist mir meilenweit hinterhergerannt, bis ich in einer Schlammpfütze gelandet bin. Sehen Sie nur, wie ich ausschaue

»Warum sind Sie abgehauen, wenn Sie nichts Falsches getan haben?«

»Ich hab’s doch gerade zugegeben: Ich habe ein Fahrrad geklaut.«

»Und wir finden das Fahrrad auf dem Parkplatz, oder?«

»Es sei denn, jemand anders hat es sich unter den Nagel gerissen.«

»Also gut, Mr. Dunnit«, sagte Shanti. »Sie haben für jede Menge Ärger gesorgt und Sie haben die Polizei wertvolle Zeit gekostet. Steigen Sie jetzt bitte ein, wir müssen Ihre Aussage aufnehmen, und zwar bis ins kleinste Detail. Ich will genau wissen, wo Sie das Fahrrad gefunden haben, außerdem wäre es gut, wenn jemand Ihre Story bestätigen könnte. Wenn das, was Sie behaupten, der Wahrheit entspricht, dürfte es nicht länger als ein, zwei Stunden dauern.«

»Ach, kommen Sie«, jammerte Dunnit. »Heute Abend tritt Ulalla Strump auf. Die ist echt geil …«