Kapitel Fünfundzwanzig
W ir – wobei es sich dabei vor allem um die Jungs handelte – verbrachten noch eine Weile damit, miteinander zu diskutieren, uns gegenseitig zu drohen oder einander Verwünschungen entgegenzuschleudern, ehe wir gemeinsam in den Wagen einstiegen. Olly hatte natürlich darauf bestanden, sich uns anzuschließen, weil sie andernfalls keine ruhige Sekunde mehr haben und uns nur ständig mit Anrufen nerven würde.
Jackson war zwar alles andere als begeistert gewesen, hatte am Ende jedoch klein beigegeben und sich sogar Phoenix’ Bedingung gebeugt, dass der Schütze das Steuer übernahm. Offenbar besaß der Löwe keine Kraft mehr, sich ständig durchsetzen zu müssen.
Ich konnte es ihm nachfühlen und schämte mich ein wenig dafür, dass ich dazu beigetragen hatte.
Doch die Erleichterung, dass wir Phoenix gefunden hatten, überwog.
Das Motorrad auf der Ladefläche des Pick-ups gesichert, saß ich neben dem Schützen auf der Beifahrerseite, während Jackson und Olly mit Drake und unserem Gepäck im Fond Platz genommen hatten. Bis auf die Stier-Dame war niemand so wirklich mit der Sitzanordnung zufrieden, aber lieber ertrug ich Phoenix’ arrogantes Grinsen, das er mir beim Einstieg zugeworfen hatte, als kannte er den wahren Grund, weshalb ich mich wirklich auf seine Seite geschlagen hatte, anstatt mir mit Jackson die Rücksitzbank zu teilen.
Meinen Fokus auf die vorbeiziehende Landschaft gerichtet, blendete ich die angespannte Atmosphäre im Auto so gut es ging aus. Doch wirklich wohl fühlte ich mich erst, als gleichmäßige Atemzüge von der Rückbank erklangen. Jackson und Olly waren eingeschlafen.
Umgehend fiel ein Teil meiner Last von mir und ich kuschelte mich tiefer in meinen Sitz. Obwohl Jacksons Anziehung in Phoenix’ Gegenwart besser zu händeln war, war sie erst jetzt richtig verschwunden.
»Wenn du planst, die Gunst der Stunde auszunutzen und über mich herzufallen«, sagte Phoenix mit einem süffisanten Grinsen, »dann warne mich bitte vor, damit ich den Wagen rechts ranfahren kann. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mich nicht gleichzeitig aufs Autofahren und auf das Liebesspiel mit einer Frau konzentrieren kann.«
Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich begriff, was der Schütze meinte. Doch dann keimten in mir der Wunsch auf, vor Scham im Erdboden zu versinken und Phoenix gleichzeitig eine Ohrfeige zu verpassen.
Lachend widmete sich der Schütze wieder der Straße und Drake hüpfte von der Rückbank auf die Lehne meines Sitzes.
»Bevor ihr zwei euch die Kleider vom Leib reißt, lasst mich erst verschwinden. Lieber fliege ich den restlichen Weg nach Mexiko, als euch dabei zuzusehen, wie ihr –«
»Hier reißt niemand irgendwem die Kleider vom Leib«, unterbrach ich Drake, da ich auf keinen Fall erfahren wollte, wie weit seine Fantasie reichte.
»Und überhaupt«, widmete ich mich wieder Phoenix, »wäre der einzige Grund, dir nahe zu kommen, dass ich dir so leichter den Hals umdrehen kann. Ich meine, was hast du dir nur dabei gedacht, einfach so abzuhauen? Ohne Verstärkung!«
Drake rollte mit den Augen, während Phoenix die Geste mit einem Lachen kommentierte, das tief aus seinem Inneren zu kommen schien. Es klang dunkel, rau und irgendwie … sexy – was ich jedoch niemals laut zugeben würde.
»Erstens, die anderen schlafen, Lollipop. Du musst nicht länger so tun, als könntest du mich nicht leiden.« Um seine Mundwinkel zuckte es, was abermals dieses verdammte Grübchen zum Vorschein brachte. »Zweitens, wusste ich, dass du mir folgen würdest. Du kannst einfach nicht ohne mich.« Er zwinkerte mir zu. »Warum glaubst du wohl, habe ich mir extra viel Zeit gelassen, um meinen Reifen zu flicken? Ich wollte nicht, dass du noch vor Sorge um mich durchdrehst.«
Ich schluckte ein frustriertes Stöhnen herunter. Sein Ego war größer als der Mount Everest. Wie konnte ich nur ein für alle Mal klarmachen, dass der einzige Reiz, den Phoenix auf mich ausübte, Brechreiz war?
»Du bist wohl eher langsam darin, dir etwas zu merken, nicht wahr? Deswegen wiederhole ich es noch einmal ganz deutlich – damit du mitschreiben kannst: Ich stehe nicht auf dich, Phoenix! Nicht im Geringsten. Ich will nur verhindern, dass du Idiot dich Hals über Kopf von einer Lebensgefahr in die nächste begibst.«
»Und das willst du nicht, weil er dir wichtig ist«, warf Drake ein, was Phoenix erneut auflachen ließ. »Ja, wirklich, du gehst ihr total unter die Haut«, fügte er an den Schützen gerichtet hinzu. »Ich sehe so etwas sofort.«
»Drake!«, fauchte ich verärgert. »Auf wessen Seite stehst du eigentlich?«
»Auf der der Wahrheit«, sagte der Drache im Brustton der Überzeugung.
»Wenn das so ist«, knurrte ich. »Dann habe ich hier noch eine Wahrheit für dich: Wenn du nicht auf der Stelle aufhörst, dich in Gespräche einzumischen, die dich nichts angehen, dann binde ich dich draußen aufs Autodach und du kannst den Rest unserer Fahrt dort verbringen.«
»Das würdest du nicht tun! Oder?«, schob Drake angstvoll nach und sofort keimte in mir ein schlechtes Gewissen auf.
»An deiner Stelle würde ich es nicht darauf anlegen, Drache.« Phoenix grinste in unsere Richtung. »Unser Lollipop kann ganz schön unberechenbar sein. Immerhin ist sie freiwillig mit Ward ausgegangen.«
Drake schluckte sichtbar und senkte schmollend seine Schnauze zwischen die Pfoten. Das Bild war so niedlich, dass sich meine Mundwinkel ungewollt kräuselten. Um abzulenken, funkelte ich Phoenix wütend an. Es gefiel mir gar nicht, dass er und Drake sich so gut verstanden. Noch weniger gefiel mir jedoch, dass ich Phoenix nicht einmal einen Vorwurf machen konnte. Er wusste nicht, dass mein Schicksal mit dem seiner Schwester verknüpft war – aus seiner Perspektive gab es nicht viele Gründe für mich, ihn nach Mexiko zu begleiten. Dass ich auf ihn stand, war für sein Ego eine befriedigende Erklärung.
»Salicylsäure kann einem auch unter die Haut gehen«, konterte ich, wieder zur Windschutzscheibe gedreht. »Außerdem solltest du, Phoenix, mir lieber dafür danken, dass ich Jackson davon überzeugt habe, mit uns zu kommen.«
Umgehend erstarb seine Erheiterung, und zum ersten Mal, seit wir gemeinsam im Auto saßen, meinte ich, dem wahren Phoenix zu begegnen. Und dieser wirkte gar nicht so ätzend, wie ich anfangs geglaubt hatte.
»Das Traurige ist, dass du das wirklich glaubst, Lollipop. Aber es überrascht mich nicht, dass Ward dich trotz der Kürze eures Dates um den Finger gewickelt hat. Willensschwache Frauen zu hirnlosen Lemmingen zu machen, ist seine Spezialität.« Seine Stimme war beim Sprechen immer emotionsloser geworden, bis sie am Ende fast mechanisch klang. »Deswegen lass mich jetzt mal was klarstellen: Nicht jeder von uns fliegt dermaßen auf deinen Angebeteten wie du. Deswegen werde ich dir ganz bestimmt nicht vor Dankbarkeit die Füße küssen. Immerhin hast du mir genau die eine Person auf den Hals gehetzt, die als Letztes von meinem Vorhaben erfahren sollte.«
»Ich habe dir Jackson nicht auf den Hals gehetzt«, rief ich empört. Über den Rest – und vor allem über den Schmerz, den Phoenix’ Vorwurf in mir ausgelöst hatte – musste ich erst einmal in Ruhe nachdenken. Gleichzeitig sprach ich extra leiser, weil mir ein lautes Ausatmen aus dem hinteren Teil des Wagens in Erinnerung rief, dass wir uns nicht allein im Auto aufhielten.
»Wie du es vorhin selbst erwähnt hast, war es Olly, die uns angerufen hat, kaum dass du zur Tür raus warst. Und dass du nach Mexiko unterwegs bist, hätte Jackson früher oder später sowieso herausgefunden, denn er hat das GPS deines Motorrads getrackt. Also bleib mal schön auf dem Teppich, okay?! Denn, wenn man es genau nimmt, hättest du selbst dann keinen Grund, sauer auf mich zu sein, auch wenn ich dich verraten hätte. Schließlich warst du bisher ebenfalls nicht vollkommen aufrichtig zu mir, Partner. «
Phoenix zuckte ertappt zusammen und besaß wenigstens genug Anstand, zu erröten.
Einen Moment lang genoss ich diesen kleinen Sieg, doch bereits wenige Sekunden darauf fühlte ich mich schlecht. Ich war niemand, der sich gern stritt. Und bei Phoenix verursachte es mir regelrecht Magenschmerzen.
»Außerdem«, ergriff ich nach einem tiefen Atemzug erneut das Wort, »meinte ich nicht, dass du mir dankbar sein sollst, weil ich Jackson dazu überredet habe, uns zu begleiten. Sondern weil wir nur mit ihm überhaupt die Gelegenheit haben, nach Mexiko zu fahren. Zwar kenne ich ihn nicht so gut wie du, dennoch hat er vorhin nicht so gewirkt, als hätte er dich einfach deines Weges ziehen lassen. Er hätte dich wohl eher k.o. geschlagen und ins Auto verfrachtet.«
»Das Mädchen hat recht«, klinkte sich nun wieder Drake in das Gespräch ein, und ich fragte mich, ob ich es wohl jemals erleben würde, dass einer der beiden mich bei meinem Namen nannte. »Lockenbubi ist steifer als ein Besenstil. Der hat keine Ahnung, was Spaß macht. Deswegen ist er auch so angefressen. Er hat gehofft, dass er das geplatzte Date inklusive ausgefallenem Gute-Nacht-Kuss nachholen kann.« Drake schnaubte abfällig. »Als ob ein Zungentango mit ihr«, er nickte in meine Richtung, »spaßiger sein könnte als dieser Trip hier.«
Empört wandte ich mich zu Drake herum – der Drache wusste ganz genau, was zwischen dem Löwen und mir vorgefallen war. Beziehungsweise was eben nicht .
»Ist das wahr, Lollipop? Du hast dich Wards vermeintlichem Charme entzogen und ihm nicht einmal ein Mitleidsküsschen gegönnt?« Er sah kurz in meine Richtung. »Wow. Ich bin beeindruckt. Soweit ich mich erinnere, hat ihn noch nie eine Frau abgewiesen.«
Ich weigerte mich, Phoenix’ Schadenfreude mit einer Antwort zu honorieren. Dennoch konnte ich nicht leugnen, dass es in meiner Brust warm wurde. Da ich aber auf keinen Fall – nicht einmal vor mir selbst – zugeben wollte, wie sehr mich Phoenix’ Anerkennung rührte, wechselte ich das Thema.
»Findet ihr nicht, dass ihr erschreckend viel über ein Thema redet, das euch überhaupt nichts angeht? Wäre es nicht klüger, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren? Was wollen wir tun, wenn wir Mexiko erreichen? Immerhin weiß niemand von uns so genau, was uns dort erwartet.« Ich bedachte Drake mit einem vielsagenden Blick, den der Drache jedoch ignorierte. Stattdessen gähnte er herzhaft und rollte sich anschließend erneut zu einer Schnecke zusammen.
»Das könnten wir zwar tun«, sagte er träge und schloss genüsslich die Lider. »Aber das macht bei Weitem nicht so viel Spaß wie diese Unterhaltung.«
»Da muss ich dem Drachen zustimmen«, warf Phoenix ein. »Abgesehen davon, dass wir erst knapp drei von schätzungsweise vierzig Stunden Autofahrt hinter uns haben, und somit noch mehr als genug Zeit bleibt, um über Mexiko zu reden, kenne ich niemanden, der sich so leicht aus der Ruhe bringen lässt wie du. Das ist irgendwie niedlich.«
Hitze kroch meinen Hals empor und ich hatte größte Mühe, mein Pokerface zu bewahren. Hatte ich mich verhört, oder hatte Phoenix ernsthaft gesagt, dass ich niedlich war?
»Genau das meine ich«, sagte er und die Art, wie er mich dieses Mal ansah, wirkte erschreckend umgänglich. Fast schon sympathisch .
Unbeholfen räusperte ich mich. »Es freut mich, dass ich zu deiner Unterhaltung beitragen kann. Aber wie jeder Comedian brauche auch ich hin und wieder eine Pause. Deswegen wäre ich dir zutiefst zu Dank verpflichtet, wenn du bei nächster Gelegenheit anhalten könntest.« Ich schenkte Phoenix ein falsches Wimpernklimpern. »So eingekeilt zwischen deinem und Drakes Macho-Ego bekomme ich nicht so gut Luft.«
Phoenix’ Lippen verzogen sich erneut zu diesem verblüffend aufrichtigen Lächeln. Unwillkürlich fragte ich mich, ob das jener Mann war, den die anderen Lunaris kannten. Falls ja, wunderte es mich nicht, warum sie den Schützen mochten. Wenn Phoenix lächelte, war es, als würden einen die ersten warmen Sonnenstrahlen nach einem langen, harten Winter treffen.
Phoenix setzte den Blinker und steuerte die nächste Ausfahrt an. Diese führte uns zu einer Tankstelle samt Fast-Food-Restaurant – die perfekte Ausrede für mich, aus dem Wagen zu hüpfen.
Begleitet von Jacksons und Ollys verschlafenem Gähnen verschwand ich in Richtung Tankstellenshop.
Ich schlenderte zwischen den Regalen hindurch, sammelte Snacks und Getränke ein, und beobachtete dabei verstohlen, wie Phoenix den Wagen betankte. Ich hatte keine Ahnung, was sich zwischen dem Schützen und mir verändert hatte. Aber es fühlte sich gut an und verursachte mir ein warmes und wohliges Gefühl in der Brust.
Leider, so war ich mir sicher, konnte das unmöglich gut für mein Herz sein.