4.
Carolin sah dem Mann nach, wie er draußen durch den Garten zur Straße ging, den Rücken noch immer gerade, den Kopf noch immer hoch erhoben.
»Ich mag ihn nicht«, sagte sie.
»Leider spielt es keine Rolle, ob du ihn magst oder nicht.« Noah trat ebenfalls zum Fenster und blieb neben ihr stehen.
»Fünf Millionen sind ein schlechter Scherz«, sagte sie. »Nachdem wir so viel Zeit und Geld in Harmony investiert haben …«
Noah unterbrach sie mit einem Räuspern. »Wir stehen mit dem Rücken an der Wand. Ich bin vorhin bei der Bank gewesen. Ein neuer Kredit ist ausgeschlossen.«
Gilbert Fournier verschwand hinter der hohen Hecke am Ende des Gartens. Carolin fühlte kalten Zorn tief in ihrem Innern, wie einen Klumpen Eis im Magen.
»Wir sind kurz vor dem entscheidenden Durchbruch«, sagte sie.
»Wie kurz davor?«
Sie wandte sich Noah zu. Er kümmerte sich mit großem Geschick um die finanzielle Seite ihres Start-ups, aber auch er konnte das nötige Geld nicht einfach aus dem Hut zaubern. Er wusste natürlich, woran sie in den Laboratorien arbeiteten, ohne jedoch alle Einzelzeiten zu kennen.
Carolin sah Trauer in seinen braunen Augen, eine tiefe Niedergeschlagenheit, die ihr zu Herzen ging. Ihr gemeinsames Start-up – vor vier Jahren gegründet und »Harmony« genannt – war sein großer Traum von einer etwas besseren Welt und einem guten Leben. Er hatte gehofft, etwas bewirken zu können.
Sie hob die Hand zu seiner Wange und strich ihm über den rotbraunen Bart. »Wir schaffen es, Noah. Wir kriegen es hin.«
»Wann?«
»Wir sind nahe dran, ganz nahe dran.« Sie bemühte sich, überzeugt zu klingen. »Nur noch einige Wochen. Sleepless wird all unsere Probleme lösen, auf einen Schlag.«
»Fournier hat uns drei Tage gegeben. Nächste Woche Dienstag ist eine große Zahlung fällig. Vielleicht kann ich die Gläubiger eine weitere Woche vertrösten, aber dann ist Schluss. Und Fournier hat recht. Wenn wir Konkurs anmelden, verlieren wir alles.«
Carolin suchte in seinem Gesicht nach Hinweisen darauf, was in seinem Kopf vor sich ging. »Du denkst doch nicht etwa daran, sein Angebot anzunehmen, oder?«
»Fünf Millionen … Mit fünf Millionen …« Noah gestikulierte hilflos. »Damit könnten wir noch einmal von vorn anfangen.«
Carolin blickte nach draußen. Eine Wolke schob sich vor die Sonne, Schatten strichen durch den Garten. »Alles noch einmal von vorn?«
Noah seufzte schwer. »Wie weit seid ihr? Ganz ehrlich?«
»Ich habe dafür gesorgt, dass die Entwicklung aller anderen Smarties hinter Sleepless zurückgestellt wird. Und wir sind fast am Ziel, Noah. Die letzten Testergebnisse waren sehr vielversprechend, vielleicht müssen wir die Formel nicht mehr ändern.«
»Bis wir eine Zulassung bekommen, könnte es zu spät sein.«
Carolin holte tief Luft. »Ich kenne da jemanden, der die ganze Sache etwas beschleunigen könnte.«
»Arents?« Noah schnitt eine Grimasse. »Du willst mit ihm …? O ja, das gefällt mir«, sagte er sarkastisch, »das gefällt mir wirklich.«
Sie schlang die Arme um ihn. »Ich lasse mir von jemandem wie Fournier nicht die Früchte meiner jahrelangen Arbeit nehmen. Auf keinen Fall. Das mit Arents wäre bei Weitem das kleinere von zwei Übeln.«
»Aber …«
Es klopfte an der Tür.
Carolin wich von Noah zurück. »Ja?«
Die tüchtige Dorothea vom Empfang sah herein. »Ein Kommissar Rieker möchte Sie sprechen.«