Erschütternde Enthüllungen
Sloane
Ich habe den Kopf in Larks Schoß gelegt, und sie streicht mir mit den Fingern durch die Haare. Sie wiegt sich im Takt des Songs, den sie mit unsicherer Stimme singt: »No one here can love or understand me …« Ihre Stimme senkt sich zu einem zittrigen Summen.
Ich weiß, ich habe etwas getan, das ich nie mehr rückgängig machen kann – was ich auch nicht will, obwohl die meisten Menschen so was wie Reue empfinden würden. Ich nicht. Ich empfinde Erleichterung. Endlich habe ich das Tor geöffnet, hinter dem schon so lange ein Monster an den Stäben gerüttelt und um Befreiung gebettelt hat. Jetzt, da es raus ist, kann es nicht mehr eingesperrt werden.
Das will ich auch gar nicht.
»Meine Eltern bringen das in Ordnung«, flüstert Lark und drückt mir einen Kuss auf den Schopf. »Ich erzähle ihnen, was du für mich getan hast. Sie werden uns helfen. Du kannst mit zu mir nach Hause kommen.«
Meine Hände sind nass. Klebrig. Ich halte sie ins Licht des Mondes, das durchs Fenster fällt. Sie sind mit grellrotem Blut bedeckt.
Als ich die Hände wieder sinken lasse, fällt mein Blick auf die Leiche am Boden. Der künstlerische Leiter des Ashborne Collegiate Institute.
Und ich will nur, dass er von den Toten aufersteht, damit ich ihn noch mal umbringen kann.
»I’ll arrive late tonight …« , singt Lark, »Blackbird, bye, bye.«
»Blackbird«, sagt eine andere, aber vertraute Stimme. Ich tauche aus den Erinnerungen und Träumen auf, die mich nie loslassen. Als ich die Augen öffne, sehe ich, dass Rowan auf der Bettkante sitzt. Er streicht mir die Haare aus dem Gesicht. »War nur ein böser Traum.«
Blinzelnd nehme ich die fremde Umgebung in mir auf. Aus dem angrenzenden Bad dringt Licht und erhellt einen Abschnitt des Gästezimmers, das in Dunkelgrau und Weiß gehalten ist. Die gelben Akzente verlieren im Schatten ihre freundliche Leuchtkraft. Aus dem Schmerzmittelnebel in meinem Kopf tauchen Bilder auf. Die Erinnerung an qualvolle Schmerzen, als Fionn mir wieder die Schulter einrenkte. Der Kummer in Rowans Augen, als er meine Hand hielt und mich ermahnte zu atmen. Die Erleichterung, als der Oberarmkopf in die Pfanne zurückglitt. Wie Rowan seinen Kopf neben meinen legte, als hätte ihm jeder Moment der Qual selbst Schmerzen zugefügt. Als er aufstand und mich ansah, lagen Reue und Verzweiflung in seinem Blick, und ich wusste nicht, was schlimmer war.
Auch jetzt noch sind sie in seinen Augen zu sehen.
»Wie spät ist es?«, frage ich und richte mich stöhnend auf. Mir tut immer noch die Schulter weh, doch es sorgt für eine gewisse Erleichterung, dass mein Arm in einer Schlinge liegt.
»Halb zwölf.«
»Ich fühle mich eklig«, sage ich und mustere die Leggins und das Flanellhemd, in dem ich die letzten Stunden geschlafen habe. Seit über einem Tag habe ich nicht mehr geduscht, seit dem Morgen in Harveys Horrorhaus. Es fühlt sich an, als würde er durch den Film an meiner Haut immer noch an mir kleben.
»Komm«, sagt Rowan und streckt mir die Hand entgegen, damit ich mich auf ihn stützen kann. »Ich lasse dir ein Bad ein. Das hilft vielleicht auch gegen die verkrampften Glieder.«
Er lässt mich auf der Bettkante zurück und steuert den Lichtstrahl an, als wüsste er, dass ich einen Moment brauche, um mich zu orientieren. Ich höre den Hahn quietschen und das Wasser in die Wanne rauschen. Erst nachdem ich eine ganze Weile untätig im dämmrigen Zimmer gesessen habe, überwinde ich meine Trägheit und gehe zu Rowan ins Bad.
Ich sage nichts, als ich am Waschtisch stehen bleibe und mein Spiegelbild betrachte. Stattdessen versuche ich, die Tränen zu unterdrücken, obwohl sie mir in den Augen brennen und sich ein Kloß in meiner Kehle bildet. Lila Blutergüsse umranden meine Augen, und der Abdruck von Harvey Meads Stiefel ist noch deutlicher als am Tag zuvor, als ich mich das erste Mal im Spiegel der Sonnenblende sah. Noch immer klebt mir getrocknetes Blut an den Nasenlöchern. Die Nase selbst ist geschwollen und tut weh. Aber glücklicherweise ist alles noch da, wo es hingehört. Was gut ist, denn ich sehe schon so völlig scheiße aus, da brauche ich nicht auch noch eine gebrochene Nase obendrauf.
»Fertig«, verkündet Rowan und dreht den Hahn zu. Als ich nicht antworte, kommt er näher, bleibt aber am Rand meines Sichtfelds stehen. Ich bin nicht in der Lage, den Blick von meinem ruinierten Gesicht zu lösen. »Ich rufe Rose, sie soll dir helfen.«
»Nein«, flüstere ich. Trotz meiner Bemühungen, nicht zu weinen, sammeln sich Tränen in meinen Augen. »Du.«
Einen Augenblick lang, der mir ewig vorkommt, rührt Rowan sich nicht. Als er dann näher rückt, bleibt er hinter mir stehen. Sein Blick lastet so schwer auf meinem Gesicht, dass ich es durch den Spiegel praktisch spüren kann. »Wunderschön.«
Ein ungläubiges Lachen entfährt mir, aber es hört sich eher an wie ein Schluchzen. »Ich sehe scheiße aus«, sage ich, und eine erste Träne rollt mir übers Gesicht. Ich weiß, das sollte mir nicht so wichtig sein. Ist schließlich nur vorübergehend. In ein paar Wochen wird alles nur noch eine Erinnerung sein, über die ich wahrscheinlich lachen kann. Das Problem ist nur, es ist mir wichtig, ganz gleich, wie sehr ich mich dagegen wehre. Vielleicht bin ich einfach nur erschöpft von den Schmerzen, dem Stress und der stundenlangen Fahrt. Oder es fällt mir schwer, zu sehen, dass meine Verletzlichkeit nicht nur innerlich zu spüren, sondern jetzt auch äußerlich zu sehen ist. Von aller Welt. Von ihm .
»Für mich bist du wunderschön«, beharrt Rowan und streckt den Arm um mich herum, um mir mit dem Daumen die Träne von der Wange zu wischen. Dann folgt er den Rändern des Blutergusses unter meinem Auge. »Diese Farbe hier, wie viele Dinge fallen dir ein, die genau diese Farbe haben? Sie ist selten.«
Wieder streicht er mir über den Bluterguss, aber so sanft, dass es nicht wehtut. Ich sehe, dass meine Lippen zittern und meine Augen sich wieder mit Tränen füllen. »Auberginen«, sage ich mit bebender Stimme. »Das schlimmste Gemüse.«
Rowan lacht. Sein Atem wärmt meinen Nacken und jagt einen Stromstoß über meine Haut. »Nein, das schlimmste Gemüse ist Sellerie.«
»Aber Auberginen sind matschig.«
»Nicht, wenn ich sie zubereite. Du würdest sie mögen, versprochen.«
»Ich hab ein Auberginengesicht. Oder eher ein Sackgesicht. Ein matschiges Sackgesicht mit einem Carhartt-Logo.«
Rowan schiebt meine Haare über die Schulter und drückt mir einen sanften Kuss auf die Wange. Als seine Lippen auf meiner Haut verweilen, muss ich gar nicht in den Spiegel blicken, um zu erkennen, dass er lächelt. »Nein, das hat nicht die erwünschte Wirkung. Ich muss es noch mal versuchen«, sagt er, und ich höre die Belustigung in seiner warmen Stimme. Er legt auch den anderen Arm um mich, um eine der zwei Schnallen von der Armschlinge zu öffnen. Als ich vor Schmerz zusammenzucke, küsst er mich wieder. »Diese Farbe erinnert mich übrigens nicht an Auberginen, sondern an Brombeeren. Die besten Beeren, wenn du mich fragst. Bei der Farbe muss ich an Schwertlilien denken. Die duften besser als alle anderen Blumen. Sie erinnert mich auch an die Nacht kurz vor Tagesanbruch. Die beste Zeit des Tages.« Als sich die zweite Schnalle öffnet, kneife ich die Augen vor Schmerz zusammen, während Rowan die Schlinge von meinem Arm löst.
»Aber …«
»Du bist in allem das Beste für mich, Sloane. Ganz gleich, wie viele Wunden du auf deiner Haut oder in deinem Herzen trägst.«
Als ich die Augen erneut öffne, sehe ich nicht meine blauen Flecken. Ich sehe weder die Schwellungen noch die Kratzer noch das Blut. Ich sehe Rowan, der mich mit seinen tiefblauen Augen betrachtet und einen Arm um meine Taille geschwungen hat, während er mit der freien Hand langsam Muster auf meiner Haut zeichnet.
Ich lege meine unversehrte Hand auf seine und schlinge die Finger um seine Knöchel, die von Narben übersät sind. Dann ziehe ich seine Hand weg und beobachte, wie sich seine Miene verändert. Ich führe seine Finger zum obersten Knopf meines Hemds und lege meine Hand auf seinen muskulösen Unterarm.
Wir sagen nichts. Es gibt nur die Verbindung über unsere Blicke im Spiegel, die nie abreißt.
Rowan öffnet den ersten Knopf. Den zweiten. Den dritten. Der vierte liegt direkt unter meinem Brustbein. Der fünfte enthüllt meine obere Bauchpartie. Der sechste das Piercing an meinem Bauchnabel. Trotzdem sieht er mich unverwandt an, während er den siebten und den achten Knopf öffnet. Ein Streifen Haut an meinem Unterleib schimmert im Licht über dem Spiegel.
Mein Puls wird schneller. Ich könnte es an meinem Hals sehen, wenn ich den Blickkontakt mit Rowan lösen würde. Aber das tue ich nicht. Ich sehe ihn weiterhin an, als sich seine Finger um die Knopfleiste meines Hemds legen.
Er zieht eine Hälfte des Vorderteils zur Seite und gibt meine Brust der warmen Luft preis. Dann wiederholt er das mit der zweiten Hälfte. Und trotzdem halten wir Blickkontakt. Erst als ich schlucke und die Augenbrauen hochziehe, gleitet sein Blick über meinen Körper.
»Gott …«, flüstert er. »Sloane …«
Mein Körper ist eine Landschaft aus blutigen Furchen und blauen Flecken, alle noch dunkler und deutlicher als vor Stunden. Seine Augen wandern über jeden Zentimeter meiner nackten Haut, als wäre ich etwas Kostbares, aber Zerbrochenes. Als wäre mein Anblick eine erschütternde Enthüllung. Vielleicht hat er etwas anderes erwartet, aber ich weiß genau, dass er sich schon vorgestellt hat, wie ich nackt vor ihm stehe, schutzlos seinem Blick und seiner Berührung ausgesetzt. Genau, wie ich es mir bei ihm vorgestellt habe. Doch es ist etwas anderes, es in der lastenden Stille zu spüren, die sich zwischen uns ausbreitet. Ich hätte nicht wissen können, dass mein Blut schneller durch meine Adern strömen und die ganze Welt auf diesen einen Punkt, diesen Augenblick im Spiegel, zusammenschrumpfen würde.
Rowans Blick verharrt an meiner Kehle, und seine blauen Augen werden fast schwarz, die Pupillen saugen alle Farbe auf, bis nur noch ein dünner marinefarbener Rand bleibt. Dann zieht er eine Linie durch die Mitte meines Körpers, und dies so bewusst und langsam, dass es sich anfühlt wie eine Berührung. Er driftet über den Grat meines Brustbeins, schwenkt nach links und wird über meinem Herzen langsamer. Er umrundet das Piercing aus Rotgold an meiner Brustspitze. Ich erschauere und bekomme eine Gänsehaut, als sein Blick auf die andere Seite fährt und beim identischen Piercing an meiner rechten Brust verharrt.
»Ist dir was ins Auge gesprungen, mein Hübscher?«, flüstere ich.
»Ja«, sagt er mit gequälter Stimme. »Gott, ja, Sloane. Alles von dir.«
Zuerst streift Rowan mein Hemd über meinen unversehrten Arm, dann lässt er sich viel Zeit, es von meiner geschwollenen Schulter zu entfernen, während sein Blick die ganze Zeit auf dem Spiegelbild meines Körpers ruht. Das Hemd gleitet von mir ab und staut sich an meinen Füßen. Rowan holt tief Luft, dann schiebt er seine Daumen in den Gummibund meiner Leggins und zieht sie mir über die Hüften. Seine Finger umfassen mein Fußgelenk, um meinen Fuß zu heben und ein Hosenbein auszuziehen. Das zweite folgt. Als er sich hinter mir zu voller Größe aufrichtet, sehe ich, wie sich seine Brust mühsam hebt und senkt und wie seine Halsschlagader pocht.
»Ich muss mich zusammenreißen«, murmelt er mit leiser, brüchiger Stimme, und das ist nicht an mich gerichtet. Als er mir eine Hand hinhält, ergreife ich sie. »Komm. Ab in die Wanne, bevor ich krepiere.«
Widerstrebend lasse ich mich zur Wanne mit dem Berg aus glitzerndem Schaum ziehen. »Heißt das, ich würde noch einen Bonus kriegen?«
»Ich bin bereit, jedes Spiel zu verlieren, Blackbird«, brummt er. »Da müssen wir nicht ins Extrem gehen und mich schon jetzt umbringen.«
Am Rand der Wanne bleiben wir stehen. Rowan hält mich an der gesunden Hand, während ich meinen Zeh ins warme Wasser tauche. Als ich mit dem ersten Fuß hineinsteige, schaue ich zu ihm hoch und erwarte, ihn beim Betrachten meines Körpers zu erwischen. Aber ich habe mich geirrt. Er sieht mir direkt in die Augen, und auf seiner Stirn ist eine Furche, als wäre das Ganze für ihn eine einzige Qual.
»Alles klar bei dir?«, frage ich, stütze mich auf seiner Hand ab und steige mit dem anderen Fuß in die kleine Wanne. Doch als ich ihn kurz anlächle, wird die Furche nur noch tiefer.
»Nein, eigentlich nicht.«
»Du machst das großartig.«
»Sollte ich das nicht zu dir sagen?«
»Wahrscheinlich.«
»Jetzt geh doch um Gottes willen endlich rein!«
»Ich bin doch schon drin.«
Rowan fährt sich mit der freien Hand übers Gesicht. »Woher nimmst du eigentlich die Energie, dich immer noch über mich lustig zu machen?«
»Dafür habe ich immer genug Energie. Dich zu piesacken, ist meine oberste Priorität«, sage ich mit strahlendem Lächeln, das allerdings schwindet, als Rowan seinen Blick auf eine Ecke richtet, als könnte er es nicht länger ertragen, mich anzusehen. »Was ist denn? Rowan …?«
»Ich leide seit vier Jahren, Sloane. Jetzt flehe ich dich an, setz dich in die verdammte Wanne!«
Ohne den Blick von seinem Profil zu lösen, lasse ich mich langsam ins Wasser sinken. Die ganze Zeit hoffe ich dabei, dass er mich wieder anschaut, aber das tut er nicht, so als wäre er plötzlich nicht mehr dazu in der Lage. So als hätte er sich selbst Fesseln angelegt, die kurz zuvor noch nicht da waren.
»Genau gesagt drei Jahre«, erwidere ich in dem Versuch, die Leichtigkeit zwischen uns wieder aufleben zu lassen. Ich gleite tief ins Wasser, bis der Schaum meine Brust bedeckt. Nur noch Schultern und oberer Rücken sind in der semitransparenten Schutzhülle zu sehen, als ich mich vorbeuge und meine Knie umfasse.
Rowan atmet zittrig über mir aus. »Vier Jahre.«
»Harvey war erst der dritte …«
»Das war gestern. Was heißt, wir sind jetzt in Jahr vier. Aber es fühlt sich an, als wären es achtzig Jahre.«
»Okay«, erwidere ich mit einem provozierenden Lächeln, das er aber nicht sieht. Nach einem Moment geht er vor mir in die Hocke. Ich sehe ihn unverwandt an, doch er meidet immer noch meinen Blick.
Rowan nimmt den Waschlappen, den er am Wannenrand zurechtgelegt hat, und taucht ihn ins Badewasser. Er achtet darauf, mich nicht zu berühren, zieht den Waschlappen aus dem Wasser und fährt damit über meine gesunde Schulter, um ganz behutsam den Schmutzfilm von meiner Haut zu entfernen. Von außen besehen, sitze ich vollkommen reglos da, doch in mir tobt ein Hurrikan.
Ich schlucke und kann den Blick immer noch nicht von Rowan lösen. Meine Stimme klingt gepresst, als ich sage: »Also … vier Jahre?«
Rowans Blick verdunkelt sich, bleibt aber starr auf seine Hand gerichtet, die den Waschlappen langsam über meine Haut streicht. Kein einziges Mal berührt er mich mit den Fingerspitzen, obwohl er diese Bewegung so oft wiederholt, bis der Waschlappen kalt wird. »Das weißt du doch. Ich hab’s dir bei Thorsten gesagt.«
Mein Herz macht einen Satz. Rowan taucht den Lappen durch den Schaumberg ins Wasser und streift mich dabei flüchtig an der Hüfte. Es könnte Absicht gewesen sein, doch bevor ich mir sicher bin, hat er ihn schon wieder aus dem Wasser gezogen und streicht mir damit über den Rücken.
»Du … erinnerst dich daran?«
Rowan antwortet nicht. Ich glaube, er will es nicht. Als er den Waschlappen also ein drittes Mal in die Wanne taucht, packe ich unter Wasser sein Handgelenk. Und da endlich sieht er mich an.
»Hey«, sage ich mit sanfter Stimme. »Ich bin hier.«
»Sloane …« Rowan kneift die Augen zu und holt tief Luft, als hoffte er, so den Schmerz loszuwerden. Als er mir wieder in die Augen sieht, wirkt er so gequält wie schon kurz zuvor. »Wenn ich dich noch mal berühre …« Er schüttelt den Kopf. »Es hat mich all meine Willenskraft gekostet, dich auszuziehen, ohne dich über die Wanne zu legen und dich zu vögeln, bis du um Gnade bettelst.«
Meine Wangen werden plötzlich hochrot, trotzdem versuche ich, frech zu lächeln, was die Qual in Rowans Blick nur noch verschärft. »Ich wüsste nicht, wo da jetzt das Problem sein sollte.«
»Du bist verletzt.«
»Nur meine Schulter. Und mein Gesicht. Na gut, meine Rippen tun auch weh, aber mir geht’s gut, ehrlich. Berufsrisiko, oder?«
»Ich muss mich um dich kümmern. Schließlich ist dein Zustand meine Schuld. Das Spiel war meine blöde Idee.«
»He, nichts gegen das Spiel! Dadurch hatte ich den größten Spaß seit … seit einer Ewigkeit. Seit ich denken kann. Das Spiel ist das, worauf ich mich jedes Jahr am meisten freue«, sage ich, und je länger ich spreche, desto ernster wird meine Stimme, weil die Wahrheit ans Licht kommt. »Du bist es, auf den ich mich am meisten freue, Rowan.«
Er schluckt. Seine beherrschte Miene ist wie ein dünner Schleier über dem Konflikt, der ihn innerlich aufzehrt. Als er den Kopf schüttelt, spüre ich plötzlich das Stechen zurückgehaltener Tränen in meiner Nase. Vielleicht wollte ich doch nicht, dass er leidet, obwohl mir das vor ein paar Minuten noch wie ein Spaß vorkam.
»Ich wollte spielen«, fahre ich fort. Meine Stimme klingt klar und kräftig, aber ich frage mich, wie lange noch. »Am Anfang hatte ich Angst, habe befürchtet, einen Riesenfehler zu machen. Aber ich hatte das Bedürfnis, jemanden zu finden, der für all meine Abgründe unter der äußeren Fassade Verständnis hätte. Und das warst du. Bevor du gekommen bist, fehlte mir etwas. Und zwar du , Rowan. Du fehltest mir. Bei dir fühlte ich mich gesehen und trotzdem sicher. Ich fühlte mich sicher, zu unseren Bedingungen zu spielen. Sicher genug, um Spaß zu haben, obwohl unsere Auffassung von Spaß von der anderer Menschen krass abweicht.«
Er beißt die Zähne zusammen, als wollte er die Worte zurückhalten, die aus ihm hervorbrechen. »Das ist das Problem, Sloane! Es ist eben nicht sicher. Nicht im Geringsten.« Ich öffne schon den Mund, um zu protestieren, doch Rowan packt mein Kinn und zwingt mich, ihn anzuschauen. Sein Blick ist grimmig und streng. »Ich habe dich fast verloren«, sagt er und macht dabei hinter jedem Wort eine Pause, als wollte er sie in mein Hirn hämmern.
»Ich. Bin. Hier«, antworte ich in derselben Weise, fasse seine Hand und lege sie mir aufs Herz, das immer schneller gegen die Rippen hämmert. »Genau hier.«
»Sloane …«
Genug geredet.
Ich überwinde die Distanz zwischen uns und presse meine Lippen auf seinen Mund. Entsetzt erstarrt er. Ich drücke seine Hand, die immer noch feucht und heiß auf meiner Brust liegt, und dränge meine Zunge gegen seine Lippen. Lass mich rein. Da wird mir klar, dass ich immer drinnen war – in Rowans Gedanken, in seinen Plänen, vielleicht sogar in seinem Herzen –, und mich erschreckt die Vorstellung, dass er mich plötzlich ausschließen könnte.
Er erwidert meinen Kuss, aber nur zaghaft, als versuchte er, mich von sich fernzuhalten, obwohl er es nicht will.
Ich schiebe seine Hand über meine Haut. Sein Atem stockt, weil ich an meiner Brust innehalte, als das Piercing an meinem Nippel in der Mitte seiner Handfläche liegt. Rowan stöhnt gequält auf und drückt seine Hand härter gegen meine Brust. Aber sein Kuss ist immer noch nicht so wie in der Scheune, als ich das Gefühl hatte, wir würden unserem Schicksal entkommen, weil uns ein besseres erwartete.
Also schiebe ich seine Hand weiter, ziehe sie über mein Brustbein und von dort meinen Körper hinunter. Lasse seine Hand langsam ins Wasser gleiten, bis sie sanft auf meinem Nabel landet. Ich weiß, dass ihm auch dieses Piercing gefällt. Das konnte ich in seinen Augen sehen, als er mich im Spiegel betrachtete.
Unsere Lippen lösen sich voneinander, als ich tiefer gehe. Sein Atem weckt all meine Sinne, der Duft nach Bourbon ist wie ein Phantom zwischen uns. Ich atme ihn tief ein und halte ihn in meiner Lunge fest, bis mir das Blut in den Ohren pulsiert.
Ich drücke Rowans Handfläche auf den Scheitelpunkt meiner Schenkel und halte sie dort fest.
Er holt stockend Luft.
»Sloane … ist das …«
Ich nehme meine Hand weg und lasse ihn auf Erkundungstour gehen. Seine Finger ertasten meine Klitoris und das Triangle-Piercing dort. Bei der Explosion der Empfindungen beiße ich mir auf die Unterlippe. Dann bewegt er sich weiter nach unten zu den symmetrischen Schamlippen-Piercings, deren Stäbchen mit kleinen Titankugeln versehen sind. Als er mein Fourchette-Piercing erreicht, zittert er fast vor Anspannung.
»Raus aus der verdammten Wanne«, grollt er, packt meinen gesunden Arm und hebt mich hoch. Das Wasser schwappt über den Wannenrand auf seine Jeans, aber das scheint er nicht mal zu bemerken.
»Aber ich bin gerade erst reingestiegen! Auf deinen Befehl hin, möchte ich hinzufügen.«
»Ist mir scheißegal.«
Als ich ihn unschuldig anlächle, ernte ich einen scharfen, hitzigen Blick.
»Hattest du nicht gesagt, du müsstest dich um mich kümmern?«
»Genau das werde ich jetzt tun.«
Kaum habe ich meinen zweiten Fuß aus der Wanne gelupft und auf die Badematte gestellt, hebt er mich schon hoch. Er gibt mir kein Handtuch, sondern umhüllt mich mit seinen Armen. Sein Hemd wird nass, und dicke Tropfen fallen von meinem Körper auf den Boden.
Mit mehr Kraft als nötig reißt Rowan die Tür auf und stapft zum Bett.
»Aber ich bin kein gottverdammter Engel, Sloane.«
Er pflanzt mich auf die Bettkante und tritt zurück. Bei jedem Atemzug drückt sich seine Brust gegen sein nasses Hemd. Mit verschränkten Armen starrt er zu mir hinunter. Ich habe die Beine gekreuzt und umklammere mit meinem gesunden den verletzten Arm, während das Wasser auf meiner Haut abkühlt.
»Zeig’s mir«, befiehlt er.
Ich ziehe die Augenbrauen hoch, während mein Herz versucht, sich an meinen Rippen aufzuspießen. »Was denn?«
»Das weißt du genau. Leg dich aufs Bett, spreiz die Beine, und zeig’s mir!«
»Aber dann mache ich alles nass …«
Ich habe noch nicht mal ausgesprochen, da ist er direkt vor mir, nur Zentimeter von meinem Gesicht entfernt, und stützt sich mit den Händen dicht an meinen Hüften aufs Bett. »Sehe ich aus, als würde mich das interessieren? Glaubst du echt , das wär mir nicht scheißegal?«
Meine Haut kribbelt, als bettelte sie um seine Liebkosung. Aber das weiß er sicher, er kann es mit jedem Atemstoß spüren, der meinen Lippen entweicht. Doch er achtet darauf, mich nicht zu berühren – außer mit seinem heißen, brennenden Blick.
»Ich hab’s satt, um den heißen Brei herumzuschleichen, Sloane. Ich will dich seit vier Jahren. Und du wirst mir jetzt zeigen, was mir entgangen ist.«
Er rührt sich nicht, während ich langsam die Verschränkung meiner Beine löse und mich mit dem rechten Arm auf der Matratze abstütze. Während ich weiter das Bett hinaufrutsche, stützt er sich auf die Fäuste und rückt mit dem Gesicht hinterher, bohrt seinen Blick in meinen, bis er mit meiner Position zufrieden ist. Als ich in der Mitte des Betts bin, richtet sich Rowan auf, beißt die Zähne zusammen und verschränkt erneut die Arme vor der Brust.
»Spreiz die Beine, Sloane.«
Ich atme zittrig aus, aber er sieht mir unverwandt in die Augen. Auf einen Ellbogen gestützt, schiebe ich die rechte Ferse nach rechts, die linke nach links, lasse die Knie aber zusammen. Rowans Blick löst sich immer noch nicht von meinen Augen, obwohl ich vollkommen entblößt bin, als wollte er sich selbst quälen, als wollte er sich gegen sein Verlangen stemmen, den Blick zu senken.
»Weiter.«
Hitze steigt in mir auf, als ich meine Beine ein bisschen weiter spreize. Ein ziehender Schmerz macht sich in meiner Mitte bemerkbar, eine Leere, die darum bettelt, gefüllt zu werden. Jeder Befehl von Rowan ist wie Brennstoff, jedes Wort Zunder.
»Weiter , Sloane. Versuch nicht, dich vor mir zu verstecken, denn das kannst du nicht, das garantiere ich.«
Ich schlucke und spreize die Beine, bis es wehtut.
Erst nach einem Moment löst sich Rowans Blick von meinem und wandert über meinen Körper. Das Drängen seines Verlangens und seine schwindende Selbstbeherrschung spüre ich auf jedem Zentimeter meiner Haut, den er mit seinem Blick berührt. Als seine Aufmerksamkeit auf meiner nackten Pussy verharrt, spannt er die Unterarmmuskeln an.
»Was hat es mit dem Klit-Piercing auf sich?«
Er schaut nicht auf, als ich zögere, sondern wartet nur und betrachtet es. »Ich war achtzehn«, erkläre ich. »Es war mein zweites Piercing, nach dem am Bauchnabel. Natürlich hat es wehgetan, aber nicht so schlimm, wie ich dachte. Aber nachdem es geheilt war, hat es geholfen. Denke ich wenigstens. Beim Orgasmus.«
»Konntest du vorher keinen kriegen?«
»Ich weiß nicht. Bis dahin … hat es sich … nicht so richtig ergeben. Aber damit hatte ich das Gefühl, Kontrolle zu haben.« Als ich sehe, wie Rowans Kiefermuskeln arbeiten, verstumme ich. Seine Augen sind dunkel, halb verdeckt von seinen Lidern. Er weiß gerade genug über meine Vergangenheit, um die Lücken mit seiner Vorstellungskraft zu füllen. »Die Piercings an den Schamlippen habe ich mit zwanzig bekommen. Es gefiel mir, wie sie aussehen. Natürlich sind sie klein, aber irgendwie erinnern sie mich an eine Rüstung. Das ergibt vielleicht keinen Sinn.«
»Doch«, sagt er und blickt mir direkt in die Augen.
Ich schenke ihm ein kurzes Lächeln, das sofort verblasst. »Das letzte, das Fourchette-Piercing, ließ ich mir ein paar Monate machen, bevor wir uns kennengelernt haben. Ich fühle mich damit einfach selbstbewusster. Und ich dachte, meinem Partner würde es vielleicht auch gefallen.«
Rowans Augen sind dunkle Höhlen, und seine Stimme ist so tief und hohl wie ein Brunnen, als er fragt: »Und, war’s so?«
Mein Blick wandert durch den Raum und verharrt im Schatten. Ohne Rowan anzusehen, schüttle ich den Kopf. »Das weiß ich nicht. Seit ich dich getroffen habe, war ich mit niemandem mehr zusammen.«
Darauf reagiert Rowan nur mit Schweigen, das sich immer weiter zwischen uns ausdehnt und allen Sauerstoff aus dem Raum zieht. Als ich den Blick vom Schatten löse, kollidiert er mit Rowans, und da sehe ich es, sehe genau den Moment, in dem sich seine Selbstbeherrschung auflöst.
»Wieso nicht?«, will er wissen.
Wieder schüttle ich den Kopf.
»Ich sagte doch schon, hör auf, dich zu verstecken ! Das läuft bei mir nicht. Nicht mehr. Du willst das hier? Du willst mich? Dann erzähl’s mir, verdammt noch mal, Sloane.« Rowan löst seine Verschränkung und legt die Hände auf meine Knie, um das Zittern in meinen Knochen, die tektonische Verschiebung zu spüren, die mich auseinanderreißt. »Du sagst es mir, verdammt noch mal, damit du weißt, dass du es so gewollt hast, wenn ich dich für alle anderen Männer verderbe. Sag’s mir! «
»Wegen dir«, stoße ich hervor und spüre, wie jeder Atemzug durch meine Lungen zittert. »Weil ich dich getroffen habe. Da wollte ich keinen anderen mehr. Nur dich. Ich will nur dich.«
In seinen Augen zeigt sich weder Freude noch Erleichterung, sondern nur die Intensität eines Raubtiers. Er starrt mich an, wie ein Tiger ein Lamm anstarrt.
Eine Beute, die man verschlingt.
Die Matratze wippt, als er sich erst mit dem einen Bein und dann mit dem zweiten aufs Bett kniet, zwischen meine Waden.
»Erinnere dich daran, was du gerade gesagt hast: Du glaubst, du könntest vielleicht nicht mehr kommen. Denn das wirst du. Wir haben gottverdammte vier Jahre aufzuholen.« Rowan lässt sich zwischen meine Schenkel sinken und umfasst mit seinen schwieligen Händen mein empfindliches Fleisch, damit ich weit offen bleibe. Mit jeder Ausatmung wärmt er die Nässe, die sich an meiner Öffnung gesammelt hat. Mit seinem Blick hält er mich immer noch gefangen, quer über meinen Körper, einem Sog, dem ich nicht entfliehen kann. »Wähle ein Safeword. Sofort.«
Ich schlucke. Hart. »Kettensäge.«
Sein heiseres Lachen wärmt den Eingang zu meinem Kern. »Sehr passend, Liebes. Und jetzt sei ein braves Mädchen, und halte dich gut fest«, sagt er und fährt langsam und träge mit der Zunge über meinen Mittelpunkt, »denn jetzt werde ich dich vernichten .«