13.
Black Lily – Königin der Hacker, wie sie sich manchmal nannte, oder zumindest eine Darknet-Prinzessin – residierte in Hamburg Winterhude, in Sichtweite des Polizeipräsidiums am Bruno-Georges-Platz.
Rieker sicherte sein Fahrrad, blickte zu dem großen Gebäude und winkte, nur für den Fall, dass Kowalski am Fenster stand und ihn sah. Dann betrat er das Mietshaus, verzichtete auf den Fahrstuhl und drückte im dritten Stock einen Klingelknopf. Nach wenigen Sekunden spürte er Bewegung hinter der Tür und lächelte freundlich in den Spion.
Eine Frau öffnete: Ende dreißig, schwarzes Haar, dunkle Augen, Finger- und Fußnägel in Pearl Black. Rieker sah die Fußnägel – und noch mehr –, weil Black Lily nur ein knappes dunkles Hemd und einen ebenfalls recht knappen dunklen Slip trug.
»Empfängt man so einen Besucher?«, fragte er, als sie beiseitetrat und ihn einließ.
»Kommt darauf an, wer der Besucher ist«, erwiderte Lily mit rauchiger Stimme.
»Nettes Outfit«, kommentierte Rieker Hemd und Höschen. »Ich nehme an, du ziehst dich um, bevor du einkaufen gehst, oder?«
»Gefalle ich dir?« Lilys Stimme war Sinnlichkeit pur.
»Ich liebe dich, das weißt du doch.« Rieker hob Notebook und Kabel. »Hab dir was mitgebracht.«
»Oh, ein Geschenk für mich?«
»Nicht unbedingt. Das Ding gehört einem Dealer, der jemanden erschossen hat. Dummerweise wurde der Deckel geschlossen.«
»Anmeldepasswort.«
»Genau. Ich hab mir gedacht, die schwarze Lilie kennt bestimmt einen Trick, wie man das Passwort umgehen kann.«
Das weckte Lilys professionelles Interesse. Sie arbeitete als
Freelancerin und führte Verwundbarkeits- beziehungsweise Penetrationstests für große und kleine Unternehmen durch – sie prüfte ihre Computernetze auf Schwachstellen, die Angreifer ausnutzen konnten. Rieker kannte sich gut genug mit diesen Dingen aus, um zu wissen, dass man so etwas »ethisches Hacken« nannte. Er wusste auch, dass Black Lily viel im Deep Web und im Darknet unterwegs war. Was genau sie dort anstellte, entzog sich seiner Kenntnis. Er vermutete eine Verbindung zu irgendeinem der deutschen Geheimdienste, war da aber nicht ganz sicher und wollte auch keine Nachforschungen anstellen, um niemanden aufzuscheuchen. Die Sache mit Innensenator Brois hatte ihm genug Ärger eingebracht, und außerdem konnte Black Lily sehr nützlich sein. Das hatte sie mehr als nur einmal bewiesen.
Lily nahm das Notebook entgegen. »Scheint ziemlich neu zu sein. Mit einem E-Ink-Screen, der schick aussieht, den aber niemand wirklich braucht.«
»Am besten schließt du das Gerät sofort an. Es befindet sich im Stand-by-Modus, und ich weiß nicht, wie es um die Ladung des Akkus bestellt ist.«
Lily führte Rieker in einen großen Raum, der ihm wie eine Mischung aus Schlafzimmer, Büro, Küche und Rumpelkammer erschien. Auf dem wuchtigen Schreibtisch an der Wand mit dem von einer Spotlampe angestrahlten Meeresbild stand ein breiter, gewölbter Monitor. Ein aktiver Bildschirmschoner ahmte die scrollenden grünen Zeichen aus dem Film »Matrix« nach.
Auf der anderen Seite, neben dem Fenster mit den heruntergelassenen Jalousien, stand ein ungemachtes Doppelbett.
Lily bemerkte seinen Blick. »Platz für zwei.«
»Sogar reichlich. Offenbar hab ich dich aus dem Bett geholt.«
Lily kam etwas näher. »Du könntest mich auch wieder hineinbringen. Es ist noch warm.«
»Ein anderes Mal. Es wartet Arbeit auf uns.«
»Auf mich, meinst du wohl.«
»Du würdest mir einen großen Gefallen tun, Lily«, sagte Rieker betont freundlich.
»Liebst du mich, Herr Kommissar?«
»Über alles, mein Schatz.«
»Wenn das so ist …« Lily ging barfuß zum großen Schreibtisch, klappte das Notebook auf, drückte die Ausschalttaste und machte sich daran, das Gerät aufzuschrauben.
»Was hast du vor?«, fragte Rieker.
»Ich nehme das Ding auseinander und hole die SSD heraus, um mir das Dateisystem direkt anzusehen. Normalerweise ist das der schnellste Weg.«
»Wie lange brauchst du?«
»Kommt darauf an, wonach ich suchen soll.« Lily setzte sich, noch immer nur in Hemd und Slip.
Rieker überlegte. »Nach jemandem namens Manfred Henkens, den man auch ›Sabinchen‹ nannte. Und nach Sleepless.«
»Sleepless? Wie ›schlaflos‹?«
»Du hast das Zeug zur Dolmetscherin.«
»Nur der Name und dieses eine Stichwort?«
Rieker überlegte erneut. »Harmony.«
»Wie …«
»Genau. Wie Harmonie, nur mit Ypsilon.«
Lily löste die ersten kleinen Schrauben. »Es wird etwas dauern, ein oder zwei Stunden.«
Rieker sank in einen Sessel. »Kein Problem. Hast du was zu lesen?«