Als Spion angeworben

Zum zweiten mal innerhalb weniger Tage erlitt ich einen kleinen Schock, als ich zu Hause das Wohnzimmer betrat. Beim ersten mal war Tom für die Überraschung zuständig gewesen, diesmal waren es der Prof und Gøran. Sie saßen mit meinen Eltern zusammen und tranken Kaffee, das heißt, mein Alter trank Bier, jetzt, wo er sich das leisten konnte. Dass sie über mich tratschten, war ich mir ziemlich sicher, und es machte mich ganz schön sauer. Ich hatte durchaus nicht vor, die Alten in meinen Plan einzuweihen, und ich fand es gelinde gesagt mies vom Prof, hinter meinem Rücken den Schnabel aufzureißen. Was Gøran hier zu suchen hatte, ahnte ich nicht einmal. Niemand sagte ein Wort, als ich hereinkam, und deshalb ließ ich gleich mehrere los. »Nett von dir«, sagte ich zum Prof. »Zu tratschen, meine ich. Wo du doch wusstest, dass mein Vater schon beim bloßen Anblick dieses verdammten Zettels total ausgerastet ist.« Der Prof starrte in seine halbleere Tasse.

»Aber, aber«, sagte mein Vater. »Jetzt mal immer mit der Ruhe.« Gøran räusperte sich. »Das war nicht die Idee vom Prof, Peter. Wenn du partout auf irgendwen sauer sein willst, dann musst du dich für mich entscheiden.«

Mutter sagte: »Im Kühlschrank steht kalter Saft.«

Ich ging in die Küche und goss mir ein Glas voll. Ich hörte, wie sie im Wohnzimmer murmelten. Einen Moment wünschte ich mir Erik oder Eva herbei - ich weiß nicht warum, aber so dachte ich. Fühlte mich verraten. Was hatten die da drinnen vor?

»Zum ersten«, sagte Mutter, als ich mich neben sie setzte, »ist Katjas Zustand unverändert, das heißt, kritisch. Sie ist immer noch bewusstlos, und es ist ganz ungewiss, wann sie wieder zu Bewusst sein kommen wird.«

»Und zum anderen«, fügte Gøran hinzu, »sieht es so aus, als ob du und der Prof auf der richtigen Spur seid - schon wieder. Hör her, Peter, ich hab mir die Firmennamen von Nummer 46 vorgenommen, weißt du noch?«

»Ja«, antwortete ich und hatte das Gefühl zu wachsen. Meine miese Laune war wie weggeblasen.

»Und dann hast du herausgefunden, dass WWM ‘World Wide Mission’ bedeutet. Und als du das herausgefunden hattest, hast du festgestellt, dass WWM nur ein Deckname für Das Licht des Lebens und den Chinesen Kim ist. Wenn nicht, dann bist du ein verdammt schlechter Journalist.« Gøran hob die Augenbrauen.

»Ich glaube, ich komm schon zurecht. Jedenfalls habe ich just das ausgegraben, was du soeben erzählt hast. Wie hast du das herausgefunden?«

»Hatte ein Rendezvous mit dieser Eva, das hat der Prof euch sicher eben erzählt.« Ich warf ihm einen Blick zu, der tödlich sein sollte, aber ein bisschen schiefging. »Und sie hat mich ins Büro, genauer gesagt ins Zentrum in Markveien mitgeschleift.«

»Erzähl«, sagte mein Vater. Das tat ich.

Er stöhnte und sah Mutter an. »Das gefällt mir nicht. Das gefällt mir überhaupt nicht.«

»Würde es euch etwas ausmachen, mir zu erzählen, worum sich dieser Kriegsrat eigentlich dreht?« fragte ich. »Oder findet ihr, dass mich das nichts angeht?«

»Das geht dich sogar sehr an«, antwortete Mutter. »Und das bedaure ich sehr.«

»Lass mich erklären«, sage Gøran. »Wir bringen schon seit Jahren Artikel über Das Licht des Lebens und ähnliche Sekten und religiöse Bewegungen. Ich meine, dass viele, eben auch Das Licht des Lebens, totaler Humbug sind, ein Riesenbluff, um den Leuten Zeit und Geld zu stehlen. Sie versprechen Frieden und Harmonie, aber in Wirklichkeit haben haufenweise Leute Nervenprobleme und eine leere Brieftasche, nachdem sie mit diesen Leuten zu tun gehabt haben. Was solchen Organisationen gemeinsam ist, abgesehen von einem gewaltigen Geldverbrauch, ist, dass sie eine fast grenzenlose Macht über die Menschen haben, die ihnen zwischen die Finger geraten. Das interessiert mich journalistisch schon seit Jahren. Aber es ist ungeheuer schwierig, an diese Leute heranzukommen, sie sind argwöhnischer als ein Verbrechersyndikat. Von den Mitgliedern kriegt man keine Informationen, und die, denen der Absprung gelungen ist, wollen nicht über das reden, was sie durch gemacht haben. Einerseits, weil es zu viele schlimme Erinnerungen weckt, andererseits, weil sie beim Gedanken an Racheaktionen der Sekte kalte Füße kriegen. Klar? Als du und der Prof mir erzählt habt, was mit Katja passiert ist, fand ich das ehrlich gesagt nicht so wahnsinnig interessant, obwohl es natürlich sehr tragisch ist. Aber wenn wir beweisen können, dass sich Katjas Selbstmordversuch auf irgendeine Weise mit dieser verdammten Bewegung in Verbindung bringen lässt, dann haben wir den großen Wurf gemacht! Dann erwischen wir sie, und dafür würden uns Hunderte von Menschen ausgesprochen dankbar sein. Wenn du wüsstest, wie viele Familien wegen dieser Irren im Dreck stecken …«

»Schön«, sagte ich. »Und an dieser Stelle komme vermutlich ich ins Spiel, was? Als verdammtes Versuchskaninchen. Du brauchst einen Spion, nicht wahr?«

»Ja«, gab Gøran zu.

»Und wie kommst du auf die Idee, dass die dann nicht einfach die totale Gehirnwäsche mit mir veranstalten? Warum soll ich denn mehr in der Birne haben als all die anderen, die sie an der Nase herumführen? Denn das sind bestimmt nicht alles Idioten, die sich von Kims Lehre leimen lassen?«

Mein Vater stöhnte. »Genau das sage ich ja schon die ganze Zeit! Der Junge ist fünfzehn, zum Henker! Weich wie ein Stück Wachs! Ehe wir pieps sagen können, haben die einen Zombie aus ihm gemacht. Er wird Bilder von seinem Guru an die Wand pappen und die halbe Nacht Bongo spielen. Teufel auch, Gøran, warum trittst du nicht selber in diesen Schwachsinnsverein ein?«

Gøran schüttelte den Kopf. »Wir wissen eine Menge über ihr Vorgehen bei Erwachsenen. Es hat sogar einige Prozesse gegeben, die das ans Licht gebracht haben. Aber wir wissen kaum etwas darüber, wie sie bei Kindern und Jugendlichen vorgehen. Und es gibt viele Anzeichen dafür, dass sie sich im Moment gerade darauf konzentrieren. Und ich selber - obwohl ich unleugbar jugendlicher bin als du, kann ich doch keinen Fünfzehnjährigen spielen. Und was dich betrifft, Peter …« Er zuckte die Schultern. »Du bist einfach nicht der Typ, der ausflippt. Und du arbeitest doch von Anfang an als eine Art Spion. Außerdem«, fügte er hinzu, »stehst du ja nicht allein. Hinter dir steckt ein ganzes Team. Wenn du die ersten verqueren Ideen hast, dann schicken wir dich sofort in eine Kurklinik auf dem Lande.«

»Na großartig!« sagte mein Vater. »Super, super, super! Und wer soll den ganzen Mist bezahlen? Der Postbote von Ammerud? Dir ist ja wohl klar, dass diese Leute nicht gerade dafür berühmt sind, dass sie ihren Glauben gratis verteilen? Ich sag dir eins, Gøran …«

»Stopp!« sagte Gøran. »Das mit dem Geld kriegen wir schon hin. Natürlich werden die ziemlich schnell Zaster sehen wollen, davon bin ich völlig überzeugt. Aber irgendwie kriegen wir die notwendigen Kronen schon zusammen.« Er lächelte schlau. »Meinst du, deine Zeitung würde blechen?« fragte Mutter.

»Spinnst du? Offiziell jedenfalls nicht. Sagen wir, die Finanzfrage ist geregelt, ja?«

»Dann bleibt noch die moralische«, sagte mein Vater. »Es ist eine zu schwere Last für einen Fünfzehnjährigen, das musst du doch einsehen.«

Langsam fing er an, mir auf die Nerven zu gehen. »Ich tu's«, sagte ich. Es wurde ganz still im Wohnzimmer. »Hammer«, sagte der Prof.

»Wir hatten eine Abmachung«, sagte ich. »Die hast du gebrochen, Dicker. Und das bedeutet Strafarbeiten.«

»Wie meinst du das?«

»Dass du auch heute Mathe übernehmen musst. Ich geh nämlich zu einem Treffen im Zentrum.«

Ich sagte nicht, dass ich da ohnehin hingewollt hatte.

»Jetzt?« fragte mein Vater.

Ich sah auf die Uhr. »In einer Dreiviertelstunde. Aber vorher muss ich was essen.«

»Ruf mich an, wenn du nach Hause kommst«, sagte Gøran. »Ich bin in der Redaktion.«

Mutter schwieg. Sie sah aus, als ob ich ihr gerade erzählt hätte, ich wollte durch den Atlantik schwimmen.