Köder

Rowan

Im Schutz der Ulme auf der gegenüberliegenden Straßenseite beobachte ich, wie der von mir beauftragte Junge an die gelbe Tür der Jasmine Street 154 klopft. Kurz darauf wird geöffnet, und sie ist da. Verwirrung zeigt sich auf ihrem schönen Gesicht, als sie auf die Papiertüte starrt, die der Junge ihr hinhält. Ich höre die Frage nicht, die sie ihm stellt, sehe aber, wie er die Schultern zuckt, und verstecke mich schnell hinter dem Baum, als Sloane mit dem Blick die Straße überfliegt. Grinsend warte ich darauf, dass sie die Tür schließt, dann höre ich, wie der Junge vom Haus zu meinem Versteck schlurft.

»Erledigt, Mister«, verkündet er und schnappt sich das Rad, das er an den Baum gelehnt hat.

»Hat sie gefragt, wo es herkommt?«

»Yup.«

»Hast du was verraten?«

»Nope.«

»Gut gemacht.« Ich stecke dem Jungen fünfzig Dollar zu, die er sich in die Tasche seiner Jeans stopft. »Morgen um dieselbe Zeit. Wir treffen uns am Briefkasten weiter die Straße runter, okay?«

»Klar. Cool.«

Damit radelt der Junge auf seinem BMX -Rad davon, um die hundert Dollar auf Süßigkeiten, Videospiele oder was auch immer zu verwenden, das Zwölfjährige heutzutage haben wollen. Wenn er sich an unsere Verabredung hält, wird er noch als kleiner Krösus enden.

Gib ihr die Tüte. Halte dich ans Skript. Fünfzig vor, fünfzig nach der Lieferung.

Ich hole mein Wegwerfhandy hervor und rufe den letzten Chat mit Sloane auf.

Ich wünschte, du wärst geblieben , lautete meine letzte Nachricht. Auf die sie nicht geantwortet hat.

Das war vor über einer Woche. Und es ist fast drei Wochen her, seit sie im 3 in Coach stand, mit einem Ausdruck absoluter Demütigung in den Augen, so als hätte sie gerade ihr Herz vor mir ausgebreitet und jemand wäre draufgetrampelt. Nie hätte ich erwartet, dass mich dieser Ausdruck so treffen würde. Ich dachte, ich könnte sie überreden, zu bleiben und zu reden, doch das Timing hätte nicht schlechter sein können, da unsere Freunde zu Lachlans Geburtstagslunch gekommen waren. Es ist typisch für Sloane, dass ihr erster Impuls war, zu verschwinden wie eine Feder im Nordwind.

Aber ich darf nicht zulassen, dass sie sich noch weiter zurückzieht, sonst schlüpft sie mir durch die Finger, und ich bekomme sie nie wieder zurück.

Ich spähe im Schutz des Baumes zu ihrem Haus, da summt das Handy in meiner Hand.

Orzos?

Ich lehne mich an den Baumstamm und grinse mein Handy an.

???

Hast du mir gerade Orzonudeln liefern lassen?


Keine Ahnung, wovon du redest.


Aber wenn du schon welche hast, könntest du sie auch essen.


Sollte da Parmesan in der Tüte sein, solltest du was davon drüberstreuen.


Ach, und ein bisschen Knoblauch drauf tun, falls was da ist.


Und gibt es Pilze? Vielleicht wäschst du die erst mal.


Spargel würde sich gut als Beilage eignen. Ist Spargel dabei?

Da klingelt das Handy. Ich zwinge mich, es erst zweimal klingeln zu lassen, bevor ich mich melde.

»Kann ich dir helfen, Blackbird?«

»Was soll das?« Ihre Stimme klingt misstrauisch, aber ich meine, eine Spur Amüsement hinter ihrem Argwohn zu erkennen.

»Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Du hast mir Essen liefern lassen?«

Pause.

Ich stelle mir vor, dass sie aus dem Fenster schaut und nach einem Anzeichen von mir sucht. »Ich habe Essen, Rowan.«

»Schön für dich. Vermutlich qualifiziert dich das als Erwachsene.«

Ich höre fast, wie Sloane die Augen verdreht, spüre geradezu, wie ihr heiß die Röte in die Wangen steigt. Wenn ich nur die Sommersprossen berühren könnte, die ihre Haut sprenkeln!

Dann ist das einzige Geräusch zwischen uns ihr langsamer, gleichmäßiger Atem. Schließlich fragt sie mit melancholischer Stimme: »Was machst du?«

»Was ich schon neulich hätte machen sollen. Ich koche mit dir«, erkläre ich. »Wir kochen zusammen. Stell den Lautsprecher an, und dann fang an, den Parmesan zu reiben.«

Erneut zieht eine Pause unseren Gesprächsfaden so in die Länge, dass er zu reißen droht.

Leise und jetzt vollkommen ernst sage ich: »Ich wünschte, du wärst geblieben, Blackbird. Ich hätte dich mit in die Küche genommen. Wir hätten gemeinsam was kochen können.«

»Du hattest zu tun. Ich … kam unangemeldet.«

»Ich hätte mir Zeit für dich genommen. Du bist …« Ich schlucke, bevor ich mehr sage, als ich sollte. »Du bist meine Freundin. Vielleicht sogar irgendwann meine beste Freundin.«

Daraufhin zieht sich das Schweigen so in die Länge, dass ich einen Blick aufs Handy werfe, um zu sehen, ob wir unterbrochen wurden. Als Sloanes Stimme wieder ertönt, flüstert sie nur, doch die Botschaft klingt fast wie ein Schrei.

»Du kennst mich doch kaum«, sagt sie.

»Wirklich? Denn ich wette, ich kenne deine Abgründe besser als jeder andere. Genau wie du meine Abgründe kennst. Und trotzdem willst du mit mir zu tun haben. Meistens jedenfalls.« Ich lächle, als Sloanes hauchendes Lachen durch die Leitung dringt. »Das macht dich meiner Meinung nach zu meiner Freundin, ob es dir gefällt oder nicht.«

Wieder tritt Schweigen ein, dann höre ich, wie eine Schublade aufgezogen wird und Besteck im Kasten klappert.

»Soll ich den ganzen Klotz Parmesan reiben? Der ist so groß wie ein kleines Baby.«

Ich sehe bestimmt wie ein Irrer aus, wie ich den Baum angrinse, aber das ist mir egal. »Wie sehr magst du Käse?«

»Sehr.«

»Dann reibe einen Haufen, der so groß ist wie ein Babykopf.«

»Im Ernst?«

»Du hast gesagt, du magst Käse. Also, an die Arbeit, Blackbird.«

Ein unsicheres »Okaaaay« dringt durch die Leitung, klingt aber eher nach Selbstgespräch. Unterlegt vom rhythmischen Geräusch des Parmesans, der über die Reibe geschabt wird, versuche ich, mir vorzustellen, wie ihre Küche wohl aussieht. Wie Sloane an der Arbeitsfläche steht, die rabenschwarzen Haare zu einem lässigen Knoten hochgesteckt, mit einem ultracoolen T-Shirt, das sie an der Taille zusammengeknotet hat. Ich könnte bei ihr sein, von hinten zu ihr treten, sie an der Küchentheke festnageln und meinen Schwanz gegen ihren herrlich runden Arsch drücken, in den ich am liebsten beißen würde, und dann …

»So, nachdem ich einen babykopfgroßen Haufen Käse gerieben habe, was soll ich jetzt machen?«, fragt Sloane, obwohl ich sie noch immer reiben höre. Ganz kurz frage ich mich, ob ich laut gestöhnt habe.

Ich räuspere mich, weil ich plötzlich nicht mehr weiß, was ich alles für sie in die Tüte getan habe. »Äh, wasch den Spargel, und schneid die Enden ab.«

»Ist gut.«

Das Reiben geht stetig weiter. Ich fahre mir mit der Hand durch die Haare und befehle mir, mich zusammenzureißen. »Also, du hast gesagt, du wärst wegen der Arbeit in Boston gewesen? Für ein Meeting?«

»Äh … ja.«

»Was für ein Meeting?«

»Ein Investigatorenmeeting.«

»Das klingt … furchterregend.«

Sloane lacht leise. »Ja und nein. Es sind keine Investigatoren von der Polizei dabei, sondern Ärzte, die unsere Versuche für Studien an ihren Kliniken durchführen. Bei diesen Meetings schulen wir sie und ihre Angestellten für die Studie. Die Meetings sind nur dann ein bisschen furchterregend, wenn man selbst was präsentieren muss. Es kann schon einschüchternd sein, wenn man vor einer Gruppe Mediziner auf der Bühne steht. Manchmal sind es fünfzig, manchmal auch dreihundert. Ich hab das schon oft gemacht, trotzdem werde ich immer noch nervös, wenn mir der Techniker das Mikro in die Hand drückt.«

»Du kriegst ein Mikro? Wie Madonna oder Britney Spears?«

Sloane kichert. »Manchmal.«

So viel dazu, mich zusammenzureißen.

Die Vorstellung von Sloane, wie sie ganz professionell in einem verdammt engen Bleistiftrock und mit einem Mikro in der Hand wie Madonna auf der Bühne steht und mit ihrer rauchigen Stimme einer Gruppe Ärzte sagt, wo es langgeht, ist eine Fantasie, die ich mir nie hätte erträumen lassen.

Ich bin so was von geliefert!

»Cool, cool …«, sage ich und verlagere mein Gewicht, weil mein Schwanz mich praktisch anbrüllt, sofort zu ihr zu gehen und sie auf der Küchentheke zu vögeln. »Kann ich mal zugucken?«

Sloane lacht. »Nein …?«

»Wie bitte?«

»Nein, du Irrer. Du kannst nicht zugucken.«

»Wieso nicht? Es klingt gleichzeitig sexy und lehrreich.«

Ihr kehliges Lachen wärmt mir das Herz. »Erstens, weil alles vertraulich ist. Und zweitens würdest du mich ablenken.«

Mir explodiert das Herz. »Mit meinem hübschen Gesicht?«

»Pfft. Nein. « Das »Nein« ist ein ganz klares »Ja«. Ich sehe praktisch, wie sie rot wird, und wünschte nur, wir könnten facetimen, aber dann würde Sloane wissen, wo ich bin: direkt auf der anderen Straßenseite, wie ein Vollidiot, der zu viel Angst hat, sie durch einen Besuch zu verschrecken, aber zu verzweifelt erpicht auf ihre Nähe, um es zu lassen. »So, der Käsekopf ist fertig. Jetzt bereite ich den Spargel vor«, sagt sie leise.

»Wenn du damit fertig bist, koch Wasser mit einer Prise Salz.«

»Ist gut.«

Dann höre ich durch die Leitung, wie sie den Spargel zuschneidet. Ich schließe die Augen, lehne meinen Kopf an den Baum und stelle mir vor, wie Sloane geschickt den Griff eines Messers umfasst. Ich weiß nicht, wieso ich das so sexy finde, aber so ist es. Verdammt sexy. Genau wie der Gedanke daran, wie sie mit einem Mikro in der Hand auf der Bühne steht. Genau wie das Bild, wie Sloane in der Sitznische meines Restaurants sitzt und etwas zeichnet.

»Wieso arbeitest du dort?«, frage ich unvermittelt.

»Bei Viamax?«

»Ja, warum arbeitest du nicht als Künstlerin?«

Sie stockt kurz, dann schnaubt sie. Ihre Kehle und ihr Dekolleté müssen mittlerweile von roten Flecken übersät sein. »Ich werde mein Geld nicht mit Vogelskizzen verdienen, Rowan.«

Ihre Bemerkung überrascht mich, weil sie im 3 in Coach zu ihrem Tisch zurückschaute, als wollte sie die Zeichnung, die sie dort zurückgelassen hatte, mit einem Flammenwerfer verbrennen und das ganze verdammte Restaurant gleich mit. Doch obwohl sie ganz direkt von diesem Moment spricht, der ihr eindeutig peinlich war, weicht sie mit ihrer Antwort trotzdem aus. »Aber das könntest du. Oder du könntest etwas anderes Künstlerisches machen, wenn du das wolltest.«

»Will ich aber nicht.« Das sagt sie mit allem Nachdruck, als wollte sie, dass ich mir das gut einpräge. »Mir gefällt das, was ich tue. Es ist zwar nicht das, was ich mir in meiner Jugend vorgestellt habe. Aber bei wem ist das schon so, oder? Als Delfintrainer oder so endet kaum einer.« Sie lacht kurz auf und verstummt wieder, aber dieses Mal frage ich nicht nach, sondern warte, bis sie wieder zu sprechen anfängt. »Kunst ruft bei mir manchmal schlechte Erinnerungen hervor. Früher habe ich es geliebt, zu malen. Ich malte stundenlang. Außerdem fing ich an, mit Skulpturen zu experimentieren. Aber dann … änderte sich die Lage. Zeichnen ist die Grundlage. Das blieb mir als Einziges, als der Rest … wegbrannte. Es ist das Einzige, was mir noch Spaß macht. Das und meine Netze, die für mich auch wie Kunst sind.«

Auch wenn das nur winzige Fragmente von Sloane sind, klammere ich mich an sie. Meine Kunst war nie so befleckt, dass ich sie nicht mehr ausüben konnte. Ich frage mich, was Sloane ihre Kunst so brutal entrissen hat, dass sie nicht mehr malen oder Skulpturen erschaffen kann, sondern nur noch aufs monochrome Zeichnen reduziert ist.

»Ich wollte immer Koch werden«, erkläre ich. »Schon, als ich klein war.«

»Ehrlich?«

»Ja.« Ich senke den Blick auf meine Schuhe und erinnere mich an die Küche meiner Kindheit in Sligo, wo wir drei Brüder an dem kleinen Tisch aßen, normalerweise allein in dem dunklen, unfreundlichen Haus. »Lachlan hat immer was zu essen für uns besorgt, und ich habe es dann gekocht. Unser kleiner Bruder war damals ziemlich etepetete, also wurde ich recht gut darin, mit begrenzten Mitteln einen anständigen Geschmack hinzukriegen. Kochen wurde zu einer Art Flucht, einem Zufluchtsort für meinen Geist, wo er frei sein und experimentieren konnte.«

»Kochkunst. Im wahrsten Sinne des Wortes.«

»Ganz genau. Und meine Kochkünste machten unsere schwere Kindheit ein kleines bisschen erträglicher.« Wenigstens wurden die durch Suff und Drogen befeuerten Wutanfälle meines Vaters nicht auch noch durch Hunger schlimmer. Es gab ein paar Gelegenheiten, zu denen er sich beherrschen konnte und mich nicht verprügelte, sondern in die Küche schob und Essen von mir verlangte. So wurde Kochen eine Art Schutz für mich, der zwar nicht immer half, aber doch manchmal. Es war etwas, das die Schläge abmilderte. »Wahrscheinlich kann ich mich glücklich schätzen. Schließlich habe ich überlebt. Und dann konnte ich mir damit für meine Brüder und mich ein besseres Leben aufbauen.«

Sloane zögert, bevor sie mit melancholischer Stimme sagt: »Es tut mir leid, dass deine Brüder und du das durchmachen musstet. Aber ich freue mich für dich, dass deine Kunst überlebt hat.«

»Und mir tut es leid, dass du deine Kunst nicht mehr genießen kannst.«

»Mir auch. Aber danke, dass du mich mit deiner vertraut machst. Zwar habe ich erst einen Babykopf Käse geraspelt, aber …«, sie holt tief Luft, als müsste sie Mut sammeln, »ich habe Spaß.«

Ich hole theatralisch Luft. »Nein , das geht nicht, so war das nicht geplant!«

Sloane kichert, und dann erkläre ich ihr grinsend alle weiteren Schritte zur Zubereitung des Essens. Wir telefonieren noch, als sie isst und darauf besteht, dass ich mir selbst etwas besorge, damit sie nicht allein essen muss. Ich habe zwar nur einen Müsliriegel, der zerquetscht in meiner Tasche lag, doch ich esse ihn trotzdem, während wir uns über alles Mögliche unterhalten: Raleigh, Boston, Essen, Trinken, alles und nichts.

Als sie mit essen fertig ist, gehe ich, wage mich aber erst aus meinem Versteck, als ich sicher bin, dass sie an der Spüle beschäftigt ist.

Am nächsten Tag komme ich zurück und warte hinter dem Baum, während der Junge die Tüte mit Lebensmitteln ausliefert und sich damit weitere hundert Dollar verdient. Sloane ruft mich an, und wir kochen gegrillte Feta-Garnelen mit Polenta. Ich habe mir einen Salat mitgebracht, sodass ich mit ihr essen kann. Wir reden über die Arbeit. Über Spaß. Ein bisschen über Albert Briscoe und die Konsequenzen unseres zufälligen Treffens in seinem Haus. Ihm sind mehrere Morde zugeschrieben worden, was Sloane zu erfreuen scheint. Möglicherweise habe ich die Polizei in die richtige Richtung geschubst, aber das erzähle ich ihr nicht.

Am dritten Tag verstecke ich mich hinter einem anderen Baum näher an ihrem Haus, wo ich sie hören kann, als sie die Tür öffnet. Sloane löchert den Jungen mit Fragen, aber er hält dicht. Das muss man ihm lassen, er ist ziemlich verlässlich. Während ich Sloane aus meinem Versteck beobachte, sehe ich, wie frustriert sie ist, aber sie will den Jungen eindeutig nicht verschrecken. Als er sein Rad holt, frage ich ihn, was er mit dem ganzen Geld vorhat. Er erklärt, er würde für eine PlayStation sparen, da gebe ich ihm noch mal zweihundert.

Sloane macht Steak, ein herrliches Filet Mignon vom Wagyu-Rind, dazu gegrillten Brokkoli. Dieses Mal ist sie sehr nervös, weil sie es nicht vermasseln will. Aber das tut sie auch nicht. Als sie mir ein Foto schickt, zeigt sich, dass das Steak perfekt medium rare ist. Bei jedem Bissen summt sie vor Begeisterung. Wir unterhalten uns über unsere Familien. Das heißt, ich rede von meinen Brüdern, während sie kaum was erzählt. Sie hat keine Geschwister und keine nahen Verwandten. Ihre Eltern melden sich nur an Weihnachten und zum Geburtstag, aber das war’s auch schon. Sie sind zu sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt, und ich habe das Gefühl, Sloane will nicht darüber reden. Das verstehe ich, vermutlich besser als die meisten.

Am nächsten Tag verstecke ich mich eine ganze Weile hinter dem Baum und beobachte ihr Haus. Irgendwann öffnet sie die Tür und tritt ins Freie. Mit gerunzelter Stirn guckt sie rechts und links die Straße hinunter. Ich schiebe mich weiter hinter den Baum, als ihr Blick in meine Richtung geht. Aber es ist kein Junge in Sicht. Keine Lebensmittel.

Sie geht wieder hinein und schließt die Tür. Ganz kurz wird die Gardine vor dem Fenster weggeschoben, dann fällt sie wieder vor die Scheibe.

Nach ein paar weiteren Minuten breche ich auf. Ich sitze bereits im Mietwagen auf dem Weg zum Flughafen, als mein Handy eine eingehende Nachricht anzeigt. Aber ich zwinge mich, sie nicht zu lesen. Erst wenn ich wieder in meiner Wohnung in Boston bin.

Denn sonst bestünde die Gefahr, dass ich aus dem Flieger springe, nur um wieder in die Jasmine Street zu kommen.

Ein paar Stunden später umklammere ich das Handy und gieße eine großzügige Menge Whisky über die knackenden Eiswürfel in meinem Glas. Ich setze mich in meinen ledernen Lieblingssessel, streife die Schuhe ab und lege die Füße hoch. Erst dann sehe ich mir die Nachricht an.

Es ist eine köstliche Qual, mich zum Warten zu zwingen. Mir brennt der Whisky in der Kehle, als ich Sloanes ungelesene Nachricht aufrufe.

Ich hab dich heute vermisst.


Außerdem habe ich gemerkt, dass ich ohne dich überhaupt nicht kochen kann. Also bin ich vielleicht doch nicht so erwachsen.

Lächelnd trinke ich noch einen großen Schluck, bevor ich das Glas wegstelle und meine Antwort tippe.

Ich hab dich auch vermisst. Wenn du das nächste Mal zu einem deiner Meetings in Boston bist, machen wir zusammen eine Blätterteigschnitte Napoleon.

Zuerst bin ich mir nicht sicher, ob sie antworten wird, schließlich ist es schon spät, und ich habe mir mit meiner eigenen Antwort viel Zeit gelassen. Aber fast sofort erscheinen die drei Pünktchen, und dann:

Das fände ich schön.

Ich schließe die Augen und lege den Kopf an die Rückenlehne. Lächelnd denke ich an ihr Gesicht, als sie vor der Haustür stand und nach einer Lieferung Ausschau hielt, die nicht kam. Noch nie hat Enttäuschung so verdammt süß ausgesehen.

Da vibriert mein Handy.

Wir sehen uns in ein paar Wochen fürs Spiel. Auch wenn wir Freunde sind, werde ich dir in den Arsch treten. Nur dass du’s weißt …

Ich lächle im gedämpften Licht.

Ich verlass mich drauf.