Kurz vor Weihnachten galoppierte ein Waffenknecht in den Farben des Bischofs durch Freising. Ohne sich bei den Bauernhöfen oder den steinernen Amtshäusern der Hauptstraße aufzuhalten, jagte er das Pferd den Domberg hinauf. Im Hof des Bischofspalasts glitt es beinahe auf den glatten Isarkieseln aus.
Als er aus dem Sattel sprang, bekam Meinrad es wieder mit der Angst zu tun. Stundenlange Gewaltritte wie dieser waren nichts Neues für ihn, aber sein heutiger Auftrag schon. Fröstelnd schlug er den Mantel fester um den Leib und trat kräftig auf, um das Gefühl in seine nasskalten Füße zurückzubringen. Als der Wachposten ihn heranrief, zuckte sein struppiger Bart unwillkürlich.
»Hier herüber, Meinrad! – Das Dach ist unter der Schneelast zusammengebrochen«, erklärte der Posten, als der Ankömmling ihm die schlammbespritzten Zügel reichte. Unruhig sah Meinrad sich um, wo einige aufgeregte Diener durcheinanderliefen. Das Scheunentor stand offen. Dachbalken ragten in die Luft, und kräftige Diakone schippten im Schnee eine Gasse frei. Aus den Trümmern wurde ein Mann gezogen, gefolgt von einer jammernden Magd.
»Hat ein Knecht noch im Stall geschlafen?«, fragte Meinrad und schlug die kältestarren Hände aneinander.
Der Wachposten schüttelte den Kopf. »Vagantenpack. Hast du Nachrichten?«
Meinrad bejahte. Dankbar folgte er einem jungen Prälaten durch das Treppengewölbe ins wärmere Obergeschoss, wo sich der Speisesaal des Bischofs befand. Durch die mit Pergament bespannten Fenster fiel nur gedämpftes Licht herein, und in seiner Aufregung wäre er fast über den Hofnarren im Eingang gestolpert.
Bischof Konrad III., »der Sendlinger«, saß in seinem pelzgefütterten Mantel bei Tisch. Über ihm prangte das Wappen mit dem neu hinzugefügten Freisinger Mohren. Ein Schirm aus Korbgeflecht schützte ihn vor der Hitze des Kamins, vor ihm standen sein Becher und einige Schüsseln, in denen den verführerischen Gerüchen nach Wildschwein und Wachteln sein mussten. Ein goldenes Salzfass thronte in der Mitte. Hinter ihm stand mit gottergebener Miene sein Sekretär, der sichtlich darum betete, diese Prüfung unbeschadet zu überstehen. Denn auf einem Schemel zu Füßen des geistlichen Herrn hockte ein Mädchen. Selbst in Gegenwart der Würdenträger trug sie die flammend roten Zöpfe unbedeckt. Sie sang ein Liedchen in ihrem Dialekt – und der Bischof lachte aus tiefster Kehle.
»Bischof Konrad hat sie auf dem Domplatz aufgelesen«, zischte der Hofnarr, der Meinrad gut kannte. Unter seinen wimpernlosen Augen verrieten Tränensäcke die Vorliebe für geistige Getränke. Doch der flachsblonde Bart war gepflegt wie bei einem hohen Herrn. »Sie sang Liebeslieder! Seit sie hier ist, will er nur noch ihre Possen hören.«
Anna trat höflich zurück, als der Bote hereinkam. Auf keinen Fall wollte sie wieder auf der Straße landen. Als sie die erste heiße Suppe bekommen hatte, hatte sie das Gefühl gehabt, nie etwas Besseres gegessen zu haben. Tagelang hatten ihre Glieder noch in der Wärme geprickelt. Konrad III. hätte sie für ihren Auftritt in Männerkleidern streng bestrafen können. Aber schnell hatte sie gemerkt, dass er nicht zu den Geistlichen gehörte, die alles Irdische als verboten betrachteten, und sie war ihm unendlich dankbar dafür. Erwartungsvoll sah sie dem Waffenknecht entgegen. Schnee und Schmutzspuren verrieten, dass er schnell und weit geritten war. Vielleicht war er in Landsberg gewesen und wusste etwas von Ulrich? Dass sie nichts von ihm gehört hatte, machte sie fast wahnsinnig.
Der Sendlinger hob die Hände, um sich von seinem Pagen Wasser darübergießen zu lassen. »Und?«, fragte er knapp. »Was bringst du?« Frauen hatten bei solchen Unterredungen eigentlich nichts zu suchen. Aber Anna machte keine Anstalten zu gehen, und er schickte sie nicht weg.
Der Mann kniete nieder. »Schlimme Nachrichten, Herr. König Ludwig hat zwar Landsberg gegen seinen Feind, Friedrich von Österreich, gehalten. Aber alle Dörfer in der Gegend sind in der Hand des Habsburgers. Auch Eure Besitzungen in Dießen und Peißenberg sind verloren. Friedrichs Bruder, Herzog Leopold, hat eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Seine Ritter stehen nicht mehr weit von München.«
»Euer Versuch zu vermitteln war vergeblich.« Der Narr war von seinem Platz an der Tür näher gekommen. Er sprach schnell, beinahe gehetzt. »Ludwig hat Euch ein paar Vergünstigungen zugesprochen, aber er kann sein Land nicht beschützen.« In seinen blasshellen Augen lag ein seltsames Glitzern, das Anna misstrauisch machte. Vielleicht bildete sie es sich nur ein, weil sie ihn nicht leiden konnte: Wenn er sich unbeobachtet glaubte, tuschelte er mit den jungen Diakonen über sie.
»Verzeiht, Herr«, mischte sie sich ein.
Selbst dem Hofnarren verschlug es die Sprache, als sie von sich aus das Wort ergriff. »Ich komme aus dieser Gegend«, fuhr Anna entschlossen fort, »aber von einem feindlichen Heer habe ich nichts gesehen.«
Das erste Erschrecken des Waffenknechts wich einem Grinsen.
»Eine Straßenmetze sagt dem Bischof, was er zu tun hat!«, stichelte der Hofnarr. Aber seine wimpernlosen Augen waren kalt. »Ihr solltet sie einem Eurer Stallknechte ins Bett legen, vielleicht erinnert sie sich dann, wo der Platz einer Frau ist.«
Der Bischof winkte ihm zu schweigen, aber er spottete: »Sie hat nichts vom Krieg gesehen! Oft finden sich ja nicht einmal die verfeindeten Heere und müssen sich zur Schlacht verabreden!«
Auch wenn sie ihm innerlich den dürren Hals umdrehte, tat Anna, als kümmerte sie sich nicht um ihn. »Als ich aus Kaltenberg wegging, hatten die Österreicher das Land verlassen.«
»Das hat mir auch der König berichtet, als er Anfang des Monats hier war«, erwiderte der Bischof ohne eine Miene zu verziehen. Er ließ nicht erkennen, ob er sie ernst nahm oder ihre Einmischung nur als eine Art Posse belächelte. »Aber offenbar ist Herzog Leopold zurückgekehrt.«
»So ist es«, warf der Waffenknecht ein.
»Wenn Leopold nach Baiern zurückgekehrt ist«, erwiderte Anna ruhig, »wie konnte er dann am Sankt-Othmars-Tag in der Schweiz eine Schlacht verlieren?«
Der Bischof erhob sich, und die rote Schärpe fiel lang herab. »Weißt du, was du da sagst, Kind?«
»Fragt den Vaganten Steffen, wenn Ihr mir nicht glaubt. Er war dabei und kann Euch ausführlich von dieser Schlacht berichten.« Unterwegs hatte Steffen immer wieder davon erzählt, wie um die schrecklichen Bilder in seinem Kopf zu ordnen. Er hatte nicht gelogen, da war sie sich sicher.
Der Bischof ging einige Schritte auf und ab, dann blieb er ernst vor ihr stehen. »Wenn du lügst, muss ich dich bestrafen.«
Dass er ihr überhaupt zuhörte, ermutigte Anna. Offenbar konnte sich eine Gauklerin Dinge erlauben, die ein unbeschol tenes Dorfmädchen nie gewagt hätte. »Ich weiß, was ich gesehen habe, Herr. Als ich München vor wenigen Tagen verließ, waren die Mauern stark und die Vorratskammern voll. Die Feinde des Königs haben sich zurückgezogen, um ihre Kräfte zu sammeln.«
Der Hofnarr lachte, doch zufrieden bemerkte sie, dass es jetzt gepresst klang. »Das unehrliche Gesindel hat scharfe Augen, um etwas zu fressen zu finden, aber als Bote taugt es kaum.«
Der Bischof runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich glaube vielmehr, dass Gott mir dieses Mädchen in seiner Unschuld geschickt hat. Holt mir diesen Vaganten her!«
Steffen wand sich zuerst, in der Hoffnung, sein Wissen in klingende Münze zu verwandeln. Doch für zehn Pfennige erzählte er von der Schlacht in den Schweizer Bergen.
Das Patriziergesicht des Sendlingers wurde hart. »Was hat Leopold von Habsburg dir geboten?«, herrschte er den Boten an.
Der Mann wich zurück. »Ich verstehe nicht …«
Konrad schlug ihn mit der behandschuhten Rechten ins Gesicht. »Du erbärmlicher Bastard! Wie viel hast du bekommen, um meine Entscheidung zu beeinflussen?«, donnerte er. »Wenn ich Ludwig die Gefolgschaft verweigere, weil ich das Heer Friedrichs bereits vor meiner Tür glaube, hätte er leichtes Spiel. Waren es mehr als die dreißig Silberlinge, für die Judas unseren Herrn Jesus Christus verkaufte?«
Anna war sich nicht sicher, ob seine Wut eher daher kam, dass man ihn hatte betrügen wollen, oder daher, dass man dazu nur einen Knecht geschickt hatte.
Konrad versetzte dem Boten einen Fußtritt und spuckte verächtlich aus. »In den Kerker mit ihm!«
Anna fing einen Blick aus den wimpernlosen Augen des Narren auf. Sie erschrak. Es stand mehr darin als nur Widerwille. Da war Hass. Unversöhnlicher Hass.