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Vor der Rundmauer von Burg Weikersheim verrieten hastig abgesägte Baumstümpfe, dass die Verteidiger die Umgebung erst kürzlich gerodet hatten. So konnte sich ein feindliches Heer nicht im Wald verstecken. Es war der Mühe wert gewesen: Unversehrt ragte der Bergfried auf, nur in der Nähe des Tors verrieten die niedergebrannte Vorburg und Bruchstellen in den Mauern, dass Katapulte ihr zerstörerisches Werk begonnen hatten. Der von der Tauber gespeiste Wassergraben ließ Rammböcke nicht herankommen, und hinter der Burg erhob sich ein Hügel. Die Waffenknechte, die oben auf den Wehrgängen durch die Scharten blickten, waren zuversichtlich. Seit Tagen lag Ludwig von Baiern nun schon vor der Burg. Aber Kraft von Hohenlohe, ein Verbündeter König Friedrichs, hatte sich auf seinem Stammsitz gut verschanzt. Die Mauern waren stark, die Vorratskammern gefüllt und Ludwig nicht gerade für seine Ausdauer bekannt.

»Kein sehr ruhmreiches Ziel.« Ulrich von Rohrbach stand am Waldrand und ließ seine Blicke über Ludwigs Lager schweifen. Wimpel und Fahnen in Weiß und Blau verrieten, wo das Zelt des Königs lag. Darum gruppierten sich die der adligen Ritter und Ministerialen, weiter abseits lagen die notdürftigen Hütten der einfachen Krieger. Überall quoll Rauch auf. Klirrend putzten Reitknechte am Geschirr der Pferde, irgendwo hörte man das schrille Lachen einer Trosshure. Noch hing der Duft des frisch geschlagenen Holzes in der Luft und mischte sich mit Qualm und Essensdünsten.

Wieder fragte er sich, was nun mit Anna werden sollte. Am Anfang hatte sie ihn gereizt, weil sie hübsch war und schwer zu bändigen. Aber sie war auch die erste Frau gewesen, die ihn spüren ließ, dass sie ihn wollte – und nicht seine Güter oder seinen Einfluss. Zuletzt in Freising war sie verführerischer gewesen denn je. Er erinnerte sich, wie sie ihn mit halbgeschlossenen Lidern angesehen hatte. Wie das Zittern ihres warmen Körpers verraten hatte, dass sie seine Berührung mit allen Sinnen genoss. Ulrich kämpfte gegen ein neues Ziehen in seinen Lenden an. Sollte Jutha erfahren, dass er wieder schwach geworden war, würde sie Anna die Nase abschneiden lassen. Und wenn er ihre einflussreiche Familie gegen sich aufbrachte, würde er es nicht weit bringen.

Gewaltsam richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Zimmerer, der die letzten Hammerschläge an seinem Tribok machte. Das Katapult ruhte fest auf zwei Eichenpfählen. Zwischen den beiden senkrechten Stützen hing ein beweglicher Balken. Das eine Ende war durch ein Gewicht nach der Burg hin ausgerichtet, am anderen hatte der Schmied eine Vorrichtung angebracht, mit der man ganze Felsbrocken, aber auch Kadaver oder Bienenstöcke schleudern konnte. Ulrich hatte die verheerenden Schäden, die man damit anrichten konnte, letzten Herbst in Landsberg gesehen. »Hält es nun?«, fragte er ungeduldig.

Der Zimmerer wischte sich die schweißverklebten Haare aus der Stirn und nickte. Die Seile, von denen die schwere Steinkugel gehalten wurde, hatten sich aus den Verankerungen gelöst. Ulrich hätte dem König liebend gern gesagt, dass sie mehr Belagerungsmaschinen brauchten. Mit Belagerungstürmen hätten sie die Hohenlohe längst erobert, dachte er. Aber niemand konnte sich diese gewaltigen Konstruktionen leisten, außerdem war das Gelände zu hügelig. Sie mussten sich mit den sogenannten Katzen begnügen: geflochtenen Dächern, in deren Schutz sie nahe an die Mauern kamen.

Er kniete nieder, als er die große Gestalt mit rötlich blondem Haar erkannte. In Rüstung und im blauen Waffenrock mit weißen Kreuzen sah Ludwig mehr denn je wie ein Ritter aus. Leichtfüßig kam er heran, als hätte der schwere Panzer kein Gewicht, und warf den Knechten, welche die Sturmleitern zusammensteckten, einen Scherz zu. Als Ulrich den weißen Mantel mit dem schwarzen Kreuz beim König bemerkte, presste er die Lippen aufeinander.

»Gott steh mir bei, das ist alles, was ich für das Geld bekomme?«, scherzte Ludwig. Er legte die Hand auf den Tribok und überzeugte sich, dass alles gerade war. »Das ist gute Arbeit.«

Es war zu wenig, dachte Ulrich verärgert. Nach dem Winter waren sie nach Nürnberg gezogen, um sich der Unterstützung des Burggrafen zu versichern und die Kurfürsten von Mainz und Trier zu treffen. Jetzt wollte Ludwig ausnutzen, dass die Österreicher in der Schweiz eine Schlappe erlitten hatten. Es war eine gute Gelegenheit, Friedrichs Verbündete unter Druck zu setzen. Nur kosten sollte der Krieg möglichst nichts.

»Das Staatssäckel ist leer«, sagte der Deutschherr prompt. »Wir müssen Pferde und Kriegsgerät schonen. Denkt morgen daran!«

»Mit Feigheit werden wir nie ein Ende des Kriegs erreichen«, fiel ihm Ulrich ins Wort.

In den hellen Augen des Deutschherrn blitzte ein gefährliches Feuer. Seine Hand zuckte zum Schwert, doch wider Erwarten beherrschte er sich. »Ihr müsst es wissen«, erwiderte er. »Es ist Eure Familie, die am liebsten gegen Frauen kämpft.«

Voller Hass riss Ulrich das Schwert hoch.

»Genug!«, befahl der König. »Ich dulde keine Fehde mehr!«

Ulrich starrte seinen Gegner wütend an, der Deutschherr erwiderte den Blick ebenso. Dann ließ der Jüngere das Schwert sinken.

»Wir greifen mit dem Sonnenaufgang an«, sagte Ludwig ruhiger. »Ihr solltet besser schlafen. Und ich werde keine Pferde sinnlos aufs Spiel setzen«, wandte er sich scharf an Ulrich. »Wenn der Tribok getroffen wird, ist diese Belagerung zu Ende.«

Der Morgen brach an, als das Heer langsam vorrückte. Über den blitzenden Rüstungen trugen die Angreifer dunkle Kapuzenmäntel. Geduckt hasteten sie über das gerodete Feld. Erde klebte an ihren Füßen und machte das Gehen schwer, ein eisiger Wind strich über ihre Gesichter. Ulrichs Finger, die sich um den Anderthalbhänder klammerten, waren trotz der Handschuhe steif vor Kälte. Der Rammbock, ein mit Eisen verstärkter Baumstamm, wurde unter dem Schutzdach der Katze dorthin gebracht, wo die Mauer bereits getroffen war. An dieser Stelle hatten sie den Burggraben mit Bäumen, Steinen und Erde aufgefüllt, so gut es ging. Das Weidengeflecht war mit feuchten Grassoden vor Brandpfeilen geschützt. In der Dämmerung war das Banner des Königs in der Mitte kaum zu erkennen.

Ein Licht blitzte auf den Mauern auf. Wachsam duckte sich Ulrich unter seinen Schild. Sie hatten den Graben fast erreicht, die turmhoch geschichteten Quader ragten vor ihnen aus der Dämmerung. Er konnte bereits das Pech riechen. Hastig winkte er die Knechte mit den Sturmleitern heran.

Auf den Mauern war ein überraschter Ausruf zu hören. »Zu den Waffen!«, brüllte jemand. Eine Fanfare erklang.

Die Männer des Baiern begriffen sofort, dass sie entdeckt waren. Nun kam es auf Schnelligkeit an. Ulrich brüllte einen Befehl, die Knechte rannten mit den Sturmleitern herüber. Geduckt unter ihre Schilde, versuchten sie die Leitern über den Graben und an die Mauern zu legen.

Ein Regen messerscharfer Pfeile ging auf sie nieder, und Ulrich riss den Schild hoch. Er wusste, dass die Geschosse selbst eine Rüstung mit Leichtigkeit durchschlugen. Der schwere Aufprall warf ihn fast zu Boden. Eine Spitze drang durch den eisenverstärkten Schild hindurch, erschrocken hob er den Arm höher. Überall hörte man nun Schreie und Wimmern der Getroffenen. Neben ihm steckte ein Schaft im Hals eines Knechts und erstickte jedes Wort in einem gurgelnden Schwall Blut. Der Mann war förmlich gespickt mit Pfeilen. Aber der Anblick löste kein Gefühl in Ulrich aus. Seine Sinne waren nur noch auf das eigene Überleben gerichtet. Er raffte das Schwert auf. »Weiter!«, brüllte er. »Es lebe König Ludwig!«

Sein Ruf mischte sich in Flüche und das erste Klirren von Waffen. Eine Katze qualmte, getroffen von einem Brandpfeil. Auch hier waren mehrere Knechte getroffen, aber der schwere Rammbock bewegte sich unaufhaltsam auf die Mauer zu. Die Bogenschützen hatten im Schutz der Mauerkrone nachgelegt, ein zweiter sirrender Pfeilschauer ging auf sie nieder. Fluchend warf sich Ulrich zu Boden und hielt den Schild über sich. Er hieb die Schäfte mit dem Schwert ab und rannte weiter auf die Befestigung zu. Seine Stimme mischte sich unter das Brüllen der Männer. Sie klang ungewohnt rau, hungrig und wütend. Der Pfeilregen wurde schneller, doch es war den Männern gelungen, die ersten Sturmleitern anzulegen. Die ersten kletterten hinauf. Mit hölzernen Gabeln stemmten sich die Verteidiger dagegen, um sie umzuwerfen. Eine der Leitern stürzte direkt auf ihn herab. Die Männer hielten sich krampfhaft fest, schrien Gebete und Flüche. Einen Augenblick stand Ulrich wie gelähmt, sogar den Schild hatte er sinken lassen.

Krachend schlug die Leiter neben ihm zu Boden. Staub wirbelte auf, der lehmige Boden spritzte nach allen Seiten, das zerbrochene Gestell wurde einige Schritte weit geschleudert, und die splitternden Balken rasten auf ihn zu. Ulrich warf sich zu Boden, hielt den Schild vor sich und erwartete den Aufprall, der alles beenden würde.

Er kam nicht. Keuchend vor Entsetzen richtete er sich auf und stolperte über etwas Weiches – einer der Männer, die auf der Leiter gestanden hatten, war hier herabgeschleudert worden. Der zerschmetterte Körper zuckte krampfhaft, die Augen erstarrten. Ulrich sah sich um. Knapp vor ihm waren die messerscharfen Kanten im schweren Boden zum Stehen gekommen. Er war zu angespannt, um zu begreifen, dass er hätte tot sein müssen.

Immer mehr Sturmleitern fielen und wurden von den Verteidigern zurückgeworfen. In immer dichterem Regen sirrten die Pfeile. Das Katapult war näher gerückt und hatte die ersten Geschosse abgefeuert. Doch obwohl das Donnern der berstenden Mauern ihn fast taub machte und überall Brände aufloderten, hielten die Befestigungen stand.

Ulrich brüllte wütend auf und rannte auf die nächste Leiter zu. Er übersprang die ersten Sprossen, warf einen Waffenknecht seitlich herab und kämpfte sich nach oben. Haarscharf schossen die Pfeile an ihm vorbei, einer traf seinen Arm, der stechende Schmerz nahm ihm den Atem.

Außer sich vor Wut erreichte er die Brüstung und warf die krallenartigen Eisenhaken über die Mauerkrone, um die Leiter zu befestigen. Dann stand er im Wehrgang. Ein junger Bursche, nicht älter als er selbst, kam ihm entgegen, das Schwert zischte an seinem Gesicht vorbei. Ulrich riss die eigene Waffe hoch. Er dachte nicht mehr nach, er tat einfach, was alle taten. Von oben täuschte er einen Angriff an und wechselte die Position, um die Klinge vorschnellen zu lassen. Sein Gegner trug keinen Brustlatz, und er traf den ungeschützten Hals.

Der Mann hatte nicht einmal mehr die Zeit zu schreien. In rhythmischen Stößen spritzte das Blut auf Ulrichs Gesicht, nahm ihm die Sicht. Er wischte die warme, klebrige Flüssigkeit ab und holte aus, um dem Nächsten entgegenzutreten. Ein seltsamer Rausch ergriff von ihm Besitz, der sich mit jedem, der röchelnd vor ihm zu Boden sank, steigerte. Fluchend stolperte er über die noch warmen Körper von Sterbenden und stieß sie rücksichtslos mit dem Fuß beiseite. Er schob den Gedanken von sich, dass er Menschen tötete, dass er selbst getötet werden konnte. Er war besessen von dem Gedanken zu siegen, ganz gleich um welchen Preis.

Hinter sich hörte er die Fanfare zum Rückzug. Die Knechte an seiner Seite rannten zu den Wällen, um über die Leitern abzusteigen. Ulrich warf den Kopf herum und sah hinab. Der Tribok war getroffen.

»Nein!«, brüllte Ulrich außer sich vor Wut. Es durfte nicht schon wieder vergeblich sein! »Sie hatten noch keine Zeit, das Pech zu gießen. Beschützt den Tribok, ihr Feiglinge!«

Die Männer zögerten, unschlüssig, ob sie ihren Herrn oder die Verteidiger mehr fürchten sollten. Pfeifend zischten Armbrustbolzen und Pfeile um ihre Köpfe. Er sah seinen Knecht mit einem gurgelnden Schrei stürzen. Ein brennender Schmerz fuhr durch Ulrichs Bein, ein Pfeil hatte ihn gestreift.

»Das ist der sichere Tod!«, brüllte sein Waffenmeister von unten herauf. »Wir verlieren alle Männer!«

»Ihr bleibt!«, schrie Ulrich zurück. Völlig außer sich, dachte er an nichts anderes mehr, als diese verdammte Burg zu erobern. »Oder ich bringe euch persönlich um!«

Ein neuer Pfeilregen traf auf seine Knechte unten am Tribok. Das schwere Gestell neigte sich und drohte zu stürzen. Inzwischen lagen vier seiner sechs Leute reglos am Boden, die Schäfte ragten aus ihren Körpern. Auch die Männer oben auf dem Wehrgang begannen jetzt zu fliehen. Mit einem Fluch raffte Ulrich den Schild auf und lief zu seiner Leiter. Hastig kletterte er die Sprossen hinab. Außer sich vor Angst brüllten die Männer, verfehlten in der Hast die Stufen und stürzten ab. Einer schlug wie von Sinnen um sich – ohne zu bemerken, dass er so ein Ziel für die Bogenschützen bot. Ein Schwarm Pfeile bohrte sich in seinen Körper. Oben auf den Wällen riefen ihnen die Verteidiger Beschimpfungen nach. Ulrich blickte hinauf.

Ein älterer Mann hatte die Gabel angesetzt. Die strähnigen grauen Haare waren blutverschmiert. Mit einem höhnischen Grinsen stemmte er die Leiter von der Mauer.

Ulrich fühlte die Schwerelosigkeit, als die Leiter nach hinten kippte. Für einen Moment hatte er das Gefühl zu schweben. Dann schlug er hart auf dem Boden auf. Er schmeckte Blut zwischen seinen geschwollenen Lippen. Mit aller Gewalt kämpfte er gegen die Bewusstlosigkeit an.