»Man könnte es noch einmal neu herrichten lassen«, meinte der Waffenmeister von Kaltenberg. Seine scharf geschnittenen Züge unter dem grauen Haar waren andächtig, als er das alte Schwert in der Hand wog. »Die Scharten wären abzufeilen, und auch der Rost geht nicht tief. Wenn man den Griff reinigt, trocknen lässt und neue Lederbänder darumwickelt, wäre es wieder zu gebrauchen.«
Er stand mit Ulrich von Rohrbach in der Kapelle. Jetzt, da nasskalte Winterstürme um Burg Kaltenberg heulten, war das einzige schmale Fenster mit Holz verschlossen. Der kleine Raum wurde nur durch eine Talglampe erhellt, die den Raum mit weit mehr Gestank als Licht erfüllte. Das Leintuch auf dem kleinen Altar hätte dringend gewechselt werden müssen, doch seit Vater Maurus’ Tod kümmerte sich nur der Dorfpfarrer bisweilen darum.
»Es gehörte meinem Onkel Winhart.« Ulrich befühlte den rostüberzogenen Griff mit den rissigen Lederbändern. Seine schlanken Finger glitten über die Klinge mit den Jahre alten dunklen Flecken. »Er trug es, als er heimtückisch niedergestochen wurde. Nie werde ich das vergessen.«
Der Waffenmeister legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ihr wart ein Kind, als man ihn in Landsberg erdolchte. Euer Vater hat ihn gerächt.«
Ulrich sah auf. »Und ich muss die Ehre meiner Familie nun ein zweites Mal verteidigen – gegen Raoul. Betet für mich, dass ich meinem Vater keine Schande mache!« Er legte die Waffe zurück. »Lasst es nicht ausbessern«, beschloss er und wandte sich zur Tür. »Es soll so bleiben, wie es damals war.«
Eine Krähe flatterte auf, das Krächzen hallte durch den kleinen Raum. Überrascht blieb er stehen.
Ein Schatten versperrte den Ausgang und verdunkelte das Licht, das von draußen hereinfiel. Schnaubend kam der Rappe in die Kapelle, und die Metallplatten auf Nasenriemen und Brustgurt des Pferdes glänzten fahl. Ein kalter Wind fegte die wellige Mähne über die Nüstern und bewegte den Waffenrock des Reiters. Er zügelte das Tier vor Ulrich und ließ es tänzeln. Das Geräusch der Hufe hallte in dem kahlen Raum wider.
»Ihr!«, brach Ulrich endlich das Schweigen. »Habt Ihr Sehnsucht nach dem Tod? Nach Eurem letzten Auftritt solltet Ihr wissen, dass Ihr hier nur Euer Blut zu verlieren habt.«
Raoul nahm den Helm ab und warf die schwarzen Locken zurück. Er war kein Narr. Dass Ulrich und er Brüder waren, war eher ein Grund, noch vorsichtiger zu sein. Aber der König hatte ihn herbefohlen, um über ihn zu entscheiden, und das schützte ihn. Für einen Moment hatte er sich gefragt, ob es etwas ändern würde, wenn Ulrich erfuhr, wer er war. Jetzt aber verzogen sich seine Mundwinkel ironisch. »Um mein Blut mache ich mir keine Sorgen. Wie ich mich überzeugen konnte, erschöpft sich Eure Tapferkeit im Erobern von Bauerndirnen.«
Ulrichs Hand fuhr zum Schwert. Seine Waffenknechte kamen aus dem Gesindehaus gerannt, wo sich ihre Strohlager befanden. Der Waffenmeister beobachtete sie mit verschränkten Armen.
Raoul beugte sich leicht im Sattel vor und sah sich um. »Wart Ihr zu feige, Anna gegen den Willen Eures Vaters zurückzuholen?«
»Lasst das Mädchen aus dem Spiel, Ihr habt nichts mit ihr zu schaffen.« Ulrich beherrschte sich nur mühsam, was Raoul noch mehr reizte.
»Fürchtet Ihr, sie könnte an mir Gefallen finden, so wie Eure reizende Gemahlin?« Er lachte und trieb seinen Rappen ins Freie. Der kleine Hof war ihm vertraut geworden, und wieder hier zu sein bewegte ihn seltsam tief. Bald schon konnte er hier der Herr sein. Am Bergfried war das Gesinde neugierig zusammengelaufen. Anna war nirgends zu sehen, auch nicht auf der bewachsenen Galerie des Palas. Er trieb das Pferd dicht an Ulrich heran, der die Lippen schon bei ihrer Erwähnung zusammengepresst hatte. »Der König hat Hermann von Rohrbach hierherbefohlen.« Eine unüberhörbare Drohung lag in seiner Stimme, die vor Erwartung zitterte. »Wo sind sie?«
Unverhohlener Triumph lag in Ulrichs Stimme, als er erwiderte: »Dieses Mal habt Ihr Euch verrechnet.«
Raoul schwang sich aus dem Sattel. Nur die Hand, die locker am Schwert lag, verriet, dass er auf der Hut war, dennoch wichen die Knechte vor ihm zurück. Seine Nasenflügel bebten. »Ich habe mich nicht gescheut, es vor dem König auszusprechen, und ich werde es vor unserem Vater wiederholen: Er war Herr von Kaltenberg, als er meine Mutter guter Hoffnung in Akkon zurückließ.«
Höhnisch lachte Ulrich auf. »Ihr seid ein Betrüger!«, warf er ihm ins Gesicht. In seiner Stimme lag jetzt blanker Hass. »Mein Vater hat dem König diese Nachricht überbringen lassen: Wer immer Euch auf einer Akkoner Latrine gezeugt hat, er war es nicht. Hermann von Rohrbach ist niemals im Heiligen Land gewesen!«
Raoul verschlug es die Sprache. »Wie konntet Ihr wissen …« Er wurde bleich.
»Ich sorge mich also kaum, dass Anna an Euch Gefallen finden könnte«, bestätigte Ulrich spöttisch seine Befürchtung. »Sie ließ mich warnen. Das Mädchen kennt seine Pflichten, so wie ich meine kenne. Ihr werdet umsonst auf den König und meinen Vater warten. Das Treffen wurde abgesagt.«
Raoul riss das Schwert hoch.
»Das solltet Ihr nicht tun«, riet Ulrich. »Da Ihr ein Bastard seid, habt Ihr Euch Euren Ritterstand angemaßt. Wenn Ihr auch noch den Burgfrieden brecht, muss ich Euch dem Landgericht übergeben.«
Wie ein Raubtier ging Raoul auf ihn los und hielt ihm die Klinge an den Hals. Mit Genugtuung spürte er, wie Ulrich unter seinem harten Griff zuckte und in Schweiß ausbrach. Ein schneller Blick aus seinen dunklen Augen traf die Knechte, die erschrockene Rufe ausgestoßen hatten. Widerwillig, beinahe furchtsam näherten sie sich, aber keiner wagte sich heran. Ihre Scheu war deutlich zu spüren, vielleicht dachten sie auch noch an Raouls Ruf, mit dem Teufel im Bund zu sein.
»Wagt nur eine Bewegung, und ich schneide Euch mit Freuden die Kehle durch!«, flüsterte Raoul. Er zog Ulrich dichter zu sich heran, dass dieser rückwärtsstolperte. »Ihr werdet mich zum König begleiten. Und dann werdet Ihr mir sagen, wo Anna …«
Etwas zischte an seinem Gesicht vorbei. Mit einem Aufschrei ließ er das Schwert fallen. Der Schmerz war so stark, dass ihm die Luft wegblieb. Glühende Punkte tanzten vor seinen Augen, er sah, wie Ulrich sich keuchend umdrehte. Hinter dem Burgherrn ließ der Waffenmeister die Armbrust sinken. Seine Lippen waren fest aufeinandergepresst.
Ulrichs Knechte nutzten den Augenblick. Raoul spürte den harten Stoß eines Schwertknaufs zwischen den Schulterblättern, der ihn wieder nach Atem ringen ließ, dann einen Tritt in die Kniekehlen. Hart stürzte er auf den gestampften Boden.
»Gut gemacht«, lobte der Burgherr und nickte dem Waffenmeister zu. Er kam zu Raoul heran. »Ich sollte Euch im Turm verfaulen lassen wie einen rebellischen Bauern«, sagte er hasserfüllt.
Raoul lag stöhnend auf dem Rücken, in seinem schwarzen Haar hing Staub. Seine Kniekehlen schmerzten, die aufgeschürfte Wange brannte. Mit verzerrtem Gesicht versuchte er die Blutung an seinem Arm zu stillen. Zwischen seinen Schulterblättern pochte es so stark, dass er am liebsten geschrien hätte. Verzweiflung drohte ihn zu überwältigen.
Der Waffenmeister packte seinen Arm, um ihn hochzuziehen. Er vergewisserte sich, dass ihn niemand hörte und raunte ihm etwas zu. Raouls Schmerzen ließen urplötzlich nach, seine Kräfte kehrten zurück.
»Sagt das noch einmal!«, flüsterte er heiser.
»Kaltenberg gehört nicht Hermann von Rohrbach«, wiederholte der Waffenmeister. »Die Burg ist ein Sühnepfand. Sie gehört einem entfernten Verwandten. Er, nicht Hermann, ist Euer Vater!«
Langsam kam Raoul auf die Beine. »Wer ist es?« Die Knechte kamen heran und zwangen seine Arme auf den Rücken, dass er erneut vor Schmerz aufschrie. Sie zerrten ihn zum Bergfried. Verzweifelt wandte er den Kopf zurück. Die feuchten Locken fielen ihm in die Augen, als er schrie: »Wer?«