Detonieren
Sloane
Ich kann nicht schlafen, obwohl mein Körper völlig erschöpft ist und mein Kopf entspannter als je zuvor.
Möglicherweise hat das etwas mit dem Schwanz in meiner Pussy zu tun.
Ich denke, so, in Rowans Armen, könnte ich einschlafen. Noch nie habe ich mich so sicher gefühlt. Und mir gefällt die Vorstellung, so wegzudämmern, immer noch in einer Weise verbunden, die ich bei niemandem sonst zulassen würde.
Aber ich kann nicht. Denn ganz gleich, wie müde ich bin, ich begehre ihn.
Er hat etwas in mir ausgelöst, er hat mich aufgebrochen und etwas in mir enthüllt, von dessen Existenz ich nichts wusste. Zwar hatte ich vorher schon guten Sex, aber es reichte nicht mal ansatzweise an das heran, was ich mit Rowan hatte. Wie er mich nimmt, fühlt sich an wie Geben . Er scheint genau zu wissen, wann und wie weit er mich pushen muss. Und am Ende ist es leidenschaftlich. Hemmungslos.
Und das will ich schon wieder, obwohl unsere Gastgeber uns wahrscheinlich schon aus tiefster Seele hassen.
Jedes Mal, wenn ich mir vorstelle, wie ich morgen Rose und Fionn unter die Augen treten soll, schießt mir das Blut in die Wangen. Wir waren so laut. Beide. Mehr als einmal schrie ich Rowans Namen. Und er brüllte meinen, als er, seine Hand um meine Haare gekrallt, in meinem Mund kam.
Als ich schließlich darum bettelte, aufzuhören, nahm er meinen schlaffen, erschöpften Körper in die Arme, stützte meine verletzte Schulter mit Kissen und schob sich zurück in meine Muschi. Ich keuchte erschrocken auf, und als ich ungläubig einen Fluch murmelte, spürte ich sein Lächeln an meinem Hals.
»Schlaf jetzt, Blackbird«, sagte er, drückte mir einen Kuss auf den Nacken und bettete seinen Kopf auf sein Kissen. »Oder lass es, wie du willst. Aber ich werde schlafen wie ein Stein, hier mit meinem Schwanz geborgen in deiner perfekten Pussy.«
Wie zum Teufel sollte ich nach so einem Satz noch schlafen?
Nun liege ich also hier, sehne mich dringend nach Reibung, nach Bewegung, will aber nicht den Mann aufwecken, der mit ganzer Länge in meiner Möse steckt.
»Gott«, flüstere ich.
Zuerst dachte ich, er würde weich werden und aus mir herausgleiten, aber das ist bislang nicht passiert. Ich weiß nicht, wie lange wir schon so daliegen, vielleicht zwanzig Minuten, aber mir kommt es vor wie eine Ewigkeit. Wenn ich mich nur bewegen und mich von diesem schmerzenden Verlangen erlösen könnte …
In diesem Zustand werde ich die ganze Nacht kein Auge zutun.
Nein, das wird die reinste Folter werden. Was ihm vermutlich gefallen wird.
Entschlossen atme ich langsam aus.
Ich schiebe meinen linken Arm durch unser Kissennest, bis ich mit einem erleichterten Seufzer meine Finger auf meine Klitoris drücken kann. Meine Schulter tut noch zu weh, um mich frei zu bewegen, aber es muss ja nicht perfekt sein, schließlich ist Rowans Schwanz noch in mir. Ich bin schon fast so weit, brauche nur noch einen kleinen Schubs.
Ich beiße mir auf die Unterlippe und fange an, meine Finger über den empfindlichen Knotenpunkt meiner Nerven zu reiben und mein Piercing zu umkreisen. Am liebsten will ich aufstöhnen. Meine Finger werden feucht und glitschig. Während ich mich selbst berühre, denke ich daran, wie Rowan mir all seine Fantasien zuflüsterte, als er mich fickte: wie er mich in der Öffentlichkeit vögeln würde, wie er meine Beine weit auf einem Tisch im Restaurant öffnen und mich verschlingen würde, wie er mich mit meinem Spielzeug befriedigen und gleichzeitig anal in mich eindringen würde.
Mir entfährt ein Wimmern.
Ich erstarre. Halte die Luft an. Aber nichts ändert sich an Rowans Umarmung oder am Rhythmus seiner Atemzüge. Kein Hinweis, dass ich ihn gestört habe.
Als ich sicher bin, dass sich nichts verändert hat, bewege ich langsam wieder die Finger.
»Sloane.«
Erneut erstarre ich, atme nicht, presse die Finger reglos gegen mein Piercing.
»Du scheinst da was vorzuhaben. Willst du mir davon erzählen?«
»Ähm …«
Rowan stützt sich auf einen Ellbogen, um mein Profil zu betrachten. »Haben wir nicht schon übers Verstecken gesprochen?« Er zieht seinen anderen Arm unter meiner Taille hervor und legt seine Hand auf meinen Ellbogen. Als er mit den Lippen über mein Ohr streicht, erschauere ich. Ich weiß auch, ohne ihn zu sehen, dass er wieder dieses provozierende Grinsen hat, das er so oft zeigt, wenn wir zusammen sind. Er versucht immer, mich auf die Palme zu bringen. Genau wie jetzt. Das war wahrscheinlich von vornherein sein Plan.
Ich schnaube missmutig.
Er lacht. »Ich hab da ein paar Ideen. Lass mich mal meine Theorien erläutern.«
Er gleitet mit der Hand meinen Arm hinunter, über mein Handgelenk, drückt meine Finger stärker auf meine Klitoris. Beim Ansturm der Empfindungen kneife ich die Augen zu.
»Ich glaube, du konntest nicht einschlafen. Du dachtest darüber nach, wie gut es sich angefühlt hat, so gefickt zu werden, wie du es verdienst. Zugegeben, es war wohl nicht ganz leicht, einzuschlafen, während mein Schwanz tief in deiner gierigen Möse steckte, nicht wahr?«
Rowan zieht sich langsam aus mir heraus und gleitet dann wieder in mich, bis seine Leiste meinen Arsch berührt. Ich zittere bereits. Er wiederholt das und beißt mir ins Ohrläppchen, nicht so, dass es wehtut, doch kräftig genug, dass ich aufkeuche.
»Ich hab dir eine Frage gestellt, Liebes.«
»J-ja«, stoße ich aus und werde mit einem Kuss und stärkerem Druck auf meinen pochenden Kitzler belohnt. »Ich konnte nicht schlafen.«
»War das so schwer?«
Ich schüttle den Kopf. Obwohl das gelogen sein könnte. Wenn er das merkt, so zeigt er das nicht.
»Ich glaube, du hast all die Dinge, die ich mit dir anstellen will, nicht mehr aus dem Kopf gekriegt. Du hast dich gefragt, ob das nur Fantasien waren oder Versprechungen. Und als du damit nicht aufhören konntest, weckten all die Ideen, die dir im Kopf herumgingen, dein Verlangen. Das Verlangen , gevögelt zu werden, obwohl du doch so verdammt müde bist. Und du musst wissen, was real ist.«
Er kann meine Gedanken lesen. Das ist erschreckend und beglückend zugleich. So lange war ich allein. Und jetzt ist er in meinem Kopf, als wäre er schon immer dort gewesen.
Er hatte recht, als er sagte, ich könnte mich nicht mehr vor ihm verstecken. Er hat nicht nur meinen Käfig geöffnet, er hat ihn zerstört, und jetzt brennen die ersten Atemzüge der Freiheit in meiner Lunge.
»Ja«, gebe ich zu, diesmal mit mehr Nachdruck. »Das stimmt alles.«
Als Rowan langsam ausatmet, löst der Luftzug auf meiner Schulter eine Gänsehaut aus. Ohne nachzufragen, weiß ich, dass er erleichtert ist, weil er die Antwort nicht aus mir herauskitzeln muss. Weil ich ihm, genau wie meinen Körper, auch meine Gedanken, Hoffnungen und Ängste anvertraue.
»Rühr dich nicht vom Fleck«, befiehlt er und drückt kurz auf meine Finger, als wollte er mich auffordern weiterzumachen.
Er gleitet aus mir heraus, und die Matratze wippt, als er aus dem Bett steigt. Ich drehe mich gerade so weit herum, um zu sehen, was er tut. Er geht zu unserem Gepäck. Zum ersten Mal sehe ich seine Rückseite und erkenne selbst im schwachen Licht vom Bad, dass er mehrere breite und lange Narben hat. Aber da breitet sich noch etwas über seine Schultern aus.
Mir pocht das Herz bis zum Hals und droht, meine Rippen zu sprengen.
»Rowan …«
Er bleibt stehen, dreht den Kopf zu mir und sieht über die Schulter, wie ich mich aufsetze und genauer das Tattoo betrachte, das über seine kräftigen Rückenmuskeln verläuft. Er verdreht noch mehr den Kopf, um meinem Blick zu folgen, sieht aber nur die Spitze eines Flügels auf seiner Schulter.
»Ist das … hast du …«
»Ob ich mir den Raben, den du auf dem Tisch liegen gelassen hast, auf meinen Rücken habe tätowieren lassen?« Wieder ist sein Lächeln provozierend, als er meine Frage ausspricht, aber darunter verbirgt sich ein Anflug von Schüchternheit. »Ja, sieht so aus.«
Ich versuche, den Kloß herunterzuschlucken, der sich in meiner Kehle gebildet hat. »Warum?«
Er grinst breiter und zuckt die Achseln, bevor er sich wieder umdreht, um in einer der Taschen zu wühlen. In meiner Tasche.
»Erstens konnte ich das Original nicht ständig dabeihaben. Es hätte zerstört werden können.« Mit einem leisen Laut des Triumphs dreht er sich zu mir um. Mir klappt die Kinnlade nach unten, und mein Mund steht noch offen, als ich sehe, was er in Händen hält: meinen Vibrator in der einen und ein Fläschchen Gleitmittel in der anderen. »Wie’s aussieht, muss ich ein paar Unklarheiten beseitigen.«
Langsam nähert sich Rowan dem Bett. Mein Herz prallt wie ein Flipperball gegen meine Rippen.
»Dreh dich um. Auf die Knie.«
Ich schlucke. »Du bist ziemlich dominant.«
Rowan grinst.
Ich werfe ihm einen letzten, hitzigen Blick zu, bevor ich gehorche und ihm meine Rückseite zudrehe.
»Leugne nicht, dass dir das gefällt«, erwidert er und rückt auf dem Bett hinter mich. Er nimmt meine gesunde Hand und faltet sie um eine der Streben am Kopfende, danach positioniert er meine Hüften, wie er sie haben will, und drückt mit seinem muskulösen Bein meine Knie weiter auseinander. »Deine Pussy verrät dich. Sie tropft schon, Sloane.«
»Du hattest recht. Du bist wirklich kein Engel.«
Er drückt den Vibrator durch meine Schamlippen und in meine Öffnung. »Verdammt richtig. Aber du auch nicht.« Er schiebt ihn ein paar Mal hinein und zieht ihn wieder heraus, dann schaltet er ihn ein. »Ich habe gesagt, ich würde deinen Mund vögeln, und das habe ich getan. Ich sagte, ich würde im Restaurant deine Pussy essen, als wäre sie das Beste, was ich je bekommen habe, und das werde ich auch. Und ich sagte, ich würde in deinem Arsch abspritzen und dich gleichzeitig mit deinem Spielzeug vögeln. Und weißt du, was passiert ist, als ich das gesagt habe?«
»Nein«, erwidere ich erstickt, währen er den Vibrator immer tiefer in mich hineinstößt.
»Deine Möse hat sich so eng um meinen Schwanz zusammengezogen, dass ich dachte, ich würde verdammt noch mal gleich explodieren. Du warst tropfnass. Es lief dir die Beine hinunter.«
Ich höre, wie die Kappe vom Fläschchen aufspringt, Gleitmittel fließt mir über die Ritze und mein enges Poloch. »Hast du das schon mal gemacht?«
»Ja … aber umgekehrt.«
Er drückt seinen Daumen in meinen Anus, massiert den Rand, hält aber den Rhythmus des Vibrators aufrecht.
»Und es hat dir gefallen.«
Wieder nicke ich. »Ja.«
»Gut«, sagt er entschlossen und schiebt seinen Daumen so tief in meinen Arsch, dass ich aufkeuche.
Er lockert meinen engen Schließmuskel, bis ich mich entspanne und mich ihm in einer stummen Bitte um mehr entgegendrücke. Und dann ist sein Daumen weg und wird ersetzt durch die befeuchtete Spitze von seinem Schwanz, mit der über das enge Loch gleitet und dagegendrückt, bis er den Widerstand überwindet. Er hält inne, während ich mich tief ein- und ausatmend an die neue Empfindung gewöhne, dann beginnt er mit langsamen, kurzen Stößen, die immer länger werden und gegen die Vibration in meinem anderen Kanal andrücken.
»Da wir nun geklärt haben, dass alles, was ich gesagt habe, ein gottverdammtes Versprechen ist«, knurrt er, während er den Rhythmus seiner Stöße intensiviert, »sollten wir wahrscheinlich deine andere Frage klären.«
Ich schwitze und zittere, drifte in eine tranceähnliche Dimension, wo es nichts gibt außer diesem köstlichen Gefühl, in das sich ein Hauch von Unbehagen mischt, das aber der Euphorie, die mich erfasst hat, zusätzliche Würze verleiht. Rowan stößt jetzt tief und rhythmisch in mich hinein, sodass ich nicht sicher bin, ob ich mich auch nur an meinen eigenen Namen erinnern kann, geschweige denn an eine Frage, die ich irgendwann vor einigen Minuten gestellt habe. »Frage …? Was …?«
Ich höre sein gedämpftes Lachen. Lieber Gott, ich bin ja nicht mal mehr in der Lage, einen zusammenhängenden Satz zu bilden, und dieser Mann fickt mich unermüdlich, während er wahrscheinlich noch imstande wäre, detailliert den Verlauf der Napoleonischen Kriege zu schildern.
Rowan beugt sich über mich, wird langsamer und bedeckt meinen Rücken mit seinem heißen Körper. Mit einer Hand umfasst er meine Brust und zwirbelt meinen Nippel mit seinen Fingern, während er mir sanft über den Nacken bläst, sodass ich erschauere. »Zum Tattoo, Sloane«, sagt er mit zuckersüßer Stimme. »Du hast gefragt, wieso ich es habe.«
Ich wimmere, als ein tiefer Stoß mich näher zu einem intensiven Orgasmus bringt, der sich spürbar aufbaut. »Ach ja … äh …«
»Hast du eine Idee?«
Ich drücke die Stirn gegen meinen Arm und stoße einen erstickten Schrei aus. »… mich magst …?«
»Weil ich dich mag …?« Rowan stößt ein ungläubiges Lachen aus. »Dich mag? Ernsthaft …? Gott, Sloane. Du bist verdammt brillant, aber du bist der gleichzeitig sturste und naivste Mensch, den ich je getroffen habe. Glaubst du wirklich, es wäre nur mögen gewesen, als ich das Bild, das du mir auf einem Zettel dagelassen hattest, gerahmt und in der Küche aufgehängt habe, damit ich es jeden Tag betrachten und an dich denken konnte? Glaubst du, es wäre ein Zeichen dafür, dass ich dich mag , als ich es mir in die Haut stechen ließ? Jedes Jahr spiele ich dieses verfickte Spiel und ertrage es, dass mir das Herz bricht, wenn du wieder gehst – und du glaubst, das mache ich wieder und wieder, weil ich dich mag ? Glaubst du, wenn ich dich so vögle, würde ich dich nur mögen ?«
Der Rhythmus wird schneller. Rowans heiße Hand liebkost meine Brust. Er manövriert seinen Schwanz wie einen Kolben und wird noch heftiger, als ich seinen Namen schreie.
»Ich würde für dich morden, und das habe ich schon. Ich würde es wieder tun, jeden verdammten Tag. Ich würde mir die Eingeweide für dich rausreißen. Ich würde mein Leben für dich geben. Ich mag dich nicht nur, Sloane, und das weißt du, verdammt!«
Heftige Stöße treiben mich über den Rand der Klippe. Vor meinen Augen explodieren Sternchen. Als mich der Orgasmus in tausend Stücke reißt, stoße ich einen Laut aus, den ich noch nie von mir gehört habe.
Ich löse mich nicht auf – ich detoniere .
Rowan schlingt den Arm um meine Taille und drückt mich fest an sich, als er kommt. Mein Herzschlag dröhnt so laut in meinen Ohren, dass ich meinen Namen nur gedämpft höre.
Er ist immer noch atemlos und holt mit bebender Brust Luft, als ich den Vibrator ausschalte. Kaum hörbar flüstert er mir ins Ohr: »Ich mag dich nicht nur, verstanden?«
Ich nicke.
Rowans Finger liebkosen sanft und langsam meinen Kiefer. Als seine Hand meine Wange umschließt, drücke ich mich dagegen. »Und du magst mich auch nicht nur, oder.«
Das ist keine Frage. Und keine Forderung. Es ist das Bedürfnis, aus dem Gefühl der Einsamkeit befreit zu werden.
Es macht klick bei mir, als ich Larks Worte über das Dröhnen meines Herzschlags hinweg höre: Nutze deinen Mut zur Abwechslung mal für dich selbst.
Also schiebe ich alle meine Was und Wenn s beiseite. Alle bis auf eines.
»Nein«, flüstere ich. »Ich mag dich nicht nur, Rowan. Ich denke ständig an dich. Ich vermisse dich jeden Tag. Seit ich dich kennengelernt habe, ist alles anders. Und das macht mir Angst. Große Angst.«
Rowan drückt einen Kuss auf meine Schulter und fährt mit dem Daumen über meine Wange. »Ich weiß.«
»Du bist viel mutiger als ich.«
»Nein, Sloane«, sagt er mit leisem Lachen und entzieht sich mir. »Ich bin nur rücksichtsloser gegenüber mir selbst. Ich habe auch Angst.«
Ich sehe zu, wie er das Bett verlässt, ins Bad geht und mit dem Waschlappen und Kosmetiktüchern zurückkommt. Er lässt sich Zeit, wäscht langsam und zärtlich meinen Körper und verliert sich mit nachdenklich gerunzelter Stirn in seinen Bewegungen.
»Wovor hast du Angst?«, frage ich, als sich die Stille so lange ausdehnt, dass ich das Gefühl habe, meine Knochen fangen schon an zu summen.
Rowan zuckt die Achseln und antwortet, ohne aufzuschauen: »Weiß nicht. Ich habe ständig den Albtraum, dass mir die Augäpfel mit einem Industriestaubsauger aus dem Kopf gesogen werden. Keine Ahnung, wie ich auf so was komme.« Ich schlage ihm auf den Arm, und da endlich verwandelt sich Rowans stoische Maske zu einem leichten Lächeln. Doch das verblasst schnell wieder, und erst da sagt er: »Ich habe Angst davor, dass du mich zerstörst. Und dass ich dich zerstöre.«
Theatralisch stoße ich einen Seufzer aus. »Also geht’s gleich zur Zerstörung, wie? Hältst dich nicht mit dem schnöden Zeug auf, vor dem man Angst haben könnte, wie zum Beispiel, dass wir in unterschiedlichen Staaten leben, dass wir beide wie verrückt arbeiten, oder auch, dass ich nur eine einzige Freundin habe, du aber offenbar mit ganz Boston rumhängst. Nope. Direkt zu den großen Themen, direkt zur Zerstörung .«
Wieder lächelt er, aber ich sehe in seinen Augen, wie die Angst noch seine Gedanken beschäftigt, und das überträgt sich auf mich. »Nichts davon ist unlösbar. Wir müssen einfach tun, was normale Menschen tun. Reden und so.«
»Wir sind nicht so gut in den Sachen, die normale Menschen tun.« Ich zeige auf mein Gesicht. »Beweisstück A. Wir hätten lieber Bier trinken gehen sollen.«
»Dann werden wir eben gut darin. Wir müssen nur üben.«
Das sagt sich so leicht: üben. Jeden Tag ein bisschen besser werden. Ein klein wenig stärker. Es ist schwer, sich vorzustellen, wie man diese Hindernisse überwinden soll, wenn man in deren Schatten steht. Aber wenn ich mich nie in Bewegung setze, dann werde ich sie niemals überwinden. Und Lark hatte recht: Es war sehr einsam im Schatten.
Also stelle ich mir ständig die eine Frage: Was wäre, wenn ich es versuchte?
Ich überlege mir nicht mal mögliche Antworten, denn die einzig wahre Antwort lautet: Ich weiß es nicht. Ich wollte es vorher nie, jedenfalls nicht so wie jetzt, und habe es nie richtig versucht.
Such keine Antwort auf die Frage, sondern versuch es einfach.
Das denke ich, während ich mich im Badezimmerspiegel betrachte. Das denke ich auch, als ich wieder ins Bett steige und Rowan mir hilft, ein Tanktop anzuziehen, bevor er mir erneut die Armschlinge anlegt. Und das denke ich, als ich mich neben ihn lege. Er betrachtet mich ganz unverhohlen, und ich betrachte ihn. Uns beiden fallen schon fast die Augen zu, aber er weicht meinem Blick nicht aus. Und ich denke wieder: Versuch’s einfach.
Ich ziehe meinen rechten Arm hervor und hebe eine Faust. »Schere, Stein, Papier.«
»Wozu?«
»Tu’s einfach, mein Hübscher.«
Er grinst leicht misstrauisch und legt seine Faust auf meine. Bei drei treffen wir unsere Wahl. Rowan hat Stein, ich hab Schere.
Ich weiß schon, dass bei diesem Spiel meistens Stein gewählt wird. Ich hab’s recherchiert, nachdem Rowan es beim ersten Mal als Entscheidungshilfe vorschlug. Und ich weiß schon, dass Rowan sich fast immer für Stein entscheidet.
»Was habe ich gerade gewonnen?«, fragt er.
»Du kannst mich alles fragen, und ich werde dir ehrlich antworten.«
Seine Augen blitzen im trüben Licht auf. »Echt?«
»Ja, frag was, egal, was.«
Rowan überlegt und nagt dabei an seiner Unterlippe. Er braucht eine ganze Weile, um sich für eine Frage zu entscheiden. »Als wir in West Virginia waren und ich Francis umgebracht habe, wolltest du verschwinden. Warum bist du geblieben?«
Sofort habe ich das Bild vor mir, wie Rowan auf dem Asphalt kniete. Immer wieder habe ich daran gedacht, wie er in seiner wahnsinnigen Raserei auf den Mann einprügelte. Ich beobachtete es aus dem Schatten, und als Rowan schließlich aufhörte, wich ich zurück. Abhauen war das Vernünftigste. Rowan war eindeutig außer Kontrolle. Gefährlich. Erst kurz zuvor hatte er mich an der Kehle gepackt. Ich hatte Angst. Und doch vertraute ich ihm. Ein Teil in mir wusste, dass er mich von Francis und dem Wagen weggestoßen hatte, um mich im Schatten zu verstecken. Und als es vorbei war, schrie meine Stimme der Vernunft, ich müsste sofort abhauen, aber mein Herz sah einen gebrochenen Mann auf der Straße, der Mühe hatte, sich aus seiner Raserei zu befreien.
Und das Erste, was ihm danach über die Lippen kam, war mein Name.
Mehr als zwei Schritte hatte ich nicht zurückweichen können. Ich hatte mich nicht mal abgewandt.
»Du hast nach mir gerufen. Du klangst so verloren. Ich …« Ich schlucke, und mit einem Mal spüre ich in der Dunkelheit seine Berührung, ein warmes Kribbeln, das meinen Arm hinauf- und wieder hinunterwandert. »Ich wusste, du wünschst dir nicht nur, dass ich bleibe. Du hast mich gebraucht. Und ich bin schon seit langer Zeit nicht mehr so gebraucht worden.«
Zärtlich berührt er mit den Knöcheln seiner Hand meine Wange, im scharfen Kontrast zu der Gewalt in jener Nacht, die auf seinen Knöcheln Narben hinterlassen hat. »Wahrscheinlich ist es längst offensichtlich, aber ich bin froh, dass du geblieben bist.«
»Ich auch.« Ich beuge mich zu ihm, drücke meine Lippen auf seine und genieße seine Wärme und den vertrauten Geruch. Als ich mich von ihm löse, sage ich: »Darf ich dir auch eine Frage stellen, obwohl ich bei Schere, Stein, Papier verloren habe?«
Rowan lacht und gibt mir einen Kuss auf die Schläfe. »Ich denke, da kann ich eine Ausnahme machen. Aber nur eine.«
»Ich weiß noch, dass du Francis was zugeflüstert hast, bevor du ihn fertiggemacht hast. Was war das?«
Darauf schweigt er so lange, dass ich schon befürchte, er wird niemals antworten. Rowan gleitet mit der Hand unter mein Kissen und zieht mich näher zu sich, bis mein Kopf an seiner Brust liegt. Sein Herzschlag ist ein Trost in der Dunkelheit.
»Ich habe dasselbe gesagt wie zu dir, kurz bevor ich ihn tötete«, erklärt er schließlich. »Dass du mir gehörst.«
Als dieses letzte Puzzlestück sich einfügt, tut es ein bisschen weh, so als müsste mir das Herz brechen, um Platz dafür zu schaffen. Ich kann es kaum glauben, aber vielleicht war sich Rowan sofort über uns sicher, über das, was wir sein könnten und was er wollte. Er hat geduldig gewartet, bis auch ich sicher war.
Ich küsse seine Brust und lege meine Wange auf sein Herz. »Ja, das ist wohl wahr.«
Dann fallen mir die Augen zu, und als ich sie wieder öffne, durchflutet das Licht der Morgendämmerung, das durch die Blendläden hereindringt, das ganze Zimmer.
Ich liege immer noch in Rowans Armen, unsere Beine sind miteinander verschlungen, und er hat den Arm um meine Taille gelegt. Er schläft tief und fest. Ich nehme mir einen Moment Zeit, um zu beobachten, wie seine Augenlider leicht zucken und seine Brust sich gleichmäßig hebt und senkt, dann löse ich mich von ihm und verlasse das Bett. Als ich wieder aus dem Bad komme, hat er sich immer noch nicht gerührt, also ziehe ich mich leise an und lasse ihn schlafen.
Der Geruch nach Kaffee und süßem Teig lockt mich den Flur hinunter. Als ich das Esszimmer betrete, sitzt Rose, die dunklen Haare zu einem losen Zopf geflochten, schon da und hat einen Teller Waffeln vor sich. Sie schaut auf, als ich näher komme, lächelt herzlich und strahlt mich mit ihren großen braunen Augen an.
»Morgen«, sagt sie. »In der Küche sind noch mehr. Bedien dich.«
»Danke. Und es tut mir wirklich leid.«
»Was denn?«, nuschelt Rose mit vollem Mund. Sie lässt den Blick durchs Zimmer huschen und sieht mich dann prüfend an, als überlegte sie, ob ich ihr letzte Nacht etwas gestohlen hätte.
»Weil wir so … laut waren.«
Daraufhin zuckt Rose nur die Achseln und richtet ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Waffeln. »Schätzchen, seit ich fünfzehn war, habe ich in einem echten Zirkus gelebt. Wenn ich müsste, könnte ich jetzt auch auf einem Karussell schlafen.«
Ich schnaube lachend, gehe in die Küche und nehme zwei Becher vom Regal, um sie mit Kaffee zu füllen. »Dann ergibt die Sache gestern mit der Clown Alley mehr Sinn.«
»Tja, was auch immer da los war«, erwidert sie und zwinkert mir übertrieben albern über die Kücheninsel hinweg zu, »ich habe nichts gehört. Er hingegen … wirkt ein bisschen mitgenommen.«
Ich drehe mich um, weil Fionn im Schlafanzug, mit wirr abstehenden Haaren und trübem Blick ins Esszimmer geschlurft kommt. Er steuert sofort den Kühlschrank an und holt eine Flasche Probiotika aus einer Reihe in der Kühlschranktür heraus. Als ich zu Rose schaue, bedenkt sie mich mit einem verschmitzten Lächeln.
»Gut geschlafen, Doc?«, erkundigt sie sich. »Also ich habe geschlafen wie ein Stein . Aber bei Sloane und Rowan bin ich mir nicht so sicher.«
Fionn wirft ihr einen finsteren Blick zu. Aber es liegt auch eine unterschwellige Glut darin.
»Tut mir leid«, sage ich und spüre, wie meine Wangen hochrot werden. »Du warst so freundlich, uns kurzfristig aufzunehmen. Wir wollten dich nicht wach halten mit dem ganzen … aufgestauten … äh … Zeug.«
»Keine Sorge, Blackbird. Er kommt schon klar. Dr. Samenstau ist nur ein bisschen neidisch.«
Rowan kommt mit einer tief sitzenden Jogginghose herein, und sein Oberkörper ist bis auf seine prächtigen Muskeln und Tattoos nackt. Ein zweites Mal schießt mir die Röte ins Gesicht, als er mir einen Kuss auf die Schläfe drückt.
»Zieh dir’n T-Shirt an, Loser«, grollt Fionn, als Rowan ihm auf den Rücken schlägt und sich an ihm vorbeizwängt, um sich die Milch zu schnappen.
»Wieso? Ich halte es für ratsam, dich in regelmäßigen Abständen daran zu erinnern, dass ich dir immer noch zeigen kann, wo’s langgeht, obwohl du täglich stundenlang Burpees machst.«
Fionn sieht aus, als wollte er kontern, doch nach einem Blick auf den muskulösen, vernarbten Körper seines älteren Bruders überlegt er es sich anders. »Ich meine, ich hätte gesagt, ihr solltet es langsam angehen lassen«, erwidert er stattdessen. »Euch ausruhen, keine … Extremsportarten.«
Rowans Grinsen ist geradezu teuflisch. »Das war auch kein Sport. Das war Sex.«
Gackernd stopft sich Rose noch ein Stück Waffel in den Mund. »Wunderbar, ich liebe diese beiden. Dürfen sie bleiben?«
»Nein« , grollt Fionn, starrt Rose und dann Rowan finster an. Als er sich mir zuwendet, wird sein Blick entschuldigend. »Unter normalen Umständen könntet ihr natürlich bleiben. Aber dieser Wichser da«, sagt er und weist mit dem Daumen auf Rowan, »wird mir wegen der Sache mit dem Spitznamen das Leben zur Hölle machen, bis er drüber hinweg ist. Ich brauche meinen Schlaf. Und du auch. Tatsächlich solltest du dich ein, zwei Wochen krankmelden, bis du nicht mehr die Schlinge tragen musst.«
»Ich habe noch eine Woche Urlaub«, entgegne ich. »Und da ich seit fast zwei Jahren nicht mehr krank war, sollte das kein Problem sein.«
»Trotzdem schreibe ich dich offiziell krank, nur für alle Fälle. Ich möchte, dass du die Schlinge so oft wie möglich trägst. Und mach ein paar Termine beim Physiotherapeuten. Nichts Schweres heben, und keinen Sport «, mahnt er Rowan mit vielsagendem Blick. Als er ihn wieder auf mich richtet, runzelt er besorgt die Stirn. »Hast du jemanden, der dir, wenn nötig, zu Hause helfen kann?«
»Hat sie«, erklärt Rowan, bevor ich Larks Namen auch nur erwähnen kann. »Sie hat mich.«
Mein Blick hüpft zwischen Rowan und seinem Bruder hin und her. In meiner Brust verschlingen sich Fassungslosigkeit, Nervosität und Freude zu einem dicken Tau. »Du kommst mit nach Raleigh?«
Rowan setzt seinen Kaffee auf der Küchentheke ab. Er sieht mich mit seinen blauen Augen an, die leuchten wie das tiefe Meer im Sonnenlicht. Kein provozierendes Lächeln erhellt seine Miene, kein ironisches Grinsen umspielt seine Lippen, als er näher kommt und vor mir stehen bleibt. Er fährt mit den Fingern die Konturen meiner Wange nach und konzentriert sich ausschließlich darauf.
Und mit einem Mal gibt es nur noch uns zwei.
»Nein, Sloane«, sagt er. »Ich bring dich nach Hause. Nach Boston.«