Kapitel achtundzwanzig
Es war wirklich viele Jahre her, dass Caine zum letzten Mal Motorrad gefahren war. An die Yamaha WR250R, die Molly ihm geliehen hatte, musste er sich erst gewöhnen.
»Das ist eine Wahnsinnsmaschine«, hatte sie gesagt. »Großartig nicht nur auf der Straße, sondern auch offroad. Der Motor hält echt was aus.«
Caine schlängelte sich vorsichtig durch die schmale Lücke zwischen den beiden Fahrspuren, doch als der Verkehr nach ein paar Meilen weniger wurde, bekam er den Dreh raus. Er gab Gas, spürte die Wirkung der G-Kräfte auf seinen Körper und den Wind, der sein Baumwollshirt zum Flattern brachte.
Unter seinem Helm lauschte er dem Dröhnen des Motors, doch er hörte noch etwas anderes – einen Song beziehungsweise eine ganz bestimmte Strophe, die ihm in einer Art Endlosschleife durch den Kopf ging:
Sleepy creature of the sacred dome
Spread your wings, it’s time to fly from home
Between us lies the ever-breathing sea
Big waves crying – our love can never be
Nach einer Weile gelangte er in ein Überschwemmungsgebiet. Auf schilfbestandenen Inseln, umgeben von mit Wasser vollgesogenen Deichen, grasten ein paar einsame Kühe. Auf der anderen Straßenseite fiel ihm etwas Interessantes ins Auge. Er drosselte das Tempo, überquerte die Fahrbahn und lenkte das Motorrad auf den grasbewachsenen Seitenstreifen. Dann stellte er die Füße auf den Boden, schaltete den Motor ab und nahm den Helm vom Kopf.
An der Böschung oberhalb eines schlammigen Entwässerungskanals stand ein Schild mit der Aufschrift: Kilton heißt vorsichtige Autofahrer willkommen. Das Ungewöhnliche daran war ein riesiger Strauß übergroßer Metallrosen, die kunstvoll um die Stange geschlungen waren. Jeder überdimensionale Dorn und jedes überdimensionale Blütenblatt war mit roten Solarlichtern bestückt, die aussahen wie blutige Tränen. Ein verzweifeltes Gedenken an das Opfer eines Autounfalls.
Caine wollte die Fahrt gerade fortsetzen, als das Telefon in seiner Schultertasche zu klingeln begann. Als er es endlich herausgezogen hatte, hatte es schon wieder aufgehört. Und als er Shanti endlich erreichte, klang diese mehr als nur ein wenig selbstzufrieden.
»Tut mir leid, Caine, habe ich Sie beim Schweben gestört?«
»Ich stehe mit beiden Füßen fest auf dem Boden, Shanti. Ist alles okay?«
»Alles in Butter. Ich habe einen ereignisreichen Vormittag hinter mir, und Tyrone ist in U-Haft, und ich habe die mysteriöse Eve identifiziert. Es war nicht Ethans Oma, wie Sie törichterweise vermuteten.«
»Eve ist Ophelias Baby, stimmt’s?«
»Herrgott, Caine. Woher wissen Sie das denn schon wieder? Sie werden allerdings nie darauf kommen, wer der Vater ist …«
»Ich nehme an, es war Ethan.«
»Herrgott hoch zwei, Caine. Nun, wie dem auch sei: Ich habe mir diesen prätentiösen Songtext noch einmal vorgenommen, und ich muss zugeben, dass er jetzt etwas mehr Sinn ergibt. Die heilige Kuppel und das Ganze.«
»Ja, es ist schon ein wenig unheimlich, wenn man genauer darüber nachdenkt – ein Liebeslied von einem toten Vater an seine ungeborene Tochter … Between us lies the ever-breathing sea …«
»Was meint er damit?«
»Das Leben, nehme ich an.«
»Richtig.«
»Ich hatte die Melodie die ganze Zeit über im Kopf. Sie ist betörend schön.«
»Sie müssen mir versprechen, dass Sie sie mir nicht vorsingen. Weder jetzt noch sonst irgendwann.«
»Pfadfinderehrenwort.«
»So oder so, der Fall nimmt Stück für Stück Gestalt an. Ich bin jetzt fertig in der Villa del Flynn und mache mich gleich auf den Weg zur Unworthy Farm, um meinen Sonntagsbraten zu genießen. Den habe ich mir verdient. Primrose reicht dazu gebratene Pastinaken, eines meiner Lieblingsgerichte. Wo sind Sie eigentlich?«
»Oh, ich bin unterwegs, um ein paar lose Fäden in Kilton zu verknüpfen. Es sollte nicht lange dauern.«
»Hm. Ach, Caine? Ich habe den Eindruck, dass ich diese Woche ein bisschen gemein zu Ihnen war, deshalb habe ich mir für heute Abend einen besonderen Leckerbissen ausgedacht … Nichts zu danken, gern geschehen. Bis später!«
»Shanti? Shanti …?«
Caine setzte seinen Helm wieder auf und trat die Maschine an. Nach ein paar Meilen gelangte er an eine gut versteckte Abzweigung auf der rechten Seite und lenkte das Motorrad auf eine mit tiefen Schlaglöchern übersäte einspurige Zufahrt – genau wie Molly es beschrieben hatte.
»Der Ort, nach dem Sie suchen, liegt am Ende der Strecke zwischen den Bäumen«, hatte sie gesagt. »Es ist ein magischer Ort. Ich kenne ihn ziemlich gut, weil dort in der Nähe eine Motocross-Strecke entlangführt.«
»Das ist ausgesprochen hilfreich, Molly.«
»Gern. Ich kann nicht garantieren, dass er heute da ist, aber dort hängt er immer ab, wenn er einen freien Moment hat. Nicht dass er irgendwelche Fortschritte machen würde.«
Caine holperte etwa eine halbe Meile die ausgefahrene Zufahrt entlang, wobei ihm nicht entging, wie mühelos das Motorrad mit dem unebenen Boden klarkam. Endlich erreichte er die grasbewachsene, von Birken umstandene Lichtung – wieder genau so, wie von Molly beschrieben. Und da war er plötzlich, der unfertige Rohbau eines Hauses auf einer kleinen Anhöhe.
Es war klar, dass hier schon lange nicht mehr gearbeitet wurde. Der spitzgiebelige Dachstuhl auf den rechteckig angeordneten Holzwänden war voller Moos und Flechten. Caine sah die leeren Fensterrahmen. Einen verrosteten Zementmischer. Eine einsame Schubkarre.
Er stellte den Motor ab und parkte die Yamaha neben einem roten Quad.
In der Mitte des skelettartigen Hauses stand ein Stapel Betonblöcke. Und auf diesem Stapel saß eine einsame Gestalt mit einem Wust blonder Locken.
»Molly?«, fragte die Gestalt.
Als Caines Kopf unter dem Helm zum Vorschein kam, zuckte Blackmore überrascht zusammen.
»Keine Sorge, Gavin, es ist alles okay. Molly hat mir das Motorrad geliehen. Sie hat mir gesagt, dass ich Sie hier finde.«
Caine hängte den Helm an den Lenker und ging die Anhöhe hinauf. Jetzt, da er nicht länger das Dröhnen der Maschine in den Ohren hatte, senkte sich die wohltuende Stille auf ihn herab wie eine weiche Decke. Auch die Vögel in den Bäumen fingen einer nach dem anderen wieder an zu zwitschern.
Auf der obersten der halb fertigen Stufen blieb er stehen, die Hände gegen den leeren Türrahmen gestützt.
»Darf ich reinkommen?«
»Lassen Sie sich nicht aufhalten. Jeder kommt hier rein. Die Kids aus dem Dorf und alle möglichen Wildtiere.«
»Das ist Ihr Haus, Gavin. Ich würde es nicht ungebeten betreten.«
»Sie sind von der Polizei, oder?«, fragte Blackmore.
Caine ging über den Zementboden, auf dem große Pfützen standen. In ihnen spiegelten sich die am Himmel ziehenden Wolken.
»Sonntag ist normalerweise mein freier Tag«, sagte er und setzte sich neben den trauernden Mann. »Ich verrate Ihnen ein Geheimnis – ich bin sowieso nur ein halber Polizist.«
»Was soll das heißen?«
»Das soll heißen, dass ich mir manchmal wünschte, ich könnte etwas anderes mit meiner Zeit anfangen. Vielleicht etwas Praktisches tun, so wie Sie hier.«
»Ich habe seit Jahren keinen Stein mehr in die Hand genommen.«
Caine öffnete seinen Leinenbeutel und zog eine Thermoskanne und zwei Becher heraus, die er auf die Betonblöcke zwischen sie beide stellte.
»Möchten Sie einen Tee?«
»Nein, danke. Sie sind wirklich in Ordnung.«
»Ich schenke Ihnen auch eine Tasse ein, nur für den Fall, dass Sie es sich anders überlegen. Das hier ist ein nettes Fleckchen, Gavin.«
»Hierher komme ich, um nachzudenken.«
»Das kann ich verstehen. Es tut mir leid, dass ich Sie störe.«
»Was tun Sie dann hier?«
»Ich glaube, wir haben etwas gefunden, das Ihnen gehört, und ich möchte es Ihnen gern zurückgeben.«
Gavin lehnte sich ein kleines Stück nach hinten. »Was haben Sie denn gefunden?«
»Das sage ich Ihnen gleich. Kein Grund zur Eile. Zunächst möchte ich Sie etwas fragen. Auf dem Weg hierher ist mir etwas aufgefallen … etwas Schönes und gleichzeitig Trauriges. Ist das Caroles Gedenkstätte, diese Metallrosen am Straßenrand? Es tut mir leid – ich möchte Sie nicht aufregen.«
»Woher wissen Sie das alles?«, fragte er. In seine Augen traten Tränen.
»Primrose und Vowles haben mir davon erzählt. Sie haben mir ein Foto von Ihnen allen zusammen gezeigt. Carole war eine Schönheit, Gavin.«
Eine dicke Träne rollte über Blackmores Wange. »Das hier sollte unser Zuhause werden.«
»Ich weiß«, sagte Caine leise und reichte ihm einen Becher Tee.
Auf Caines Becher stand: Buddhist des Jahres.
Der Spruch auf Gavins Becher lautete: Drei Dinge bleiben nicht lange verborgen – die Sonne, der Mond und die Wahrheit.
Caine trank bedächtig seinen Tee und erinnerte sich an einen anderen Wald, vor langer Zeit und weit, weit entfernt. Der alte Tu hatte über die unterschiedliche Art und Weise gesprochen, auf die die Menschen die Stille wahrnahmen. »Für den einen mag die Stille wie die Gesellschaft eines alten Freundes erscheinen. Für den anderen bedeutet sie eine quälende Ewigkeit. Manch einer fühlt sich vielleicht einsam. Nervös. Verängstigt. Doch es ist derselbe Wald. Dieselbe Stille. Nur der Geist unterscheidet sich. Nur das Bewusstsein.«
Und so kam es, dass Caine friedlich dasaß und wartete, während Blackmore unruhig hin und her rutschte und litt.
Endlich sagte er: »Warum sitzen wir hier eigentlich? Sie sagen ja gar nichts. Das macht mich verrückt.«
»Ich genieße den Augenblick. War das ein Specht? Ein kurzes Aufleuchten von Rot und Grün. Ich nehme an, das hier ist ein idealer Lebensraum.«
»Was wollen Sie von mir?«
»Vowles hat mir erzählt, dass er Ihr Vormund war. Er habe sich um Sie gekümmert, als Sie jung waren.«
»Gekümmert?«, fragte Blackmore gereizt. »Er hat mich kontrolliert!«
»Inwiefern, Gavin?«
»Nein, das möchte ich nicht sagen. Ich habe schon zu viel gesagt.«
Wieder senkte sich Stille auf die beiden herab. Wieder rutschte Blackmore unruhig hin und her. Nervös. Aufgewühlt. Gepeinigt. Und wieder wartete Caine.
»Ich habe meine gesamte Kindheit unter seinem Dach verbracht. Auf seinem Hof. Musste mich seinen Regeln beugen.«
»Aber Sie sind zum Studieren fortgegangen.«
»Das ist richtig. Als ich achtzehn war, habe ich einen Studienplatz am Exeter College bekommen. Das war eine neue Welt. Ich habe gesehen, was andere Leute in meinem Alter machten. Ich habe einen Beruf erlernt. Und das Beste von allem: Ich bin Carole begegnet. Wir sind zusammen gereist, quer durch die Welt; ich habe Orte gesehen, von denen ich nicht mal geträumt hatte.«
Bei diesen Worten brachen sich die Tränen Bahn. Caine legte sanft eine Hand auf seinen Arm.
»Wohin sind Sie gereist?«
»Neuseeland, Australien, Indonesien – an alle möglichen Orte …«
»Thailand?«
»Ja, auch dorthin. Als wir zurückkamen, hatten sich mir die Augen geöffnet. Wir fingen an zu sparen und kauften schließlich dieses Grundstück. Wir wollten eine Familie gründen …« Er fing an zu schluchzen.
»Vowles hat mir erzählt, was Carole zugestoßen ist. Es tut mir aufrichtig leid.«
»Das hat er getan? Das hat er wirklich getan? Was hat er gesagt?«
»Er hat über die Nacht gesprochen, in der Sie sich verlobt haben. Er sagte, Carole sei in ihren Wagen gestiegen, obwohl sie zu viel getrunken hatte. Und dann sei sie in den Entwässerungskanal gefahren. Er habe noch versucht, sie zu retten, doch es war zu spät.«
Gavin sprang auf. »Er kann doch nicht Carole die Schuld dafür zuschieben!«
»Dann erzählen Sie mir, was wirklich passiert ist.«
Gavin ging mit großen Schritten in dem Haus ohne Dach auf und ab.
»Das geht nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil Sie von der Polizei sind.«
»Aber ich bin auch ein Mensch. Ich möchte Ihnen helfen.«
»Dann versprechen Sie mir, es niemandem weiterzusagen.«
»Das Versprechen kann ich Ihnen nicht geben, Gavin. Aber ein weiserer Mann als ich hat einst gesagt: ›Die Wahrheit befreit.‹«
»Vielleicht. Und vielleicht bringt sie mich auch ins Gefängnis. Obwohl mir das auch schon egal ist. Ich halte es einfach nicht mehr aus. Ich werde noch wahnsinnig! Ich … ich habe am Steuer gesessen. Wir hatten beide zu viel getrunken, aber ich dachte, ich hätte noch alles unter Kontrolle. Ich habe mich nie so selbstsicher gefühlt wie in jener Nacht, nachdem sie mir gesagt hatte, sie würde mich heiraten. Ich wollte sie zu ihren Eltern bringen. Ich war ein guter Fahrer. Ich war überzeugt, dass ich fahren konnte, und es war ja nicht weit. Ich habe die Kontrolle über das Auto verloren, ich bin in den vollen Kanal gerast …«
Als der stille Mann einmal zu reden begonnen hatte, konnte er nicht wieder aufhören.
»Ich nehme an, ich war bewusstlos … ich kann mich nicht erinnern. Das Wasser hat mich geweckt. Es war eiskalt. Meine Beine waren taub. Ich habe zum Beifahrersitz geschaut, aber alles, was ich sehen konnte, war ihr Scheitel. Ihre Haare, die im Wasser trieben. Es war zu spät. Sie war vom Sitz gerutscht, unter die Wasseroberfläche geraten und ertrunken. Ich habe sie umgebracht.«
»Dann war Vowles gar nicht dort?«
»O doch, das war er. Er war draußen mit dem Hund unterwegs. Er hat mich aus dem Wrack gezogen. Ich war am Boden zerstört. Habe auf der Straße getobt und geschrien, ich wolle die Polizei holen, aber Vowles hat mich davon abgehalten und behauptet, ich sei ein gottverdammter Narr. Das Erste, was die Polizei tun würde, wäre einen Alkoholtest vornehmen, und dann würde ich jahrelang im Gefängnis vor mich hin modern. Er hat mich überzeugt, dass es eine andere Möglichkeit geben würde: Wir sollten sie einfach auf den Fahrersitz ziehen, damit es so aussah, als sei sie gefahren – allein. Nie wieder im Leben ist mir irgendetwas so schwergefallen. Wir haben ihren toten Körper auf die andere Seite gezogen und sogar ihre Hände ans Lenkrad gelegt. Ich hätte dem niemals zustimmen dürfen. Seitdem habe ich meine Entscheidung bereut, und zwar jede einzelne Minute. Deshalb komme ich hierher. Um hier zu sitzen und mir auszumalen, was gewesen wäre, wenn.«
»Sie haben mein volles Mitgefühl, Gavin«, sagte Caine, schraubte den Deckel auf die Thermoskanne und verstaute sie zusammen mit den Bechern in seinem Beutel.
»Anschließend hatte mich Vowles noch mehr in der Hand. Er hat mir Arbeit gegeben, aber ich stand auf ewig in seiner Schuld. Ich musste ihm Miete bezahlen, und er hat mich nie vergessen lassen, was ich getan hatte. Wenn ich wagte, mich gegen ihn aufzulehnen, hat er gedroht, die Polizei zu rufen und Caroles Familie alles zu verraten.«
»Ist Ihnen denn nie der Gedanke gekommen, dass sich auch Vowles strafbar gemacht hat?«
»Wie meinen Sie das?«
»Er hat die Polizei belogen. Auch er hat gegen das Gesetz verstoßen. Er hat einen Todesfall verschleiert.«
Gavin starrte durch den offenen Dachstuhl in die Bäume. Und dann schien es klick zu machen.
»All die Jahre!«, tobte er. »All die beschissenen Jahre!«
»Sie waren jung. Er war ihr Vormund. Seien Sie nicht zu hart sich selbst gegenüber. Er hat Sie ausgenutzt.«
»Ich dachte, Carole zu verlieren, sei das Schlimmste gewesen, was mir jemals passieren konnte. Wer hätte gedacht, dass die Hölle so viele Facetten hat?«
Er ging noch immer auf und ab und raufte sich die blonden Locken. Dann blieb er plötzlich stehen und starrte Caine mit weit aufgerissenen Augen an.
»Sie sagten, Sie hätten etwas von mir gefunden, das Sie mir zurückgeben wollten.«
»Wir haben Ihr Fahrrad entdeckt. Das schwarze mit der Gepäcktasche.«
Sein Gesicht verzog sich und spiegelte in einer Art Schnelldurchlauf eine Vielzahl von Emotionen wider. Verwirrung. Begreifen. Ungläubigkeit. Angst. Und dann … Zorn.
»Den … schnappe … ich … mir …«, murmelte er mit zusammengebissenen Zähnen.
Noch bevor Caine von den Betonblöcken springen konnte, war Blackmore schon durch die nicht existente Wand gestürmt und rannte die Anhöhe hinunter. Er schwang sich auf sein Quad und ließ den Motor an. Binnen Sekunden donnerte das rote Gefährt davon.
Caine setzte ihm nach, stürzte zu der Yamaha und trat die Maschine an. Er gab so viel Gas, dass das Vorderrad vom Boden abhob, dann nahm er die Verfolgung auf, einen hohen Bogen aus aufspritzendem Schlamm hinter sich herziehend.
Gavin preschte wie ein Irrer über die ausgefahrene, unbefestigte Zufahrt mit ihren zahlreichen Kurven und Buckeln und den dicken Schlammpfützen, den aus dem Boden ragenden Wurzeln und herabgefallenen Ästen, dann ließ er den Wald hinter sich und donnerte durch ein offen stehendes Tor und weiter über die Felder.
Das Quad war wie geschaffen für dieses Gelände, und Blackmore war ein geübter Fahrer. Caine schlitterte auf Mollys Motorrad unsicher hinter ihm her und wäre in einer der engen Kurven beinahe gestürzt. Als er auf das Feld gelangte, spürte er, wie unter ihm die Reifen durchdrehten, und konzentrierte sich allein darauf, die Maschine aufrecht zu halten.
Blackmore, der vornübergebeugt auf dem Quad stand, war ihm inzwischen eine gute Viertelmeile voraus. Ohne Helm fühlte sich Caine gefährlich verletzlich, aber ihm blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. Keine Zeit, anzuhalten. Alles, was er tun konnte, war, dem aggressiven roten Punkt in der Ferne zu folgen, der über ein ansteigendes Feld auf ein weiteres Tor zuraste.
Dieses Tor war geschlossen, doch es dauerte nur ein paar Sekunden, bis Gavin abgesprungen war und es aufgeschoben hatte. Dann preschte er auch schon weiter auf das nächste Feld, wo er eine Schafherde aufschreckte und in sämtliche Richtungen versprengte.
Mit wehenden Haaren setzte Caine die Jagd fort, so schnell es das Motorrad erlaubte – eine Geschwindigkeit, die weit höher war, als seine Nerven ertragen konnten. Er warf einen Blick auf den Tachometer und sah die Nadel, die auf vierzig … fünfundvierzig … und schließlich auf über fünfzig Meilen pro Stunde hochschnellte. Am Ende des Felds angekommen, richtete er sich zu voller Größe auf, sodass er das Quad sehen konnte, das auf eine Ansammlung von Gebäuden in der Ferne zuschoss.
»Die Unworthy Farm«, murmelte er.
Er bremste kurz ab, gerade lange genug, um sich die Schlammspritzer aus den Augen zu wischen, dann gab er wieder Gas. Doch als er auf das angrenzende Feld raste, rannten die entsetzten Schafe in blinder Panik auf ihn zu. Plötzlich war er von der kopflos umherspringenden Herde umgeben. Caine versuchte auszuweichen, zog die Bremse und berührte mit dem Oberkörper den Sitz, bevor er in die Höhe schnellte und majestätisch über den Lenker flog. Das fahrerlose Motorrad schlingerte in einen Graben, während sich Vincent Caine crowdsurfend auf den wolligen Rücken der blökenden Schafe wiederfand.