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ch schließe die Augen und zum ersten Mal seit vier Jahren fühle ich mich entspannt. Eine Träne rollt mir über den Nasenrücken und fällt auf das Bett und ich gebe mich dem Loslassen hin. Nur für eine Minute, sage ich mir. Nur eine Minute.
Lev darf nicht Teil von Joshs Leben werden. Er ist ein Mafioso. Ihn in Joshs Leben zu haben, bedeutet, dass Josh ein Teil dieser Welt wird, auch wenn Lev das nicht will, und ich weiß nicht mal, was er will. Es darf einfach nicht passieren.
Aber eine Minute lang kann ich mich von ihm halten lassen. Ich brauche nur dieses kleine Stückchen Zeit.
Er fühlt sich gut an meinem Rücken an. Solide. Und ein Teil von mir wünscht sich, ich könne bleiben. Könnte ihn bleiben lassen
.
Mein ganzes Leben lang war ich auf mich selbst gestellt. An meine Mutter erinnere ich mich nicht mehr. Ich habe nichts von ihr, kein einziges Foto, nicht eine Sache, anhand derer ich mir vormachen könnte, mich zu erinnern. Eine Erinnerung schaffen. Aber ich erinnere mich an die ersten Jahre in einer Pflegefamilie. Und an die Jahre, die folgten und immer schlimmer wurden.
Ich war ein Wegwerfkind. Niemand hat sich einen Dreck um mich geschert. Deshalb landete ich in der Jugendstrafanstalt, obwohl sie wussten, wer wirklich schuld war. Obwohl sie wussten, was Robert George getan hatte und weiterhin tun würde, wenn ich ihm nicht das Messer in den Bauch gestoßen hätte.
Aber ich vermute, das Versiegeln meiner Unterlagen reichte ihnen, um ihre Schuld, mich eingesperrt zu haben, abzumildern.
Nicht, dass es darauf ankäme. Ein anderes Heim oder eine Haftanstalt. Zumindest musste ich mich im Heim nicht verstellen. Ich wurde wie eine Kriminelle behandelt, aber wenigstens wurde ich in Ruhe gelassen. Niemand legte sich dort mit mir an. Nicht die Wärter und auch nicht die anderen Kinder.
Aber das ist alles Vergangenheit und als ich Lev jetzt hinter mir fühle, wie sich sein starker Arm um meine Mitte legt, weiß ich, dass er mich beschützen kann. Und vielleicht will er das sogar. Oder er glaubt, dass er es will
.
Wenn Josh nicht da wäre, würde er es dann wollen, frage ich mich. Aber diesen Weg lasse ich mich nicht weiterdenken. Stattdessen muss ich an Josh denken.
Ich spüre, wie sich Levs Körper hinter mir entspannt. Er hält mich nicht fest.
Wenn ich schnell wäre, könnte ich entkommen. Ihn so lange außer Gefecht setzen, bis ich es wieder zur Schule schaffe, dort Josh hole und verschwinde.
Josh wird aufgebracht sein, dass er seine Sachen nicht hat, aber das werde ich später in Ordnung bringen. Ich habe keine Wahl, weil ich die Alternative nicht zulassen kann.
„Ich muss auf die Toilette.“ Ich rolle mich ein wenig nach hinten und mein Bauch flattert, weil er hinter mir ist. Es ist, als würde sich mein Körper daran erinnern. Und ich denke an etwas. Daran, wie wir Sex hatten.
Ich kam immer, wenn Mr. George mich berührte. Wenn er mich zwang. Ich fühlte mich krank deswegen, aber es war so. Und er liebte es. Er liebte es, es mir unter die Nase zu reiben. Er liebte es, dass Joshua mich immer wieder kommen sah. Sah, wie ich genau das genoss, was ich hasste. Und dass ich danach jedes mal kotzte.
Aber als ich mit Lev zusammen war, war es anders.
Es war wunderschön
.
Verdammt!
Er zieht seinen Arm zurück und ich drücke meine Handballen an meine Augen. Sie sind feucht und als ich ihn ansehe, ist er nicht überrascht oder verärgert darüber, dass ich mir immer noch Tränen wegwische.
Ich setze mich auf und schwinge die Beine über die Bettkante.
Lev steht auf und ich schaue zu ihm auf der anderen Seite des Bettes.
Er ist auf eine grausame Art und Weise schön. Wenn er nicht lächelt, hat er etwas Dunkles an sich. Aber wenn er lächelt und das tut er jetzt gerade, sehe ich dieses Grübchen. Und genau wie Joshs Lächeln mich an Lev erinnert, erinnert mich Levs an Josh.
Und das ist es, woran ich jetzt denken muss. Josh ist derjenige, an den ich denken muss.
Lev geht um das Bett herum und nimmt meinen Arm. Er beugt sich nach unten, und ich schaue hoch. Sein Gesicht ist nur Zentimeter von meinem entfernt. Er drückt meinen Arm ein wenig zusammen. Es tut nicht weh, aber ich weiß, dass es wehtun kann. Ich weiß, dass er dafür sorgen kann, dass es wehtut. Er warnt mich.
„Mach keine Dummheiten, verstanden?“
Kann er meine Gedanken lesen?
Ich blinzle schnell und es reicht, dass ich nicht
wegsehen muss, denn ich weiß, wenn ich es tue, wird er sehen, dass ich lüge. Also nicke ich stattdessen und schlucke meine Angst hinunter.
Ich habe nur einen Versuch. Und wenn ich versage ... Nein, darüber darf ich nicht nachdenken. Ich darf nicht scheitern.
Er lässt mich los, deutet mit dem Kopf in Richtung Bad und zieht sein Handy aus der Gesäßtasche.
Ich gehe unbeholfen mit nur einem Stiefel ins Badezimmer. Ich muss daran denken, mir den anderen zu schnappen, wenn ich verschwinde.
Ich schließe die Tür, als Lev meinen Namen ruft.
„Kat.“
Ich bleibe stehen und schaue nach draußen.
„Nicht abschließen.“
Ich schlüpfe zurück und schließe die Tür. Das Schloss ist sowieso eines dieser Druckknopfschlösser und ich bin mir sicher, dass er es ohne große Anstrengung aufbrechen kann, also ist es keine große Sache, es unverschlossen zu lassen.
Ich wende mich dem Waschbecken zu und sehe mein Spiegelbild an. Mein Gesicht ist fleckig, meine Augen geschwollen und rot vom Weinen. Ich drehe den Wasserhahn auf und trinke eine Handvoll kaltes Wasser, bevor ich mir mehr davon auf das Gesicht spritze. Ich lasse es laufen, während ich mich bücke und den Schrank unter dem Waschbecken öffne. Ich weiß, wann er knarren wird, also achte ich darauf, kurz vorher anzuhalten. Ich schiebe den Arm hinein
und drehe meinen Körper, so dass ich hinter die Rohre greifen kann.
Dort, an die Oberseite des Schrankes geklebt, spüre ich das harte Metall der Pistole, die ich vor vier Jahren illegal gekauft habe. Zwei Nächte nach meiner Flucht.
Ich habe in dem Jahr, in dem ich schwanger war, damit geübt, aber seit Josh geboren wurde, habe ich sie nicht mehr angerührt. Ich hasse das Ding und selbst jetzt, als ich die kalte, harte Pistole in die Hand nehme, spüre ich ihre Kraft, so klein sie auch ist, und ich weiß, welchen Schaden sie anrichten kann. Die Zerstörung, die sie anrichten wird.
Aber ich habe keine andere Wahl.
Ich richte mich auf. Sie ist geladen. Sechs Kugeln. Also habe ich wohl sechs Chancen, nicht eine.
„Kat?“, ruft Lev von der anderen Seite der Tür.
„Nur eine Sekunde“, sage ich, spüle die Toilette und atme tief ein. Ich lege meine Hand um die Pistole, starre geradeaus auf die Tür und entsichere die Pistole.
Dann öffne ich die Tür.
Lev ist ein paar Meter entfernt. Er schaut auf, als er seine Nachricht fertig geschrieben hat und steckt das Handy in die Tasche. Ich glaube, das alles geschieht im Bruchteil einer Sekunde. Es kommt mir einfach so vor, als würde es ewig dauern.
Als ich meinen Arm hebe, fühlt es sich wie in
Zeitlupe an. Sein Gesichtsausdruck verändert sich und wird dunkler, als ich die Waffe hebe und auf ihn richte.
Ich muss ihn nicht erschießen.
Ich will ihn nicht verletzen.
Vielleicht kann ich ihn dazu bringen, sich mit den Handschellen ans Bett zu fesseln. Vielleicht kann ich das tun.
Levs Augen sind schmal. Zuerst sieht er enttäuscht aus, dann wütend, als sich sein Mund zu einer dünnen, harten Linie verengt.
„Ich will dir nicht wehtun“, höre ich mich sagen und meine Stimme klingt seltsam, als befände ich mich in einem Tunnel. Ich weine schon wieder. Ich spüre die Tränen, meine Hand zittert und ich muss schießen. Ich muss es tun.
„Nimm sie runter, Kat.“
Ich schüttle den Kopf.
Er macht einen Schritt auf mich zu.
Ich mache einen zurück. Ich muss schießen. Und zwar sofort. Ich muss den verdammten Abzug drücken.
„Fessle dich mit Handschellen ans Bett“, versuche ich zu sagen und meine Stimme zittert. Schwach.
Er macht einen weiteren Schritt. Ich habe fast keinen Platz mehr.
„Ich werde schießen. Ich meine es ernst.
“
Mein Rücken berührt die Wand. Ich habe nicht bemerkt, dass ich immer noch zurückgehe. Aber Lev kommt mir immer näher und macht einen weiteren Schritt, bis er seine Brust in den Lauf der Waffe drückt und sich dagegen lehnt.
„Nein, wirst du nicht.“
„Bitte“, schluchze ich. Ich bin diejenige mit der Waffe, doch ich flehe ihn an.
Er legt den Kopf schief und seine Augen passen zum kalten Stahl der Waffe. Er schließt seine große Hand über meiner und ich habe keine Wahl. Ich muss das tun. Ich muss schießen.
Und ich tue es.
Ich drücke den Abzug.
Das Geräusch ist nicht wie in der Nacht bei Nina. Das Knallen war leiser. Dieser Schuss, er ist laut. Und wir fallen beide.
Als wir zu Boden gehen, verlagert Lev seine Position, indem er den Griff an meiner Waffenhand auf mein Handgelenk verlegt und über meinen Kopf zielt.
Ein weiterer Schuss geht los und ich höre mich selbst schreien, als irgendwo hinter mir Glas zerbricht.
Seine andere Hand legt sich um meinen Hinterkopf, als ich auf den Boden aufschlage, und das Holz ist hart, als ich, sein Gewicht auf mir, darauf lande.
Ich bin mir nicht sicher, ob es die Wucht des
Sturzes oder sein Griff an meinem Handgelenk ist, der meine Hand öffnet, aber die Waffe rutscht über den Boden und unter das Bett. Ich beobachte sie und drehe mich dann zu ihm um. Ich sollte Blut sehen. Ich habe auf ihn geschossen.
Habe ich das nicht?
Aber es gibt kein Blut und Lev ist nicht verletzt. Er ist nur sehr, sehr wütend.
Er packt meinen Kiefer und drückt so stark, dass ich glaube, dass er ihn brechen wird. „Habe ich dir nicht gesagt, du sollst nichts Dummes tun?“, fragt er mit zusammengebissenen Zähnen.
Ich kralle mich an seinem Unterarm fest und spüre seine Haut unter meinen Fingernägeln. Der Instinkt übernimmt und ich ramme ihm mein Knie in die Eier.
Lev flucht und erst dann kann ich mich bewegen.
Ich rolle mich auf den Bauch und krabble auf das Bett zu, versuche, meine Beine unter ihm hervorzuziehen, aber er greift nach dem Bund meiner Jeans und zieht mich nach hinten. Als er aufsteht, zieht er mich mit sich hoch. Er flucht immer noch, steht nach meinem Angriff auf seine Eier immer noch nicht ganz aufrecht.
Er wirft mich wieder auf das Bett und legt sein ganzes Gewicht auf mich, so dass ich gefangen bin. Er schiebt die Haare von meinem Gesicht weg und sein Atem ist warm auf meiner Wange
.
„Habe ich dir nicht gesagt, dass du nichts Dummes tun sollst, verdammt?“ Seine Hand rutscht zwischen uns, und er fummelt an etwas herum. „Und das war so dumm, wie es nur geht.“
Er richtet sich auf und ich will hinterher, aber er stößt mich wieder nach unten und drückt mir das Knie in den unteren Rücken.
Ich kann mich nicht mehr als ein paar Zentimeter bewegen und ich verrenke mir den Hals, um nach hinten zu blicken, und ich sehe, womit er herumfummelt. Was er öffnet.
„Lev, nein“, flehe ich, während er seinen Gürtel öffnet. Ich kralle mich am Bett fest und versuche, mich wegzuziehen, aber es ist hoffnungslos.
„Doch, Kat“, sagt er und ahmt mich nach, während seine Hände zwischen das Bett und meinen Bauch gleiten. Ich kämpfe und drehe und wende mich, um wegzukommen, aber ich kann es nicht. Er ist zu stark. Und als er mir die Jeans herunterzieht, schreie ich.
Seine Finger sind in meinen Haaren und ziehen mich rückwärts an ihn. Als er sich umsieht, findet er einen Schal, den ich über die Stuhllehne geworfen hatte, und zieht mich mit, als er ihn aufhebt. Er drückt meine Finger zusammen und zwingt mich, ihn anzuschauen. Durch meine Tränen hindurch ist er nur ein verschwommener Fleck.
„Du zwingst mich dazu. Du hast dir das selbst zuzuschreiben.
“
„Lev–“
Aber bevor ich fertig bin, legt er mich wieder über das Bett und bindet mir das Tuch über den Mund, und als ich ihn öffne, um zu schreien oder zu flehen, zieht er es fest. Zum Schluss zieht er mir mein Höschen herunter, so dass es und meine Jeans mir um die Knie herum liegen, und ich glaube, er wird es tun.
Dann erstarrt alles für eine Minute. Oder vielleicht ist es ein Sekundenbruchteil. Es wird ruhig und vollkommen still und das einzige Geräusch ist mein Atmen, mein Flehen durch diesen Knebel. Ich drehe den Kopf, um zu sehen, wie er mich ansieht.
„Ich tue dir nicht gerne weh, Katerina“, sagt er.
Ich möchte ihm sagen, dass er es nicht tun soll, dass er es nicht tun muss, aber ich bin geknebelt. Er zieht den Gürtel durch die Schlaufen seiner Jeans und dreht ihn um. Als ich begreife, was er vorhat, ergreift mich eine weitere Panik, eine andere Art von Panik.
Ich schüttle den Kopf und als ich versuche, mich am Bett festzuhalten, um wegzukommen, nimmt er sein Knie von meinem Rücken, fängt meine Handgelenke ein und hält sie an meinem unteren Rücken fest.
„Aber du musst diese Lektion lernen und du musst sie jetzt lernen.“
Ich schaue schockiert zu, wie er den Arm hebt und ihn hart nach unten bewegt
.
Stille ertönt nach diesem hallenden Geräusch von Leder auf Haut. Stille, während es widerhallt, und mein Atem stockt, als Feuer mich durchschneidet.
„Du wirst tun, was ich dir sage.“ Er schlägt mich wieder und hält mich fest, als ich kämpfe, um wegzukommen. „Du wirst genau das tun, was ich dir sage.“
Er schlägt immer und immer und immer wieder zu, und es geht zu schnell, und ich habe keine Zeit, Luft zu holen oder es zu verarbeiten, da mir der Schmerz den Hintern und die Oberschenkel verbrennt.
Ich schluchze, der Tuchknebel ist durchnässt, und er ist noch nicht fertig. Nicht mal, als ich nicht mehr zählen kann. Erst, als ich aufhöre zu kämpfen, erst, als mein Körper auf das Bett fällt, und ich es annehme, seine Strafe annehme, hört er endlich auf. Erst dann höre ich endlich das Klirren der Gürtelschnalle, wie sie auf dem Boden landet, und meine Handgelenke sind frei, und ich fühle, wie ich über die Bettkante auf die Knie rutsche, meine Hände noch immer hinter mir, als würde er sie noch immer festhalten.
Ich drücke mein Gesicht in die Decke und schluchze, und ich spüre ihn hinter mir, spüre, wie er hinter meinem Rücken kniet. Er ist nah genug, dass ich seine Härte spüren kann.
Er ist erregt
.
Mich zu schlagen, erregt ihn.
Ich mache einen Laut in den Knebel, in die Decke, denn wenn es nicht vorbei ist, wenn er mich jetzt berührt, sterbe ich. Ich werde sterben.
Aber dann ist der Knebel weg, er nimmt meinen Hinterkopf und als er mein Gesicht zu seiner Brust dreht, lasse ich ihn.
„Ich tue dir nicht gern weh“, sagt er und seine Stimme ist erstickt und angespannt.
Ich höre sein Herz. Höre das schnelle Schlagen in seiner warmen Brust.
Er reibt meinen bestraften Hintern und seine Berührung ist weich, das Gegenteil der Gewalt von eben. Aber das ist er, nicht wahr? Die Widersprüche in Lev.
Gewalt und Zärtlichkeit, sie liegen eng nebeneinander.
Bei beidem ist er zum Äußersten fähig.
Er setzt sich neben mich auf den Boden, zieht mir Unterwäsche und Jeans hoch und hebt mich dann auf seinen Schoß. Ich reibe mir übers Gesicht und wische mir mit dem Ärmel die Nase ab.
Ich schaue zu ihm hoch und er schaut mich mit traurigen Augen an, nicht mit wütenden, nicht mehr.
Ohne ein Wort zu sagen, wischt er mir das Gesicht ab, schiebt die Haare, die an meinem Gesicht kleben, zurück, und er küsst mich auf die
Stirn, küsst mich auf die Augenlider, als ich die Augen schließe. Er küsst mich auf die Wangen, dann auf den Mund und ich hasse mich dafür, dass ich nicht gegen ihn kämpfe. Dafür, dass ich nicht will, dass er aufhört.